| # taz.de -- Linken droht Auslieferung nach Ungarn: Der Härtefall | |
| > Deutsche Linke sollen in Budapest Rechtsextreme angegriffen haben. Zaid | |
| > A. droht die Auslieferung nach Ungarn. Tobias E. war dort bereits in | |
| > Haft. | |
| Bild: Protest gegen die Auslieferungen nach Ungarn: Mehr als 1.000 Menschen gin… | |
| Gerade erst, sagt Zaid A., habe er wieder geträumt, dass er mit Freunden | |
| unterwegs sei, draußen in der Stadt. „Und dann bin ich aufgewacht und hab | |
| die Gitter gesehen. Da war sofort wieder klar, wo ich bin.“ In einer Zelle, | |
| wenige Quadratmeter groß, in der JVA Köln, draußen am Stadtrand. Und das | |
| schon seit zwei Monaten. Zu Hause war Zaid A. noch viel länger nicht, zwei | |
| Jahre schon nicht mehr. Seit der Sache mit Budapest. | |
| Zaid A. sitzt am Dienstag im kargen, blassgelb gestrichenen Besuchsraum der | |
| JVA Köln, als er davon erzählt. Ein Wärter hat ihn hereingeführt, ein | |
| zweiter in der Ecke Platz genommen, er verfolgt das ganze Gespräch. Zaid A. | |
| trägt eine blaue Pulloverjacke, die dunklen Haare kurz, setzt sich an einen | |
| kleinen Holztisch, das einzige Möbelstück im Raum. Er lächelt. Es gehe ihm | |
| „eher gut“, sagt der 21-Jährige. „Ich versuche klarzukommen, das Beste a… | |
| der Situation zu machen. Was als Nächstes kommt, liegt ja nicht in meiner | |
| Hand.“ | |
| Die Situation ist die: dass Zaid A. demnächst in einem ganz anderen | |
| Gefängnis sitzen könnte – in einem in Ungarn. Dorthin droht dem Nürnberger | |
| und gebürtigen Syrer die Auslieferung. Die Haft in der JVA Köln, in der | |
| sich Zaid A. derzeit befindet, ist bereits die Auslieferungshaft. Denn das | |
| rechtsautoritär regierte Ungarn unter Viktor Orbán will ihn dort vor | |
| Gericht sehen. | |
| Im Februar 2023 soll Zaid A. [1][mit anderen Linken aus Deutschland und | |
| Italien Rechtsextreme in Budapest angegriffen haben]. Diese hatten sich | |
| dort, wie jedes Jahr, zu ihrem „Tag der Ehre“ versammelt, um den letzten | |
| „Widerstand“ von SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee belagerten | |
| Budapest zu glorifizieren. Aufmarschiert wird in Uniformen und Stahlhelmen, | |
| gezeigt werden Hakenkreuze und Hitlergrüße. Vor zwei Jahren aber gab es | |
| gewalttätigen Gegenprotest. | |
| Vermummte griffen vor und nach dem Aufmarsch insgesamt neun Personen an, | |
| die sie als Teilnehmende des Neonazi-Treffens ausmachten. Aus einer | |
| mehrköpfigen Gruppe heraus prügelten sie auf diese ein, auch mit | |
| Schlagstöcken. Nach 30 Sekunden rannten sie auf ein Signal davon. Laut den | |
| ungarischen Ermittlern erlitten die Angegriffenen Kopfplatzwunden, | |
| Prellungen und Knochenbrüche. Verletzungen, die lebensgefährlich hätten | |
| sein können. | |
| ## Weder menschenrechtskonforme Haftbedingungen noch ein faires Verfahren | |
| Mitverantwortlich dafür soll auch Zaid A. gewesen sein. Ungarische und | |
| deutsche Ermittler berufen sich dabei auf Videoaufnahmen und | |
| Zeugenaussagen. Welche genau, wissen Zaid A. und seine Anwältin Anna Busl | |
| allerdings nicht. „Die Beweislage ist bisher völlig undurchsichtig“, sagt | |
| Busl. „Wir kennen nur den ungarischen Auslieferungsantrag, und der bleibt | |
| oberflächlich.“ Busl aber warnt eindringlich: In Ungarn würden Zaid A. | |
| weder menschenrechtskonforme Haftbedingungen erwarten noch ein faires | |
| Verfahren – umso mehr nicht, als er Linker und Migrant ist. „Es darf unter | |
| keinen Umständen eine Auslieferung erfolgen.“ | |
| Klar ist: Noch vor Ort in Budapest werden am 11. Februar 2023 zwei | |
| Berliner*innen festgenommen, [2][Tobias E. und Anna M.], und die | |
| Italienerin Ilaria Salis, die später bekannt wird, weil sie für eine | |
| italienische Linkspartei ins Europaparlament einzieht. Nach den anderen | |
| Angreifer*innen suchen ungarische Behörden mit einer Großfahndung, mit | |
| Steckbriefen und Fotos – nach insgesamt elf Deutschen. Allesamt sind es | |
| junge Linke, die meisten Anfang zwanzig, viele aus Sachsen oder Thüringen. | |
| Einer von ihnen: Zaid A. | |
| Doch die Gesuchten tauchen unter. Zwei Jahre sind sie für die deutschen und | |
| ungarischen Fahnder nicht zu finden. Diese befragen Angehörige, hören | |
| Telefone ab, beschatten Familienfeste – ohne Erfolg. Bis sich vor zwei | |
| Monaten, am 20. Januar, [3][sieben der neun Gesuchten überraschend | |
| freiwillig der Polizei stellen], in Köln, Hamm, Kiel und Bremen. Auch Zaid | |
| A. ist darunter. Seitdem sitzt er in der JVA Köln. | |
| War er in Budapest dabei? Zu seinem Verfahren darf Zaid A. in der JVA Köln | |
| nichts sagen, so lautet die Vorgabe der JVA. Der Angestellte im | |
| Besucherraum wacht darüber. Aber über die drohende Auslieferung kann Zaid | |
| A. sprechen. Natürlich kreisten seine Gedanken ständig darum, sagt er. | |
| „Diese Gedanken sind Dauerstress.“ Die Entscheidung mache einen „massiven | |
| Unterschied“, wie sein Leben weitergehe. „Es steht fünfzig-fünfzig.“ | |
| Dabei sah alles mal ganz anders aus. Im August 2014 war die Familie nach | |
| Deutschland gekommen, geflohen aus Syrien, in dem der Bürgerkrieg tobte. | |
| Die Familie landete erst in Sammelunterkünften, dann wurde sie nach | |
| Nürnberg geschickt. Die Eltern bauten sich ein Unternehmen auf. Zaid kam | |
| als 11-Jähriger in die sechste Klasse, schloss sich direkt einem Orchester | |
| an, in dem er Geige spielte. „Weit überdurchschnittlich“ sei er dort über | |
| Jahre engagiert gewesen, später auch im Orchestervorstand, heißt es dort. | |
| Über ein Konzert schreibt eine Lokalzeitung, Zaid A.s Geigenspiel | |
| „begeisterte“ mit „großer Klangschönheit“. Er macht sein Abitur, abso… | |
| ein Freies Soziales Jahr an einer Schule. Und er geht auch auf Demos. Er | |
| sei schon immer politisch interessiert gewesen, sagt Zaid A. in der JVA. | |
| Antirassismus sei ein großes Thema für ihn. Er will Lehrer werden, geht | |
| dafür zum Studium nach Köln. | |
| „Bis dahin war alles perfekt“, sagt Alia A., die Mutter von Zaid A., die | |
| eigentlich anders heißt, ihren Namen aber nicht öffentlich machen will. | |
| Dann kam der Februar 2023. Und Zaid A. tauchte ab. „Es begann eine schlimme | |
| Zeit“, sagt Alia A. „Wir haben uns immer Sorgen gemacht. Wo schläft er? Wie | |
| verbringt er seine Zeit? Geht es ihm gut?“ | |
| Es sind nicht nur ungarische, sondern auch deutsche Sicherheitsbehörden, | |
| die in dieser Zeit warnen: [4][Die brutalen Angriffe der Linken hätten eine | |
| neue Qualität] – denn schon ab 2018 verübte eine [5][Gruppe um die | |
| Leipzigerin Lina E.] in Sachsen und Thüringen ähnliche Angriffe auf | |
| Rechtsextreme. Es drohe eine Radikalisierung der Untergetauchten, sagt | |
| Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Der Verfassungsschutz sieht | |
| die Szene „an der Schwelle zum Linksterrorismus“. | |
| Im Dezember 2023 gelingt den Fahndern eine erste Festnahme: Sie fassen Maja | |
| T. in einem Berliner Hotel, eine nonbinäre Thüringer*in. [6][Es ist der | |
| Fall, der später zum Politikum wird]. Auch Maja T. soll bei zwei Angriffen | |
| in Budapest dabei gewesen sein, wird in der JVA Dresden inhaftiert. Am | |
| Abend des 27. Juni 2024 gibt das Kammergericht Berlin dem | |
| Auslieferungsersuchen Ungarns statt. Noch in der Nacht wird Maja T. vom | |
| sächsischen LKA in einem Helikopter nach Österreich geflogen, von dort nach | |
| Budapest gefahren. All dies, noch ehe das Bundesverfassungsgericht über | |
| eine Eilbeschwerde von T.s Anwälten gegen die Auslieferung entscheiden | |
| kann. Als Karlsruhe dieser tags darauf stattgibt, ist Maja T. bereits in | |
| Ungarn – der Beschluss bleibt folgenlos. | |
| ## Vergeblicher Versuch eines Deals mit der Bundesanwaltschaft | |
| Die anderen Abgetauchten aber bleiben verschwunden. Doch sie halten Kontakt | |
| zu ihren Anwält*innen, die der Bundesanwaltschaft ein Angebot machen: | |
| Sollte diese zusichern, dass die Verfahren in Deutschland geführt werden, | |
| würden sich die Gesuchten stellen. Doch die Bundesanwaltschaft macht diese | |
| Zusicherung nicht. | |
| In Briefen aus der ungarischen Haft beklagt Maja T. derweil eine andauernde | |
| Isolationshaft. Es gebe Bettwanzen und Kakerlaken, verweigerte Arztbesuche, | |
| fehlendes gesundes Essen, kein Tageslicht in der Zelle. Regelmäßig müsse | |
| T. sich entkleiden, ihr werde Schlaf entzogen, weil nachts stündlich das | |
| Licht angeschaltet werde. In anderen Zellen würden Inhaftierte verprügelt. | |
| „Ich höre Schreie und Schläge.“ | |
| Und trotzdem stellen sich am 20. Januar Zaid A. und die anderen sechs der | |
| deutschen Polizei. Warum? Er habe lange auf eine Zusicherung der | |
| Bundesanwaltschaft gehofft, sagt Zaid A. „Aber da war keinerlei Willen, nur | |
| Härte.“ Die Perspektive sei dann gewesen, verschwunden zu bleiben, für sehr | |
| lange Zeit. „Das wäre schon möglich gewesen, es war durchaus eine | |
| selbstbestimmte Zeit.“ Gleichzeitig sei er 21 Jahre, habe noch was vor mit | |
| seinem Leben, wollte „zurück in die Normalität, zumindest so weit es geht�… | |
| ## Europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns | |
| Also fuhr Zaid A. am Morgen des 20. Januar mit seiner Anwältin Anna Busl | |
| und einer weiteren Gesuchten zum wuchtigen Bau des Polizeipräsidium Köln, | |
| holte sich vorher noch ein kleines Frühstück und einen Tee. Er werde | |
| gesucht, habe er dort erklärt, und seine Papiere vorgelegt. „Die waren | |
| total überfordert.“ Über eine Stunde habe er anschließend im Warteraum | |
| gesessen, bis die Beamten geklärt hatten, dass Zaid A. tatsächlich gesucht | |
| wurde. „Ich hätte jederzeit wieder gehen können.“ Aber der 21-Jährige bl… | |
| sitzen. Dann wurde er festgenommen. | |
| Was an dem Tag allerdings erst richtig klar wurde: Gegen Zaid A. lag nur | |
| ein europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns vor, keiner der | |
| Bundesanwaltschaft. Denn Zaid A. ist kein deutscher Staatsbürger. Sein | |
| Einbürgerungsprozess lief noch, stand kurz vorm Abschluss – inzwischen ruht | |
| er. Für einen Nichtdeutschen, dem eine Straftat im Ausland vorgeworfen | |
| wird, aber sieht sich die Bundesanwaltschaft nicht zuständig. Während die | |
| anderen sechs Haftbefehle vom Bundesgerichtshof bekamen, wanderte Zaid A. | |
| direkt in Auslieferungshaft. | |
| Inzwischen aber sprach sich die Bundesanwaltschaft für die anderen sechs | |
| Festgenommenen gegen eine Auslieferung aus: Es sei „vorrangig“, ihre | |
| Verfahren in Deutschland zu führen. Für Zaid A. aber wurde diese Ansage | |
| nicht erteilt. Ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, wo die | |
| Verfahren derzeit gebündelt werden, sagte der taz, zu allen Verfahren, die | |
| bisher eingetroffen seien, werde man einen Antrag auf Nichtauslieferung | |
| stellen. Der Fall von Zaid A. ist bisher nicht dabei. | |
| Der 21-Jährige kann das nicht nachvollziehen. „Ich bin hier aufgewachsen, | |
| spreche besser Deutsch als Arabisch. Ich bin mit Deutschland weit mehr | |
| verbunden als mit Syrien.“ Auch seine Mutter Alia A. sagt, sie liebe dieses | |
| Land, habe hier ihre Kinder großgezogen. Nun aber heißt es, ihr Sohn sei | |
| kein Teil dieses Landes, auch nach zehn Jahren nicht. „Das tut wirklich | |
| weh.“ | |
| Anwältin Anna Busl wird ebenso deutlich. „Meinem Mandanten werden dieselben | |
| Taten wie den anderen sechs Beschuldigten vorgeworfen“, sagt Busl. „Wenn | |
| also die anderen nicht nach Ungarn ausgeliefert werden und ihnen in | |
| Deutschland ein Prozess gemacht wird, dann muss das auch für meinen | |
| Mandanten gelten. Da gibt es eigentlich gar nichts zu diskutieren.“ | |
| Alia A. konnte mit ihrem Mann und einer Tochter inzwischen einmal ihren | |
| Sohn besuchen, seit er in Haft ist. Es war auch eine Erleichterung. „Wir | |
| wussten jetzt, wo er ist. Und dass es ihm gut geht.“ Aber seitdem sei da | |
| wieder eine Angst. Die Angst, dass ihr Sohn wieder verschwindet. Nun nach | |
| Ungarn. „Diese Angst hat mir schon viele Nächte den Schlaf geraubt.“ | |
| Und für Zaid A. steht auch aufenthaltsrechtlich viel auf dem Spiel. Seit | |
| dem Sturz von Assad in Syrien steht der Geflüchtetenstatus von | |
| Syrer*innen hierzulande generell infrage. Die Bundesregierung drohte | |
| zuletzt wiederholt kriminellen Geflüchteten mit Abschiebungen, explizit | |
| auch Syrier*innen. Auch solchen, die noch nicht verurteilt sind. | |
| Wusste er, dass sein Fall kompliziert wird, komplizierter als die anderen? | |
| Zaid A. hält kurz inne. „Dass es so schwierig wird, war nicht klar.“ Bereue | |
| er es, dass er sich gestellt habe? „Nein. Allein für die anderen hat es | |
| sich ja schon gelohnt.“ | |
| Was Zaid A. aber droht, zeigt weiter der Fall Maja T.. Als im Februar das | |
| Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde von T. recht gibt und | |
| die Auslieferung nachträglich für rechtswidrig erklärt, weil das Berliner | |
| Kammergericht die Haftbedingungen für Maja T. als nonbinäre Person „nicht | |
| hinreichend aufgeklärt“ habe, läuft die Nachricht in Zaid A.s Zelle über | |
| den Fernseher. „Das hat mich wütend gemacht. Das war ja wie eine | |
| Entführung. Das reiht sich ein in die weltweite Entwicklung, in der sich | |
| Autoritäre über das Recht stellen.“ Wenige Tage später begann dann in | |
| Budapest der Prozess gegen Maja T. [7][In den Saal geführt wurde T. in | |
| Fußfesseln und an einer Leine.] Die Staatsanwaltschaft bot einen Deal an: | |
| 14 Jahre gegen ein Geständnis. Maja T. lehnte ab. Nun drohen bis zu 24 | |
| Jahre Haft. „Es ist sehr schwer, auf Menschenrechte zu hoffen, wenn Fälle | |
| wie Maja passieren“, sagt Zaid A. | |
| Wie es ist, in Ungarn inhaftiert zu sein, [8][hat auch Tobias E. erlebt]. | |
| Er war es, der am 11. Februar 2023 noch in Budapest festgenommen wurde. Die | |
| Polizei war auf eine Personengruppe aufmerksam geworden, hatte diese | |
| verfolgt und Tobias E. und zwei andere schließlich aus einem Taxi gezerrt. | |
| Dann verschwand E. für fast zwei Jahre in ungarischer Haft. | |
| Inzwischen sitzt der 31-Jährige in Deutschland in Haft, in der JVA Burg, | |
| einem Hochsicherheitsgefängnis auf einem Acker in Sachsen-Anhalt. Wer hier | |
| zu Tobias E. gelangen will, muss penible Kontrollen durchlaufen, sieben | |
| Türen müssen sich öffnen. Auch Tobias E. wird in einen nackten grauen | |
| Besucherraum geführt, in schwarzer Trainingsjacke, die Haare gescheitelt. | |
| Er wirkt aufgeräumt. „Die Leute hier drin beschweren sich ja über alles | |
| Mögliche“, sagt der 31-Jährige. „Aber das hier ist alles nichts im | |
| Vergleich zu Ungarn.“ | |
| Auch Tobias E. kann nichts zu den Vorwürfen aus Ungarn sagen – auch bei | |
| seinem Gespräch sitzt ein JVA-Mitarbeiter in der Ecke, dazu noch eine Frau | |
| vom Landeskriminalamt. Aber Tobias E. kann über seine Haftzeit in Ungarn | |
| berichten. Als er festgenommen wurde, sei er erst mal in ein Gefängnis | |
| außerhalb von Budapest gebracht worden, anfangs ohne Kontakt zu einem | |
| Anwalt, erzählt er. „Die Wärter begrüßten mich mit Sieg-Heil-Rufen.“ Sp… | |
| sei er in ein Gefängnis nach Budapest gekommen. Die Erfahrungen seien dort | |
| die gleichen gewesen: „Gewalt und Willkür.“ | |
| Er sei in Zellen mit ein oder zwei anderen Gefangenen gewesen, erzählt | |
| Tobias E. Es habe Kakerlaken und Bettwanzen gegeben. Im Winter sei es | |
| klirrend kalt und gleichzeitig verboten gewesen, sich in Bettdecken zu | |
| hüllen. Im Sommer wiederum so heiß, dass Gefangene kollabierten. Auch | |
| nachts habe es Zellenkontrollen gegeben, regelmäßig musste man sich dafür | |
| komplett ausziehen. Das Essen habe aus Reis oder zerklumpten Nudeln | |
| bestanden. Strom wurde oft über Stunden abgestellt, auch als | |
| Kollektivstrafe. In Duschräume habe man nur sporadisch gedurft – oft, ohne | |
| dass es dort Wasser gab. Viele Gefangene seien krank geworden, wären mit | |
| Bissen übersät gewesen. „Ich hatte zum Glück nur Ausschlag und einen | |
| zerstörten Backenzahn nach einer Zahn-OP im Gefängnis.“ | |
| ## Prügel im Duschraum – wo es keine Kameras gibt | |
| Schlimmer aber sei die Gewalt gewesen, sagt Tobias E. Er habe versucht, | |
| sich möglichst unauffällig zu verhalten und so unter dem Radar der Wärter | |
| zu bleiben. Andere Gefangene aber seien wegen Nichtigkeiten oder | |
| inszenierter Anlässe von Wärtern oder „vermummten Kommandos“ verprügelt | |
| worden – im Duschraum, wo es keine Kameras gab. Oder offen im Flur, selbst | |
| als Konsulatsangehörige vor Ort waren. „Es geschah ständig und war völlig | |
| unberechenbar.“ Gefangene hätten Knochenbrüche von den Attacken erlitten. | |
| Ein älterer Gefangener, ein Algerier, habe danach Atemnot bekommen, er sei | |
| gestorben. | |
| Und Tobias E. bemerkte schnell Hierarchien. Als Nicht-Ungar habe er weniger | |
| Essen bekommen, wurde häufiger beschimpft. Als Weißer sei es ihm aber immer | |
| noch besser ergangen als arabischen Gefangenen. „Die wurden mit | |
| Ziegenlauten provoziert. Es war menschenverachtend.“ Die deutsche Botschaft | |
| habe von den Zuständen gewusst, ist Tobias E. überzeugt. „Aber sie haben | |
| nichts dagegen gemacht. Ich habe meiner Familie gesagt, sie sollten mich | |
| bitte nicht besuchen kommen, weil es so schrecklich war.“ | |
| Die Berichte von Tobias E. lassen sich schwer überprüfen. Aber auch NGOs | |
| wie das ungarische Helsinki-Komitee warnen vor Gewalt durch Haftpersonal in | |
| ungarischen Gefängnissen, vor Isolationshaft und schlechter Hygiene. Zudem | |
| gebe es politische Einflussnahme auf Verfahren. Auch die EU-Kommission | |
| rügte wiederholt die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. | |
| Tobias E. stand schließlich am 29. Januar 2024 vor einem Budapester Gericht | |
| – dem gleichen, in dem nun auch Maja T. der Prozess gemacht wird. Die | |
| Anklage: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Einen konkreten | |
| Angriff konnte die Staatsanwaltschaft Tobias E. nicht nachweisen. Anders | |
| als Maja T. ließ er sich auf einen Deal ein. Auch dazu will Tobias E. sich | |
| nicht äußern. [9][Der Berliner wurde schließlich zu drei Jahren Haft | |
| verurteilt], die sein ungarischer Anwalt später auf ein Jahr und zehn | |
| Monate absenken konnte. Mit der angerechneten U-Haft saß er die Strafe bis | |
| zum letzten Tag in Ungarn ab. | |
| „Ich wollte nur nach Hause, hatte schon Flugtickets, es war alles | |
| gebucht“, erzählt Tobias E. Dann aber beantragte die Bundesanwaltschaft | |
| seine erneute Festnahme – und seine Auslieferung nach Deutschland. Weil dem | |
| 31-Jährigen hierzulande zwei weitere Angriffe vorgeworfen wurden, 2019 in | |
| Dessau und Eisenach, hier als Teil der Lina-E.-Gruppe. Tobias E. wurde am | |
| 20. Dezember nach Frankfurt/Main ausgeflogen, dort sofort wieder | |
| festgenommen. Seitdem sitzt er in der JVA Burg, wartet nun auf seine | |
| nächste Anklage. „Das ist alles sehr fragwürdig“, findet seine Anwältin | |
| Anna Luczak. Gerade die Beweise für den Angriff in Dessau seien dünn, auch | |
| dürfe es am Ende keine Doppelbestrafung geben. „Und die erneute Haft ist | |
| völlig unnötig. Mein Mandant hat sich nie einem Verfahren entzogen, er | |
| würde sich auch den neuen Vorwürfen stellen.“ | |
| Für Zaid A. sieht das seine Anwältin Anna Busl nicht anders, hält dessen | |
| Haft für ebenso unbegründet. Da dieser sich selbst gestellt habe, sei eine | |
| Fluchtgefahr abwegig. Busl stellte bereits einen Antrag auf Haftverschonung | |
| von Zaid A. Darüber ist bisher noch nicht entschieden. | |
| Inzwischen aber beschäftigen die Budapest-Fälle auch das Auswärtige Amt von | |
| Noch-Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die Bundesregierung. Die | |
| Vorführung von Maja T. beim Prozess in Budapest nannte auch das Ministerium | |
| „befremdlich“ und versicherte, man setzte sich „intensiv“ für den Fall… | |
| Maja T.s Anwälte kritisierten dagegen, davon bekomme man nicht viel mit. Zu | |
| den Auslieferungsersuchen heißt es aus dem Auswärtigen Amt, dies sei allein | |
| eine Frage der Justiz, die Bundesregierung spiele hier keine Rolle. | |
| ## Kommende Woche wird über drei Auslieferungsverfahren entschieden | |
| Dabei zeigte ausgerechnet das von der Postfaschistin Giorgia Meloni | |
| regierte Italien, das es anders geht. Im Fall der ebenfalls in Budapest | |
| gefassten Ilaria Salis bestellte es den ungarischen Botschafter ein, als | |
| auch Salis in Ketten vor Gericht vorgeführt wurde. Die kam danach erst in | |
| Hausarrest, [10][dann erhielt sie Immunität, weil sie ins Europaparlament | |
| einzog]. Die Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester | |
| Angriffe lehnte ein Mailänder Gericht ab. | |
| Es sei bitter, dass Deutschland so wenig Druck auf Ungarn mache, sagt Zaid | |
| A. in der JVA Köln. „Dabei sagt doch selbst das Bundesverfassungsgericht, | |
| dass das rechtswidrig war.“ Käme es in seinem Fall zur Auslieferung, wäre | |
| es wohl noch unwahrscheinlicher, dass sich das Auswärtige Amt für ihn, den | |
| Syrer, einsetze. „Dann wäre mein Schutz komplett weg.“ | |
| Dafür setzen sich nun andere für Zaid A. ein. In Nürnberg und anderen | |
| Städten, auch vor der JVA Köln, protestierten Antifa-Gruppen, um eine | |
| Auslieferung von ihm und den anderen zu verhindern. Freunde aus dem | |
| Orchester planen eine Aktion. Er komme kaum hinterher, Briefe zu | |
| beantworten, sagt Zaid A. Das alles sei eine „super Stütze, man fühlt sich | |
| nicht allein“. | |
| Auch die Linken-Neubundestagsabgeordnete Lea Reisner ist beim Besuch bei | |
| Zaid A. im Gefängnis dabei. Auch sie empört der Fall. „Zaid darf unter | |
| keinen Umständen nach Ungarn ausgeliefert werden“, sagt sie. Die | |
| Rechtsstaatlichkeit stehe dort seit Jahren in der Kritik, es drohe ihm eine | |
| „unmenschliche Behandlung“ und eine „unrechtmäßige Abschiebung nach | |
| Syrien“. „Das wäre ein klarer Verstoß gegen internationales Recht.“ | |
| Tatsächlich könnte sich die Sache bald entscheiden. Eine Sprecherin des | |
| Berliner Kammergerichts erklärte der taz, dass dort kommende Woche über die | |
| ersten drei Auslieferungsverfahren der im Januar Festgenommenen entschieden | |
| werde. Zaid A.s Fall gehört nicht dazu. Würde hier am Ende tatsächlich auf | |
| eine Auslieferung entschieden, will seine Anwältin durch alle Instanzen | |
| gehen. Aber auch bei einem Prozess in Deutschland wäre der Ausgang offen. | |
| Erst zuletzt klagte die Bundesanwaltschaft eine Beschuldigte der | |
| Budapest-Angriffe, die Nürnberger Kunststudentin Hanna S., vor dem | |
| Oberlandesgericht München an. Der Vorwurf: versuchter Mord. | |
| Alia A., die Mutter von Zaid A., hofft trotzdem auf einen Prozess | |
| hierzulande. „Wenn er nach Ungarn muss, ist seine Zukunft zerstört. Hier in | |
| Deutschland hätte er immer noch eine Chance.“ Auch Zaid A. selbst hofft auf | |
| diese Chance. Wenn er irgendwann wieder frei sei, würde es mit dem | |
| Lehrerjob nun wohl schwierig, meint der 21-Jährige. Aber er würde dann | |
| etwas anderes studieren oder vielleicht auch etwas Handwerkliches machen. | |
| In der JVA hilft er nun anderen, übersetzt für sie Dokumente. Er sei hier | |
| „eine Art Hobbyanwalt“, sagt er und lacht. Und er spielt viel Gitarre, | |
| dies wurde ihm in der Zelle erlaubt. Zaid A. versucht jetzt wieder das | |
| Beste aus der Situation zu machen. Und auf das Beste zu hoffen. | |
| 20 Mar 2025 | |
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| [8] /Urteil-gegen-deutschen-Autonomen/!5988475 | |
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