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# taz.de -- Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Seehofer wittert Wahnsinn
> Vor der Konferenz der Innenminister wird der Berliner Vorstoß gegen
> staatliche Diskriminierung scharf kritisiert – vor allem von
> CSU-Politikern.
Bild: Racial Profiling bei Kontrollen bald nicht mehr möglich? Berlin macht de…
Berlin taz Während nach dem Tod von George Floyd weltweit Menschen
[1][gegen rassistische Polizeigewalt] auf die Straße gehen, hat das
Berliner Abgeordnetenhaus ein Gesetz verabschiedet, das – erstmals in
Deutschland – institutioneller Diskriminierung den Kampf ansagt.
Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das am Donnerstag in Kraft
tritt, verbietet es VertreterInnen des Staates, Menschen „aufgrund des
Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und
antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer
Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache,
der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status“ zu
diskriminieren. [2][Bei Zuwiderhandlung] können Betroffene Schadenersatz
erstreiten.
Kritik kam zunächst [3][vor allem von der Polizei]. Das LADG mache ihre
Arbeit praktisch unmöglich, klagte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor
Monaten. Jeder Verdächtige könne nun „Diskriminierung“ schreien, Beamte
müssten für alles Protokolle schreiben und Geldstrafen fürchten. Andere
Bundesländer sollten keine PolizistInnen mehr zu „Großlagen“ nach Berlin
schicken, lautete die Empfehlung.
Die Agitation hat gewirkt: Am Montag erklärte Bayerns Innenminister Joachim
Herrmann (CSU), der Hauptstadt vorerst keine PolizistInnen mehr als
Amtshilfe zu gewähren. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
polterte, das rot-rot-grüne Vorzeigeprojekt sei „im Grunde ein Wahnsinn“
und stelle PolizistInnen „unter Generalverdacht“. Andere Innenminister
äußerten sich ähnlich. Am Mittwoch soll das LADG Thema auf der
Innenministerkonferenz sein.
## Berliner Senator weist Vorwürfe zurück
Im Zentrum der Kritik steht die „Beweiserleichterung“, von Kritikern
„Beweislastumkehr“ genannt. Da nämlich eine Diskriminierung in der Regel
kaum zu beweisen ist, muss der oder die Betreffende nur „Tatsachen
glaubhaft“ machen, „ die das Vorliegen eines Verstoßes (...) überwiegend
wahrscheinlich machen“. Dann, so das Gesetz, „obliegt es der öffentlichen
Stelle, den Verstoß zu widerlegen“.
Von einer „Beweislastumkehr“ könne aber nicht gesprochen werden, stellte
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) in einem Brief an die Berliner
Polizei fest. Die betreffende Person müsse ja mit „glaubhafter
Tatsachendarstellung überzeugen“. An der Arbeit der KollegInnen werde sich
gar nicht viel ändern, betonte er. „Sie haben den Eid auf die Verfassung
geschworen. Die darin formulierten Diskriminierungsverbote und Verbote
gegen Ungleichbehandlung sind Richtschnur für ihr Handeln.“
Die grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic sagte der taz: „Wenn
Betroffene keine Diskriminierung glaubhaft machen können, haben die
Beamtinnen und Beamten auch nichts zu befürchten. Deswegen halte ich die
ganze Debatte um das LADG für völlig überzogen.“
Die BefürworterInnen erwidern zudem, dass die „Beweiserleichterung“ seit
2006 im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) enthalten ist, das
[4][Klagen gegen Diskriminierungen im privaten Sektor] ermöglicht, etwa im
Arbeitsverhältnis oder bei der Wohnungssuche. Die damals von KritikerInnen
befürchtete „Klageflut“ ist bis heute ausgeblieben.
## Rassismus von staatlichen Stellen
Dass das LADG nötig und wichtig ist, steht für die BefürworterInnen außer
Frage: Laut Céline Barry, Antidiskriminierungsberaterin beim Berliner
Selbsthilfeverein für Schwarze Menschen EOTO, betrifft jede zweite
Beschwerde, mit der Menschen zu ihr kommen, staatliches Handeln. „Darunter
fallen Diskriminierungen durch die Polizei, [5][Racial Profiling], aber
auch missgünstige Behandlung, wenn die Polizei herbeigerufen wird“. Es gebe
zudem Sacharbeiter in Behörden, die „rassistisch beleidigen und
Antragsteller*innen ihre Rechte vorenthalten“, oder auch „diskriminierende
Notenvergabe, Kriminalisierung oder Ausschlüsse seitens Lehrer*innen“.
Insgesamt sind daher zivilgesellschaftliche Gruppen, die seit zehn Jahren
für ein solches Gesetz gekämpft haben, zufrieden. Besonders hervor heben
sie die Möglichkeit des Verbandsklagerechts, die auch fürs AGG seit Langem
gefordert wird. „Eine solche Möglichkeit ist zentral, weil viele Leute
nicht die Möglichkeiten und Ressourcen haben, um ihr Recht alleine
durchzusetzen“, sagt Lino Lino Agbalaka vom Vorstand des Migrationsrates.
Ob andere Bundesländer es Berlin nach der [6][hysterischen Polizeidebatte]
gleichtun, wird sich zeigen. Die Regierungskoalitionen in Hessen,
Brandenburg, Sachsen und Hamburg haben laut Antidiskriminierungsverband
ADVD „eine Prüfung der rechtlichen Lücken und eine Auseinandersetzung mit
einem LADG vereinbart“, wie ein Sprecher auf taz-Anfrage erklärte.
In Thüringen stehe ein solches Gesetz sogar in der Koalitionsvereinbarung.
Hier sei jedoch aufgrund der Neuwahl in 2021 „eine Umsetzung
unrealistisch“.
17 Jun 2020
## LINKS
[1] /Nach-dem-Tod-von-George-Floyd/!5690839
[2] /Proteste-gegen-Rassismus-in-Berlin/!5688131
[3] /Polizei-kritisiert-neues-Berliner-Gesetz/!5686216
[4] /Diskriminierung-bei-der-Wohnungssuche/!5655911
[5] /Forschung-zu-Rassismus-in-Polizei/!5687952
[6] /Politikwissenschaftler-ueber-Polizei/!5692074
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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