# taz.de -- Antidiskriminierung in Berlin: „Wir müssen Dinge verbessern“ | |
> Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, sieht Berlin als Vorreiter im | |
> Bereich Antidiskriminierung. Doch nicht alle in Berlin schätzen die | |
> Vielfalt. | |
Bild: Eingeforderte Antidiskriminierung: Black Lives Matter-Demo am Alexanderpl… | |
taz: Frau Kapek, wegen des [1][Landesantidiskriminierungsgesetzes] (LADG) | |
wollten Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und mehrere | |
Landesinnenminister keine Beamten mehr zur Amtshilfe nach Berlin schicken. | |
Jetzt soll das Gesetz nur auf Berliner Polizisten angewendet werden. Hätten | |
Sie gedacht, dass das Gesetz so einen Ärger macht? | |
Antje Kapek: Ich bin da ganz entspannt. Die Drohung stand bisher jedes Mal | |
im Raum, wenn Berlin die Bürger*innen- und Freiheitsrechte gestärkt hat. | |
Als wir die Kennzeichnungspflicht für Beamte eingeführt haben, hieß es | |
dasselbe – nichts ist passiert. Das Gesetz wird nicht geändert, | |
Innenminister Geisel hat lediglich klargestellt, dass nur das Land Berlin | |
haftet. Und selbstverständlich gilt es auch für auswärtige Beamte, die hier | |
in Amtshilfe agieren. Hätten seine Amtskollegen das Gesetz gelesen, hätten | |
sie sich die ganze Aufregung sparen können. | |
Statt das Antidiskriminierungsgesetz als “Misstrauensvotum“ oder gar als | |
Diskriminierung von Polizistinnen und Polizisten zu verunglimpfen, lade ich | |
die Innenminister ein, es vielmehr als einen Ausdruck von Vertrauensbildung | |
zu verstehen. Die anderen Bundesländer sollten lieber nachziehen, anstatt | |
es zu bekämpfen. Ein besserer Schutz vor Diskriminierung sollte nicht nur | |
in Berlin gelten, sondern bundesweit. Ich denke aber ohnehin, das LADG wird | |
für unsere Polizei gar keine großen Auswirkungen haben. | |
Ach nein? | |
Ich glaube, es wird vor allem dort bedeutend, wo es einen großen | |
Publikumsverkehr zwischen Verwaltung und Bevölkerung gibt. In Schulen geht | |
es zum Beispiel oft um Fragen wie: Warum wird mein Kind nicht an dieser | |
Schule aufgenommen oder warum bekommt es bei gleicher Leistung schlechtere | |
Noten? Auch so etwas adressiert das LADG. Die Idee ist ja nicht, | |
Verwaltungsmitarbeiter*innen und Dienstkräfte des Landes zu maßregeln, | |
sondern es als Evaluationsinstrument zu nutzen, das offenlegt, wo man noch | |
nachsteuern muss, damit das Handeln der öffentlichen Hand gegenüber allen | |
Bürger*innen diskriminierungsfrei ist. | |
Angenommen auf einer erneuten Black-Lives-Matter-Demo kommt es zu | |
Vorfällen, wie sie vom letzten Mal berichtet wurden: [2][etwa dass | |
Polizist*innen schwarze Jugendliche mit polizeikritischen Demoschildern | |
festnehmen], ihre weißen Freund*innen aber in Ruhe lassen. Ein Fall fürs | |
LADG? | |
Einen solchen Fall hätte man auch schon vorher untersuchen müssen. Aber ja, | |
auch über das LADG kann man hier für Aufklärung sorgen. Ich habe nach der | |
ersten Black-Lives-Matter-Demo zahlreiche Videos mit Szenen von | |
Polizeigewalt zugeschickt bekommen und den Innensenator um Aufklärung | |
gebeten. Es hieß, es würden Ermittlungen zu diesen Einzelfällen angestellt | |
werden. Wir werden als Grüne hier auf parlamentarische Aufklärung drängen. | |
Um die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus zu vertiefen, | |
haben die grünen Bezirksverbände Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln | |
kürzlich beschlossen, eine [3][Enquetekommission] zu fordern. Hat die Idee | |
Chancen im Abgeordnetenhaus? | |
Ich komme ja aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg und finde die | |
Idee sehr gut. Die Frage ist nur, ob man eine solche Kommission noch in | |
dieser Legislatur einsetzt, wo sie nur noch ein Jahr tagen kann. Oder ob | |
man sich das nicht besser für die nächste vornimmt. Die Idee verbindet sich | |
auch gut mit einem Gedanken, den mein Kollege Benedikt Lux und ich als | |
Reaktion auf Halle und Hanau formuliert haben: ein Meldesystem für | |
diskriminierende Äußerungen und Handlungen im Staatsdienst. Darüber könnte | |
man in einer Enquete mit Expert*innen diskutieren. Bis dahin hätte man | |
vielleicht auch genug Erfahrungen mit dem LADG gesammelt, das Verbot von | |
Racial Profiling durch das neue Polizeigesetz gestärkt und womöglich sogar | |
den Begriff der “Rasse“ aus der Landesverfassung gestrichen – das ist lan… | |
überfällig. So könnte man mit einer Kommission endlich ans Eingemachte | |
gehen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Was mich interessiert, ist ja nicht die Proklamation einer Haltung, sondern | |
wie man konkret Dinge verbessern kann. Wir müssen an die Institutionen und | |
Strukturen ran. Berlin nimmt bei der Antidiskriminierung eine echte | |
Vorreiterrolle ein: Wir stellen viel Geld für antirassistische und | |
Antidiskriminierungsprojekte bereit, für die kritische Aufarbeitung der | |
deutschen Kolonialgeschichte, wir bauen die Beschwerde- und | |
Beratungsstellen aus, wir richten die Stelle eines unabhängigen | |
[4][Polizei- und Bürgerbeauftragten] ein, und wir haben das erste | |
Landesantidiskriminierungsgesetz beschlossen. Aber es gibt eben immer noch | |
viel zu viel Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierung. Das finde | |
ich unerträglich und sehe es als unsere Pflicht, hier weiter zu kämpfen und | |
zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu stärken. Nur wird die | |
praktische Arbeit, je kleinteiliger und genauer man wird, immer mühsamer. | |
Darum finde ich diese Enquetekommission so gut. | |
Aber nicht jetzt, sondern irgendwann? | |
Wir werden nach der Sommerpause mit unseren Koalitionspartnern darüber | |
reden, ob das auch sofort machbar ist. Aber wenn nicht, dann ist das Thema | |
zu wichtig, um es durch einen Schnellschuss zu verbrennen. Man sollte auch | |
bei den kommenden Koalitionsverhandlungen großen Wert darauf legen, dass es | |
hier weiter vorangeht – etwa indem man Antidiskriminierung an Schulen mehr | |
in den Blick nimmt. | |
Wieso gerade dort? | |
Ich höre, auch von meinen eigenen Kindern, immer wieder, dass Schwarze | |
Kinder in der Schule gemobbt werden. Wenn man dann nachfragt, kommt man | |
irgendwann auf die Hautfarbe. Das ist natürlich schockierend. Zu viele | |
Kinder erfahren offenkundig von klein auf rassistische Ausgrenzung – das | |
wird sie ihr Leben lang prägen. | |
Und die Lehrer*innen? | |
Die sind oft sehr engagiert, aber ihnen fehlen die Mittel, die Ausbildung | |
und die Zeit, um antirassistische Aufklärungsarbeit zu leisten. Manchmal | |
wird empfohlen, dass Lehrer*innen erst mal ein Diversity-Training machen | |
sollen. Das ist natürlich richtig, aber so vergeht im Zweifel noch mal ein | |
Jahr, und einem betroffenen Kind ist noch immer nicht geholfen. | |
Was folgt daraus politisch? | |
Wir brauchen nicht nur Trainings in Diversity-Kompetenz und | |
Antirassismusarbeit in der Pädagog*innenausbildung, sondern auch für alle | |
Schülerinnen und Schüler. Etwa indem man jedes Jahr einen Projekttag macht | |
mit Rollenspielen, der Bildung von Diversity-Räten, interreligiösen | |
Konflikttrainer*innen. Kurz: ein Gesamtkonzept gegen Diskriminierung an | |
Schulen. Ich bin in Berlin aufgewachsen und zur Schule gegangen, Konflikte | |
zwischen verschiedenen Gruppen haben meine ganze Kindheit und Jugend | |
geprägt. Das ist doch traurig: Obwohl Berlin so bunt und vielfältig ist, | |
wird das nicht von allen wertgeschätzt. Stattdessen verinnerlichen viele | |
Kinder Abgrenzung, Ausgrenzung und Herabsetzung schon in der Schule. Das | |
müssen wir dringend ändern! | |
Ein Baustein für das Beharrungsvermögen von Vorurteilen können Straßennamen | |
sein. Es gab jetzt im Zuge der George-Floyd-Proteste wieder eine | |
Straßenumbenennungsaktion: [5][Die lange kritisierte Mohrenstraße wurde | |
über Nacht zur Georgy-Floyd-Straße umbenannt.] Wäre das nicht was? | |
Ich sage ganz deutlich: Die Straße und der U-Bahnhof müssen umbenannt | |
werden! Ich finde es unerträglich, wie hier der Kolonialismus in eine | |
Wortschöpfung gegossen und Schwarze Anwohner*nnen wie Besucher*nnen dem | |
täglich ausgesetzt werden. | |
Die Grünen stellen in Mitte den Bezirksbürgermeister. Sind Ihre | |
Parteifreunde an dem Thema nicht so interessiert? | |
Ganz im Gegenteil. Die Grünen in Mitte haben gegen viele Widerstände die | |
Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel durchgebracht. Bei der | |
M-Straße sind wir dazu gerade in intensiven Gesprächen, und ich bin sehr | |
optimistisch. Politisch wollen alle die Umbenennung – die Frage ist nur, | |
wie man sie am besten umsetzt. Dazu stehen wir auch seit Langem im | |
Austausch mit Initiativen und Verbänden. Persönlich fand ich auch die | |
Aktion mit der George-Floyd-Straße gut. Andererseits fordern Schwarze | |
Aktivist*innen schon lange, die Straße nach Anton Wilhelm Amo zu benennen, | |
dem ersten Schwarzen Akademiker Deutschlands. Und ich als Feministin | |
wiederum fände es schön, wenn man sich auf eine weibliche Namensgeberin | |
einigen würde, um gerade auch die Rolle Schwarzer Frauen in der Berliner | |
Stadtgeschichte sichtbarer zu machen. | |
22 Jun 2020 | |
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[3] /Black-Lives-Matter-Demo-in-Berlin/!5688081&s=Enquetekommission/ | |
[4] /Debatte-ueber-Berlins-Polizeibeauftragte/!5687847&s=Polizei+und+B%C3%B… | |
[5] /Protest-gegen-Strassennamen-in-Berlin/!5525274&s=Mohrenstra%C3%9Fe/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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