# taz.de -- Forschung zu Rassismus in Polizei: Unwilliges Untersuchungsobjekt | |
> In der Debatte um Rassismus in der Polizei fehlen Zahlen. Nun bringt die | |
> Regierung eine Studie zu Racial Profiling auf den Weg. | |
Bild: Schluss mit Racial Profiling: Demonstrantin auf einer Black-Lives-Matter-… | |
BERLIN taz | Die Ergebnisse klangen erst mal erfreulich. [1][Ende 2019 ließ | |
die hessische Landesregierung über WissenschaftlerInnen ihre PolizistInnen | |
befragen]. 91 Prozent der Beamten stimmten zu, dass „Offenheit und Toleranz | |
gesellschaftliche Grundpfeiler“ seien. Immerhin 66 Prozent erklärten, | |
„Einwanderer machen unser Land bunter und vielfältiger“. Aber: 12 Prozent | |
der 4.277 befragten PolizistInnen gaben auch an, sie würden „öfter“ | |
rassistische Äußerungen ihrer KollegInnen wahrnehmen. | |
Die hessische Studie, [2][beauftragt nach einer Reihe von rechtsextremen | |
Vorfällen in der Landespolizei], war ein Pionier. Denn Studien zu | |
Einstellungen von PolizistInnen sind bis heute weitgehend inexistent. Mit | |
der Debatte über die Feststellung von SPD-Chefin Saskia Esken, [3][es gebe | |
einen „latenten Rassismus“ auch in der deutschen Polizei], gerät diese | |
Leerstelle nun wieder in den Blick. Und zeigt eine arge Schräglage des | |
Diskurses auf: Auf welcher Grundlage wird hier eigentlich diskutiert? | |
Die Bundesregierung will diese Leerstelle nun etwas schließen. Das | |
Innenministerium bestätigte am Donnerstag, dass man gemeinsam mit dem | |
Justizministerium eine Studie zu Racial Profiling plane, also | |
Polizeikontrollen nur aufgrund äußerer Merkmale. Man befinde sich „derzeit | |
in der konzeptionellen Entwicklung“. Laut Justizministerium soll das | |
Polizeihandeln in Bund und Ländern erforscht werden. Die Studie sei „ein | |
wichtiger Schritt, um fundierte Erkenntnisse über das Phänomen zu erlangen | |
und darauf aufbauend über mögliche Gegenmaßnahmen zu diskutieren“, so ein | |
Sprecher. | |
## EU-Kommission forderte Studie | |
Eine ebensolche Studie zu Racial Profiling hatte zuletzt auch die | |
Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz von Deutschland | |
eingefordert. Entscheidend wird nun die Ausgestaltung: Auf welche Weise | |
werden die PolizistInnen befragt? Von wem? Und wie unabhängig? | |
Mit der Studie zu Racial Profiling würde jedoch nur ein Teilaspekt des | |
derzeitigen Diskurses abgedeckt. Denn die Forschungslücke zur Polizeiarbeit | |
ist groß – wie der Politologe und Polizeiausbilder Christoph Kopke zuletzt | |
in einem Aufsatz feststellte. Kopke verweist auf vereinzelte Studien in den | |
neunziger Jahren. So konstatierte 1996 die Deutsche Hochschule der Polizei, | |
dass Überlastung die Gefahr von Übergriffen erhöhe, es einen strukturellen | |
Rassismus in der Polizei aber nicht gebe. Dann sei lange fast nichts | |
gefolgt. | |
Mit dem NSU-Versagen aber bekam das Thema neue Aktualität. Über alle | |
Tatorte hinweg hatten Ermittler die migrantischen Opfer verdächtigt – die | |
tatsächlichen, rechtsextremen Täter blieben unentdeckt. Der | |
NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag sprach von einem | |
„Organisationsversagen“. Die Polizei stieß Reformen an, tiefergehende | |
Forschungen blieben aber auch danach aus. Kopkes Fazit: Die Sensibilität in | |
der Polizei sei gestiegen, die Gefahr rassistischer Einstellungen aber | |
„keineswegs auf Dauer gebannt“. Und es gebe weiter „ein empirisches | |
Forschungsdesiderat“. | |
## Keine Forschung, keine Polizeizahlen | |
Dazu kommt: Auch innerhalb der Polizei wird zu rassistischen Vorfällen | |
keine Statistik geführt. Das Bundesinnenministerium spricht von lediglich | |
25 Verdachtsfällen bei der Bundespolizei seit 2012, 16 davon seien aus dem | |
KollegInnenkreis gemeldet worden. In den Ländern sind die Zahlen ähnlich | |
dürftig. Das wäre erfreulich – würden nicht Erfahrungsberichte und andere | |
Studien auf ein weitaus größeres Dunkelfeld hinweisen. | |
So konstatierte der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein jüngst [4][in | |
einer Studie, dass es mindestens fünfmal mehr Verdachtsfälle von | |
Polizeigewalt gibt, als in der offiziellen Statistik aufgeführt]. | |
Singelnstein hatte Gewaltbetroffene direkt befragt. Berichte zu | |
Diskriminierungserfahrungen wertet sein Team gerade noch aus. | |
Singelnstein plädiert für eine differenzierte Betrachtung des Problems, | |
geht aber davon aus, dass bei rund 15 Prozent der PolizistInnen | |
„verfestigte rassistische Einstellungen“ vorliegen könnten. „Es wäre | |
dringend erforderlich, hier belastbare Daten zu haben. Denn polizeiliches | |
Handeln umfasst Grundrechtseingriffe und hat Signalwirkung.“ Dass bisher | |
kaum Studien vorliegen, erklärt Singelnstein auch damit: „Wenn es schwierig | |
wird für die Polizei, macht sie schnell dicht.“ Die geplante Studie der | |
Bundesregierung sei daher „sehr zu begrüßen“. | |
## „Ein schwieriger Feldzugang“ | |
Bisher bleibt die Hessen-Studie damit solitär. Und die Aussagekraft ist | |
auch hier eingeschränkt. Denn bei der Befragung handelte es sich um | |
Selbstauskünfte der Beamten, daran beteiligt hatten sich 25 Prozent der | |
hessischen Polizeibelegschaft. Wie es um das Gedankengut des Rests steht, | |
bleibt so offen. [5][Der Politologe Hans-Gerd Jaschke, der an der Studie | |
beteiligt war, spricht dennoch von einem Durchbruch]. „Ich hoffe, dass nun | |
auch andere Länder nachziehen.“ Aber auch Jaschke, der als einer der | |
wenigen bereits in den neunziger Jahren zur Polizei forschte, konstatiert | |
einen „schwierigen Feldzugang“: „Insgesamt fehlt bei der Polizei eine | |
Offenheit für solche Forschung.“ | |
Die Wissenschaft aber steht bereit. So erarbeitete bereits vor Monaten das | |
Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) mit der Deutschen | |
Hochschule für Polizei ein Konzept für eine Studie zu „Vorurteilsstrukturen | |
in Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämtern“. Laut einem Projektentwurf, der | |
der taz vorliegt, sollen „Ursachen und Mechanismen der Entstehung sowie der | |
Entwicklung von Vorurteilen“ erforscht und Handlungsempfehlungen erarbeitet | |
werden. Befragt würden Polizisten und Auszubildende aus allen Bundesländern | |
mittels eines Onlinefragebogen. Die Studie wäre auf drei Jahre angelegt. | |
Mitte Mai reichte das KFN das Konzept beim niedersächsischen | |
Innenministerium eine. Eine Entscheidung darüber gebe es noch nicht, | |
erklärte dort ein Ministeriumssprecher. Momentan werde die Projektskizze | |
vom Landespolizeipräsidium geprüft. | |
Die Forscher aber machen Druck. „Systematische Erkenntnisse zu Ausmaß, | |
Entwicklungen und Hintergründen dieser Einstellungsmuster liegen derzeit | |
nicht vor“, heißt es in ihrem Papier. Die geplante Studie sei daher | |
„dringend notwendig“. | |
12 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Untersuchung-in-Hessen/!5661794 | |
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[3] /Debatte-ueber-Rassismus-in-Polizei/!5692129 | |
[4] /Koerperverletzung-im-Amt/!5627186 | |
[5] /Politikwissenschaftler-ueber-Polizei/!5692074 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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