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# taz.de -- Linken droht Auslieferung nach Ungarn: Der Härtefall
> Deutsche Linke sollen in Budapest Rechtsextreme angegriffen haben. Zaid
> A. droht die Auslieferung nach Ungarn. Tobias E. war dort bereits in
> Haft.
Bild: Protest gegen die Auslieferungen nach Ungarn: Mehr als 1.000 Menschen gin…
Gerade erst, sagt Zaid A., habe er wieder geträumt, dass er mit Freunden
unterwegs sei, draußen in der Stadt. „Und dann bin ich aufgewacht und hab
die Gitter gesehen. Da war sofort wieder klar, wo ich bin.“ In einer Zelle,
wenige Quadratmeter groß, in der JVA Köln, draußen am Stadtrand. Und das
schon seit zwei Monaten. Zu Hause war Zaid A. noch viel länger nicht, zwei
Jahre schon nicht mehr. Seit der Sache mit Budapest.
Zaid A. sitzt am Dienstag im kargen, blassgelb gestrichenen Besuchsraum der
JVA Köln, als er davon erzählt. Ein Wärter hat ihn hereingeführt, ein
zweiter in der Ecke Platz genommen, er verfolgt das ganze Gespräch. Zaid A.
trägt eine blaue Pulloverjacke, die dunklen Haare kurz, setzt sich an einen
kleinen Holztisch, das einzige Möbelstück im Raum. Er lächelt. Es gehe ihm
„eher gut“, sagt der 21-Jährige. „Ich versuche klarzukommen, das Beste a…
der Situation zu machen. Was als Nächstes kommt, liegt ja nicht in meiner
Hand.“
Die Situation ist die: dass Zaid A. demnächst in einem ganz anderen
Gefängnis sitzen könnte – in einem in Ungarn. Dorthin droht dem Nürnberger
und gebürtigen Syrer die Auslieferung. Die Haft in der JVA Köln, in der
sich Zaid A. derzeit befindet, ist bereits die Auslieferungshaft. Denn das
rechtsautoritär regierte Ungarn unter Viktor Orbán will ihn dort vor
Gericht sehen.
Im Februar 2023 soll Zaid A. [1][mit anderen Linken aus Deutschland und
Italien Rechtsextreme in Budapest angegriffen haben]. Diese hatten sich
dort, wie jedes Jahr, zu ihrem „Tag der Ehre“ versammelt, um den letzten
„Widerstand“ von SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee belagerten
Budapest zu glorifizieren. Aufmarschiert wird in Uniformen und Stahlhelmen,
gezeigt werden Hakenkreuze und Hitlergrüße. Vor zwei Jahren aber gab es
gewalttätigen Gegenprotest.
Vermummte griffen vor und nach dem Aufmarsch insgesamt neun Personen an,
die sie als Teilnehmende des Neonazi-Treffens ausmachten. Aus einer
mehrköpfigen Gruppe heraus prügelten sie auf diese ein, auch mit
Schlagstöcken. Nach 30 Sekunden rannten sie auf ein Signal davon. Laut den
ungarischen Ermittlern erlitten die Angegriffenen Kopfplatzwunden,
Prellungen und Knochenbrüche. Verletzungen, die lebensgefährlich hätten
sein können.
## Weder menschenrechtskonforme Haftbedingungen noch ein faires Verfahren
Mitverantwortlich dafür soll auch Zaid A. gewesen sein. Ungarische und
deutsche Ermittler berufen sich dabei auf Videoaufnahmen und
Zeugenaussagen. Welche genau, wissen Zaid A. und seine Anwältin Anna Busl
allerdings nicht. „Die Beweislage ist bisher völlig undurchsichtig“, sagt
Busl. „Wir kennen nur den ungarischen Auslieferungsantrag, und der bleibt
oberflächlich.“ Busl aber warnt eindringlich: In Ungarn würden Zaid A.
weder menschenrechtskonforme Haftbedingungen erwarten noch ein faires
Verfahren – umso mehr nicht, als er Linker und Migrant ist. „Es darf unter
keinen Umständen eine Auslieferung erfolgen.“
Klar ist: Noch vor Ort in Budapest werden am 11. Februar 2023 zwei
Berliner*innen festgenommen, [2][Tobias E. und Anna M.], und die
Italienerin Ilaria Salis, die später bekannt wird, weil sie für eine
italienische Linkspartei ins Europaparlament einzieht. Nach den anderen
Angreifer*innen suchen ungarische Behörden mit einer Großfahndung, mit
Steckbriefen und Fotos – nach insgesamt elf Deutschen. Allesamt sind es
junge Linke, die meisten Anfang zwanzig, viele aus Sachsen oder Thüringen.
Einer von ihnen: Zaid A.
Doch die Gesuchten tauchen unter. Zwei Jahre sind sie für die deutschen und
ungarischen Fahnder nicht zu finden. Diese befragen Angehörige, hören
Telefone ab, beschatten Familienfeste – ohne Erfolg. Bis sich vor zwei
Monaten, am 20. Januar, [3][sieben der neun Gesuchten überraschend
freiwillig der Polizei stellen], in Köln, Hamm, Kiel und Bremen. Auch Zaid
A. ist darunter. Seitdem sitzt er in der JVA Köln.
War er in Budapest dabei? Zu seinem Verfahren darf Zaid A. in der JVA Köln
nichts sagen, so lautet die Vorgabe der JVA. Der Angestellte im
Besucherraum wacht darüber. Aber über die drohende Auslieferung kann Zaid
A. sprechen. Natürlich kreisten seine Gedanken ständig darum, sagt er.
„Diese Gedanken sind Dauerstress.“ Die Entscheidung mache einen „massiven
Unterschied“, wie sein Leben weitergehe. „Es steht fünfzig-fünfzig.“
Dabei sah alles mal ganz anders aus. Im August 2014 war die Familie nach
Deutschland gekommen, geflohen aus Syrien, in dem der Bürgerkrieg tobte.
Die Familie landete erst in Sammelunterkünften, dann wurde sie nach
Nürnberg geschickt. Die Eltern bauten sich ein Unternehmen auf. Zaid kam
als 11-Jähriger in die sechste Klasse, schloss sich direkt einem Orchester
an, in dem er Geige spielte. „Weit überdurchschnittlich“ sei er dort über
Jahre engagiert gewesen, später auch im Orchestervorstand, heißt es dort.
Über ein Konzert schreibt eine Lokalzeitung, Zaid A.s Geigenspiel
„begeisterte“ mit „großer Klangschönheit“. Er macht sein Abitur, abso…
ein Freies Soziales Jahr an einer Schule. Und er geht auch auf Demos. Er
sei schon immer politisch interessiert gewesen, sagt Zaid A. in der JVA.
Antirassismus sei ein großes Thema für ihn. Er will Lehrer werden, geht
dafür zum Studium nach Köln.
„Bis dahin war alles perfekt“, sagt Alia A., die Mutter von Zaid A., die
eigentlich anders heißt, ihren Namen aber nicht öffentlich machen will.
Dann kam der Februar 2023. Und Zaid A. tauchte ab. „Es begann eine schlimme
Zeit“, sagt Alia A. „Wir haben uns immer Sorgen gemacht. Wo schläft er? Wie
verbringt er seine Zeit? Geht es ihm gut?“
Es sind nicht nur ungarische, sondern auch deutsche Sicherheitsbehörden,
die in dieser Zeit warnen: [4][Die brutalen Angriffe der Linken hätten eine
neue Qualität] – denn schon ab 2018 verübte eine [5][Gruppe um die
Leipzigerin Lina E.] in Sachsen und Thüringen ähnliche Angriffe auf
Rechtsextreme. Es drohe eine Radikalisierung der Untergetauchten, sagt
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Der Verfassungsschutz sieht
die Szene „an der Schwelle zum Linksterrorismus“.
Im Dezember 2023 gelingt den Fahndern eine erste Festnahme: Sie fassen Maja
T. in einem Berliner Hotel, eine nonbinäre Thüringer*in. [6][Es ist der
Fall, der später zum Politikum wird]. Auch Maja T. soll bei zwei Angriffen
in Budapest dabei gewesen sein, wird in der JVA Dresden inhaftiert. Am
Abend des 27. Juni 2024 gibt das Kammergericht Berlin dem
Auslieferungsersuchen Ungarns statt. Noch in der Nacht wird Maja T. vom
sächsischen LKA in einem Helikopter nach Österreich geflogen, von dort nach
Budapest gefahren. All dies, noch ehe das Bundesverfassungsgericht über
eine Eilbeschwerde von T.s Anwälten gegen die Auslieferung entscheiden
kann. Als Karlsruhe dieser tags darauf stattgibt, ist Maja T. bereits in
Ungarn – der Beschluss bleibt folgenlos.
## Vergeblicher Versuch eines Deals mit der Bundesanwaltschaft
Die anderen Abgetauchten aber bleiben verschwunden. Doch sie halten Kontakt
zu ihren Anwält*innen, die der Bundesanwaltschaft ein Angebot machen:
Sollte diese zusichern, dass die Verfahren in Deutschland geführt werden,
würden sich die Gesuchten stellen. Doch die Bundesanwaltschaft macht diese
Zusicherung nicht.
In Briefen aus der ungarischen Haft beklagt Maja T. derweil eine andauernde
Isolationshaft. Es gebe Bettwanzen und Kakerlaken, verweigerte Arztbesuche,
fehlendes gesundes Essen, kein Tageslicht in der Zelle. Regelmäßig müsse
T. sich entkleiden, ihr werde Schlaf entzogen, weil nachts stündlich das
Licht angeschaltet werde. In anderen Zellen würden Inhaftierte verprügelt.
„Ich höre Schreie und Schläge.“
Und trotzdem stellen sich am 20. Januar Zaid A. und die anderen sechs der
deutschen Polizei. Warum? Er habe lange auf eine Zusicherung der
Bundesanwaltschaft gehofft, sagt Zaid A. „Aber da war keinerlei Willen, nur
Härte.“ Die Perspektive sei dann gewesen, verschwunden zu bleiben, für sehr
lange Zeit. „Das wäre schon möglich gewesen, es war durchaus eine
selbstbestimmte Zeit.“ Gleichzeitig sei er 21 Jahre, habe noch was vor mit
seinem Leben, wollte „zurück in die Normalität, zumindest so weit es geht�…
## Europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns
Also fuhr Zaid A. am Morgen des 20. Januar mit seiner Anwältin Anna Busl
und einer weiteren Gesuchten zum wuchtigen Bau des Polizeipräsidium Köln,
holte sich vorher noch ein kleines Frühstück und einen Tee. Er werde
gesucht, habe er dort erklärt, und seine Papiere vorgelegt. „Die waren
total überfordert.“ Über eine Stunde habe er anschließend im Warteraum
gesessen, bis die Beamten geklärt hatten, dass Zaid A. tatsächlich gesucht
wurde. „Ich hätte jederzeit wieder gehen können.“ Aber der 21-Jährige bl…
sitzen. Dann wurde er festgenommen.
Was an dem Tag allerdings erst richtig klar wurde: Gegen Zaid A. lag nur
ein europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns vor, keiner der
Bundesanwaltschaft. Denn Zaid A. ist kein deutscher Staatsbürger. Sein
Einbürgerungsprozess lief noch, stand kurz vorm Abschluss – inzwischen ruht
er. Für einen Nichtdeutschen, dem eine Straftat im Ausland vorgeworfen
wird, aber sieht sich die Bundesanwaltschaft nicht zuständig. Während die
anderen sechs Haftbefehle vom Bundesgerichtshof bekamen, wanderte Zaid A.
direkt in Auslieferungshaft.
Inzwischen aber sprach sich die Bundesanwaltschaft für die anderen sechs
Festgenommenen gegen eine Auslieferung aus: Es sei „vorrangig“, ihre
Verfahren in Deutschland zu führen. Für Zaid A. aber wurde diese Ansage
nicht erteilt. Ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, wo die
Verfahren derzeit gebündelt werden, sagte der taz, zu allen Verfahren, die
bisher eingetroffen seien, werde man einen Antrag auf Nichtauslieferung
stellen. Der Fall von Zaid A. ist bisher nicht dabei.
Der 21-Jährige kann das nicht nachvollziehen. „Ich bin hier aufgewachsen,
spreche besser Deutsch als Arabisch. Ich bin mit Deutschland weit mehr
verbunden als mit Syrien.“ Auch seine Mutter Alia A. sagt, sie liebe dieses
Land, habe hier ihre Kinder großgezogen. Nun aber heißt es, ihr Sohn sei
kein Teil dieses Landes, auch nach zehn Jahren nicht. „Das tut wirklich
weh.“
Anwältin Anna Busl wird ebenso deutlich. „Meinem Mandanten werden dieselben
Taten wie den anderen sechs Beschuldigten vorgeworfen“, sagt Busl. „Wenn
also die anderen nicht nach Ungarn ausgeliefert werden und ihnen in
Deutschland ein Prozess gemacht wird, dann muss das auch für meinen
Mandanten gelten. Da gibt es eigentlich gar nichts zu diskutieren.“
Alia A. konnte mit ihrem Mann und einer Tochter inzwischen einmal ihren
Sohn besuchen, seit er in Haft ist. Es war auch eine Erleichterung. „Wir
wussten jetzt, wo er ist. Und dass es ihm gut geht.“ Aber seitdem sei da
wieder eine Angst. Die Angst, dass ihr Sohn wieder verschwindet. Nun nach
Ungarn. „Diese Angst hat mir schon viele Nächte den Schlaf geraubt.“
Und für Zaid A. steht auch aufenthaltsrechtlich viel auf dem Spiel. Seit
dem Sturz von Assad in Syrien steht der Geflüchtetenstatus von
Syrer*innen hierzulande generell infrage. Die Bundesregierung drohte
zuletzt wiederholt kriminellen Geflüchteten mit Abschiebungen, explizit
auch Syrier*innen. Auch solchen, die noch nicht verurteilt sind.
Wusste er, dass sein Fall kompliziert wird, komplizierter als die anderen?
Zaid A. hält kurz inne. „Dass es so schwierig wird, war nicht klar.“ Bereue
er es, dass er sich gestellt habe? „Nein. Allein für die anderen hat es
sich ja schon gelohnt.“
Was Zaid A. aber droht, zeigt weiter der Fall Maja T.. Als im Februar das
Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde von T. recht gibt und
die Auslieferung nachträglich für rechtswidrig erklärt, weil das Berliner
Kammergericht die Haftbedingungen für Maja T. als nonbinäre Person „nicht
hinreichend aufgeklärt“ habe, läuft die Nachricht in Zaid A.s Zelle über
den Fernseher. „Das hat mich wütend gemacht. Das war ja wie eine
Entführung. Das reiht sich ein in die weltweite Entwicklung, in der sich
Autoritäre über das Recht stellen.“ Wenige Tage später begann dann in
Budapest der Prozess gegen Maja T. [7][In den Saal geführt wurde T. in
Fußfesseln und an einer Leine.] Die Staatsanwaltschaft bot einen Deal an:
14 Jahre gegen ein Geständnis. Maja T. lehnte ab. Nun drohen bis zu 24
Jahre Haft. „Es ist sehr schwer, auf Menschenrechte zu hoffen, wenn Fälle
wie Maja passieren“, sagt Zaid A.
Wie es ist, in Ungarn inhaftiert zu sein, [8][hat auch Tobias E. erlebt].
Er war es, der am 11. Februar 2023 noch in Budapest festgenommen wurde. Die
Polizei war auf eine Personengruppe aufmerksam geworden, hatte diese
verfolgt und Tobias E. und zwei andere schließlich aus einem Taxi gezerrt.
Dann verschwand E. für fast zwei Jahre in ungarischer Haft.
Inzwischen sitzt der 31-Jährige in Deutschland in Haft, in der JVA Burg,
einem Hochsicherheitsgefängnis auf einem Acker in Sachsen-Anhalt. Wer hier
zu Tobias E. gelangen will, muss penible Kontrollen durchlaufen, sieben
Türen müssen sich öffnen. Auch Tobias E. wird in einen nackten grauen
Besucherraum geführt, in schwarzer Trainingsjacke, die Haare gescheitelt.
Er wirkt aufgeräumt. „Die Leute hier drin beschweren sich ja über alles
Mögliche“, sagt der 31-Jährige. „Aber das hier ist alles nichts im
Vergleich zu Ungarn.“
Auch Tobias E. kann nichts zu den Vorwürfen aus Ungarn sagen – auch bei
seinem Gespräch sitzt ein JVA-Mitarbeiter in der Ecke, dazu noch eine Frau
vom Landeskriminalamt. Aber Tobias E. kann über seine Haftzeit in Ungarn
berichten. Als er festgenommen wurde, sei er erst mal in ein Gefängnis
außerhalb von Budapest gebracht worden, anfangs ohne Kontakt zu einem
Anwalt, erzählt er. „Die Wärter begrüßten mich mit Sieg-Heil-Rufen.“ Sp…
sei er in ein Gefängnis nach Budapest gekommen. Die Erfahrungen seien dort
die gleichen gewesen: „Gewalt und Willkür.“
Er sei in Zellen mit ein oder zwei anderen Gefangenen gewesen, erzählt
Tobias E. Es habe Kakerlaken und Bettwanzen gegeben. Im Winter sei es
klirrend kalt und gleichzeitig verboten gewesen, sich in Bettdecken zu
hüllen. Im Sommer wiederum so heiß, dass Gefangene kollabierten. Auch
nachts habe es Zellenkontrollen gegeben, regelmäßig musste man sich dafür
komplett ausziehen. Das Essen habe aus Reis oder zerklumpten Nudeln
bestanden. Strom wurde oft über Stunden abgestellt, auch als
Kollektivstrafe. In Duschräume habe man nur sporadisch gedurft – oft, ohne
dass es dort Wasser gab. Viele Gefangene seien krank geworden, wären mit
Bissen übersät gewesen. „Ich hatte zum Glück nur Ausschlag und einen
zerstörten Backenzahn nach einer Zahn-OP im Gefängnis.“
## Prügel im Duschraum – wo es keine Kameras gibt
Schlimmer aber sei die Gewalt gewesen, sagt Tobias E. Er habe versucht,
sich möglichst unauffällig zu verhalten und so unter dem Radar der Wärter
zu bleiben. Andere Gefangene aber seien wegen Nichtigkeiten oder
inszenierter Anlässe von Wärtern oder „vermummten Kommandos“ verprügelt
worden – im Duschraum, wo es keine Kameras gab. Oder offen im Flur, selbst
als Konsulatsangehörige vor Ort waren. „Es geschah ständig und war völlig
unberechenbar.“ Gefangene hätten Knochenbrüche von den Attacken erlitten.
Ein älterer Gefangener, ein Algerier, habe danach Atemnot bekommen, er sei
gestorben.
Und Tobias E. bemerkte schnell Hierarchien. Als Nicht-Ungar habe er weniger
Essen bekommen, wurde häufiger beschimpft. Als Weißer sei es ihm aber immer
noch besser ergangen als arabischen Gefangenen. „Die wurden mit
Ziegenlauten provoziert. Es war menschenverachtend.“ Die deutsche Botschaft
habe von den Zuständen gewusst, ist Tobias E. überzeugt. „Aber sie haben
nichts dagegen gemacht. Ich habe meiner Familie gesagt, sie sollten mich
bitte nicht besuchen kommen, weil es so schrecklich war.“
Die Berichte von Tobias E. lassen sich schwer überprüfen. Aber auch NGOs
wie das ungarische Helsinki-Komitee warnen vor Gewalt durch Haftpersonal in
ungarischen Gefängnissen, vor Isolationshaft und schlechter Hygiene. Zudem
gebe es politische Einflussnahme auf Verfahren. Auch die EU-Kommission
rügte wiederholt die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn.
Tobias E. stand schließlich am 29. Januar 2024 vor einem Budapester Gericht
– dem gleichen, in dem nun auch Maja T. der Prozess gemacht wird. Die
Anklage: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Einen konkreten
Angriff konnte die Staatsanwaltschaft Tobias E. nicht nachweisen. Anders
als Maja T. ließ er sich auf einen Deal ein. Auch dazu will Tobias E. sich
nicht äußern. [9][Der Berliner wurde schließlich zu drei Jahren Haft
verurteilt], die sein ungarischer Anwalt später auf ein Jahr und zehn
Monate absenken konnte. Mit der angerechneten U-Haft saß er die Strafe bis
zum letzten Tag in Ungarn ab.
„Ich wollte nur nach Hause, hatte schon Flugtickets, es war alles
gebucht“, erzählt Tobias E. Dann aber beantragte die Bundesanwaltschaft
seine erneute Festnahme – und seine Auslieferung nach Deutschland. Weil dem
31-Jährigen hierzulande zwei weitere Angriffe vorgeworfen wurden, 2019 in
Dessau und Eisenach, hier als Teil der Lina-E.-Gruppe. Tobias E. wurde am
20. Dezember nach Frankfurt/Main ausgeflogen, dort sofort wieder
festgenommen. Seitdem sitzt er in der JVA Burg, wartet nun auf seine
nächste Anklage. „Das ist alles sehr fragwürdig“, findet seine Anwältin
Anna Luczak. Gerade die Beweise für den Angriff in Dessau seien dünn, auch
dürfe es am Ende keine Doppelbestrafung geben. „Und die erneute Haft ist
völlig unnötig. Mein Mandant hat sich nie einem Verfahren entzogen, er
würde sich auch den neuen Vorwürfen stellen.“
Für Zaid A. sieht das seine Anwältin Anna Busl nicht anders, hält dessen
Haft für ebenso unbegründet. Da dieser sich selbst gestellt habe, sei eine
Fluchtgefahr abwegig. Busl stellte bereits einen Antrag auf Haftverschonung
von Zaid A. Darüber ist bisher noch nicht entschieden.
Inzwischen aber beschäftigen die Budapest-Fälle auch das Auswärtige Amt von
Noch-Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die Bundesregierung. Die
Vorführung von Maja T. beim Prozess in Budapest nannte auch das Ministerium
„befremdlich“ und versicherte, man setzte sich „intensiv“ für den Fall…
Maja T.s Anwälte kritisierten dagegen, davon bekomme man nicht viel mit. Zu
den Auslieferungsersuchen heißt es aus dem Auswärtigen Amt, dies sei allein
eine Frage der Justiz, die Bundesregierung spiele hier keine Rolle.
## Kommende Woche wird über drei Auslieferungsverfahren entschieden
Dabei zeigte ausgerechnet das von der Postfaschistin Giorgia Meloni
regierte Italien, das es anders geht. Im Fall der ebenfalls in Budapest
gefassten Ilaria Salis bestellte es den ungarischen Botschafter ein, als
auch Salis in Ketten vor Gericht vorgeführt wurde. Die kam danach erst in
Hausarrest, [10][dann erhielt sie Immunität, weil sie ins Europaparlament
einzog]. Die Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester
Angriffe lehnte ein Mailänder Gericht ab.
Es sei bitter, dass Deutschland so wenig Druck auf Ungarn mache, sagt Zaid
A. in der JVA Köln. „Dabei sagt doch selbst das Bundesverfassungsgericht,
dass das rechtswidrig war.“ Käme es in seinem Fall zur Auslieferung, wäre
es wohl noch unwahrscheinlicher, dass sich das Auswärtige Amt für ihn, den
Syrer, einsetze. „Dann wäre mein Schutz komplett weg.“
Dafür setzen sich nun andere für Zaid A. ein. In Nürnberg und anderen
Städten, auch vor der JVA Köln, protestierten Antifa-Gruppen, um eine
Auslieferung von ihm und den anderen zu verhindern. Freunde aus dem
Orchester planen eine Aktion. Er komme kaum hinterher, Briefe zu
beantworten, sagt Zaid A. Das alles sei eine „super Stütze, man fühlt sich
nicht allein“.
Auch die Linken-Neubundestagsabgeordnete Lea Reisner ist beim Besuch bei
Zaid A. im Gefängnis dabei. Auch sie empört der Fall. „Zaid darf unter
keinen Umständen nach Ungarn ausgeliefert werden“, sagt sie. Die
Rechtsstaatlichkeit stehe dort seit Jahren in der Kritik, es drohe ihm eine
„unmenschliche Behandlung“ und eine „unrechtmäßige Abschiebung nach
Syrien“. „Das wäre ein klarer Verstoß gegen internationales Recht.“
Tatsächlich könnte sich die Sache bald entscheiden. Eine Sprecherin des
Berliner Kammergerichts erklärte der taz, dass dort kommende Woche über die
ersten drei Auslieferungsverfahren der im Januar Festgenommenen entschieden
werde. Zaid A.s Fall gehört nicht dazu. Würde hier am Ende tatsächlich auf
eine Auslieferung entschieden, will seine Anwältin durch alle Instanzen
gehen. Aber auch bei einem Prozess in Deutschland wäre der Ausgang offen.
Erst zuletzt klagte die Bundesanwaltschaft eine Beschuldigte der
Budapest-Angriffe, die Nürnberger Kunststudentin Hanna S., vor dem
Oberlandesgericht München an. Der Vorwurf: versuchter Mord.
Alia A., die Mutter von Zaid A., hofft trotzdem auf einen Prozess
hierzulande. „Wenn er nach Ungarn muss, ist seine Zukunft zerstört. Hier in
Deutschland hätte er immer noch eine Chance.“ Auch Zaid A. selbst hofft auf
diese Chance. Wenn er irgendwann wieder frei sei, würde es mit dem
Lehrerjob nun wohl schwierig, meint der 21-Jährige. Aber er würde dann
etwas anderes studieren oder vielleicht auch etwas Handwerkliches machen.
In der JVA hilft er nun anderen, übersetzt für sie Dokumente. Er sei hier
„eine Art Hobbyanwalt“, sagt er und lacht. Und er spielt viel Gitarre,
dies wurde ihm in der Zelle erlaubt. Zaid A. versucht jetzt wieder das
Beste aus der Situation zu machen. Und auf das Beste zu hoffen.
20 Mar 2025
## LINKS
[1] /Fahndung-gegen-Linksaussen/!5985352
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[5] /BGH-Urteil-zu-Lina-E/!6073363
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[7] /Prozess-gegen-Maja-T/!6068242
[8] /Urteil-gegen-deutschen-Autonomen/!5988475
[9] /Urteil-gegen-deutschen-Autonomen/!5988475
[10] /Aus-dem-Knast-nach-Bruessel/!6012511
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Konrad Litschko
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