| # taz.de -- Inhaftierte Antifaschist*in in Ungarn: Maja T. tritt in den Hungers… | |
| > Seit einem Jahr ist Antifaschist*in Maja T. in Ungarn in Haft, es | |
| > drohen bis zu 24 Jahre Gefängnis. Nun protestiert T. mit einem radikalen | |
| > Schritt. | |
| Bild: Vor Gericht in Ketten vorgeführt und nun im Hungerstreik: Maja T., hier … | |
| Berlin taz Am Freitag wird Maja T. wieder im ausladenden, holzvertäfelten | |
| Saal 36 des Budapester Stadtgerichts stehen. [1][Beim Prozessauftakt im | |
| Februar war die nonbinäre, 24-jährige Thüringer*in] dort in Fesseln und | |
| an einer Leine von vermummten Polizisten hereingeführt worden. Nun wird es | |
| wieder um die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gehen, die [2][Angriffe auf | |
| mehrere Rechtsextreme im Frühjahr 2023 in Budapest]. Diesmal aber will auch | |
| Maja T. das Wort ergreifen. Und sich zu ihrem Protest erklären: einem | |
| Hungerstreik, den T. am Donnerstag begann. | |
| „Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen“, heißt es in | |
| einer Erklärung von Maja T. „Hier in Ungarn bin ich in Isolationshaft | |
| lebendig begraben. Ich hoffe, bald nach Deutschland überstellt zu werden. | |
| Der Hungerstreik ist mein letzter Versuch, ein gerechtes Gerichtsverfahren | |
| zu erleben.“ | |
| Auch der Vater von Maja T., Wolfram Jarosch, äußerte sich. Immer wieder war | |
| er zuletzt in Budapest, im Gericht oder zu Besuch im Gefängnis. „Mein Kind | |
| greift zum letzten, verzweifelten Mittel“, erklärt Jarosch. Die Haft in | |
| Ungarn sei „so grausam und unmenschlich, dass ich diesen drastischen | |
| Schritt nachvollziehen kann und Maja mit aller Kraft unterstütze“. Er mache | |
| sich allerdings auch „große Sorgen“. „Keine Aufnahme von Nahrungsmitteln | |
| wird schnell lebensbedrohlich.“ | |
| ## „Höchste Zeit, Maja zurückzuholen“ | |
| Auch Sven Richwin, der Anwalt von Maja T., kann den Schritt nachvollziehen. | |
| „Nach vielen Monaten Isolationshaft und Schlafentzug durch stündliche | |
| Kontrollen erträgt Maja die Zustände einfach nicht mehr“, sagt Richwin der | |
| taz. „Die Verzweiflung lässt einen sehr traurig zurück. Und sie beschämt | |
| die politisch und juristisch Verantwortlichen für die rechtswidrige | |
| Auslieferung. Es ist höchste Zeit, Maja zurückzuholen.“ | |
| Der Hungerstreik ist die nächste Zuspitzung in einem Fall, der bereits | |
| zuvor Wogen schlug. Im Juni 2024 war Maja T. [3][von Dresden nach Ungarn | |
| ausgeliefert worden], in einer nächtlichen Hauruck-Aktion. Das Berliner | |
| Kammergericht hatte zuvor die Auslieferung genehmigt und auf ungarische | |
| Garantieerklärungen vertraut, die menschenrechtskonforme Haftbedingungen | |
| zusagte. Eine Eilbeschwerde der Verteidiger wartete das sächsische LKA | |
| nicht mehr ab, sondern flog Maja T. mit einem Hubschrauber aus. | |
| Später erklärte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung für | |
| rechtswidrig: Das Berliner Gericht habe die Haftbedingungen für Maja T. als | |
| nichtbinäre Person „nicht hinreichend aufgeklärt“. Da aber saß Maja T. | |
| schon in Budapest in Haft, in einem Gefängnis direkt neben dem Gericht, in | |
| einer Zelle, zwei mal drei Meter groß, in weitgehender Isolationshaft. | |
| Seitdem ist der Fall ein Politikum. Unterstützer*innen fordern schon | |
| länger die Rückholung von Maja T. nach Deutschland und einen fairen Prozess | |
| hierzulande. Aber die deutsche Bundesregierung und das Auswärtige Amt – | |
| zuletzt von der Grünen Annalena Baerbock geführt, jetzt von CDU-Mann | |
| Johann Wadephul – halten sich bisher bedeckt. Auch seit im Februar der | |
| Prozess gegen Maja T. begann und die Staatsanwaltschaft ihre Forderung | |
| vortrug: bis zu 24 Jahre Haft. | |
| Das Auswärtige Amt schickt Botschaftsmitarbeitende in den Prozess und | |
| äußerte sich zum Auftakt „befremdlich“ über die Vorführung von Maja T. … | |
| Ketten. Beteuert wird, sich „intensiv“ für den Fall einzusetzen. Die | |
| Anwälte von Maja T. dagegen erklärten, sie bekämen von dem Einsatz wenig | |
| mit. | |
| ## Spontane Kundgebungen in Hamburg und Berlin | |
| Mit dem Hungerstreik steigt nun der politische Druck. Noch für | |
| Donnerstagabend kündigten Unterstützer*innen eine Demonstration vor | |
| dem ungarischen Generalkonsulat in Hamburg an. Eine weitere soll am Freitag | |
| vor der ungarischen Botschaft in Berlin folgen – und dann eine bundesweite | |
| Demonstration am 14. Juni in Jena. | |
| Der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan nannte es „erschütternd, | |
| dass ein junger Mensch zu einem solch drastischen Mittel greifen muss, um | |
| von der Bundesregierung gehört zu werden“. Ein Hungerstreik sei keine | |
| symbolische Geste, sondern ein existenzieller Akt, der schwerwiegende | |
| gesundheitliche Folgen habe könne, warnte Schirdewan. „Die politischen und | |
| juristischen Verantwortlichen dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Majas | |
| Gesundheit und Leben auf dem Spiel steht, um ein Mindestmaß an einem | |
| gerechten Justizverfahren zu erhalten.“ Es sei „höchste Zeit, dass die | |
| Bundesregierung Verantwortung übernimmt und Maja zurück nach Deutschland | |
| holt – bevor es zu spät ist“. | |
| Auch der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg erklärte, wegen der | |
| rechtswidrigen Auslieferung von Maja T. seien deutsche Behörden, | |
| insbesondere das Auswärtige Amt, „in der Verantwortung für eine | |
| unmittelbare Rückkehr nach Deutschland zu kämpfen, mindestens aber für | |
| menschenwürdige Haftbedingungen“. Klar müsse sein, „dass Deutschland in | |
| diesen Verfahren niemanden mehr nach Ungarn überstellen darf“. | |
| Die Union und SPD aber blieben auch am Donnerstag vorerst still. Das | |
| Auswärtige Amt wiederholte auf taz-Anfrage nur, dass man „mit dem Fall | |
| befasst“ sei und sich für bessere Haftbedingungen einsetze. Über eine | |
| Beendigung der Untersuchungshaft von Maja T. oder eine Ausreise nach | |
| Deutschland aber entschieden ungarische Gerichte. | |
| Es sind wohl auch die Vorwürfe, welche die Zurückhaltung begründen. | |
| Zusammen mit anderen Autonomen soll Maja T. im Februar 2023 in Budapest | |
| mehrere Rechtsextreme am Rande des Großaufmarschs „Tag der Ehre“ | |
| angegriffen haben. Alljährlich treffen sich Neonazis aus ganz Europa in der | |
| Stadt, um den „Widerstand“ der SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee | |
| belagerten Budapest zu verherrlichen. Die Attackierten wurden teils schwer | |
| verletzt, erlitten Knochenbrüche und Platzwunden. | |
| Nach den Angriffen waren noch vor Ort zwei deutsche und eine italienische | |
| Linke festgenommen worden, weitere tauchten ab. Maja T. wurde von | |
| Zielfahndern schließlich [4][als Erste im Dezember 2023 in Berlin | |
| festgenommen]. Ein halbes Jahr später erfolgte die rechtswidrige | |
| Auslieferung nach Ungarn. | |
| In Briefen aus der Haft und nun auch in der Erklärung zum Hungerstreik | |
| [5][beklagt Maja T. die Haftbedingungen in Ungarn]: Es gebe Bettwanzen und | |
| Kakerlaken, durch stündliche Kontrollen sei kein Schlaf möglich, es gebe | |
| regelmäßig Intimkontrollen. Arztbesuche würden verweigert, es fehle | |
| gesundes Essen. In anderen Zellen würden Inhaftierte verprügelt. Fast sechs | |
| Monate lang habe gar kein Kontakt zu anderen Gefangenen bestanden, zuletzt | |
| höchstens eine Stunde am Tag. Es gehe darum, „bewusst seelischen und | |
| körperlichen Schaden hervorzurufen“. Auch kritisierte Maja T., keinen | |
| fairen Prozess zu erhalten: „Ich bin bereits verurteilt.“ Zudem gebe es bis | |
| heute „keine Wiedergutmachung“ für die rechtswidrige Auslieferung. Niemand | |
| sei dafür „zur Verantwortung gezogen“ worden. | |
| Erst beim jüngsten Verhandlungstag am Mittwoch hatte sich die Budapester | |
| Staatsanwaltschaft gegen einen erneuten Antrag der Verteidigung | |
| ausgesprochen, Maja T. zumindest in einen Hausarrest zu verlegen, was in | |
| Ungarn möglich ist. Die Entscheidung, in einen Hungerstreik zu treten, soll | |
| bei Maja T. aber schon länger gereift sein. | |
| ## Ungarische Justiz will Prozess normal fortführen | |
| Ein Sprecher des ungarischen Stadtgerichts sagte am Donnerstag der taz, der | |
| Prozess werde trotz des Hungerstreiks fortgesetzt. Der Richter habe nur | |
| dafür Sorge zu tragen, dass Angeklagte ihre Rechte im Prozess wahrnehmen | |
| könnten. Die ungarische Staatsanwaltschaft ließ eine Anfrage zunächst | |
| offen. | |
| Dabei zeigt sogar das von der Postfaschistin Georgia Meloni regierte | |
| Italien, dass man auch anders handeln kann. Als die in Budapest | |
| festgenommene Italienerin [6][Ilaria Salis] in Briefen aus der Haft die | |
| dortigen Zustände beklagte und ebenfalls in Ketten vor Gericht vorgeführt | |
| wurde, bestellte die Regierung den ungarischen Botschafter ein. Salis kam | |
| daraufhin erst in Hausarrest, dann erhielt sie Immunität, weil sie für eine | |
| italienische Linkspartei ins Europaparlament gewählt wurde. Die | |
| Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester Angriffe lehnte | |
| ein Mailänder Gericht ab. Und auch Frankreich verweigerte zuletzt die | |
| Auslieferung eines Beschuldigten, Gino A., nach Ungarn – mit Verweis auf | |
| dortige Haftbedingungen und Zweifeln an der Unabhängigkeit der Justiz. | |
| Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) hatte die Auslieferung von | |
| Maja T. dagegen für „beanstandungsfrei“ erklärt. Eine Rückholung sei | |
| rechtlich unmöglich. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht München versucht, | |
| Maja T. nach Deutschland zu holen – für eine Zeugenaussagen in einem | |
| Prozess gegen eine weitere Linke, der die Angriffe in Budapest vorgeworfen | |
| werden, Hanna S. Eine Auslieferung der Kunststudentin hatte Ungarn nicht | |
| beantragt, der Prozess gegen sie läuft seit Februar in München. Ungarn aber | |
| lehnte eine Überstellung von Maja T. ab – mit Verweis auf den eigenen | |
| laufenden Prozess in Budapest. | |
| [7][Bereits im Januar hatten sich dann weitere sieben gesuchte Linke | |
| gestellt], denen auch die Angriffe in Budapest vorgeworfen werden. Später | |
| stellte sich eine weitere Gesuchte. In all ihren Fällen hatte Ungarn eine | |
| Auslieferung beantragt. Die Verfahren wurden inzwischen beim Berliner | |
| Kammergericht gebündelt. Die Bundesanwaltschaft hatte sich hier aber | |
| bereits gegen eine Auslieferung ausgesprochen und erklärt, es sei | |
| „vorrangig“, die Verfahren in Deutschland zu führen. | |
| In einem Fall aber erfolgte diese Ansage nicht: [8][in dem des 21-jährigen | |
| Syrers Zaid A.], der in Nürnberg aufwuchs. Als Nichtdeutscher, dem eine Tat | |
| im Ausland vorgeworfen wird, droht ihm weiter die Auslieferung. Seine | |
| Anwälte hatten gerügt, dass für sein Auslieferungsverfahren nicht das | |
| Berliner Kammergericht, sondern das Oberlandesgericht Köln zuständig sei, | |
| wo sich Zaid A. gestellt hatte. Über die Rüge muss nun der | |
| Bundesgerichtshof entscheiden. Bis dahin fällt auch in den anderen | |
| Auslieferungsverfahren noch keine finale Entscheidung. | |
| ## Weitere Anklagen stehen kurz bevor | |
| Und die Bundesanwaltschaft macht noch mehr Druck. In Kürze soll auch eine | |
| Anklageerhebung der Bundesanwaltschaft gegen sieben weitere Linke erfolgen | |
| – vier von ihnen sitzen ebenfalls in Haft, drei sollen auch in Budapest | |
| dabei gewesen sein. Die sieben werden der Gruppe um [9][die Leipzigerin | |
| Lina E.] zugerechnet, die bereits vor zwei Jahren mit drei Mitangeklagten | |
| zu Haftstrafen wegen Angriffen auf Rechtsextreme verurteilt wurden. Alles | |
| in allem ist es das massivste Vorgehen der Bundesanwaltschaft gegen die | |
| linke Szene seit Jahren. | |
| Und so erklärt sich am Donnerstag Maja T. auch mit allen Antifas | |
| solidarisch, die im Budapest-Verfahren verfolgt werden. Und: Der | |
| Hungerstreik sei auch eine Forderung, „dass keine weiteren Menschen nach | |
| Ungarn ausgeliefert werden dürfen“. | |
| 5 Jun 2025 | |
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