# taz.de -- taz besucht Maja T. exklusiv in Haft: „Ich werde vorverurteilt“ | |
> Seit über einem Jahr sitzt Maja T., Antifaschist*in aus Thüringen, in | |
> ungarischer Haft. Es drohen 24 Jahre Gefängnis. Wie geht es Maja T.? | |
Bild: Will nicht vergessen werden: Maja T. im Juni beim Prozess in Budapest | |
Berettyóújfalu taz | Maja T. kann nun durch die vergitterten Fenster auf | |
Bäume schauen, auf grüne Wiesen, auf Traktoren und eine Straße, wo | |
Lastwagen Richtung Rumänien brettern. Und auf den Sonnenaufgang, wenn | |
morgens um 5 Uhr die Wärter an die Zellentür klopfen. „Dass ich den | |
Horizont sehen kann“, sagt Maja T., „dass ich Kühe höre, Schafe, nachts | |
wieder den Mond und die Sterne sehe, das wirkt wie Kleinigkeiten, aber sie | |
machen es etwas leichter.“ | |
Im Gefängnis in Budapest, in dem Maja T. zuvor saß, seit Juni vergangenen | |
Jahres schon, gab es nichts davon. Dort versperrte eine Plexiglasscheibe | |
den Blick nach draußen, dahinter nur Mauern. Kein richtiges Sonnenlicht, | |
Kakerlaken, nächtliche Kontrollen, Aufforderungen, sich zu entkleiden. | |
Nun aber ist Maja T. in einem Haftkrankenhaus in Berettyóújfalu, 270 | |
Kilometer von Budapest entfernt, ein verschlafenes Städtchen unweit der | |
ungarisch-rumänischen Grenze. Maja T., nonbinär und aus Thüringen stammend, | |
war während eines Hungerstreiks dorthin verlegt worden, als sich der | |
Gesundheitszustand immer weiter verschlechterte. Nun, nach 40 Tagen, hat T. | |
den Hungerstreik beendet. Aber Maja T. ist weiterhin im Haftkrankenhaus, um | |
sich zu stabilisieren. „Es sieht erst mal so aus, dass ich keine bleibenden | |
Schäden davongetragen habe“, sagt T. | |
Am Dienstagvormittag sitzt Maja T. im kahlen, weiß gestrichenen | |
Besucherraum des Haftkrankenhauses. Die Klimaanlage verströmt kalte Luft, | |
ein langer Holztisch mit Trennscheiben in der Mitte durchschneidet das | |
Zimmer. Besucher sitzen auf der einen Seite, die Inhaftierten auf der | |
anderen. Jetzt ist Maja T. allein in Raum, aber gleich drei Wärter, eine | |
Wärterin und der Gefängnisarzt, der Deutsch spricht, wachen hinter T. über | |
das Gespräch. | |
## „Mental geht's mir nicht besser“ | |
Maja T. setzt sich lächelnd an den Tisch, in Trainingsjacke, aber sieht | |
erschöpft aus, schmal. Die langen, dunklen Haare hängen offen über die | |
Schultern. Dabei sagt Maja T., dass es besser gehe. Das Gewicht steige | |
wieder, man sehe es auch im Gesicht. „Davor war das richtig eingefallen, | |
alles Körperfett weg.“ Auch das Herz sei wieder stabil. „Aber mental geht�… | |
mir nicht besser.“ | |
Trotzdem soll Maja T. wieder zurück ins Gefängnis nach Budapest geschickt | |
werden. Dann ist alles wie vorher. Wieder die enge Zelle, wieder | |
Isolationshaft, wieder Plexiglas. Und weiter die drohenden 24 Jahre Haft. | |
Weil Maja T. vorgeworfen wird, mit anderen Linken im Februar 2023 in | |
Budapest mehrere Rechtsextreme brutal angegriffen zu haben, am Rande eines | |
europaweiten Szeneaufmarschs. Wegen lebensgefährlicher Körperverletzung und | |
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhob Ungarn Anklage. | |
Im Dezember 2023 wurde Maja T. in Berlin von Zielfahndern festgenommen, ein | |
halbes Jahr später nach Ungarn ausgeliefert. Nachts wurde T. aus der Zelle | |
geholt, mit einem Hubschrauber zur Grenze nach Österreich geflogen, dann | |
weiter nach Ungarn gefahren, mit einem Sack über dem Kopf. Eine | |
rechtswidrige Aktion, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte. | |
Weil das Berliner Kammergericht, das die Auslieferung genehmigte, die | |
Haftumstände für queere Personen in Ungarn nicht ausreichend prüfte. | |
Seitdem befindet sich Maja T. in Ungarn in Haft, jeder Tag wie eine | |
Endlosschleife. „Und ich weiß nicht, wie lange ich das alles noch aushalten | |
muss“, sagt Maja T. Es klingt verzweifelt. | |
Es war für die taz nicht einfach hierherzukommen. Zwei Stunden im Monat | |
dürfen Familienmitglieder und die Verlobte Maja T. besuchen. [1][Auch | |
Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Europaparlament waren schon da]. | |
Journalist*innen nicht, bis zum Besuch der taz. Vor drei Wochen, noch | |
während des Hungerstreiks, stellte die taz bei ungarischen Justizbehörden | |
einen Besuchsantrag. Der blieb lange unbeantwortet. Dann endlich, am | |
Montag, wurde ein Termin im Haftkrankenhaus erlaubt: für den Folgetag, 11 | |
Uhr, für eine Stunde. | |
Und Punkt elf öffnen sich tatsächlich die Türen, ein grauer Betonbau hinter | |
hohen, mit Stacheldraht überzogenen Mauern. Am Eingangstor hängt neben der | |
ungarischen auch die EU-Fahne, überall sind Videokameras. Drinnen muss | |
alles abgegeben werden, nur Stift und Papier sind für das Gespräch erlaubt. | |
Maja T. wird dort noch einmal aufgefordert, nicht über die Trennscheibe zu | |
fassen; keine Berührungen, keine Übergabe von Dingen. T. rückt nah an die | |
Scheibe, wählt jeden Satz mit Bedacht. Der Hungerstreik sei „auf jeden Fall | |
richtig“ gewesen, sagt Maja T. „Es war ein Hilferuf. Eine Anklage, was mir | |
widerfährt. Ich hatte mich lebend begraben gefühlt. Und dieses Grab hat | |
sich geöffnet.“ | |
Aber die Lage für Maja T. ist unverändert. Den Hungerstreik hatte T. für | |
bessere Haftbedingungen und eine Rücküberführung nach Deutschland | |
angetreten. Beides ist nicht erreicht. Aber zumindest der Diskurs in | |
Deutschland habe sich doch noch mal verschoben, sagt T. „Oder?“ Werde nun | |
nicht noch mal über die rechtswidrige Auslieferung gesprochen? Über die | |
Haftsituation in Ungarn, bei der es darum gehe, Menschen zu brechen? | |
[2][Maja T. beendete den Hungerstreik] nach einem Verlust von 14 Kilogramm | |
Körpergewicht, die Herzfrequenz sank zwischenzeitlich auf 30 Schläge pro | |
Minute, und die Ärzte stellten Zwangsernährung und dauerhafte Fixierung in | |
Aussicht. „Diese Situation der Machtlosigkeit wollte ich mir nicht antun. | |
Und meiner Familie auch nicht.“ | |
In Deutschland demonstrieren seitdem bundesweit Menschen für Maja T., | |
bauten ein Protestcamp vor dem Auswärtigen Amt auf, sammelten gut 100.000 | |
Unterschriften, die fordern, Maja T. zurückzuholen. Und Vater Wolfram | |
Jarosch ist [3][mit einem Protestmarsch] auf dem Weg nach Budapest, | |
hungernd. Am Samstag will er dort ankommen. | |
Die Solidarität erreiche T. auch im Gefängnis in Ungarn, vor allem durch | |
Briefe, sagt Maja T. Das gebe viel Kraft. „Und ohne diese Unterstützung | |
hätte auch der Hungerstreik nicht funktioniert. Der wäre versandet.“ | |
Außenminister Johann Wadephul (CDU) schickte seinen Staatssekretär nach | |
Ungarn, versicherte, man setze sich für bessere Haftbedingungen ein. T. | |
zieht ratlos die Schultern hoch. „Davon merke ich bisher leider nichts.“ | |
Ungarn bleibt hart, pocht auf eine eigene Strafverfolgung. Noch vor Ort in | |
Budapest waren damals drei Linke festgenommen worden, zwei Berliner und | |
eine Italienerin. Ermittlungen in deren Umfeld und Überwachungsvideos, | |
welche die Taten zeigten, lösten eine Großfahndung [4][nach elf weiteren | |
Deutschen] aus – darunter Maja T. Sie sollen laut der „Soko Linx“ des | |
sächsischen LKA, die der ungarischen Polizei zuarbeitete, zum Umfeld der | |
Gruppe um die [5][Leipzigerin Lina E.] gehören, die zuvor schon Angriffe | |
auf Neonazis verübte. | |
Seit Februar läuft der Prozess in Budapest, sieben Tage wurde verhandelt. | |
Jedes Mal wurde T. dort in Hand- und Fußfesseln und an einer Leine | |
vorgeführt. Mitte September geht der Prozess weiter. Letztens lehnte ein | |
Gericht erneut einen Hausarrest für Maja T. ab. In Ungarn ist ein solcher | |
nicht unüblich. T.s Vater hatte dafür bereits eine Wohnung in Budapest | |
angemietet und eine Kaution bereitgestellt. Aber das Gericht sah | |
Fluchtgefahr: Maja T. akzeptiere das Verfahren nicht, habe ein | |
Unterstützernetzwerk und eine linksextreme Ideologie. Zudem habe T. mit dem | |
Hungerstreik versucht, Druck auf das Gericht auszuüben. | |
Die Verzweiflung darüber ist Maja T. anzumerken. „Egal was ich mache, ich | |
werde vorverurteilt.“ Und T. betont: „Ich werde mich dem Verfahren nicht | |
entziehen. Ich bin bereit, mich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Aber | |
rechtsstaatlich, in einem fairen Verfahren. Ich fordere nur meine Rechte | |
ein, mehr nicht.“ | |
Im Budapester Prozess äußerte sich Maja T. bisher nicht zu den Vorwürfen, | |
wies die Anklage aber als „reine Hypothesen“ zurück. Auch im | |
Haftkrankenhaus, unter den Augen der Aufseher, will Maja T. dazu nichts | |
sagen. Antifaschist*in zu sein, räumt T. aber sofort ein. „Das ist für | |
mich eine Grundhaltung, die jeder haben sollte.“ Und weiter: „Natürlich | |
wünsche ich mir eine Welt ohne Gewalt, zwischenmenschliche und staatliche.“ | |
Aber die Welt sei nicht so. „Sich im Pazifismus zu verlieren und die Augen | |
davor zu verschließen, wie ungerecht die Welt ist, macht sie nicht besser. | |
Aber ich versuche mein Handeln an diesem Ideal einer gewaltfreien Welt zu | |
messen.“ | |
Im Prozess bot die Staatsanwaltschaft einen Deal an: 14 Jahre Haft für ein | |
Geständnis. Maja T. lehnte ab. Darauf stellten die Ankläger bis zu 24 | |
Jahre Haft in Aussicht. „Das ist eine Zahl, die kann ich mir gar nicht | |
vorstellen“, sagt T. „Das ist noch mal so alt, wie ich bin.“ | |
Der Prozess wirkt für Maja T. wie eine Inszenierung. Die angegriffenen | |
Rechtsextremen schilderten dort, wie immer wieder auf sie eingeprügelt | |
wurde, wie sie zentimeterlange Platzwunden davontrugen, Knochenbrüche, | |
Prellungen. Die vermummten Angreifer identifizieren konnte aber niemand. | |
Das Gericht zeigte auch Überwachungsvideos, auf denen einige der Taten zu | |
sehen waren – und die Angreifer zuvor unterwegs in der Stadt. Maja T. soll | |
dort mit Mütze und dunkler Coronamaske zu sehen sein. Woran das festgemacht | |
wird, klärte das Gericht bisher nicht. „Der Richter scheint daran gar nicht | |
interessiert“, sagt T. „Alles wirkt, als wolle er den Prozess schnell | |
abhaken. Und, dass das Urteil längst feststeht.“ | |
Aber was heißt das, wenn das Urteil schon feststeht? Dann sind die 24 Jahre | |
nicht mehr so fern. Es sind diese Momente, in denen Maja T. vor einer | |
Antwort innehält, auf den Tisch vor sich starrt. „Natürlich macht mir das | |
Angst“, sagt T. dann. „Permanent.“ | |
In der Haft klammert Maja T. sich nun an Strukturen. Aufstehen, Sport, | |
Briefe beantworten, Italienisch und Ungarisch lernen, Bücher lesen. Aktuell | |
Antonio Gramsci, auf Italienisch, der Kommunist, der seine Werke im | |
Gefängnis schrieb. Nachmittags gibt es eine Stunde Hofgang, in einem | |
Gitterkäfig. Wenn Maja T. Glück hat, sind andere Inhaftierte in den Käfigen | |
nebenan, immerhin einer spricht Englisch. Ein Fernabitur wird verweigert, | |
mit dem würde Maja T. später gerne Forstwissenschaften studieren. Also hat | |
sich T. Fachbücher dazu schicken lassen. | |
Und Maja T. reflektiert die eigene Lage. „Wenn man nur die Eigenschaften | |
queer und antifaschistisch nimmt, dann weiß ich, dass ich das Feindbild von | |
Orbán verkörpere. Aber dann ist doch die Frage: Will sich da Deutschland | |
mit Orbán gemeinmachen?“ Es ist diese Hoffnung, an die sich Maja T. | |
klammert. Dass Deutschland doch noch einen rechtlichen oder diplomatischen | |
Hebel für eine Rückholung findet. Dass es die rechtswidrige Auslieferung | |
wiedergutmacht. Bis dahin will Maja T. kämpfen. | |
Es gibt zwar die Zusicherung, dass Maja T. bei einer Verurteilung die Haft | |
in Deutschland verbüßen kann. Eine Verminderung der Strafhöhe, als | |
Anpassung an deutsches Recht, müsste Deutschland ungarischen Behörden in | |
einem Übereinkommen allerdings abverhandeln. Inzwischen denkt T. darüber | |
nach, den Hungerstreik wieder aufzunehmen. „Werden mir meine Rechte weiter | |
verwehrt, bin ich bereit, das zu tun.“ | |
Bei diesen Sätzen blitzt, bei aller Erschöpfung und Angst, in den Augen von | |
Maja T. der feste Wille auf, sich dem Schicksal in Ungarn nicht einfach zu | |
fügen und dort in Vergessenheit zu geraten. „Ich darf nicht zu viel | |
zweifeln“, sagt Maja T. „Ich muss Disziplin bewahren, ich brauche die | |
Kraft.“ Gebrochen ist Maja T. noch nicht. | |
1 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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