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# taz.de -- Zivilgesellschaft in Syrien: Zusammenkommen beim „Tag des Dialogs…
> Die EU lädt im syrische Damaskus zu einer Konferenz mit Zivilgesellschaft
> und Übergangsregierung: Es geht um Vertrauen – und einen Mangel davon.
Bild: Der syrische Präsident Ahmed al-Schaara (r) und der syrische Außenminis…
Hätte man auf dem „Tag des Dialoges“ in Damaskus am vergangenen Wochenende
eine Strichliste der am häufigsten genannten Begriffen geführt – das Wort
„Vertrauen“ wäre sicherlich in der Top Five gelandet. Dabei deutete
zunächst wenig auf eine vertrauensvolle Atmosphäre hin: Medienschaffende
erfuhren den genauen Veranstaltungsort des von der Europäischen Union (EU)
initiierten Großevents mit Vertreter:innen der syrischen
Zivilgesellschaft, Mitgliedern der Übergangsregierung und internationalen
Gästen erst zwei Tage vor Beginn.
Und auch die Spalier stehenden, schwarzgekleideten Sicherheitskräfte vor
weißen Fassaden erinnerte beim Betreten des weitläufigen Konferenzgeländes
eher an eine dystopische Filmkulisse.
Der Einladung der EU waren rund 500 Vertreter:innen der
Zivilgesellschaft aus der syrischen Diaspora und aus nahezu allen
Landesteilen gefolgt. Bislang hatte dieser „Tag des Dialoges“ im Rahmen der
seit 2017 jährlich durchgeführten Brüssel-Konferenz in Europa
stattgefunden. Nun wurde er zum ersten Mal in Syrien ausgetragen.
Schon vor Beginn zeigte sich abermals die komplizierte Lage im Land:
Eingeladene aus der südlichen Provinz Suweida sagten im Vorfeld geschlossen
ihre Teilnahme ab. In einem gemeinsamen Statement erklärten mehrere
Zivilorganisationen, dass ein echter Dialog nicht mit Akteur:innen
stattfinden könne, die sich jüngst an „Tötungen, Vertreibungen und
Verstößen“ beteiligt hätten. Gemeint war die Übergangsregierung, deren
Sicherheitskräften [1][laut Augenzeug:innenberichten Gräueltaten an
Zivilist:innen während der Gewalteskalation in Suweida im Juli] verübt
haben sollen.
In seiner Eröffnungsrede ging Außenminister Asaad al-Shaibani nicht auf
diese Vorwürfe ein. Er lobte hingegen die Sanktionsaufhebungen der EU und
erklärte, dass die Zivilgesellschaft eine „Brücke zwischen Staat und
Gesellschaft“ bauen könne. Auch Sozial- und Arbeitsministerin Hind Kabawat
beteuerte, dass der Wiederaufbau Syriens nur durch „eine enge Partnerschaft
basierend auf gegenseitigen Respekt zwischen Staat und Gesellschaft“
erfolgen könne. Sie ist gegenwärtig die einzige Ministerin im Kabinett von
Präsident Ahmad al-Scharaa.
Seitens der Regierung war der Ton des Tages damit gesetzt. Die anwesenden
EU-Verteter:innen unterstrichen mehrfach, dass der syrische
Übergangsprozess mit Blick auf die vielen religiösen und ethnischen Gruppen
im Land inklusiv gestaltet werden müsse.
## Teils hitzige Diskussionen
Die ersten kritischen Nachfragen aus dem Publikum folgten promt: Wann die
Regierung selbst wieder den Dialog mit der Zivilgesellschaft suche, ohne
Beteiligung Dritter, wollte ein Teilnehmer von Kabawat wissen. Im Februar
hatte die Regierung zwar eine nationale Dialog-Konferenz einberufen. Viele
Aktivist:innen und NGOs beklagten jedoch ihre kurze Dauer von einem Tag
und fehlende Ergebnisse. Kabawat gab sich selbstkritisch, „bereits gestern“
hätte man daran anknüpfen müssen. Sie verwies entschuldigend auf die vielen
Herausforderungen im Land.
Auch im weiteren Verlauf verliefen die Gespräche zu Themen wie politischer
Partizipation, humanitärer Hilfe und dem Empowerment der syrischen Jugend
teils hitzig. Vor allem beim Panel zu [2][„Transitional Justice“ – also
Maßnahmen zur Aufarbeitung der jahrzehntelangen Diktatur] – war die
Stimmung im Raum spürbar aufgeladen. Bis heute fehlt von vielen, die unter
dem Regime [3][des seit bald einem Jahr gestürzten Diktators Baschar
al-Assad] eingekerkert und verschleppt wurden, jede Spur. Je nach Schätzung
sollen es mehrere Zehntausende bis mehr als 100.000 Menschen sein.
Im Mai hatte die Übergangsregierung eine nationale Kommission ins Leben
gerufen, die das Schicksal der Vermissten aufklären soll. Eine zweite soll
sich um die Aufarbeitung der Verbrechen während der Assad-Zeit kümmern.
Auf dem Panel anwesenden Vertreter:innen dieser Kommission – Mohammed
Reda Jalkhi und Yasmin Almashan, die zuletzt in Deutschland gelebt hatte –
kamen angesichts vieler Nachfragen in Erklärungsnot: Wie weit zurück wolle
man Verbrechen verfolgen – bis ins Jahr 1970, als der Vater des gestürzten
Baschar al-Assad, Hafiz al-Assad, die Macht übernahm? Oder noch früher, mit
Beginn der Baath-Diktatur in den 1960er Jahren? Welche Verbrechen gehörten
dazu – etwa auch das Programm zur Arabisierung des Nordostens, mit dem ab
den 1970er Jahren viele Kurd:innen vertrieben wurden? Und welche
Konfliktparteien stehen im Fokus – nur Assads-Schergen oder auch der
selbsterklärte „Islamischen Staat“?
Almashan, die während des fast 14-jährigen Syrienkrieges selbst fünf ihrer
sechs Brüder auf gewaltsame Weise verloren hat, versprach: Alle
potenziellen Täter:innen seien gemeint. Jalkih kündigte zudem eine
Onlineplattform im kommenden Jahr und die Errichtung von mehreren
forensischen Zentren im Land an.
## Simultanübersetzung auf Englisch, Kurdisch und Arabisch
Für emotionale Momente auf der Konferenz sorgten auch Wortbeiträge einiger
kurdischen Teilnehmenden – auf Kurdisch mitten in Damaskus, was unter der
Assad-Diktatur unmöglich gewesen wäre. Jeder Konferenzteil wurde simultan
ins Englische, Arabische und Kurdische übersetzt.
Momentan stocken die Verhandlungen zwischen der Regierung in Damaskus und
der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien. „Die Zivilgesellschaft
ist in diesen Prozess nicht eingezogen, kann aber eine wichtige Rolle
spielen, auf sozialer Ebene den Ausgang dieser Gespräche vorzubereiten“,
sagte der kurdische Teilnehmende Bilind Mella der taz. Nach allem, was dem
Land in den vergangenen Jahren widerfahren ist, sei es für Syrer:innen
nicht leicht, wieder zusammenzukommen, so Mella weiter. Begangenes Unrecht
anzuerkennen, liege aber vor allem in der Verantwortung der
Übergangsregierung.
Dass derartige Forderungen heute in Syrien überhaupt öffentlich formuliert
werden können, ist bereits ein Fortschritt. Doch das auf der Konferenz
vielfach geforderte Vertrauen zwischen Zivilgesellschaft und Staat muss
sich in vielen Bereichen erst noch verdient werden. Das wurde bei der
Konferenz abermals deutlich.
17 Nov 2025
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## AUTOREN
Anna-Theresa Bachmann
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