| # taz.de -- 14 Jahre NSU-Prozess: Die letzte Angeklagte | |
| > Sie war Beate Zschäpes engste Freundin, half ihr im Untergrund mit | |
| > Papieren und Tarnnamen. Jetzt, nach 14 Jahren, steht Susann Eminger vor | |
| > Gericht. | |
| Bild: André Eminger und seine Frau. Susann Eminger steht ab Donnerstag vor dem… | |
| Im kleinen Kirchberg, südlich von Zwickau, selbst ernanntes Tor zum | |
| Erzgebirge, schmückt Herbstlaub die Bäume, plätschert der Rödelbach durch | |
| die Kleinstadt. In einem kleinen Einfamilienhaus direkt daneben hängen | |
| weiße Gardinen in den Fenstern, auch der Eingang ist herbstlich geschmückt: | |
| An der Haustür hängt ein Gebinde aus Blättern, neben den Treppenstufen | |
| stehen Blumentöpfe mit Heidekraut. Bei einem Klingeln vergangene Woche | |
| öffnet André Eminger, bleibt in der Tür stehen. Nein, seine Frau werde zu | |
| dem Prozess gegen sie nichts sagen, erklärt der kräftige, tätowierte | |
| Mittvierziger in ruhigem Ton, trägt braunen Fleecepullover und schwarze | |
| Hausschuhe. Und auch er werde dazu nichts sagen. | |
| Aber dann holt Eminger doch aus, nimmt sich etwas Zeit. Will erzählen, dass | |
| er abgeschlossen hat. Mit seiner rechtsextremen Vergangenheit, mit der | |
| Neonaziszene, mit seinem früheren Leben. „Ich bin da raus, seit Jahren. Es | |
| gibt keine Kontakte mehr, nichts.“ Er habe es vor allem für seine Kinder | |
| getan. „Damit sie normal aufwachsen können.“ Heute gebe es nur noch seine | |
| Familie und seinen Job, sagt Eminger. „Es ist ein besseres Leben.“ | |
| Das frühere Leben des André Eminger war: schon als Teenager in der | |
| Neonaziszene, im sächsischen Johanngeorgenstadt. Mit seinem Zwillingsbruder | |
| gründet er im Jahr 2000 eine Kameradschaft, die „Weiße Bruderschaft | |
| Erzgebirge“. Sie sind mitverantwortlich für eine Szenezeitschrift, „Aryan | |
| Law and Order“, die Anschläge auf Synagogen oder politische Gegner | |
| gutßheißt. Seinen Körper lässt sich Eminger rechtsextrem durchtätowieren, | |
| mit dem Schriftzug „Blut und Ehre“, Kampfruf der Hitlerjugend, dem Bild von | |
| SA-Sturmführer Horst Wessel oder dem Aufruf „Die Jew Die“ („Stirb Jude | |
| Stirb“). Und später dann: Wird er der engste Vertraute des untergetauchten | |
| Kerntrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), von Beate | |
| Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Die Terrorgruppe, die von 1998 bis | |
| 2011 für zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich | |
| war. Die schwerste Rechtsterrorserie der Bundesrepublik. | |
| André Eminger wurde dafür verurteilt, im Juli 2018 im Münchner NSU-Prozess, | |
| nach fünf Jahren Verhandlung. Er erhielt zweieinhalb Jahre Haft – die | |
| mildeste Strafe aller Angeklagten. Eminger hatte bis zum Schluss | |
| geschwiegen, den Prozess gelangweilt oder grinsend verfolgt. Er hatte den | |
| Untergetauchten Wohnungen verschafft, eine Krankenkassenkarte, eine | |
| Bahncard, er hatte für sie Wohnmobile angemietet, mit denen sie zu | |
| Banküberfällen oder einem Anschlag fuhren. Sein eigener Verteidiger nannte | |
| ihn einen „Nationalsozialisten mit Haut und Haar“. Die Bundesanwaltschaft | |
| sah in ihm das womöglich vierte Mitglied des NSU, forderte 12 Jahre Haft. | |
| Aber das Gericht hielt es nur für nachweisbar, dass er bei diesen Hilfen | |
| erst zum Ende von den Terrortaten wusste. Als Emingers Haftbefehl noch im | |
| Saal aufgehoben wurde, brachen Neonazis, die ihn den Prozess lang | |
| unterstützt hatten, auf der Empore in Jubel aus. | |
| Nun geht es um seine Frau, um Susann Eminger, die ab Donnerstag vor dem | |
| Oberlandesgericht Dresden stehen wird, in einem Hochsicherheitssaal am | |
| Stadtrand. Um ihre Unterstützung für die NSU-Terroristen. Und darum, ob es | |
| 14 Jahre nach Auffliegen der Gruppe noch möglich ist, deren Helfer zu | |
| verurteilen. Die Frage wird wieder wie in München lauten: Wusste Susann | |
| Eminger bei ihren Hilfen von den Terrortaten – oder nicht? Im letzteren | |
| Fall wären fast alle Taten verjährt. Im ersteren Fall drohen ihr bis zu | |
| zehn Jahre Haft. | |
| ## Eminger, die engste Freundin von Zschäpe | |
| Die NSU-Terroristin Zschäpe selbst war es, die im NSU-Prozess – nach langem | |
| Schweigen – Susann Eminger als engste Freundin in der Untergrundzeit | |
| benannte. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft überließ sie Zschäpe mehrfach | |
| ihre Krankenkassenkarte für Arzttermine, ließ sie ihre Personalien | |
| benutzen, etwa für Bahncards. Und Susann Eminger war es, die Zschäpe und | |
| Uwe Böhnhardt vor dem letzten NSU-Banküberfall in Eisenach zur Abholung des | |
| Wohnmobils fuhr. Bei dem Überfall am 4. November 2011 wurden Böhnhardt und | |
| Mundlos von der Polizei umstellt, erschossen sich in einem Wohnmobil. Dann | |
| zündete Zschäpe in Zwickau den letzten Unterschlupf des Trios an, | |
| verschickte Briefe mit den NSU-Bekennerschreiben und floh. Offenbart wurden | |
| nun, wer für die jahrelang unaufgeklärte Mordserie verantwortlich war – bei | |
| der stets nur die Angehörigen verdächtigt wurden. | |
| Susann und André Eminger führen heute in Kirchberg einen Alltag, der nach | |
| außen nichts mehr von diesen Ereignissen vermuten lässt. Er arbeitet als | |
| Kranfahrer, hatte zuvor Solaranlagen montiert. Sie ist gelernte | |
| Hauswirtschafterin, bekam aber direkt nach der Ausbildung das erste Kind | |
| und blieb dann zu Hause. Vier Kinder hat das Paar – der große Sohn, Anfang | |
| zwanzig, ist schon ausgezogen, die Tochter noch ein kleines Kind. Im Garten | |
| steht ein Baumhaus, vor Halloween wurden in der Familie Kürbisse | |
| geschnitzt. | |
| Aber auch Susann Eminger führte mindestens früher ein anderes Leben. | |
| Rumgelaufen sei sie damals im „Reenie Style“ – kurze Haare, nur lang an d… | |
| Schläfen –, tätowiert und in Springerstiefeln, erzählte in den | |
| NSU-Ermittlungen ein Bekannter. 2001 soll sie mit anderen Rechtsextremen in | |
| einer Kneipe in Zwickau eine Schlägerei angezettelt haben, sie musste dafür | |
| 20 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten. Später soll sie mit André | |
| Eminger an zwei Treffen der völkischen „Artgemeinschaft“ teilgenommen | |
| haben, die 2023 wegen ihres offenen Rassismus verboten wurde. Und dann | |
| wurde Susann Eminger die engste Freundin von Beate Zschäpe. | |
| André Emingers Resthaftstrafe wurde inzwischen gegen Auflagen zur Bewährung | |
| ausgesetzt. Auch Susann Eminger ist auf freiem Fuß. Aber die | |
| Sicherheitsbehörden sind sich nicht so sicher, ob nicht auch die alten | |
| Leben der beiden Bestand haben: Nach taz-Informationen stufen sie beide | |
| weiterhin als Rechtsextremisten ein. André Eminger galt lange Zeit auch als | |
| Gefährder, dem schwere Gewalttaten zugetraut werden, stand unter besonderer | |
| Beobachtung. | |
| ## Emingers, die zentralen Helfer der NSU-Gruppe | |
| Und die Angehörigen der NSU-Terroropfer halten die Emingers bis heute für | |
| die zentralen Helfer des Terrortrios. „Ich bin froh, dass es endlich zu | |
| einem Prozess gegen Susann Eminger gekommen ist“, sagt Gamze Kubaşık der | |
| taz. [1][Ihr Vater Mehmet, ein Kioskbetreiber, wurde im April 2006 vom NSU | |
| in Dortmund erschossen], gut 400 Kilometer vom Versteck in Zwickau | |
| entfernt. Schon im NSU-Prozess in München habe es zahlreiche Beweise auch | |
| gegen Susann Eminger gegeben, erinnert Kubaşık. „Warum wurden diese Beweise | |
| für ihre Mitverantwortung so lange ignoriert oder zurückgehalten?“ | |
| Laut Zschäpe selbst lernte sie André Eminger schon 1998, kurz nach dem | |
| Abtauchen, in Chemnitz kennen. 2006 dann auch seine Frau Susann, als sich | |
| das Trio nun in Zwickau versteckte. „Sie war meine Freundin“, ließ Zschäpe | |
| ihren Anwalt im NSU-Prozess erklären. Mehrmals im Monat hätten sie sich | |
| besucht, gingen in Restaurants, zu Stadtfesten, Konzerten. Meistens aber | |
| ging es auf den Spielplatz, mit Emingers Kindern, erklärte Zschäpe. Wegen | |
| der Kleinen habe sie im Versteck immer darauf geachtet, die Waffen | |
| wegzuräumen. Sie seien für sie „eine Art Ersatzkinder“ gewesen. „Weil i… | |
| selbst keine eigenen Kinder bekommen kann.“ | |
| Und Zschäpe räumte auch ein, dass sie von Susann Eminger eine | |
| Krankenkassenkarte und Bahncards bekam. Und auch, dass die Emingers auf | |
| ihrer Flucht am 4. November 2011 ihr erster Kontakt waren. Nach einem Anruf | |
| bei Andŕe Eminger schickte dieser eine SMS an seine Frau, die beide darauf | |
| wieder löschten. Dann sammelte Andŕe Eminger Zschäpe mit seinem VW Golf | |
| ein, fuhr sie zu sich nach Hause, gab ihr Kleidung und setzte sie am | |
| Bahnhof Chemnitz ab. In der Folgenacht versuchte Zschäpe erneut, das | |
| Ehepaar zu erreichen, diesmal erfolglos. Drei Tage irrte sie noch durch die | |
| Republik, dann stellte sie sich entkräftet der Polizei. | |
| Was Zschäpe aber auch behauptete: Sie habe Susann Eminger nie über die | |
| NSU-Terrortaten eingeweiht. Und André Eminger erst am Tag ihrer Flucht. Es | |
| ist diese Frage, die nun erneut im Oberlandesgericht Dresden entscheidend | |
| wird: Kann das wirklich sein, dass die engsten Vertrauten der | |
| Untergetauchten nichts vom NSU-Terror mitbekamen? | |
| Die Bundesanwaltschaft, welche die Anklage führt, glaubt das nicht. Schon | |
| seit dem NSU-Auffliegen hatte sie gegen Susann Eminger ermittelt, wartete | |
| aber zunächst den Münchner Prozess ab. Erst jetzt beginnt ihr Prozess – | |
| auch weil sich inzwischen Beate Zschäpe und André Eminger im bayrischen | |
| NSU-Untersuchungsausschuss äußerten, Zschäpe im August und Oktober 2023 | |
| auch in BKA-Befragungen. | |
| Aber dass es zum Prozess kommt, brauchte einen juristischen Kampf. Denn das | |
| Oberlandesgericht Dresden hatte die Anklage zunächst nicht zugelassen, weil | |
| „nicht ausreichend wahrscheinlich“ sei, dass man nachweisen könne, dass | |
| Susann Eminger bei ihren Hilfen tatsächlich von den Terrortaten des NSU | |
| wusste. Bekannt gewesen seien ihr wohl nur die Banküberfälle – ihre | |
| Unterstützung hierfür aber sei verjährt, bis auf den letzten Überfall in | |
| Eisenach. Das Oberlandesgericht verwies den Fall daher an das Landgericht | |
| Zwickau und ließ nur Anklage wegen Beihilfe zu besonders schwerer | |
| räuberischen Erpressung zu. Die Bundesanwaltschaft aber legte Beschwerde | |
| ein – und bekam vor dem Bundesgerichtshof recht. Der entschied, dass eine | |
| Verurteilung von Eminger für Terrorhilfe sehr wohl „hinreichend | |
| wahrscheinlich“ und das Verfahren doch vor dem Oberlandesgericht zu führen | |
| sei. | |
| Der Fall ist ein Symptom: Dafür, wie schwer sich die Justiz mit den Helfern | |
| des NSU-Terrors tut. Und wie inzwischen fast alle straffrei davonkommen. | |
| Obwohl Sicherheitsbehörden gut 100 Personen zum Umfeld des NSU zählen. | |
| Obwohl NSU-Untersuchungsausschüsse von einem „breiteren | |
| Unterstützernetzwerk“ überzeugt waren. Obwohl auch der NSU selbst sich als | |
| „Netzwerk von Kameraden“ bezeichnete. | |
| Im Münchner NSU-Prozess waren es neben Beate Zschäpe, die eine lebenslange | |
| Haftstrafe erhielt, vier NSU-Helfer, die verurteilt wurden: der frühere | |
| NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie die Szenefreunde Carsten S., Holger G. | |
| – und eben André Eminger. Sie hatten dem Trio Waffen oder Papiere | |
| verschafft, erhielten Strafen bis zu zehn Jahren. André Eminger reagierte | |
| auf seine milde Strafe nur damit, dass er fest die Hand seiner Frau Susann | |
| drückte, die neben ihm Platz nehmen durfte. Er schien sein Glück selbst | |
| kaum fassen zu können. | |
| ## Letzte Versuch, doch eine Helferin zu verurteilen | |
| Seitdem wurde niemand mehr für die NSU-Taten verurteilt. Dabei hatte die | |
| Bundesanwaltschaft neben Susann Eminger noch gegen acht weitere mutmaßliche | |
| NSU-Helfer ermittelt. Gegen Matthias D., der den Untergetauchten Wohnungen | |
| anmietete und Mietzahlungen über sein Konto laufen ließ. Gegen Mandy S., | |
| die noch kurz vorm NSU-Abtauchen mit Zschäpe einen Aufmarsch besuchte, ihr | |
| danach eine Krankenkassenkarte lieh, ebenfalls einen Unterschlupf | |
| organisierte. Gegen Max-Florian B., der auch eine Wohnung dem Trio | |
| überließ, zeitweise mit diesem zusammenlebte, und seinen Namen für einen | |
| Reisepass von Mundlos hergab. | |
| Gegen Thomas S., der das Trio vor dem Abtauchen mit Sprengstoff versorgte, | |
| einen Unterschlupf vermittelte und später in der Szene erzählte, dass die | |
| Untergetauchten keine Spenden mehr bräuchten, weil sie „jobben“ würden. | |
| Gegen Jan W., zu dem Zschäpe gestand, dass er dem Trio eine Waffe lieferte. | |
| Gegen André K., der für das Trio Spenden organisierte. Und gegen Pierre J. | |
| und Hermann S., die dem Trio eine Pumpgun besorgt haben sollen – was | |
| Zschäpe ebenfalls einräumte. | |
| All diese Verfahren seien inzwischen eingestellt, bestätigte eine | |
| Sprecherin der Bundesanwaltschaft der taz. Bei einigen Beschuldigten | |
| erfolgte dies bereits vor Jahren. Als Letztes waren noch die Verfahren | |
| gegen Pierre J. und Hermann S. offen. Auch diese seien inzwischen | |
| eingestellt, so die Sprecherin. Weil die Hilfen nicht sicher nachgewiesen | |
| werden konnten oder dass die Beschuldigten wussten, dass sie damit Terror | |
| unterstützten. Offen ist nun nur noch ein „Strukturverfahren“, in dem die | |
| Bundesanwaltschaft allgemein Hinweisen auf das Trio nachgehen kann. | |
| Unter den einstigen Beschuldigten sind frühere Szenefreunde, auch Kader der | |
| Kameradschaft Thüringer Heimatschutz oder vom militanten Netzwerk | |
| Blood&Honour. Einige wollen heute die Szene verlassen haben. Pierre J. will | |
| bei einem taz-Anruf auf seiner Arbeit vor wenigen Tagen nicht ans Telefon | |
| gehen, lässt einen Arbeitskollegen sprechen. Der sagt, die Vorwürfe seien | |
| „nur Blabla“ gewesen, da sei nie was dran gewesen. Ein anderer | |
| Beschuldigter sagte dem MDR vor ein paar Jahren, [2][gefragt nach den | |
| Mordopfern] und offenen Fragen im NSU-Komplex: „Das ist mir egal.“ | |
| Susann Eminger ist nun der letzte Versuch, doch noch eine NSU-Helferin zu | |
| verurteilen. Und die Bundesanwaltschaft beruft sich dabei auch auf die | |
| jüngsten Aussagen Zschäpes. Dabei hatte diese sich stets bemüht, ihre | |
| Freundin Susann zu entlasten. Als sie am Ende des NSU-Prozesses Helfer im | |
| Untergrund benannte, zählte sie zwar André Eminger dazu, nicht aber Susann. | |
| In ihren Vernehmungen mit dem BKA aber ließ Zschäpe nach taz-Informationen | |
| Sätze fallen, die die Ermittler aufhorchen ließen. Susann Eminger „wusste, | |
| weswegen wir weg sind“, soll Zschäpe dort gesagt haben. Sie habe auch | |
| gewusst, dass das Trio „kein normales Leben“ führte. Darüber habe es | |
| Gespräche gegeben. Und Eminger habe im letzten NSU-Versteck auch die | |
| Überwachungskameras samt Monitor gesehen. Also wusste Susann Eminger doch | |
| mehr? Auch von den Morden? Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt. Und | |
| ihre Anklage betont, dass dafür bereits die intensive Freundschaft zwischen | |
| beiden Frauen spreche. Dazu komme ein konspiratives Kontaktverhalten. | |
| Susann Eminger hatte Zschäpe und die Uwes mit ihren Tarnnamen angesprochen | |
| – Lisel, Gerri und Max. Beide Frauen hatten über öffentliche Telefonzellen | |
| miteinander kommuniziert, nicht über Handys. Warum all das, wenn Eminger | |
| nicht von illegalen Aktivitäten wusste? | |
| Dass Eminger dabei nur von den Raubtaten wusste, sei „wenig plausibel“, | |
| erklärte auch der Bundesgerichtshof. Denn dann wäre nur klar gewesen, wie | |
| das Trio ihr Leben im Untergrund finanzierte – aber nicht, warum es dort | |
| jahrelang verharrte. Und auch, dass Zschäpe erst am Tag ihrer Flucht André | |
| Eminger von den Morden erzählt haben will, hält der BGH für abwegig: In | |
| einer Situation mit so großem „situativen Handlungsdruck“ sei das | |
| unwahrscheinlich. Das schnelle Zusammenspiel von Zschäpe und den Emingers | |
| bei der Flucht spreche vielmehr für Vorabsprachen. Zudem sage mindestens | |
| einer von beiden nicht die Wahrheit: Denn Eminger hatte behauptet, erst | |
| „aus dem Fernsehen“ von den NSU-Morden erfahren zu haben und darüber | |
| „erschrocken“ gewesen zu sein. Beides hält der BGH für gelogen. | |
| Und schon Ende 2006 hatten die Emingers das Trio vor dem Auffliegen | |
| bewahrt. Ein Polizist stand damals vor der Tür ihres Verstecks in Zwickau, | |
| es ging um einen Diebstahl im Haus. Zschäpe öffnete und gab sich als Susann | |
| Eminger aus. Und das auch, als sie später zu einer Anhörung auf ein | |
| Polizeirevier musste, in Begleitung von André Eminger. Beide spielten ein | |
| Ehepaar und behaupteten, im Haus nur zu Besuch gewesen zu sein. Der Beamte | |
| schöpfte keinen Verdacht – und das Trio konnte fünf weitere Jahre im | |
| Untergrund leben. | |
| Spätestens danach sei Susann Eminger über die Morde informiert worden, | |
| entweder durch Zschäpe oder ihren Mann, hält die Anklage fest. Dennoch habe | |
| Eminger das Trio weiter unterstützt. Das habe sich zum Dank auch mit einer | |
| Musikanlage für 285 Euro oder einer Reise ins Disneyland Paris für 916 Euro | |
| revanchiert. Und nach dem NSU-Auffliegen entdeckten Ermittler bei den | |
| Emingers eine Bilddatei mit Totenköpfen und dem Spruch: „Es ist nicht alle | |
| Tage, wir kommen wieder, keine Frage.“ Dieser Satz ertönt fast genauso am | |
| Ende des NSU-Bekennervideos. | |
| Und selbst zwei Jahre später wurde bei einer weiteren Durchsuchung im | |
| Wohnzimmer der Emingers eine Zeichnung entdeckt, über dem Fernseher und | |
| unter Bildern der eigenen Kinder: mit den Bildern von Mundlos und | |
| Böhnhardt, dazu eine Rune und in altdeutscher Schrift: „Unvergessen“. Als | |
| die Polizisten das Bild mitnehmen wollten, soll sich Andŕe Eminger „heftig“ | |
| dagegen gewehrt haben. Für den Bundesgerichtshof wirkt das Bild, zwei Jahre | |
| nach Offenbarung des Terrors, „wie eine Verherrlichung“ der NSU-Mitglieder. | |
| Susann Eminger schweigt bisher zu all dem. Schon bei einer | |
| Polizeivernehmung kurz nach Auffliegen des NSU verweigerte sie eine Aussage | |
| und beklagte nur, dass bei der Hausdurchsuchung die Spezialeinheit GSG9 | |
| angerückt war und die Presse sie belagern werde, sie habe nun | |
| Angstzustände. Auch im [3][NSU-Prozess] verweigerte sie die Aussage. Ihr | |
| Verteidiger ließ Anfragen der taz unbeantwortet. | |
| Ihr Mann André Eminger behauptet beim Besuch in Kirchberg, dass seine Frau | |
| mit der rechtsextremen Szene nichts zu tun habe. „Das ging alles von mir | |
| aus.“ Da haben allerdings nicht nur die Sicherheitsbehörden ihre Zweifel. | |
| In einem BKA-Papier wird Susann Eminger zumindest Anfang der 2000er Jahre | |
| als Teil der rechten Szene benannt. Auch ein früherer Szenebekannter | |
| attestierte ihr, dass sie politisch „die gleiche Richtung“ wie André | |
| Eminger hatte. Und auch der BGH hält es für „naheliegend“, dass sie „die | |
| ideologische Haltung ihres Ehemanns und der NSU-Mitglieder teilte“. | |
| André Eminger aber beteuert an der Haustür, dass er selbst sich seit Anfang | |
| 2019 aus dem Rechtsextremismus verabschiedet habe. Erst habe er den Kontakt | |
| zu früheren Szenebekannten abgebrochen, auch zu Zschäpe und den anderen | |
| NSU-Mitbeschuldigten. Dann habe er sich auch „von den Gedanken abgewendet“, | |
| seine strafbaren Tattoos „überhackt“. Und auch das Bild der Uwes, er | |
| schmunzelt, hänge natürlich schon lange nicht mehr im Wohnzimmer. | |
| Tatsächlich befindet sich André Eminger seit dem Sommer 2022 in einem | |
| Aussteigerprogramm, dem des Landes Sachsen. Es war eine Auflage des | |
| Oberlandesgericht München für die Aussetzung seiner Resthaftstrafe auf | |
| Bewährung. In dem Programm befindet sich Eminger nach taz-Informationen | |
| auch weiterhin. Er selbst bestätigt das auch in Kirchberg. Aber André | |
| Eminger behauptet nicht zum ersten Mal, die Szene verlassen zu haben. Schon | |
| als ihn 2003 der sächsische Verfassungsschutz als V-Mann anwerben wollte, | |
| gab er einen Ausstieg an und dass ihm die Familie nun das Wichtigste sei. | |
| In Wahrheit war er noch jahrelang aktiver Teil der Szene – und hielt | |
| Kontakt zum NSU-Trio. Und zumindest der Zeitpunkt des jetzigen Ausstiegs | |
| kann nicht stimmen. Denn noch bis zum Frühjahr 2022 hielt er Kontakt zum | |
| Mitverurteilten Ralf Wohlleben, traf ihn auch zum Grillen. Bis Oktober 2022 | |
| hatte er auch Briefkontakt mit der bayerischen Rechtsextremistin Susanne | |
| G., die wegen Anschlagsplänen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. | |
| In Briefen an sie ätzte er über „Antifanten“ und „Linksversiffte“, ho… | |
| bei einem rechten Aufmarsch, dass „alle vereint marschieren“. | |
| ## Freiwillig ins Aussteigerprogramm? | |
| Und die Aufnahme in das Aussteigerprogramm und der Kontaktabbruch zu den | |
| NSU-Beschuldigten waren eben auch Gerichtsauflagen. An der Haustür weist | |
| Eminger zurück, nur taktisch zu handeln. „Ich hätte das mit dem Programm | |
| nicht machen müssen. Die restlichen Haftmonate hätte ich auf einer Backe | |
| absitzen können. Aber ich wollte das alles nicht mehr. Im Nachhinein war | |
| das alles falsch.“ | |
| Hört man sich in der Region um, heißt es, dass die Emingers zuletzt | |
| tatsächlich nicht mehr in der rechtsextremen Szene auftauchten – die es | |
| auch in Kirchberg gibt. Sticker zeugen davon, sie kleben auch am | |
| Treppenaufgang des Neubaublocks, in dem der älteste Sohn der Emingers | |
| wohnt. „NS Zone“, lautet einer. Und es heißt vor Ort, unter Neonazis habe | |
| die Familie durchaus noch eine Art Heldenstatus. André Eminger zuckt die | |
| Schultern, erklärt, dazu könne er nichts sagen. „Ich hab da ja keinen | |
| Kontakt mehr.“ | |
| Im Prozess rechnet das Gericht nun mit einer aufwändigen Beweisaufnahme, | |
| angesetzt sind Termine bis Ende Juni 2026. Ob es noch Aufklärung gibt, | |
| hängt nun vor allem an einer Person: Beate Zschäpe. Am 3. und 4. Dezember | |
| soll sie im Prozess als Zeugin aussagen, herangefahren aus der JVA | |
| Chemnitz, wo sie ihre Haftstrafe absitzt. Ihr Anwalt Matthias Grasel sagte | |
| der taz, er gehe davon, dass seine Mandantin so aussagen wird wie bisher. | |
| Heißt: Belasten wird Zschäpe ihre einst beste Freundin wohl nicht. | |
| Dabei könnte es Zschäpe helfen auszupacken. Denn nächstes Jahr entscheidet | |
| sich für sie, wie viele Restjahre sie noch in Haft verbüßen muss. Und | |
| tatsächlich beteuert inzwischen auch Zschäpe, sich vom Rechtsextremismus | |
| abgewandt zu haben. Sie befindet sich nun ebenfalls in einem | |
| Aussteigerprogramm, bei Exit. André Eminger will nicht sagen, für wie | |
| glaubhaft er das hält. „Das muss sie für sich wissen.“ | |
| Andere werden da deutlicher. Gamze Kubaşık nennt es „unerträglich, dass | |
| Zschäpe ohne erkennbare Reue in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde“. | |
| Sie habe bis heute nichts wirklich zur Aufklärung des Terrors beigetragen, | |
| ihr behaupteter Ausstieg sei nur ein Versuch, früher aus der Haft zu | |
| kommen. Kubaşık und weitere Opferangehörige initiierten inzwischen eine | |
| Petition, die fordert, eine Aufnahme Zschäpes bei Exit rückgängig zu | |
| machen. Gut 150.000 Unterschriften erzielte diese, die Angehörigen | |
| übergaben sie zuletzt vor dem Bundestag an Abgeordnete. Exit selbst sagt, | |
| aus rechtlichen Gründen könne man sich nicht „zu personenbezogenen | |
| Sachverhalten“ äußern. | |
| Und für Gamze Kubaşık ist es auch unbegreiflich, dass bisher keine weiteren | |
| NSU-Helfer mehr vor Gericht standen. Dass es diese gab, steht für sie außer | |
| Zweifel. Woher kamen sonst die Waffen? Wie kamen die Mörder sonst auf die | |
| Opfer? Und Susann Eminger gehörte für Kubaşık zweifelsfrei zu diesen | |
| Helfern. „Für mich war das schon im NSU-Prozess offensichtlich, dass sie, | |
| genauso wie ihr Ehemann André Eminger, Helferin und Unterstützerin des NSU | |
| war und eine Mitschuld an den Morden trägt“, sagt die 40-Jährige. | |
| André Eminger dagegen wirkt an seinem Haus in Kirchberg nicht übermäßig | |
| besorgt über den Prozess gegen seine Frau. Man solle einfach mal abwarten, | |
| was da rauskommt, sagt er. Dann verschwindet er wieder in seine Wohnung. Es | |
| dürfte sein eigener Fall sein, der ihn beruhigt: Wenn selbst er, der engste | |
| Vertraute des NSU-Trios, mit zweieinhalb Jahren Haft davonkommt, dürfte es | |
| für seine Frau kaum mehr werden. Andererseits verhandelt nun am | |
| Oberlandesgericht ein anderer Senat über ihren Fall, als der, der ihn | |
| zunächst abwies. Und im Raum stehen weiterhin bis zu zehn Jahre Haft. | |
| Würde Susann Eminger wirklich verurteilt, wäre es für sie erst mal vorbei | |
| mit der Idylle in Kirchberg. Und dann gäbe es doch noch einmal ein Urteil | |
| zum NSU-Terror. Für Gamze Kubaşık wäre das ein Stück Gerechtigkeit. Aber es | |
| wäre noch nicht das Ende. „Wir werden weiter für vollständige Aufklärung | |
| kämpfen“, sagt die Dortmunderin. „Einen Schlussstrich darf es erst geben, | |
| wenn alle, die an den NSU-Morden beteiligt waren, ihre gerechte Strafe | |
| erhalten haben.“ | |
| 4 Nov 2025 | |
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