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# taz.de -- Die Lage in Syrien: Deutsche Kredite und Know-How würden helfen
> Die deutsche Regierung muss auf Syrien zugehen, statt nur über
> StraftäterInnen zu diskutieren. Sonst verpassen wir eine wichtige Chance.
Bild: Probleme im Stadtbild? Straßenverkäufer in einem durch den Bürgerkrieg…
Die Lage in Syrien bleibt unübersichtlich. So berichten viele Exilsyrer aus
Deutschland, die nach Jahrzehnten erstmals wieder ihre Familien in Syrien
besuchen konnten, dass die Lage in großen Teilen des Landes stabil sei und
dass sie immer noch große Freude und Erleichterung darüber empfinden, dass
das brutale Assad-Regime gestürzt werden konnte. Zugleich gab es aber
blutige Auseinandersetzungen in den drusisch dominierten Gebieten in
[1][Suweida] und auch in der Küstenregion, der Hochburg der Alawiten, bei
denen Hunderte von Menschen getötet und misshandelt wurden, auch von
Milizangehörigen, die dem neuen Regime nahestehen.
Viele Exilsyrer, die mit diesen Minderheiten verbunden sind, stehen der
neuen syrischen Regierung unter [2][al-Scharaa] deshalb extrem skeptisch
gegenüber. In Syrien selbst ist das Bild differenzierter. Auch einige
prominente Christen und Drusen gestehen der neuen Regierung zu, das Land
unter Wahrung von Minderheitenrechten stabilisieren zu wollen. Die
Regierung hat dabei nicht nur mit islamistischen Hardlinern in den eigenen
Reihen, sondern auch mit Führungspersönlichkeiten aus Minderheiten zu tun,
die auf Konfrontation, Destabilisierung und Separation setzen und dabei von
Israel offen unterstützt werden.
Vor diesem Hintergrund ist die relative politische Stabilität in Syrien
eher erstaunlich. Dies wird im Vergleich zu Libyen besonders deutlich, das
nach dem Sturz Gaddafis in einem bis heute anhaltenden Bürgerkrieg versank,
der zudem in eine Zweiteilung des Landes gemündet ist. In Syrien dagegen
ist es zunächst einmal gelungen, die Lebensmittelversorgung zu
gewährleisten und den sehr starken Preisanstieg unmittelbar nach dem Sturz
Assads wieder deutlich herunterzufahren.
Die Mehrheit der Syrer scheint sich zudem so sicher zu fühlen, dass sie
nicht mehr flüchtet. Die Anzahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge aus
Syrien ist drastisch zurückgegangen. Aus der Türkei sind schon
Hunderttausende von syrischen Flüchtlingen zurückgekehrt, und einige wenige
Tausend Syrer aus Deutschland ebenfalls. Zudem boomt der Reisetourismus
nach Syrien. Viele Exilsyrer erkundigen sich vor Ort über die Lage, erwägen
sogar, zurückzukehren oder sich eine Zukunft mit zwei Standbeinen in Syrien
und Deutschland aufzubauen.
## Ein fundamentales Interesse an der Stabilisierung Syriens
Was sollte Deutschland jetzt tun? Die Bundesrepublik hat ein fundamentales
Interesse an der Stabilisierung Syriens. Geopolitisch ist entscheidend,
dass Syrien nicht mehr mit Russland und gegebenenfalls auch nicht allzu
sehr mit China kooperiert. Nur mit einem stabilen Syrien können Syrer und
Syrerinnen aus Deutschland nach Syrien zurückkehren. Wobei dies für
Deutschland durchaus zweischneidig ist – sind Syrer doch in vielen
Bereichen mittlerweile zu einem schwer entbehrlichen Faktor auf unserem
Arbeitsmarkt geworden.
Der Aufbau des neuen Syriens bietet aber auch große Chancen für
Deutschland. Die große syrische Exil-Community in Deutschland, zu der nicht
wenige Unternehmer gehören und die zudem mit wohlhabenden Syrern in den
Golfstaaten und in den USA verbunden ist, kann im syrischen Wiederaufbau
eine große Rolle spielen und auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen
Syrien und Deutschland beflügeln.
Was macht die aktuelle Bundesregierung? Sie erscheint relativ zögerlich –
ganz anders als vorher Annalena Baerbock. Die grüne Außenministerin hat
frühzeitig den Kontakt zu den neuen Machthabern in Syrien gesucht, die
Botschaft wiedereröffnet und an der Beendigung der Sanktionen unter der
Maßgabe mitgewirkt, dass die neue syrische Regierung elementare Menschen-,
Frauen- und Minderheitenrechte respektiert (nicht ganz ohne Erfolg).
Immerhin hat Bundeskanzler Merz jetzt den syrischen Präsidenten al-Scharaa
nach Deutschland eingeladen. Merz scheint aber hauptsächlich [3][an der
Rückführung syrischer Straftäter] interessiert. Wir brauchen stattdessen in
der Regierung den Mut für ein offensives, positives Zugehen auf die neue
syrische Regierung, um dort Stabilisierung und eine gesellschaftliche
Entwicklung in unserem Sinne zu befördern. Das sollte in enger Abstimmung
mit den EU-Partnern und insbesondere mit Frankreich erfolgen.
Die Afghanistan-Enquete-Kommission hat gezeigt, dass der Westen mit dem
Anspruch, in fragilen Staaten Nation-Building nach dem Muster entwickelter
westlicher Demokratien zu betreiben, vielfach kontraproduktive Effekte
produziert. Wenn die syrische Regierung jetzt zunächst eine gelenkte
Demokratie auf den Weg bringen will, dann sollte man ihr zugestehen, dass
das Land erst einmal Stabilität braucht.
Es ist schwierig genug, 18 konkurrierende Milizen schrittweise unter
Kontrolle zu bekommen. Keine Kompromisse sollten allerdings mit Blick auf
die Einhaltung von Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechten gemacht
werden. Das muss eine Grundbedingung für jede künftige Zusammenarbeit
außerhalb der humanitären Hilfe sein.
Was kann Deutschland bieten? Sehr große Beträge der
Entwicklungszusammenarbeit wird Deutschland angesichts der aktuellen
Haushaltslage nicht bereitstellen können. Aber es würde schon viel helfen,
wenn deutsches Entwicklungs-Know-how mit Geldern aus den Golfstaaten
kombiniert werden könnte. Über die KfW-Entwicklungsbank könnte Deutschland
zudem vom Finanzminister garantierte Entwicklungskredite bereitstellen, für
die Syrien nur so niedrige Zinsen wie Deutschland zahlen müsste. Das wären
für Syrien attraktive Finanzierungskonditionen.
Gibt es eine Erfolgsgarantie für eine solche Strategie? Nein, natürlich
nicht. Ein einfaches Zuwarten wird aber dazu führen, dass Deutschland große
wirtschaftliche und politische Chancen verpasst.
17 Nov 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Roger Peltzer
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