Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 14 Jahre NSU-Prozess: Die letzte Angeklagte
> Sie war Beate Zschäpes engste Freundin, half ihr im Untergrund mit
> Papieren und Tarnnamen. Jetzt, nach 14 Jahren, steht Susann Eminger vor
> Gericht.
Bild: André Eminger und seine Frau. Susann Eminger steht ab Donnerstag vor dem…
Im kleinen Kirchberg, südlich von Zwickau, selbst ernanntes Tor zum
Erzgebirge, schmückt Herbstlaub die Bäume, plätschert der Rödelbach durch
die Kleinstadt. In einem kleinen Einfamilienhaus direkt daneben hängen
weiße Gardinen in den Fenstern, auch der Eingang ist herbstlich geschmückt:
An der Haustür hängt ein Gebinde aus Blättern, neben den Treppenstufen
stehen Blumentöpfe mit Heidekraut. Bei einem Klingeln vergangene Woche
öffnet André Eminger, bleibt in der Tür stehen. Nein, seine Frau werde zu
dem Prozess gegen sie nichts sagen, erklärt der kräftige, tätowierte
Mittvierziger in ruhigem Ton, trägt braunen Fleecepullover und schwarze
Hausschuhe. Und auch er werde dazu nichts sagen.
Aber dann holt Eminger doch aus, nimmt sich etwas Zeit. Will erzählen, dass
er abgeschlossen hat. Mit seiner rechtsextremen Vergangenheit, mit der
Neonaziszene, mit seinem früheren Leben. „Ich bin da raus, seit Jahren. Es
gibt keine Kontakte mehr, nichts.“ Er habe es vor allem für seine Kinder
getan. „Damit sie normal aufwachsen können.“ Heute gebe es nur noch seine
Familie und seinen Job, sagt Eminger. „Es ist ein besseres Leben.“
Das frühere Leben des André Eminger war: schon als Teenager in der
Neonaziszene, im sächsischen Johanngeorgenstadt. Mit seinem Zwillingsbruder
gründet er im Jahr 2000 eine Kameradschaft, die „Weiße Bruderschaft
Erzgebirge“. Sie sind mitverantwortlich für eine Szenezeitschrift, „Aryan
Law and Order“, die Anschläge auf Synagogen oder politische Gegner
gutßheißt. Seinen Körper lässt sich Eminger rechtsextrem durchtätowieren,
mit dem Schriftzug „Blut und Ehre“, Kampfruf der Hitlerjugend, dem Bild von
SA-Sturmführer Horst Wessel oder dem Aufruf „Die Jew Die“ („Stirb Jude
Stirb“). Und später dann: Wird er der engste Vertraute des untergetauchten
Kerntrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), von Beate
Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Die Terrorgruppe, die von 1998 bis
2011 für zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich
war. Die schwerste Rechtsterrorserie der Bundesrepublik.
André Eminger wurde dafür verurteilt, im Juli 2018 im Münchner NSU-Prozess,
nach fünf Jahren Verhandlung. Er erhielt zweieinhalb Jahre Haft – die
mildeste Strafe aller Angeklagten. Eminger hatte bis zum Schluss
geschwiegen, den Prozess gelangweilt oder grinsend verfolgt. Er hatte den
Untergetauchten Wohnungen verschafft, eine Krankenkassenkarte, eine
Bahncard, er hatte für sie Wohnmobile angemietet, mit denen sie zu
Banküberfällen oder einem Anschlag fuhren. Sein eigener Verteidiger nannte
ihn einen „Nationalsozialisten mit Haut und Haar“. Die Bundesanwaltschaft
sah in ihm das womöglich vierte Mitglied des NSU, forderte 12 Jahre Haft.
Aber das Gericht hielt es nur für nachweisbar, dass er bei diesen Hilfen
erst zum Ende von den Terrortaten wusste. Als Emingers Haftbefehl noch im
Saal aufgehoben wurde, brachen Neonazis, die ihn den Prozess lang
unterstützt hatten, auf der Empore in Jubel aus.
Nun geht es um seine Frau, um Susann Eminger, die ab Donnerstag vor dem
Oberlandesgericht Dresden stehen wird, in einem Hochsicherheitssaal am
Stadtrand. Um ihre Unterstützung für die NSU-Terroristen. Und darum, ob es
14 Jahre nach Auffliegen der Gruppe noch möglich ist, deren Helfer zu
verurteilen. Die Frage wird wieder wie in München lauten: Wusste Susann
Eminger bei ihren Hilfen von den Terrortaten – oder nicht? Im letzteren
Fall wären fast alle Taten verjährt. Im ersteren Fall drohen ihr bis zu
zehn Jahre Haft.
## Eminger, die engste Freundin von Zschäpe
Die NSU-Terroristin Zschäpe selbst war es, die im NSU-Prozess – nach langem
Schweigen – Susann Eminger als engste Freundin in der Untergrundzeit
benannte. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft überließ sie Zschäpe mehrfach
ihre Krankenkassenkarte für Arzttermine, ließ sie ihre Personalien
benutzen, etwa für Bahncards. Und Susann Eminger war es, die Zschäpe und
Uwe Böhnhardt vor dem letzten NSU-Banküberfall in Eisenach zur Abholung des
Wohnmobils fuhr. Bei dem Überfall am 4. November 2011 wurden Böhnhardt und
Mundlos von der Polizei umstellt, erschossen sich in einem Wohnmobil. Dann
zündete Zschäpe in Zwickau den letzten Unterschlupf des Trios an,
verschickte Briefe mit den NSU-Bekennerschreiben und floh. Offenbart wurden
nun, wer für die jahrelang unaufgeklärte Mordserie verantwortlich war – bei
der stets nur die Angehörigen verdächtigt wurden.
Susann und André Eminger führen heute in Kirchberg einen Alltag, der nach
außen nichts mehr von diesen Ereignissen vermuten lässt. Er arbeitet als
Kranfahrer, hatte zuvor Solaranlagen montiert. Sie ist gelernte
Hauswirtschafterin, bekam aber direkt nach der Ausbildung das erste Kind
und blieb dann zu Hause. Vier Kinder hat das Paar – der große Sohn, Anfang
zwanzig, ist schon ausgezogen, die Tochter noch ein kleines Kind. Im Garten
steht ein Baumhaus, vor Halloween wurden in der Familie Kürbisse
geschnitzt.
Aber auch Susann Eminger führte mindestens früher ein anderes Leben.
Rumgelaufen sei sie damals im „Reenie Style“ – kurze Haare, nur lang an d…
Schläfen –, tätowiert und in Springerstiefeln, erzählte in den
NSU-Ermittlungen ein Bekannter. 2001 soll sie mit anderen Rechtsextremen in
einer Kneipe in Zwickau eine Schlägerei angezettelt haben, sie musste dafür
20 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten. Später soll sie mit André
Eminger an zwei Treffen der völkischen „Artgemeinschaft“ teilgenommen
haben, die 2023 wegen ihres offenen Rassismus verboten wurde. Und dann
wurde Susann Eminger die engste Freundin von Beate Zschäpe.
André Emingers Resthaftstrafe wurde inzwischen gegen Auflagen zur Bewährung
ausgesetzt. Auch Susann Eminger ist auf freiem Fuß. Aber die
Sicherheitsbehörden sind sich nicht so sicher, ob nicht auch die alten
Leben der beiden Bestand haben: Nach taz-Informationen stufen sie beide
weiterhin als Rechtsextremisten ein. André Eminger galt lange Zeit auch als
Gefährder, dem schwere Gewalttaten zugetraut werden, stand unter besonderer
Beobachtung.
## Emingers, die zentralen Helfer der NSU-Gruppe
Und die Angehörigen der NSU-Terroropfer halten die Emingers bis heute für
die zentralen Helfer des Terrortrios. „Ich bin froh, dass es endlich zu
einem Prozess gegen Susann Eminger gekommen ist“, sagt Gamze Kubaşık der
taz. [1][Ihr Vater Mehmet, ein Kioskbetreiber, wurde im April 2006 vom NSU
in Dortmund erschossen], gut 400 Kilometer vom Versteck in Zwickau
entfernt. Schon im NSU-Prozess in München habe es zahlreiche Beweise auch
gegen Susann Eminger gegeben, erinnert Kubaşık. „Warum wurden diese Beweise
für ihre Mitverantwortung so lange ignoriert oder zurückgehalten?“
Laut Zschäpe selbst lernte sie André Eminger schon 1998, kurz nach dem
Abtauchen, in Chemnitz kennen. 2006 dann auch seine Frau Susann, als sich
das Trio nun in Zwickau versteckte. „Sie war meine Freundin“, ließ Zschäpe
ihren Anwalt im NSU-Prozess erklären. Mehrmals im Monat hätten sie sich
besucht, gingen in Restaurants, zu Stadtfesten, Konzerten. Meistens aber
ging es auf den Spielplatz, mit Emingers Kindern, erklärte Zschäpe. Wegen
der Kleinen habe sie im Versteck immer darauf geachtet, die Waffen
wegzuräumen. Sie seien für sie „eine Art Ersatzkinder“ gewesen. „Weil i…
selbst keine eigenen Kinder bekommen kann.“
Und Zschäpe räumte auch ein, dass sie von Susann Eminger eine
Krankenkassenkarte und Bahncards bekam. Und auch, dass die Emingers auf
ihrer Flucht am 4. November 2011 ihr erster Kontakt waren. Nach einem Anruf
bei Andŕe Eminger schickte dieser eine SMS an seine Frau, die beide darauf
wieder löschten. Dann sammelte Andŕe Eminger Zschäpe mit seinem VW Golf
ein, fuhr sie zu sich nach Hause, gab ihr Kleidung und setzte sie am
Bahnhof Chemnitz ab. In der Folgenacht versuchte Zschäpe erneut, das
Ehepaar zu erreichen, diesmal erfolglos. Drei Tage irrte sie noch durch die
Republik, dann stellte sie sich entkräftet der Polizei.
Was Zschäpe aber auch behauptete: Sie habe Susann Eminger nie über die
NSU-Terrortaten eingeweiht. Und André Eminger erst am Tag ihrer Flucht. Es
ist diese Frage, die nun erneut im Oberlandesgericht Dresden entscheidend
wird: Kann das wirklich sein, dass die engsten Vertrauten der
Untergetauchten nichts vom NSU-Terror mitbekamen?
Die Bundesanwaltschaft, welche die Anklage führt, glaubt das nicht. Schon
seit dem NSU-Auffliegen hatte sie gegen Susann Eminger ermittelt, wartete
aber zunächst den Münchner Prozess ab. Erst jetzt beginnt ihr Prozess –
auch weil sich inzwischen Beate Zschäpe und André Eminger im bayrischen
NSU-Untersuchungsausschuss äußerten, Zschäpe im August und Oktober 2023
auch in BKA-Befragungen.
Aber dass es zum Prozess kommt, brauchte einen juristischen Kampf. Denn das
Oberlandesgericht Dresden hatte die Anklage zunächst nicht zugelassen, weil
„nicht ausreichend wahrscheinlich“ sei, dass man nachweisen könne, dass
Susann Eminger bei ihren Hilfen tatsächlich von den Terrortaten des NSU
wusste. Bekannt gewesen seien ihr wohl nur die Banküberfälle – ihre
Unterstützung hierfür aber sei verjährt, bis auf den letzten Überfall in
Eisenach. Das Oberlandesgericht verwies den Fall daher an das Landgericht
Zwickau und ließ nur Anklage wegen Beihilfe zu besonders schwerer
räuberischen Erpressung zu. Die Bundesanwaltschaft aber legte Beschwerde
ein – und bekam vor dem Bundesgerichtshof recht. Der entschied, dass eine
Verurteilung von Eminger für Terrorhilfe sehr wohl „hinreichend
wahrscheinlich“ und das Verfahren doch vor dem Oberlandesgericht zu führen
sei.
Der Fall ist ein Symptom: Dafür, wie schwer sich die Justiz mit den Helfern
des NSU-Terrors tut. Und wie inzwischen fast alle straffrei davonkommen.
Obwohl Sicherheitsbehörden gut 100 Personen zum Umfeld des NSU zählen.
Obwohl NSU-Untersuchungsausschüsse von einem „breiteren
Unterstützernetzwerk“ überzeugt waren. Obwohl auch der NSU selbst sich als
„Netzwerk von Kameraden“ bezeichnete.
Im Münchner NSU-Prozess waren es neben Beate Zschäpe, die eine lebenslange
Haftstrafe erhielt, vier NSU-Helfer, die verurteilt wurden: der frühere
NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie die Szenefreunde Carsten S., Holger G.
– und eben André Eminger. Sie hatten dem Trio Waffen oder Papiere
verschafft, erhielten Strafen bis zu zehn Jahren. André Eminger reagierte
auf seine milde Strafe nur damit, dass er fest die Hand seiner Frau Susann
drückte, die neben ihm Platz nehmen durfte. Er schien sein Glück selbst
kaum fassen zu können.
## Letzte Versuch, doch eine Helferin zu verurteilen
Seitdem wurde niemand mehr für die NSU-Taten verurteilt. Dabei hatte die
Bundesanwaltschaft neben Susann Eminger noch gegen acht weitere mutmaßliche
NSU-Helfer ermittelt. Gegen Matthias D., der den Untergetauchten Wohnungen
anmietete und Mietzahlungen über sein Konto laufen ließ. Gegen Mandy S.,
die noch kurz vorm NSU-Abtauchen mit Zschäpe einen Aufmarsch besuchte, ihr
danach eine Krankenkassenkarte lieh, ebenfalls einen Unterschlupf
organisierte. Gegen Max-Florian B., der auch eine Wohnung dem Trio
überließ, zeitweise mit diesem zusammenlebte, und seinen Namen für einen
Reisepass von Mundlos hergab.
Gegen Thomas S., der das Trio vor dem Abtauchen mit Sprengstoff versorgte,
einen Unterschlupf vermittelte und später in der Szene erzählte, dass die
Untergetauchten keine Spenden mehr bräuchten, weil sie „jobben“ würden.
Gegen Jan W., zu dem Zschäpe gestand, dass er dem Trio eine Waffe lieferte.
Gegen André K., der für das Trio Spenden organisierte. Und gegen Pierre J.
und Hermann S., die dem Trio eine Pumpgun besorgt haben sollen – was
Zschäpe ebenfalls einräumte.
All diese Verfahren seien inzwischen eingestellt, bestätigte eine
Sprecherin der Bundesanwaltschaft der taz. Bei einigen Beschuldigten
erfolgte dies bereits vor Jahren. Als Letztes waren noch die Verfahren
gegen Pierre J. und Hermann S. offen. Auch diese seien inzwischen
eingestellt, so die Sprecherin. Weil die Hilfen nicht sicher nachgewiesen
werden konnten oder dass die Beschuldigten wussten, dass sie damit Terror
unterstützten. Offen ist nun nur noch ein „Strukturverfahren“, in dem die
Bundesanwaltschaft allgemein Hinweisen auf das Trio nachgehen kann.
Unter den einstigen Beschuldigten sind frühere Szenefreunde, auch Kader der
Kameradschaft Thüringer Heimatschutz oder vom militanten Netzwerk
Blood&Honour. Einige wollen heute die Szene verlassen haben. Pierre J. will
bei einem taz-Anruf auf seiner Arbeit vor wenigen Tagen nicht ans Telefon
gehen, lässt einen Arbeitskollegen sprechen. Der sagt, die Vorwürfe seien
„nur Blabla“ gewesen, da sei nie was dran gewesen. Ein anderer
Beschuldigter sagte dem MDR vor ein paar Jahren, [2][gefragt nach den
Mordopfern] und offenen Fragen im NSU-Komplex: „Das ist mir egal.“
Susann Eminger ist nun der letzte Versuch, doch noch eine NSU-Helferin zu
verurteilen. Und die Bundesanwaltschaft beruft sich dabei auch auf die
jüngsten Aussagen Zschäpes. Dabei hatte diese sich stets bemüht, ihre
Freundin Susann zu entlasten. Als sie am Ende des NSU-Prozesses Helfer im
Untergrund benannte, zählte sie zwar André Eminger dazu, nicht aber Susann.
In ihren Vernehmungen mit dem BKA aber ließ Zschäpe nach taz-Informationen
Sätze fallen, die die Ermittler aufhorchen ließen. Susann Eminger „wusste,
weswegen wir weg sind“, soll Zschäpe dort gesagt haben. Sie habe auch
gewusst, dass das Trio „kein normales Leben“ führte. Darüber habe es
Gespräche gegeben. Und Eminger habe im letzten NSU-Versteck auch die
Überwachungskameras samt Monitor gesehen. Also wusste Susann Eminger doch
mehr? Auch von den Morden? Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt. Und
ihre Anklage betont, dass dafür bereits die intensive Freundschaft zwischen
beiden Frauen spreche. Dazu komme ein konspiratives Kontaktverhalten.
Susann Eminger hatte Zschäpe und die Uwes mit ihren Tarnnamen angesprochen
– Lisel, Gerri und Max. Beide Frauen hatten über öffentliche Telefonzellen
miteinander kommuniziert, nicht über Handys. Warum all das, wenn Eminger
nicht von illegalen Aktivitäten wusste?
Dass Eminger dabei nur von den Raubtaten wusste, sei „wenig plausibel“,
erklärte auch der Bundesgerichtshof. Denn dann wäre nur klar gewesen, wie
das Trio ihr Leben im Untergrund finanzierte – aber nicht, warum es dort
jahrelang verharrte. Und auch, dass Zschäpe erst am Tag ihrer Flucht André
Eminger von den Morden erzählt haben will, hält der BGH für abwegig: In
einer Situation mit so großem „situativen Handlungsdruck“ sei das
unwahrscheinlich. Das schnelle Zusammenspiel von Zschäpe und den Emingers
bei der Flucht spreche vielmehr für Vorabsprachen. Zudem sage mindestens
einer von beiden nicht die Wahrheit: Denn Eminger hatte behauptet, erst
„aus dem Fernsehen“ von den NSU-Morden erfahren zu haben und darüber
„erschrocken“ gewesen zu sein. Beides hält der BGH für gelogen.
Und schon Ende 2006 hatten die Emingers das Trio vor dem Auffliegen
bewahrt. Ein Polizist stand damals vor der Tür ihres Verstecks in Zwickau,
es ging um einen Diebstahl im Haus. Zschäpe öffnete und gab sich als Susann
Eminger aus. Und das auch, als sie später zu einer Anhörung auf ein
Polizeirevier musste, in Begleitung von André Eminger. Beide spielten ein
Ehepaar und behaupteten, im Haus nur zu Besuch gewesen zu sein. Der Beamte
schöpfte keinen Verdacht – und das Trio konnte fünf weitere Jahre im
Untergrund leben.
Spätestens danach sei Susann Eminger über die Morde informiert worden,
entweder durch Zschäpe oder ihren Mann, hält die Anklage fest. Dennoch habe
Eminger das Trio weiter unterstützt. Das habe sich zum Dank auch mit einer
Musikanlage für 285 Euro oder einer Reise ins Disneyland Paris für 916 Euro
revanchiert. Und nach dem NSU-Auffliegen entdeckten Ermittler bei den
Emingers eine Bilddatei mit Totenköpfen und dem Spruch: „Es ist nicht alle
Tage, wir kommen wieder, keine Frage.“ Dieser Satz ertönt fast genauso am
Ende des NSU-Bekennervideos.
Und selbst zwei Jahre später wurde bei einer weiteren Durchsuchung im
Wohnzimmer der Emingers eine Zeichnung entdeckt, über dem Fernseher und
unter Bildern der eigenen Kinder: mit den Bildern von Mundlos und
Böhnhardt, dazu eine Rune und in altdeutscher Schrift: „Unvergessen“. Als
die Polizisten das Bild mitnehmen wollten, soll sich Andŕe Eminger „heftig“
dagegen gewehrt haben. Für den Bundesgerichtshof wirkt das Bild, zwei Jahre
nach Offenbarung des Terrors, „wie eine Verherrlichung“ der NSU-Mitglieder.
Susann Eminger schweigt bisher zu all dem. Schon bei einer
Polizeivernehmung kurz nach Auffliegen des NSU verweigerte sie eine Aussage
und beklagte nur, dass bei der Hausdurchsuchung die Spezialeinheit GSG9
angerückt war und die Presse sie belagern werde, sie habe nun
Angstzustände. Auch im [3][NSU-Prozess] verweigerte sie die Aussage. Ihr
Verteidiger ließ Anfragen der taz unbeantwortet.
Ihr Mann André Eminger behauptet beim Besuch in Kirchberg, dass seine Frau
mit der rechtsextremen Szene nichts zu tun habe. „Das ging alles von mir
aus.“ Da haben allerdings nicht nur die Sicherheitsbehörden ihre Zweifel.
In einem BKA-Papier wird Susann Eminger zumindest Anfang der 2000er Jahre
als Teil der rechten Szene benannt. Auch ein früherer Szenebekannter
attestierte ihr, dass sie politisch „die gleiche Richtung“ wie André
Eminger hatte. Und auch der BGH hält es für „naheliegend“, dass sie „die
ideologische Haltung ihres Ehemanns und der NSU-Mitglieder teilte“.
André Eminger aber beteuert an der Haustür, dass er selbst sich seit Anfang
2019 aus dem Rechtsextremismus verabschiedet habe. Erst habe er den Kontakt
zu früheren Szenebekannten abgebrochen, auch zu Zschäpe und den anderen
NSU-Mitbeschuldigten. Dann habe er sich auch „von den Gedanken abgewendet“,
seine strafbaren Tattoos „überhackt“. Und auch das Bild der Uwes, er
schmunzelt, hänge natürlich schon lange nicht mehr im Wohnzimmer.
Tatsächlich befindet sich André Eminger seit dem Sommer 2022 in einem
Aussteigerprogramm, dem des Landes Sachsen. Es war eine Auflage des
Oberlandesgericht München für die Aussetzung seiner Resthaftstrafe auf
Bewährung. In dem Programm befindet sich Eminger nach taz-Informationen
auch weiterhin. Er selbst bestätigt das auch in Kirchberg. Aber André
Eminger behauptet nicht zum ersten Mal, die Szene verlassen zu haben. Schon
als ihn 2003 der sächsische Verfassungsschutz als V-Mann anwerben wollte,
gab er einen Ausstieg an und dass ihm die Familie nun das Wichtigste sei.
In Wahrheit war er noch jahrelang aktiver Teil der Szene – und hielt
Kontakt zum NSU-Trio. Und zumindest der Zeitpunkt des jetzigen Ausstiegs
kann nicht stimmen. Denn noch bis zum Frühjahr 2022 hielt er Kontakt zum
Mitverurteilten Ralf Wohlleben, traf ihn auch zum Grillen. Bis Oktober 2022
hatte er auch Briefkontakt mit der bayerischen Rechtsextremistin Susanne
G., die wegen Anschlagsplänen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
In Briefen an sie ätzte er über „Antifanten“ und „Linksversiffte“, ho…
bei einem rechten Aufmarsch, dass „alle vereint marschieren“.
## Freiwillig ins Aussteigerprogramm?
Und die Aufnahme in das Aussteigerprogramm und der Kontaktabbruch zu den
NSU-Beschuldigten waren eben auch Gerichtsauflagen. An der Haustür weist
Eminger zurück, nur taktisch zu handeln. „Ich hätte das mit dem Programm
nicht machen müssen. Die restlichen Haftmonate hätte ich auf einer Backe
absitzen können. Aber ich wollte das alles nicht mehr. Im Nachhinein war
das alles falsch.“
Hört man sich in der Region um, heißt es, dass die Emingers zuletzt
tatsächlich nicht mehr in der rechtsextremen Szene auftauchten – die es
auch in Kirchberg gibt. Sticker zeugen davon, sie kleben auch am
Treppenaufgang des Neubaublocks, in dem der älteste Sohn der Emingers
wohnt. „NS Zone“, lautet einer. Und es heißt vor Ort, unter Neonazis habe
die Familie durchaus noch eine Art Heldenstatus. André Eminger zuckt die
Schultern, erklärt, dazu könne er nichts sagen. „Ich hab da ja keinen
Kontakt mehr.“
Im Prozess rechnet das Gericht nun mit einer aufwändigen Beweisaufnahme,
angesetzt sind Termine bis Ende Juni 2026. Ob es noch Aufklärung gibt,
hängt nun vor allem an einer Person: Beate Zschäpe. Am 3. und 4. Dezember
soll sie im Prozess als Zeugin aussagen, herangefahren aus der JVA
Chemnitz, wo sie ihre Haftstrafe absitzt. Ihr Anwalt Matthias Grasel sagte
der taz, er gehe davon, dass seine Mandantin so aussagen wird wie bisher.
Heißt: Belasten wird Zschäpe ihre einst beste Freundin wohl nicht.
Dabei könnte es Zschäpe helfen auszupacken. Denn nächstes Jahr entscheidet
sich für sie, wie viele Restjahre sie noch in Haft verbüßen muss. Und
tatsächlich beteuert inzwischen auch Zschäpe, sich vom Rechtsextremismus
abgewandt zu haben. Sie befindet sich nun ebenfalls in einem
Aussteigerprogramm, bei Exit. André Eminger will nicht sagen, für wie
glaubhaft er das hält. „Das muss sie für sich wissen.“
Andere werden da deutlicher. Gamze Kubaşık nennt es „unerträglich, dass
Zschäpe ohne erkennbare Reue in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde“.
Sie habe bis heute nichts wirklich zur Aufklärung des Terrors beigetragen,
ihr behaupteter Ausstieg sei nur ein Versuch, früher aus der Haft zu
kommen. Kubaşık und weitere Opferangehörige initiierten inzwischen eine
Petition, die fordert, eine Aufnahme Zschäpes bei Exit rückgängig zu
machen. Gut 150.000 Unterschriften erzielte diese, die Angehörigen
übergaben sie zuletzt vor dem Bundestag an Abgeordnete. Exit selbst sagt,
aus rechtlichen Gründen könne man sich nicht „zu personenbezogenen
Sachverhalten“ äußern.
Und für Gamze Kubaşık ist es auch unbegreiflich, dass bisher keine weiteren
NSU-Helfer mehr vor Gericht standen. Dass es diese gab, steht für sie außer
Zweifel. Woher kamen sonst die Waffen? Wie kamen die Mörder sonst auf die
Opfer? Und Susann Eminger gehörte für Kubaşık zweifelsfrei zu diesen
Helfern. „Für mich war das schon im NSU-Prozess offensichtlich, dass sie,
genauso wie ihr Ehemann André Eminger, Helferin und Unterstützerin des NSU
war und eine Mitschuld an den Morden trägt“, sagt die 40-Jährige.
André Eminger dagegen wirkt an seinem Haus in Kirchberg nicht übermäßig
besorgt über den Prozess gegen seine Frau. Man solle einfach mal abwarten,
was da rauskommt, sagt er. Dann verschwindet er wieder in seine Wohnung. Es
dürfte sein eigener Fall sein, der ihn beruhigt: Wenn selbst er, der engste
Vertraute des NSU-Trios, mit zweieinhalb Jahren Haft davonkommt, dürfte es
für seine Frau kaum mehr werden. Andererseits verhandelt nun am
Oberlandesgericht ein anderer Senat über ihren Fall, als der, der ihn
zunächst abwies. Und im Raum stehen weiterhin bis zu zehn Jahre Haft.
Würde Susann Eminger wirklich verurteilt, wäre es für sie erst mal vorbei
mit der Idylle in Kirchberg. Und dann gäbe es doch noch einmal ein Urteil
zum NSU-Terror. Für Gamze Kubaşık wäre das ein Stück Gerechtigkeit. Aber es
wäre noch nicht das Ende. „Wir werden weiter für vollständige Aufklärung
kämpfen“, sagt die Dortmunderin. „Einen Schlussstrich darf es erst geben,
wenn alle, die an den NSU-Morden beteiligt waren, ihre gerechte Strafe
erhalten haben.“
4 Nov 2025
## LINKS
[1] /Fotoausstellung-ueber-NSU-Morde/!6123248
[2] /Fotografin-ueber-ihr-NSU-Fotoprojekt/!6116737
[3] /Jugendbuch-zu-NSU-Sie-erzaehlen-von-ihrem-Kampf-um-Gerechtigkeit/!6116666
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Opfer rechter Gewalt
Rechte Gewalt
Beate Zschäpe
Schwerpunkt Rechter Terror
Social-Auswahl
Reden wir darüber
Opfer rechter Gewalt
Altona
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fotoausstellung über NSU-Morde: Mitten im Alltag ermordet
Jahrelang hat sich die Künstlerin Regina Schmeken mit dem NSU-Komplex
beschäftigt. „Blutiger Boden“ in Hamburg zeigt die verstörend normalen
Tatorte.
Fotografin über ihr NSU-Fotoprojekt: „Diese Morde fanden mitten unter uns st…
Regina Schmeken hat die Tatorte des NSU fotografiert, um sich mit den
Opfern solidarisch zu zeigen. Ihre Fotos sind im Altonaer Museum zu sehen.
Jugendbuch zu NSU: Die Kraft der Solidarität
Im Buch „Unser Schmerz ist unsere Kraft“ erzählen Gamze Kubaşık und Semi…
Şimşek, deren Väter vom NSU ermordet wurden, von ihrem Kampf um
Gerechtigkeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.