Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Demonstration #Mietenwahnsinn: Der Popelpunker passt nicht mehr
> Die Demo #Mietenwahnsinn endet dort, wo Potse und Drugstore ihr Domizil
> haben. Noch. Die Jugendzentren müssen einem Investor weichen.
Bild: Der Popelpunker hängt seit den Achtzigern an der Plakatwand
Wenn am Samstagnachmittag die Demonstration Mietenwahnsinn ihren Abschluss
an der Kreuzung Potsdamer/Pallas-/Goebenstraße findet, wird sie aus der
dritten Etage des alten BVG-Gebäudes in großen Lettern begrüßt werden. „45
Jahre autonome Jugendzentren bleiben hier“, haben die beiden Kollektive der
Potse und des Drugstore dort im letztem Jahr in die Fenster geschrieben.
Seit 1972 ist der Drugstore mit seinem Angebot selbst organisierter
Jugendarbeit beispiellos in der Stadt. Der Schöneberger Jugendstadtrat
Oliver Schworck (SPD) weiß um die Besonderheit des Objektes: „Dort findet
eine sehr seltene Form der Jugendarbeit statt, die ein Angebot an
Jugendliche macht, die sich sonst nirgendwo aufgehoben fühlen. Sie werden
dort so angenommen, wie sie sind, und würden wahrscheinlich nicht in
anderen Projekten ankommen können.“
Dass der Standort trotzdem zur Disposition steht, ist einer für Berlin
nicht untypischen Fehleinschätzung der Entwicklungen auf dem
Immobilienmarkt geschuldet. Noch vor dem Mauerfall veräußerte der Senat das
Gebäude an die BVG und mietete fortan die Räume für Drugstore, Potse und
das Kinderkulturhaus PallasT. 2008 schließlich verkaufte die BVG das Objekt
an ein Investorenkonsortium, das wiederum verkaufte.
Der neue Investor, die Intown Gruppe, kündigte den Mietvertrag zum 31. 12.
2015, ließ sich aber eine befristete Verlängerung um erst zwei und dann um
ein weiteres Jahr vom Bezirk vergolden. Die im Bezirkshaushalt
vorgehaltenen Kosten für die drei Etagen stiegen zwischen 2015 und 2018 von
gut 200.000 Euro auf 366.000 Euro. Intown will im leer zu ziehenden Bereich
wie schon in der benachbarten Hausnummer 182 einen Coworking-Space mit
teuer zu mietenden Einzelarbeitsplätzen für Selbstständige aus der
Kreativwirtschaft einrichten, dazu einen luxuriösen Hostelbetrieb.
## Mischung aus Frustration und Kampfgeist
Für die Kollektive klingen diese Begriffe aus der New Economy wie der
blanke Hohn. Durch das mit bunten Graffitis verzierte Treppenhaus führt der
Weg hinauf in den Drugstore, wo dieser Tage der Geruch von Sprühfarben
durch die Räume schwebt. Aktivist*innen der Mieter*innenbewegung gestalten
hier gemeinsam mit den Jugendlichen Transparente für die
Mietenwahnsinn-Demonstration. Mitglieder der Kollektive, die, strikt den
egalitären Gründungsideen folgend, nicht die Namen einzelner Aktiver in der
Zeitung lesen wollen, demonstrieren eine Mischung aus Frustration und
Kampfgeist. Sie wollen nicht hinnehmen, dass sie die Folgen einer
verfehlten Immobilienpolitik der Stadt ausbaden und einem
Spekulationsprojekt weichen sollen.
Das Bemühen des Bezirks Schöneberg um Ausweichobjekte wird kritisch
gesehen. So fühlen sich die Aktiven nicht zuletzt mit ihrer ganz
prinzipiellen Frage nach einer möglichen Enteignung des Objekts nicht
hinreichend ernst genommen. „Dass über dieses Ansinnen immer wieder gelacht
wird“, sagen sie, „zeigt doch, wie feige die Politiker sind. Dabei müssten
den wohlwollenden Worten von Senat und Bezirk aber auch mal Taten folgen.“
Die angebotene Fläche im Ersatzhaus in der Bülowstraße sei viel zu klein,
und dass im selben Haus regulär Wohnraum vermietet werden soll, kann ganz
neue Probleme verursachen. Gerade der Drugstore mit Konzerten und Partys
sieht Konflikte vorprogrammiert. Stattdessen schlagen sie vor, die oberen
Etagen für betreute Jugendwohnformen zu nutzen, die in das Gesamtkonzept
integrierbar sind.
Jugendstadtrat Oliver Schworck versteht die Frustration, gerade über die
Verkleinerung, verweist aber darauf, dass die Möglichkeiten des Bezirks
begrenzt sind. Trotz der Differenzen zwischen den Vorstellungen der
Kollektive und den Optionen des Bezirkes betont er jedoch, dass sich auf
beiden Seiten eine konstruktive Zusammenarbeit entwickelt habe.
Insbesondere die qualifizierten Zuarbeiten und Konzepte des Jugendzentrums
seien herauszuheben: „Das empfinde ich als sehr positiv.“ Gründe für
Verzögerungen in der Klärung verschiedenster Probleme sieht Schworck eher
aufseiten der Verwaltung der Gewobag, des Eigentümers des Ausweichobjektes,
als bei den Kollektiven.
## Die Motivation sinkt
„Unser Ziel ist natürlich der Erhalt des Angebots von Potse und Drugstore“,
so Schworck. Und dieses Angebot ist mehr als Thekenbetrieb, Konzerte, ja
selbst Tonstudio, Probenraum und Werkstätten. Die Kollektive präsentieren
selbstbewusst ihre Geschichte und Gegenwart als Träger selbst organisierter
Jugendarbeit. „Wir bieten Zeit und Räume zum Andocken. Einen Raum, der
anders funktioniert. Einen Ort, an dem man Fehler machen darf.“ Und dieser
Ort leidet schon jetzt unter der drohenden Schließung. Reparaturen und
Ausbauten bleiben liegen. Die Motivation sinkt, wenn die Räume ohnehin bald
aufgegeben werden sollen.
Die Kollektive sind sich sicher, dass sie ihre Ideale auch an einem neuen
Standort verwirklichen können, wenn er denn den geforderten räumlichen
Ansprüchen genügt. Auch künftig werden die Veranstaltungen wie schon seit
1972 immer kostenlos sein, weiterhin wird das Projekt ausschließlich durch
ehrenamtliche Tätigkeiten getragen und offen für jene sein, die woanders
kein Zuhause finden.
Ein glatter Übergang würde das aber gewiss nicht werden, sind sich die
Aktiven sicher, schon allein wegen der großen Verbundenheit mit dem Ort.
„Der Popelpunker über der Tür, die seit den Achtzigern bestückte
Plakatwand, das ist doch alles Geschichte“, sagt eine Aktivistin, „Und so
eine Geschichte, die kann man nicht einfach umziehen.“
14 Apr 2018
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Mietenwahnsinn
Gentrifizierung
Verdrängung
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Jugendhilfe
Berlin-Schöneberg
Polizei Berlin
Polizei Berlin
Mietenwahnsinn
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mietenwahnsinn
Die Linke Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Demo
Clubsterben
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Räume für Potse und Drugstore: Punks ohne laute Mucke
Für die selbstverwalteten Jugendzentren Potse und Drugstore sind neue Räume
gefunden. Dem Anspruch werden diese nicht gerecht.
Ein Konzert für Opfer von Polizeigewalt: Im Drugstore schließt sich ein Kreis
Am Samstag feiert der Besetzerveteran Rüdiger Haese seinen Geburtstag durch
die Nacht – wenn nicht grad wieder die Polizei vorbeikommt.
Kommentar Polizei in der Potse: Jugend stört die bürgerliche Ruhe
Ein Jugendzentrum feiert, da wird es laut. Mehr Krawall gibt es natürlich,
wenn die Polizei vorbeikommt. Und die lässt sich nicht lange bitten.
Jugendzentren in Berlin-Schöneberg: Polizei im Drugstore
Nach Lärmbeschwerden beendet die Polizei das Potse-Drugstore-Festival.
VertreterInnen der Jugendzentren sprechen von „massiver Gewalt“.
Mietenwahnsinn-Proteste: Weiter Zähne zeigen
Die Mieterdemo war ein politischer und medialer Erfolg. Die Initiatoren
wollen weitermachen, womöglich bundesweit.
Nach der Mietenwahnsinn-Demo: Jetzt wird's radikal
Der Kampf gegen den Mietenwahnsinn geht nach der Großdemo weiter.
Aktivisten wollen streiken, enteignen und politische Änderungen erzwingen.
Großdemonstration in Berlin: Tausende gegen Mietenwahnsinn
Mehr als erwartet: 15.000 Menschen folgen dem Aufruf eines Bündnisses,
gegen Mietwucher und Spekulation zu demonstrieren.
Linksparteichefin über Mietenpolitik: „Enteignungen sind legitim“
Lassen Eigentümer ihre Häuser leerstehen, will die Linke sie enteignen. Und
Parteichefin Katina Schubert ist guter Hoffnung, dass die SPD da mitzieht.
Protest gegen Spekulanten: Rigaer Straße im Rentenalter
Nirgends ist der Protest gegen Verdrängung so ausdauernd wie in Tegel. Seit
acht Jahren wehren sich die alteingesessenen Mieter erbittert.
Demo am Samstag in Berlin: Auf die Straße gegen Verdrängung
Mieter vom Maybachufer rufen zu Protest gegen massive Mietsteigerungen in
Sozialwohnungen auf. Auch Unterstützter von Drugstore und Potse
demonstrieren.
Gentrifizierung in Berlin: Regieren und protestieren
Am Samstag gibt es gleich zwei stadtpolitische Demos – das hat etwas mit
dem Verhältnis der Linkspartei zu außerparlamentarischen Bewegungen zu tun.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.