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# taz.de -- Kommentar Gesichtserkennung: Keine Wahl, kein Entkommen
> Der Modellversuch zur Gesichtserkennung an einem Berliner Bahnhof sorgt
> für Aufregung. Dabei ist das im Vergleich noch harmlos.
Bild: Die Wahl zu haben ist ein Wert, der nicht zu unterschätzen ist
Sie ist überall. Hier in einer App, da an einem Flughafen, mehr- und
weniger testweise im Einzelhandel und auch im nächsten iPhone zum
Entsperren und Bezahlen – zumindest wenn es stimmt, was die Gerüchteküche
berichtet. Software, die ein Gesicht auf seine Merkmale scannt – Position
von Augenwinkeln und Schläfen, Nasenspitze und Kinn zum Beispiel – und
später vergleicht: Ist das Gesicht das, dessen Merkmale ich gespeichert
habe? Oder ein anderes? In Abwandlungen geht es nicht um das
Identifizieren, sondern das Erkennen von Emotionen, Geschlecht oder Alter:
fröhlich oder genervt? Mann oder Frau? Alt oder jung? Den Spot für
Kreuzfahrten oder für die neue Smartwatch? Ja, sie tickt eher schlicht, die
Werbebranche.
Dass in dieser Woche nun auch ein Versuch gestartet ist, bei dem
Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Bundesinnenministerium und Deutsche Bahn
am Berliner Bahnhof Südkreuz testen, wie gut Gesichtserkennung in Zeiten
neuronaler Netze in der Praxis funktioniert – und ob das eines Tages dazu
taugen könnte, Straftäter zu verfolgen –, hat bei Datenschützern für
Aufregung gesorgt. Dabei ist dieser Versuch gar nicht das Problem. Hier
werden Passanten in großen, zweisprachigen Schildern zumindest darauf
hingewiesen und auch Wege ausgeschildert, wie sich das Erfasstwerden durch
Kameras umgehen lässt.
Das Problem ist: In der Regel gibt es keine Wahl. Da müssen Passanten nicht
einmal in einen Modellversuch laufen, es reicht schon ein Gang über die
Straße oder in manche Einzelhandelsfiliale. In Letzteren kommt es gerade in
Mode, Gesichter zu analysieren, um an Alter und Geschlecht angepasste
Werbung zu zeigen. Und Fotos aus der Öffentlichkeit, aus Clubs oder sogar
von geschlossenen Veranstaltungen, landen heute in der Regel im Internet.
Bei Facebook zum Beispiel, wo der Konzern herzlich gern die Gesichter mit
Namen versieht, natürlich als Service für die Nutzer, die so ihre Freunde
direkt markiert haben. Genauso selbstverständlich verknüpft Google Namen
mit Gesichtern – siehe Bildersuche. Mittels Inverssuche lässt sich dann der
Name zu einem bislang unbekannten Gesicht auf einem Foto finden.
Hier zeigt sich eines der Probleme, die Technologien heute oft immanent
sind: Sie sind auf der einen Seite unglaublich praktisch. Das Telefon per
Fingerabdruck entsperren? Oder, nächste Generation, einfach, indem man es
vor das Gesicht hält? Nur, wer Datenschutz nachts um zwei rückwärts
buchstabieren kann, wird da Bedenken haben.
Und hat eine Technologie erst einmal ein positives Image, dann wird es
schwer, in ihr grundsätzlich etwas Negatives zu erkennen. Weil, hey, das
ist doch das, was das eigene Telefon auch macht. Wer hat schon etwas zu
verbergen, und sei es nur die Position der eigenen Nasenspitze?
Dazu kommt, dass die Grundlage für Gesichtserkennung und diverse andere
biometrische Verfahren schon lange Alltag ist: Kameraüberwachung. An
Bahnhöfen, Flughäfen, öffentlichen Plätzen, in Läden, vor Läden, in Bussen
und Bahnen, in Hauseingängen. Sich zu entziehen wird immer schwieriger.
Wird eines Tages nicht nur gefilmt, sondern werden auch noch Gesichter,
Gangart oder Laufweg analysiert, ist diese Veränderung für die Gefilmten
nicht erkennbar.
Das Fatale: Das eigene Gesicht lässt sich nicht mehr zurückholen. Altern,
Bart oder Sonnenbrille helfen höchstens bedingt. Und Unternehmen wie
Facebook und Google sind nicht gerade dafür bekannt, einmal gespeicherte
Daten wieder zu löschen. Auch staatliche Stellen nehmen es mit den
Löschfristen mitunter nicht so genau. In den USA beispielsweise sind einer
Erhebung der Georgetown University zufolge die Gesichter von mehr als der
Hälfte der erwachsenen Bevölkerung erfasst – und da ging es nur um
staatliche Datenbanken.
Die Wahl zu haben ist ein Wert, der nicht zu unterschätzen ist. Es lohnt
sich, dafür zu kämpfen – und auch mal nein zu sagen, wo immer es noch
möglich ist.
4 Aug 2017
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Datenschutz
Gesichtserkennung
Bahnhof Südkreuz
Schwerpunkt Überwachung
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