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# taz.de -- Antifa-Prozess beginnt: Die Abrechnung
> Eine Gruppe um Johann G. soll jahrelang Rechtsextreme attackiert haben.
> Nach vier Jahren im Untergrund steht er nun in Dresden vor Gericht.
Bild: Protest nach Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren und Verurteilung …
Es war am Vormittag des 9. Februar 2023, ein Donnerstag, als [1][Johann G.]
mit mehreren anderen Linken aus Sachsen und Thüringen in Budapest
losgezogen sein soll. Rechtsextreme aus ganz Europa hatten sich in diesen
Tagen in der ungarischen Hauptstadt versammelt, [2][zu ihrem alljährlichen
„Tag der Ehre“]. Bei dem Aufmarsch verherrlichen sie die SS und Wehrmacht,
die hier 1945 eingekesselt gegen die Rote Armee kämpfte. Einige Neonazis
tragen dafür Uniformen und Stahlhelme, zeigen Hakenkreuze. Und wie in den
Vorjahren gab es linken Gegenprotest. Johann G. und die anderen aber sollen
diesmal mehr gewollt haben.
Schon am Morgen sollen zwei Mitstreiter aus der Gruppe am Budapester
Westbahnhof einen bekannten ungarischen Neonazi, der in Szenekleidung
zwischen den Zugtüren stand, entdeckt und ihm Pfefferspray ins Gesicht
gesprüht haben. Eine Stunde später soll dann auch Johann G. mit anderen
losgezogen sein. Sie wiederum erspähten drei polnische Rechtsextreme, die
sie verfolgten und schließlich vor einem Café in der Innenstadt angriffen,
Johann G. soll dabei mit einem Schlagstock zugeschlagen haben, ein anderer
Vermummter einen Hammer dabei gehabt haben. Auch als ein Angegriffener
schon am Boden lag, soll weiter geprügelt worden sein. Erst als sein
Begleiter ein Pfefferspray zückte, hätten die Vermummten die Flucht
ergriffen.
In den beiden Tagen darauf folgten drei weitere Angriffe. Insgesamt neun
Rechtsextreme werden in Budapest verletzt. Sie erleiden Kopfplatzwunden,
Knochenbrüche, Prellungen. Ein Opfer soll mehr als 15 Schläge auf den Kopf
bekommen haben – auch hier soll Johann G. mit zugeschlagen haben. Ein
weiterer Angegriffener sei, als er schon bewusstlos auf dem Gehsteig lag,
noch mit Schlägen traktiert worden.
All dies geht aus Ermittlungsergebnissen der Bundesanwaltschaft hervor. Und
wenn Johann G. tatsächlich bei diesen Taten in Budapest dabei war, würde es
eine gewisse Chuzpe bedeuten: Denn der 32-Jährige wurde damals schon seit
knapp drei Jahren vom BKA und Zielfahndern der sächsischen „Soko Linx“
gesucht, mit internationalem Haftbefehl, als Topziel. Wegen mehrerer
Angriffe auf Rechtsextreme in Ostdeutschland mit demselben Tatmuster.
Aber auch in Budapest entkam Johann G. offenbar wieder. Anderthalb Jahre
blieb er danach noch verschwunden. Trotz veröffentlichter Fahndungsfotos,
[3][trotz ausgelobter Belohnung von 10.000 Euro für Hinweise], trotz
Ausstrahlung seines Falls in der TV-Sendung „XY ungelöst“. Dann, am 8.
November 2024, ein Freitagvormittag, [4][fasste ihn die Polizei doch noch]:
in einer Regionalbahn bei Weimar. Fahnder hatten zuvor eine Thüringer
Bekannte von ihm observiert, die in der Bahn saß. Dann soll Johann G.
dazugestiegen sein – und wurde festgenommen.
## Der Prozess um Johann G. fängt am Dienstag an
Zur Festnahme äußerte sich damals selbst die amtierende
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die von einem „sehr wichtigen
Fahndungserfolg“ sprach. Denn es seien bei linksextremen Gruppen
„Hemmschwellen gesunken, politische Gegner mit äußerster Brutalität
anzugreifen“, so die Sozialdemokratin. Sachsens Innenminister Armin
Schuster, CDU, frohlockte, dass einer „der meistgesuchten Linksextremisten“
festgenommen wurde: der „Drahtzieher vielfältiger schwerer Straftaten“ und
„das zentrale Puzzleteil im gesamten Ermittlungskomplex“.
Ab Dienstag nun wird Johann G. mit sechs anderen Linken in Dresden vor dem
Oberlandesgericht stehen, in einem Hochsicherheitssaal am Stadtrand,
[5][angeklagt von der Bundesanwaltschaft]. Die Vorwürfe gegen die Gruppe,
die Medien mal als „Antifa Ost“, mal als „Hammerbande“ titulieren: neun
schwere Angriffe auf Neonazis, begangen von Oktober 2018 bis Februar 2023
in Wurzen, Leipzig, Dessau-Roßlau, Eisenach, Erfurt, die letzten in
Budapest. Dazu ein Angriff auf ein Geschäft der bei Rechtsextremen
beliebten Modemarke Thor Steinar in Dortmund.
Einige der Neonazis wurden vorher ausgespäht und in ihrem Wohnumfeld
attackiert. Andere, als sie von Aufmärschen zurückkehrten. In Eisenach war
es der [6][Anführer der rechtsextremen Kampfsporttruppe „Knockout51“, Leon
Ringl], der gleich zwei Mal angegriffen wurde. In Leipzig-Connewitz traf es
spontan einen Kanalarbeiter, der eine Mütze einer bei Rechtsextremen
beliebten Marke trug. Johann G. soll an acht der neun Taten beteiligt
gewesen sein – die anderen Beschuldigten bei einzelnen Angriffen.
Und die Bundesanwaltschaft hängt die Vorwürfe hoch: Sie wirft allen
Angeklagten die Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung
vor sowie gefährliche Körperverletzungen. Und in zwei Fällen, bei den
Angriffen in Erfurt und Dessau-Roßlau, auch versuchten Mord, weil die
Attackierten dort auch mit Schlagstöcken und Hämmern gezielt auf die Köpfe
geschlagen wurden, was zu lebensgefährlichen Verletzungen geführt habe.
Zwei der Opfer mussten auf einer Intensivstation behandelt werden, einer
mit Einblutungen in den Schädelinnenraum. Neben Johann G. sitzen drei
weitere Beschuldigte seit Monaten in Untersuchungshaft. Zwei von ihnen
hatte die taz zuletzt im Gefängnis besucht: die Berliner [7][Thomas J.] und
[8][Tobias E.]
Ihnen steht nun der größte Antifa-Prozess seit Jahren bevor,
Verhandlungstermine sind bis ins Jahr 2027 vorgesehen. Und das Verfahren
setzt im Grunde einen anderen Prozess fort, in dem im Mai 2023 an selber
Stelle vier Antifaschist*innen wegen der selben Angriffsserie zu
Haftstrafen verurteilt wurden. Hauptbeschuldigte war damals: [9][die
Leipzigerin Lina E., verurteilt zu gut fünf Jahren Haft,] die sie momentan
absitzt – die frühere Verlobte von Johann G. Schon damals galt ihr
Lebensgefährte als mutmaßlicher Gruppenanführer. Da aber war er noch auf
der Flucht – und soll weiter Straftaten begangen haben.
Und Druck kommt inzwischen auch aus dem Ausland. Denn schon im September
stufte die ungarische Rechtsaußen-Regierung von Viktor Orbán die „Antifa
Ost / Hammerbande“ als terroristische Vereinigung ein. [10][Nun tat es vor
einer guten Woche die US-Administration von Donald Trump gleich] und
erklärte, man werde Antifagruppen „auf der ganzen Welt bekämpfen“.
## Johann G. und die Mitbeschuldigten schweigen bisher
Den Verteidiger*innen der in Dresden Angeklagten schwant deshalb
nichts Gutes. Bereits zur Anklageerhebung beklagten sie in einer Erklärung,
es sei „höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und
rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann“. Das LKA Sachsen habe
„nicht neutral“ ermittelt. Dem LKA warfen sie vor, Verfahrensinhalte
rechtswidrig weitergegeben zu haben, stellten deshalb Anzeige wegen
Geheimnisverrats. „Das Vorgehen des LKA Sachsen verstößt fundamental gegen
die Unschuldsvermutung.“
Am Montag nun kritisierten die Anwält*innen, dass die Anklage das
„Konstrukt einer Vereinigung“ schaffe und den Vorwurf einer kriminellen
Vereinigung „erheblich“ ausweite. Benannt werde gar keine feste
Organisationsstruktur mit Mitgliedern und Hierarchien. Mehrere Angeklagte
seien „lediglich Randpersonen“, die nur an einer der vorgeworfenen Taten
beteiligt gewesen sein sollen.
Zudem gaben die Verteidiger*innen bekannt, dass sie einen
Befangenheitsantrag gegen den Strafsenat eingereicht haben. Denn drei der
fünf Richter*innen hätten schon beim Prozess gegen Lina E. und die
anderen mitgewirkt – und dort bereits Schuldfeststellungen zu einigen
Beschuldigten getroffen, etwa dass diese Teil einer kriminellen Vereinigung
gewesen seien oder ein Kronzeuge glaubhaft war. Deshalb sei nicht davon
auszugehen, dass diese Richter*innen im jetzigen Prozess
unvoreingenommen seien. Laut der Verteidigung wurde der Befangenheitsantrag
aber bereits am Sonntag abgelehnt, „weshalb diese Frage später von höheren
Gerichten geprüft werden muss“.
Johann G. und die Mitbeschuldigten schweigen bisher, ob sie etwas mit den
angeklagten Taten zu tun haben. Auch Thomas J. und Tobias E., durften bei
den Haftbesuchen der taz, nichts zu Verfahrensinhalten sagen – LKA-Beamte
wachten darüber. Thomas J., mit 48 Jahren der älteste Beschuldigte,
[11][erinnerte aber im Gespräch daran, dass der Eisenacher Neonazi Leon
Ringl mit seiner Kampfsportgruppe jahrelang Menschen verprügelte] und in
seiner Stadt einen „Nazi-Kiez“ errichten wollte. Antifa-Gruppen hätten fr�…
darauf aufmerksam gemacht, lange ohne dass die Polizei eingeschritten sei.
„Das war nicht irgendwer“, sagte Thomas J. im Besucherraum der Berliner JVA
Moabit. „Wie weit sollte das noch gehen?“
Auch im ersten Dresdner Prozess, 2021, schwiegen Lina E. und die anderen
Beschuldigten. In einer Erklärung aber betonten auch sie damals: Man müsse
„über die gesellschaftliche Realität rechter Gewalt sprechen, die
antifaschistisches Engagement notwendig macht“. Rechter Terror,
AfD-Wahlerfolge, rechtsoffene Coronaproteste, Neonazi-Übergriffe – dagegen
hätten „alle Formen antifaschistischer Arbeit ihre Berechtigung“. Es sei
„nicht hinnehmbar, aus Mangel an eigener Betroffenheit wegzuschauen“.
Für die Sicherheitsbehörden aber ist gerade Johann G. ein linker
Gewalttäter, den sie lange hinter Gittern sehen wollen. Schon vor Jahren
stuften sie ihn als Gefährder ein, dem schwerste Straftaten zugetraut
werden. In der Anklage der Bundesanwaltschaft heißt es, seiner Gruppe sei
es mit den Angriffen darum gegangen, Rechtsextreme „nachhaltig“ in ihren
Aktivitäten zu stoppen und andere Szeneangehörige durch die Signalwirkung
abzuschrecken.
Der Weg von Johann G. in die Antifa begann früh. Aufgewachsen in Leipzig
trennten sich die Eltern in seiner Kindheit. Als 11-Jähriger zog er mit
seiner Mutter nach Bayern, machte dort sein Abitur mit einem
3,5-Notenschnitt. Und fiel schon zu Schulzeiten als Sprayer und bei der
Antifa auf – und mit Straftaten. Bereits 2009, als 15-Jähriger, erhält er
wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zwei richterliche Weisungen.
Es folgen weitere Prozesse und eine erste Woche Jugendarrest, dann eine
dreijährige Bewährungsstrafe. 2012 attestiert ihm ein Gericht eine
„verantwortungslos dahintreibende Lebensweise“ und einen „eventorientiert…
Krawalltourismus“.
Als Johann G. nach dem Abitur zurück nach Leipzig geht, für ein Jahr
Bundesfreiwilligendienst und ein Geschichtsstudium, geht es so weiter. 2015
wird er wieder verurteilt, erst zu einer Geldstrafe für eine
Sachbeschädigung, dann weil er mit anderen drei Teilnehmende eines
Legida-Aufmarschs angriff, eine Frau beschimpfte er dabei als
„Nazischlampe“. Auch weil er da noch unter Bewährung stand, muss er nun f�…
gut ein Jahr in Haft. Die frühere Prognose, dass sich Johann G. zu
„ernsthafter, gewaltfreier politischer Betätigung gewendet“ habe, habe sich
nicht bestätigt, halten die Richter fest. G. sitzt die Haftstrafe komplett
ab.
## Johann G. taucht ab
Noch zuvor aber lernt Johann G. in Leipzig Lina E. kennen, Anfang 2016
verloben sie sich. Und seine politische Haltung tätowiert sich Johann G.
auf die Haut. „Hate cops“ steht nun auf seinen Fingern. Im April 2018 folgt
dann die nächste Verurteilung zu einer Haftstrafe – wegen Steinwürfen auf
einer Autonomen-Demonstration in Leipzig.
Vor Gericht bestreitet Johann G. die Vorwürfe und beteuert, die gefundene
DNA an den Steinen komme daher, dass er erkältet darauf genießt habe. Das
Gericht glaubt ihm nicht und schickt ihn diesmal für ein Jahr und drei
Monate in Haft. In seinem Leben habe sich „offenbar nicht wirklich
Grundlegendes geändert“, monieren die Richter erneut. Sein Studium verfolge
er „allenfalls halbherzig“, sein Weg bleibe „recht ziellos und unbestimmt…
Es ist ein halbes Jahr nach dieser Verurteilung, als im Oktober 2018 die
erste Tat verübt wird, die nun vor dem Oberlandesgericht Dresden angeklagt
ist. Ein Angriff auf einen früheren NPD-Politiker in Wurzen. der vor seinem
Wohnhaus niedergeschlagen wird. Johann G. wird eine Mitwirkung daran nicht
vorgeworfen, aber einer Mitangeklagten, die den Rechtsextremen ausgespäht
haben soll. An allen acht folgenden Taten aber soll Johann G. dann laut
Anklage beteiligt gewesen sein – entweder indem er selbst zuschlug,
Rechtsextreme ausspähte oder, im Fall des Dortmunder Thor
Steinar-Geschäfts, ein Video der Tat ins Internet gestellt habe.
In dem Video ist zu sehen, wie ein Vermummter eine Glasflasche mit einer
Flüssigkeit, offenbar Buttersäure, in den Laden wirft, ein zweiter mit
einem Feuerlöscher Bitumen auf die Verkaufsflächen versprüht. Eine
Verkäuferin kreischt vor Schreck. „Scheiß Nazischweine“, ruft einer der
Vermummten, bevor er nach wenigen Sekunden aus dem Geschäft rennt. Das
Video wurde später auf der linken Onlineplattform Indymedia veröffentlicht,
verbunden mit dem Aufruf zu Spenden via Bitcoins – für weitere „offensive
Projekte“.
Im Dezember 2019, nach dem sechsten Angriff, einer Attacke auf den
Eisenacher Leon Ringl, wird schließlich [12][Lina E. mit einem weiteren
Leipziger Linken in einem Fluchtauto gefasst], dem VW Golf ihrer Mutter.
Auch ein zweites Auto mit mehreren Antifas stoppt die Polizei. Es ist
dieser Moment, ab dem die Polizei nun konkrete Verdächtige hat – und ab dem
die „Soko Linx“ die linke Szene Leipzigs mit Razzien durchzieht. Und der
Moment, nach dem sich Johann G. kurz darauf absetzt.
Über die Schweiz soll er zunächst nach Thailand gereist sein. Einige Monate
später soll Johann G. wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein, sich auch
in Leipzig und am Ende in Berlin aufgehalten haben, zwischenzeitlich in
Griechenland. Trotz der Fahndung soll Johann G. im Frühjahr 2023 noch an
Angriffen auf zwei Rechtsextreme in Erfurt und bei denen in Budapest dabei
gewesen sein. Auch danach taucht noch in Leipzig ein Graffiti auf, „Catch
me if you can“ oder „Most wanted“, dazu der Name „Spyle“. Es ist der
Sprayername von Johann G.
Noch zu Anfang seines Abtauchens soll Johann G. auch Kontakt zu Lina E.
gehalten, ihr Briefe ins Gefängnis geschickt haben, mit verfälschtem
Absender. Dann aber trennte er sich – und kam offenbar mit einer anderen
Szenebekannten zusammen, der ebenfalls vorgeworfen wird, in Budapest dabei
gewesen zu sein. Und dann, im November 2024, wird G. tatsächlich gefasst.
Die Frage vor dem Oberlandesgericht Dresden lautet nun: Waren Johann G. und
die Mitbeschuldigten tatsächlich an all den angeklagten Taten beteiligt?
Gab es dafür wirklich eine feste Gruppe? Oder noch ganz andere
Verantwortliche? Und waren zwei der Angriffe wirklich versuchte Morde?
Die Anklage stützt sich im Fall von Johann G. bei ihrer Anklage auf
Aufnahmen von Überwachungskameras in Budapest, auf Bilder aus einer
Regionalbahn bei Wurzen oder auf Handyvideos von Passanten in Erfurt. Am
Tatort in Eisenach fand sich auch Blut von ihm, er wurde in der Nähe auf
einem Blitzerfoto abgelichtet. Auch an einem anderen Tatort, am Bahnhof
Dessau-Roßlau, sollen DNA-Spuren von G. gefunden worden sein. Bei den
anderen Taten sind es Indizien, welche die Bundesanwaltschaft
zusammenführt: mehrdeutige Sätze aus abgehörten Gesprächen, verdächtige
Messengernachrichten, oder eine gefundene Dachbox auf dem Dachboden eines
Leipziger Mietshauses, in dem Schlagstöcke, Sturmhauben, Polizei-Patches
oder Hämmer verstaut waren, samt DNA-Spuren von einigen Beschuldigten –
laut Ermittlern das „Tatmitteldepot“ der Gruppe.
Vor allem aber sind es die Aussagen eines Kronzeugen, auf denen die
Bundesanwaltschaft ihre Anklage stützt: die von Johannes D. Der 33-jährige
Szenefreund kannte Johann G. schon aus Bayern, hielt zu ihm anfangs auch
noch Kontakt, als er in Thailand war. Im Herbst 2021dann aber wurde
Johannes D. als „Vergewaltiger“ in der linken Szene geoutet und verstoßen.
Darauf packte er bei Ermittlern über die Leipziger Gruppe aus, nannte
Namen, wer angeblich dazu gehörte und wer bei Aktionen dabei war. Ziel der
Gruppe, so der Berliner, sei es gewesen, die Neonazis„psychisch zu
brechen“.
Und er beschuldigte Lina E. und Johann G. schwer: Sie hätten die Gruppe
zusammengehalten, Trainings und Leute für Angriffe organisiert.Aus einem
„flexiblen Geflecht“ von Autonomen aus mehreren Städten hätten sich dabei
bedient. Das Paar sei „ebenbürtig“ gewesen: Lina E. „ruhig, fokussiert,
überlegter“.Johann G. impulsiv, aber mit „Führungsgeschick“, und einer,…
auch Equipment oder Bahntickets Erster Klasse besorgen konnte – „gecarded�…
bezahlt mit geklauten oder gefälschten Kreditkartendaten.
Es sind die Aussagen von Johannes D., derentwegen nun einige Angeklagte
überhaupt vor Gericht stehen. Thomas J. aus Berlin etwa, von dem D. den
Ermittlern erzählte, dieser sei bei einem der zwei Angriffe in Eisenach
dabei gewesen und habe zwei Kampftrainings für die Gruppe angeleitet. Zu
Tobias E. erzählte D., dass auch dieser in Eisenach und in Dessau-Roßlau
dabei war. Genau das wirft nun die Anklage den beiden Linken vor. Im Fall
von Tobias E. beruft sich die Bundesanwaltschaft dabei aber auch auf
DNA-Spuren von ihm in Dessau-Roßlau, an einer Plastiktüte, in die ein
Schlagwerkzeug gewickelt war. Zudem wurde Tobias E. in Budapest noch vor
Ort festgenommen und saß dafür fast zwei Jahre in Ungarn in Haft.
Schon im ersten Prozess gegen Lina E. sagte Johannes D. ganze zwölf
Prozesstage lang aus. Verteidiger*innen warfen ihm damals reine
Spekulationen vor: Er reime sich vieles zusammen, denn schließlich sei er –
außer einmal fernab als Späher – auch nach eigener Auskunft bei keiner der
vorgeworfenen Taten selbst dabei gewesen. Zudem habe er den Ermittlern
Informationen liefern müssen, um selbst einen Strafrabatt zu erhalten – den
er am Ende mit einer Bewährungsstrafe auch bekam. Die Richter im Lina
E.-Prozess aber glaubten Johannes D.: Dieser habe sachlich, detailliert und
im Einklang mit den Ermittlungsergebnissen berichtet.D. lebt nun in einem
Zeugenschutzprogramm. Nun im zweiten Dresden-Prozess wird er erneut als
Kronzeuge aussagen.
Und die Anklage stützt sich auch auf ein umstrittenes 3D-Modell des
sächsischen Forensikers Dirk Labudde. Dieser ließ Johann G. mit Lasern
vermessen, erstellte ein 3D-Modell von ihm. Dann glich er dieses mit
Überwachungsvideos aus Budapest ab. Das Ergebnis: Ein Vermummter passe zur
Statur von Johann G. Auch bei den Videos des Angriffs in Erfurt errechnete
Labudde die Körpergrößen und fand, dass eine Person mit weißer Sturmhaube
zu Johann G. passe. Zu sehen sind auf dem Video drei Vermummte, die vor
einem Wohnhausblock auf einen am Boden Liegenden einprügeln. Auf einem
zweiten Video rennen dann sechs Vermummte davon. „Scheiß Nazis sind das“,
ruft einer.
Das 3D-Verfahren wurde zuletzt bereits in einem Prozess gegen eine weitere
Linke verwendet: [13][die Kunststudentin Hanna S. in München]. Auch ihr
wurde vorgeworfen, bei zwei der Angriffe in Budapest dabei gewesen zu sein.
Ihre Verteidiger kritisierten die 3D-Methode als unbrauchbar, weil zu
ungenau. Eine Identifizierung einer Person sei damit nicht möglich. Auch
das Gericht stützte sein Urteil letztlich nicht auf das Modell, sondern
berief sich auf andere Indizien – erklärte aber, das Modellergebnis
widerspreche jedenfalls auch nicht dem Tatvorwurf. Hanna S. wurde letztlich
zu fünf Jahren Haft verurteilt. Es gebe keine gute politische Gewalt,
erklärte das Gericht – so wie es auch die Richter beim Urteil gegen Lina E.
taten.
## Der Mord-Vorwurf wird zurückgewiesen
Zumindest einen Vorwurf aber wies das Münchner Gericht zurück: Dass die
Angriffe in Budapest versuchte Morde waren. Zwar seien die Opfer schwer
verletzt worden, aber ihren Tod hätten die Angreifer zu keiner Zeit in Kauf
genommen. Und auch im Prozess gegen Lina E. und die anderen erfolgten die
Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzungen. Die
Bundesanwaltschaft erhebt nun den Vorwurf des versuchten Mordes aber nicht
nur in Dresden, sondern auch in einem weiteren Großprozess gegen sechs
Antifaschistinnen, der im Januar in Düsseldorf beginnt, auch wegen der
Angriffe in Budapest. Eine weitere Person steht dafür derzeit in Ungarn vor
Gericht: [14][die nonbinäre Thüringer*in Maja T., der 24 Jahre Haft
drohen].
In der linken Szene läuft deshalb bereits seit Monaten Solidaritätsarbeit
für die Beschuldigten. Auch am Dienstag soll es vor dem Dresdner Gericht
eine Kundgebung geben. Die „Rote Hilfe“ sieht die „nächste Runde der
Rachejustiz“. Eher intern läuft aber auch eine kontroverse Debatte über die
militanten Angriffe, gibt es Vorwürfe, die Gruppe um Johann G. seien
„Antifa-Macker“. Schon im Frühjahr 2023 erklärte die Leipziger Gruppe
kappa, man müsse über die „Sinnhaftigkeit mancher militanten Praxis“ rede…
„Militante Aktionsformen sollten nicht vorschnell verworfen werden, jedoch
auch nicht zum Selbstzweck verkommen.“ Es brauche eine gesellschaftliche
Einbettung, sonst drohe ein „Gewaltfetisch“. Und erst kürzlich schrieben
Soli-Gruppen für die Dresdner Angeklagten über „Herausforderungen und
Widersprüche“ ihrer Arbeit. Die Verhältnisse forderten „antifaschistische
Selbstverteidigung“, zugleich aber müsse man „patriarchales und misogynes
Verhalten“ einiger Beschuldigter ansprechen – Namen wurden nicht genannt.
Auch finde in Teilen der Szene „eine Glorifizierung bestimmter
Aktionsformen statt“ – mit der Gefahr, „Kritik zu immunisieren und
patriarchale Strukturen zu reproduzieren“. Trotz der Widersprüche bleibe
man aber „vereint gegen Repression“.
Die Beschuldigten oder ihre Verteidiger*innen äußerten sich zu der
Kritik bisher nicht. Sie kritisierten dafür am Montag, dass das Dresdner
Verfahren das rechte Narrativ bediene, Antifaschismus zum Feindbild zu
erklären und mit Terrorismus gleichzusetzen. Ein Auswuchs davon sei auch
die Einstufung der Gruppe als terroristische Vereinigung durch die USA und
Ungarn. „Antifaschismus ist kein Feindbild“, so die Anwält*innen. „Er
sollte in einer demokratischen, den Menschenrechten verpflichtenden
Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein.“
Auf die Terroreinstufung hatten deutsche Behörden überrascht reagiert. Die
USA hätten dies „eigenständig entschieden“, erklärte das Auswärtige Amt.
Die Trump-Regierung ließ auf Nachfrage offen, welche konkreten Personen
dies betrifft und erklärte nur, dass Mitgliedern nun der Zugang zum
US-Finanzsystem versagt sei. US-Bezüge der „Antifa Ost“ gibt es aber gar
nicht. Der Schritt bleibt damit vorerst Symbolpolitik. Schon jetzt aber
sind US-Einreisen schwierig bis unmöglich bei extremistischen Vorstrafen.
Für Johann G. und die anderen Angeklagten in Dresden geht es vorerst aber
darum, ob und wie lange sie jetzt in Haft wandern – oder bleiben. Vor allem
für Johann G. stehen dabei sehr viele Jahre im Raum. Die
Sicherheitsbehörden feiern schon jetzt einen Erfolg: Denn seit den
Festnahmen hat die Angriffsserie auf Rechtsextreme in Ostdeutschland
vorerst geendet. Das Bundesinnenministerium betont, dass sich das
Gefährdungspotential der „Antifa Ost“ damit „zuletzt erheblich verringert
habe“. Was sich nicht verringert hat, ist die rechtsextreme Bedrohungslage:
Die Gewalttaten der rechten Szene lagen im vergangenen Jahr auf einem
Rekordhoch.
24 Nov 2025
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