# taz.de -- Gesichtserkennung umgehen: Sie haben da was im Gesicht | |
> Gesichtserkennung gibt es überall – sichtbar und unsichtbar. Wie wehrt | |
> man sich dagegen? Schminke und Glitzer sind eine Möglichkeit. | |
Bild: Sie wollen sich gegen Gesichtserkennung wehren? Ein paar Striche und Balk… | |
Geometrische Formen funktionieren angeblich gut. Ein paar dicke Balken im | |
Gesicht, aufgemalt mit einem ordentlichen Kajal oder Faschingsschminke, | |
dazu vielleicht ein paar Dreiecke, eine Schicht Glitzerpartikel – und schon | |
ist die Gesichtserkennungssoftware verwirrt. Denn Balken, Dreiecke, Glitzer | |
– das ist doch kein menschliches Gesicht. Oder doch? | |
Das Gesicht ist ein merkwürdiger Teil des Körpers. Gleichzeitig ist es der | |
öffentlichste und der privateste Part. Der öffentlichste, weil wir es | |
ständig mit uns umher tragen – und zeigen. In der U-Bahn und beim Bäcker, | |
auf Führerschein und Bahncard, bei Facebook und Snapchat und Whatsapp und | |
Instagram. Der privateste Teil, weil es uns sogar für Fremde | |
identifizierbar macht – im Unterschied zu Hals, Füßen, Brüsten oder Knien, | |
anhand derer man wohl nur eine sehr nahestehende Person identifizieren | |
könnte. | |
Genau diese Kombination ist es, die das Gesicht für eine Menge Akteure | |
interessant macht. Für Onlinedienste, die Menschen auf Fotos so direkt | |
identifizieren können. Für den Einzelhandel, der die Laune von Kunden | |
erkennen und sicher auch eines Tages dem Gesicht eine Kundennummer und der | |
Kundennummer ein Kaufverhalten zuordnen kann. Für Strafverfolger, die sich | |
erhoffen, potenzielle Kriminelle, deren Bild in einer Datenbank gespeichert | |
ist, direkt und in Echtzeit per Kameraüberwachung zu entdecken. | |
Gesichtserkennung ist heute überall. Manchmal sichtbar, häufig aber | |
unsichtbar. Die sichtbare Variante findet man derzeit am Berliner Bahnhof | |
Südkreuz. Dort gibt es seit Anfang August zwei gleiche und doch ganz | |
unterschiedliche Eingänge. Einen blauen und einen weißen. Menschen, die | |
durch die Türen mit dem blauen Schild laufen, werden, wie ein Hinweis | |
verrät, von Kameras erfasst, einem Pilotprojekt für Gesichtserkennung. | |
## Meistens unsichtbar | |
Wer durch die weiße Tür geht, umgeht die Kameras. An diesem Augusttag, kurz | |
nach dem Start des Projekts, stehen die Türen am blauen Eingang offen. Die | |
weißen Glastüren müssten die Passanten selbst aufdrücken. Fast alle nehmen | |
den blauen Eingang. Anteil der Menschen mit auffälligen Streifen im | |
Gesicht: null. | |
Doch meistens ist Gesichtserkennung unsichtbar. Sie versteckt sich zum | |
Beispiel hinter Menschen, die auf der Straße fotografieren, auf Demos, | |
Partys oder beim Grillen in Park. Und die ihre Bilder etwa bei Facebook | |
hochladen. Erkennt Facebook die abgebildete Person, kann das Unternehmen | |
einen Namen zuordnen. | |
Zu einiger Berühmtheit brachte es der russische Dienst FindFace, der auf | |
der Straße aufgenommene Bilder unter anderem mit denen von Profilen des | |
Onlinenetzwerks Vkontakte abgleicht. Als ein Fotograf das vor einem Jahr | |
mal ausprobierte, konnte er 70 Prozent der von ihm aufgenommenen Personen | |
identifizieren. Dass die Quote nicht höher war, ist vermutlich zum | |
kleineren Teil auf die Software zurückzuführen, zum größeren darauf, dass | |
nicht alle Menschen samt Bild-Namen-Verknüpfung im Netz zu finden sind. | |
Noch nicht. | |
Natürlich sind Vergleiche von zwei Fotos deutlich einfacher, als einen sich | |
bewegenden Menschen mit den gespeicherten Merkmalen von einem Bild | |
abzugleichen. Der Versuch im Bahnhof Südkreuz ist aber auch deshalb so | |
wegweisend, weil er zehn Jahre nach einem der größten Fehlschläge der | |
Gesichtserkennung stattfindet. | |
## Ein großer Fehlschlag | |
Im Mainzer Hauptbahnhof testete das Bundeskriminalamt damals, wie gut | |
Algorithmen menschliche Gesichter erkennen können. Als Standort wählte man | |
eine Rolltreppe, um Probleme durch Bewegung zu vermeiden. Doch das Ergebnis | |
war ernüchternd: Erkennungsraten zwischen 60 und 10 Prozent, je nach | |
Lichtverhältnissen. Nun wollen die Beteiligten wissen: Hat sich da was | |
getan in den letzten Jahren? | |
Ja, sagt Andreas Braun vom Fraunhofer-Institut für Graphische | |
Datenverarbeitung. „Die Verfahren des maschinellen Lernens haben dafür | |
gesorgt, dass die Bilderkennungssysteme heute deutlich besser | |
funktionieren.“ Unter Laborbedingungen heißt das: Das Geschlecht erkenne | |
ein System zu 95 Prozent. Beim Alter liege die Abweichung im Schnitt bei | |
plus/minus vier Jahren. | |
Und bei guter Bildqualität liege die Erkennungsrate von Personen bei über | |
99 Prozent. Bei zufällig ausgewählten Facebook-Bildern immerhin noch bei 85 | |
bis 95 Prozent. „Man kann davon ausgehen, dass die Mainzer Erkennungsraten | |
deutlich übertroffen werden“, sagt Braun daher. | |
Auch anderswo wird Gesichtserkennung ausprobiert oder bereits eingesetzt. | |
In Helsinki startete kürzlich ein Test für die Gesichtserkennung beim | |
Check-in. An britischen Flughäfen gibt es bereits Systeme, um zu verfolgen, | |
wie sich Passagiere durch die Hallen bewegen. Und im Einzelhandel ist etwas | |
ganz anderes interessant: das Erkennen von Emotionen, Alter und Geschlecht. | |
Um jeweils das an Werbung anbieten zu können, was der Anbieter für passend | |
hält. | |
## Dicke Balken und bunte Brillen | |
Entsprechende Versuche gibt es auch in Deutschland. Das Gesamtpaket, ein | |
Horror für Bürgerrechtler und Datenschützer. Sie befürchten: Irgendwann | |
wird es keine blaue und keine weiße Tür mehr geben. Sondern nur noch blaue | |
Türen. Und weil Gesichtserkennung überall ist, häufen sich die Ideen, wie | |
man die Technik überlisten kann. | |
Die dicken Balken schlägt etwa der russische Entwickler Grigori Bakunow vor | |
– will aber nicht verraten, worauf es dabei genau ankommt. Sonst könne die | |
Camouflage missbraucht werden. Das US-amerikanische Unternehmen Betabrand | |
verkauft unter anderem stark reflektierende Kleidung, zum Beispiel | |
Kapuzenpullover. | |
Bei einer Aufnahme mit Blitz führt die Reflektion dazu, das anstelle des | |
Gesichts nur ein dunkler Fleck zu erkennen ist. Und Forscher der Carnegie | |
Mellon University haben im vergangenen Jahr Gesichtserkennung allein durch | |
bunte Brillen überlistet. Und noch mehr: Druckten die Forscher Merkmale | |
anderer Personen auf den ziemlich dicken Brillenrand, konnten sie der | |
Software vortäuschen, eben jene Person zu sein. „Impersonation-Attacke“ | |
heißt so etwas. Das klappte sowohl digital per Fotomontage als auch mit | |
ausgedruckten Brillen, die von Versuchspersonen aufgesetzt wurden. | |
Wird also der Anteil an Menschen mit Streifen im Gesicht, mit auffälligen | |
Brillen steigen? | |
## Katz- und Maus-Spiel | |
Nein, meint Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Tarnung ist eher eine | |
Protestform, eine gesellschaftliche Lösung wird es nicht sein.“ Allein | |
schon deshalb nicht, weil im Zweifelsfall der Gesetzgeber reagieren würde. | |
Und die entsprechende Tarnung im öffentlichen Raum verbieten. Oder eben | |
andere biometrische Erkennungstechnologien eingesetzt würden, die sich | |
nicht so leicht täuschen lassen. Die Analyse des Gangs etwa oder der | |
Körperproportionen. | |
Nein, sagt auch Forscher Andreas Braun. Sowohl Braun als auch Ebelt gehen | |
von einem Wettrüsten aus. „Es wird ein Katz-und-Maus-Spiel geben zwischen | |
Herstellen und denen, die versuchen, die Gesichtserkennung zu umgehen“, | |
sagt Braun. Er gehe davon aus, dass die Hersteller sich in Zukunft darauf | |
konzentrieren werden, Umgehungsversuche zu erkennen. | |
Denn: „Bei der Gesichtserkennung tastet man sich schon jetzt langsam an die | |
Grenzen dessen heran, was algorithmisch möglich ist.“ Besser als 99 Prozent | |
Erkennungswahrscheinlichkeit geht eben nicht, daher gehe er nicht davon | |
aus, dass es in fünf Jahren noch große Fortschritte gebe. | |
## Praktisch unrückholbar | |
Aber: Die technischen Voraussetzungen würden besser. Immer noch | |
hochauflösendere Kameras, die immer mehr Bilder in immer kürzeren | |
Zeiträumen machen, so dass beispielsweise die Wahrscheinlichkeit steigt, | |
ein Brauchbares dabei zu haben. | |
Bei allen technischen Möglichkeiten – Braun findet es wichtig, dass die | |
Technik nie das letzte Wort hat. Nicht bei einem Sicherheitscheck am | |
Flughafen, nicht bei einer Festnahme auf der Straße. Dass immer noch mal | |
ein Mensch gegencheckt, ob die Technik nicht irrt. | |
Ebelt würde lieber noch einen Schritt zurückgehen. Weniger Überwachung, | |
weniger Kameras, mehr Umsicht. „Fotos fangen im Netz ein eigenes Leben an, | |
unabhängig vom Abgebildeten.“ Identitätsdiebstahl, Personen, die im | |
falschen Kontext gezeigt, diffamiert, bedroht werden. Praktisch | |
unrückholbar. Auch schwarze Balken und Glitzerschminke können dann nicht | |
mehr helfen. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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