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# taz.de -- Maja T. nach dem Hungerstreik: Allein in Orbáns Ungarn
> 40 Tage war Maja T. im Hungerstreik. Doch die Isolationshaft bleibt.
> Verantwortung für die rechtswidrige Auslieferung hat bisher niemand
> übernommen.
Bild: Maja T. im Juni, zu Beginn des Hungerstreiks, im Prozess in Budapest – …
Berlin taz | Maja T. isst wieder. Am Montag hat die 24-jährige nonbinäre
Person aus Thüringen wieder angefangen, Nahrung zu sich zu nehmen, in
kleinen Portionen, ergänzt mit Vitaminen. [1][40 Tage lang war Maja T.
zuvor im Hungerstreik]. Aus Protest gegen die Isolationshaft in Ungarn, die
nun schon seit gut einem Jahr andauert. Gegen die rechtswidrige
Auslieferung. Gegen die angedrohten 24 Jahre Haft.
Es gehe Maja wieder etwas besser, sagt Vater Wolfram Jarosch. „Das ist eine
große Erleichterung.“ Maja T. hatte den Hungerstreik beendet, weil es
gesundheitlich nicht mehr anders ging. 14 Kilogramm Körpergewicht hatte T.
verloren, die Blutwerte waren kritisch, Leber und Niere angegriffen, die
Herzfrequenz zeitweise auf 30 Schläge pro Minute gesunken. Maja T. war in
ein Haftkrankenhaus an der ungarisch-rumänischen Grenze verlegt worden, 260
Kilometer von Budapest entfernt. Ungarische Ärzte stellten eine
Zwangsernährung und die Implantation eines Herzschrittmachers in Aussicht.
Nun befindet sich T. weiter im Haftkrankenhaus, hinter Stacheldraht, weiter
in Isolationshaft. An der Situation der Antifaschist*in hat sich nichts
geändert. Auch nicht durch einen Besuch von Géza Andreas von Geyr, dem
Staatssekretär von Außenminister Johann Wadephul (CDU), am Dienstag bei der
Orbán-Regierung. Zum Ergebnis des Gesprächs wollte sich das Auswärtige Amt
nicht äußern, der Inhalt sei vertraulich. Zuvor schon aber hatte Wadephul
betont, dass Ungarn ein Interesse an einer eigenen Strafverfolgung
bekräftigt habe. Maja T. reagierte inzwischen mit einer Erklärung: „Werden
meine Forderungen weiter ignoriert, bin ich entschlossen, den Hungerstreik
erneut aufzunehmen.“
Im Februar 2023 soll T. mit anderen deutschen Linken [2][mehrere
Rechtsextreme in Budapest brutal verprügelt haben], auch mit Schlagstöcken,
am Rande des „Tags der Ehre“, eines europaweiten Neonazi-Aufmarschs. Die
Angegriffenen erlitten Platzwunden, Knochenbrüche, Prellungen. Zurück in
Deutschland wurde T. im Dezember 2023 von Zielfahndern in einem Berliner
Hotel gefasst – zuvor hatten diese Telefone von Freunden überwacht und eine
Person auf dem Weg zu einem Treffen mit T. observiert. T. wurde in der JVA
Dresden inhaftiert – und am 28. Juni 2024, nach einem Beschluss des
Berliner Kammergerichts, nach Ungarn ausgeliefert. Rechtswidrig, wie das
Bundesverfassungsgericht später feststellt.
## Bisher nicht nachgewiesen, ob Maja T. mit angriff
[3][Seit Februar läuft in Budapest nun ein Prozess gegen Maja T.] – mit
einer Strafandrohung von 24 Jahren Haft. Die Beweisaufnahme konnte bisher
nicht nachweisen, dass T. zu den vermummten Angreifern gehörte: Es gibt
Videos, die Maja T. laut Ermittlern „wahrscheinlich“ damals in Budapest
zeigen. Auf den Tatvideos selbst aber sind nur Vermummte zu sehen. Maja T.
selbst schweigt zu den Vorwürfen, erklärte zu Prozessbeginn lediglich, es
gebe in der Anklage „kein einziges Wort, das mein Leben, meine
Persönlichkeit skizziert und auf Tatsachen beruht“.
Auch Vater Wolfram Jarosch pocht auf die Unschuldsvermutung. Die Vorwürfe
müssten natürlich geklärt werden, sagt er. Aber rechtsstaatlich. Zuletzt
war der 54-jährige Biologielehrer aus Protest von Jena, der Heimatstadt der
Familie, nach Berlin gelaufen. Dem Auswärtigen Amt übergab er dort eine
Petition mit gut 100.000 Unterschriften, die eine Rücküberstellung von Maja
T. nach Deutschland fordern. Am Mittwoch machte sich Jarosch erneut auf den
Weg, [4][von der JVA Dresden nach Budapest,] 800 Kilometer zu Fuß –
hungernd. Ein Marsch für Gerechtigkeit, sagt er.
## Sachsens Staatsschutz-Chef verteidigt Auslieferung
Auch eine andere Frage treibt den Vater um. Wer übernimmt Verantwortung für
die rechtswidrige Auslieferung seines Kindes vor einem Jahr? Bisher
niemand. Eine neue Debatte darüber entfachte ausgerechnet Denis Kuhne, Chef
des Staatsschutzes Sachsen, dem die Soko Linx untersteht, die auch gegen
Maja T. ermittelte. [5][In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung]
kritisierte er kürzlich, es finde im Fall Maja T. eine Täter-Opfer-Umkehr
statt. Schließlich gehe es bei den Budapest-Angriffen um versuchten Mord
und eine kriminelle Vereinigung. Dass die Auslieferung verfassungswidrig
war, sei „eine verkürzte Darstellung“. Das Verfassungsgericht habe nur
gerügt, dass das Berliner Gericht die Haftverhältnisse für nonbinäre
Personen in Ungarn nicht ausreichend geprüft habe – nicht dass diese
tatsächlich „unmenschlich“ seien. Dass Ungarn autokratisch sei, sieht Kuhne
nur „angeblich“ so. Und warnte, die Proteste für T. könnten sich
radikalisieren.
Wolfram Jarosch empören die Aussagen Kuhnes. Er betont erneut die
Unschuldsvermutung und spricht von „ungeheuerlichen Unterstellungen“,
fordert eine öffentliche Entschuldigung. Gerade er habe sich immer für
friedlichen Protest eingesetzt, sei mit seinen Fußmärschen vorangegangen.
„Wie kann man noch friedlicher demonstrieren?“ Auch Kuhnes Bild von Ungarn
sei verharmlosend, sagt Jarosch. Tatsächlich hat die EU Ungarn zuletzt
wegen Rechtsstaatsverstößen Fördermittel in Milliardenhöhe vorenthalten.
Das Land steht in der Kritik wegen seines Vorgehens gegen NGOs und die
queere Community.
Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Helge Limburg kritisiert Kuhne scharf:
„Der Staatsschutzchef relativiert den Verfassungsbruch seiner Behörde.“
Kuhne müsse sich fragen, „ob er seiner Aufgabe, nämlich diesen Rechtsstaat
zu schützen und zu verteidigen, noch gewachsen ist“. Sven Richwin, Anwalt
von Maja T., nennt Kuhnes Aussagen „irritierend plump“. Der Beschluss des
Verfassungsgerichts sei eindeutig.
So hatte das oberste Gericht explizit erklärt, dass mit der Auslieferung
Maja T.s Grundrechte verletzt wurden. Zwar erfolgte dies mit der
Begründung, dass das Gericht nicht ausreichend geprüft habe, welche
Haftumstände nonbinäre Personen in Ungarn erwarteten und konkret Maja T.
Aber das Gericht sah sehr wohl „hinreichende Anhaltspunkte für systemische
oder allgemeine Mängel“. Es verwies etwa auf einen Bericht der NGO
„Hungarian Helsinki Committee“, auf eidesstattliche Erklärungen ehemaliger
Inhaftierter und auf die Einschätzung des Berliner Kammergerichts selbst,
das noch bei der Haftanordnung gegen T. der ungarischen Regierung eine
„gender-, homo- und transfeindliche Politik“ attestierte.
Das Berliner Gericht hatte am Ende dennoch dem Auslieferungsersuchen
zugestimmt, [6][da es sich auf Zusicherungen des ungarischen
Justizministeriums verließ], dass es für T. menschenrechtskonforme
Haftbedingungen geben werde und die Option, nach einer möglichen
Verurteilung die Haftstrafe in Deutschland abzusitzen. Angaben, so das
Bundesverfassungsgericht, die genauer hätten überprüft werden müssen.
## Auslieferung schon Tage im Voraus genau vorbereitet
Unterlagen, welche die taz einsehen konnte, zeigen zudem, wie Berliner und
sächsische Behörden die Verteidiger von Maja T. bei der Auslieferung
überrumpelten. Schon am 20. Juni 2024, acht Tage vor dem Termin, schrieb
das Berliner LKA vertraulich an die Berliner Generalstaatsanwaltschaft,
dass die Auslieferung von T. „noch nicht offiziell verkündet“ sei, aber in
einer knappen Woche erfolgen solle. Zu rechnen sei dann mit „gewalttätigen
Protesten und Störaktionen“. Deshalb müsse die Auslieferung „zeitnah“
erfolgen. Auch die sächsische Polizei wurde eingeweiht. Der Plan war
zunächst, T. mit einem regulären Linienflug nach Ungarn zu bringen, in
Begleitung von Beamten. Später wurde die Idee verworfen und ein
Hubschrauber organisiert, der in Dresden bereitstehen sollte. Intern wurde
„strikte Geheimhaltung“ eingefordert, Polizeikräfte wurden unter einer
Legende für einen nächtlichen Einsatz angefordert.
Am Mittag des 27. Juni dann fällte das Berliner Kammergericht seinen
Beschluss und erklärt die Auslieferung von T. für zulässig. Um 13.30 Uhr
wurden die sächsische und Berliner Polizei informiert, die JVA Dresden, die
Bundesanwaltschaft, die Bundespolizei und das BKA. Wer nicht informiert
wurde: die Verteidiger von T. Das erfolgte erst dreieinhalb Stunden später,
um 17.05 Uhr – nach Feierabend der Anwälte.
In der folgenden Nacht klopften Beamte um kurz vor 2 Uhr an die Zellentür
von Maja T. in der JVA Dresden. Erst nach mehrfachen Insistieren T.s soll
ein Anruf mit Verteidiger Maik Elster möglich gewesen sein. Der soll einem
LKA-Beamten mitgeteilt haben, dass man Verfassungsbeschwerde einlegen
werde. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft beteuerte später, dass nur
allgemein eine Beschwerde angekündigt wurde – was der Verteidiger
bestreitet. Später räumt die Behörde ein, sie habe nicht genau gewusst, was
der Verteidiger dem LKA-Beamten gesagt hatte. Einen direkten Kontakt zur
Staatsanwaltschaft in der Nacht verweigerte das LKA den Anwälten und
verwies auf die Geschäftszeiten. Um 3.25 Uhr wurde T. aus der Zelle geholt,
vom Flughafen Dresden zur österreichischen Grenze geflogen und um 6.50 Uhr
der Polizeiinspektion Schärding abgesetzt. Von dort ging es mit einem
Transporter nach Ungarn, wo T. um 10 Uhr an ungarische Polizisten übergeben
wurde.
## Vater stellte sich vor Gefängnis-Ausfahrt
Die Familie wurde derweil im Unklaren über den Verbleib von T. gelassen.
Noch in der Nacht eilte Vater Wolfram Jarosch zur JVA Dresden, fragte nach
dem Verbleib seines Kindes und wollte die Gefängnisleitung sprechen. Das
wurde ihm verwehrt. Als kurz vor acht Uhr am Morgen zwei Polizeifahrzeuge
aus der JVA kamen, verstellte er ihnen den Weg, wich kurz darauf aber zur
Seite. Auch einige Unterstützer*innen waren vor Ort und die
Großeltern, sie hatten für den Tag einen Besuchstermin bei T. Um kurz vor
10 Uhr teilte die JVA den Angehörigen mit, dass T. nicht mehr vor Ort sei.
Kurz darauf warnte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft intern diverse
Behörden, dass aufgrund [7][eines ersten taz-Artikels] die Öffentlichkeit
nun über die Auslieferung Bescheid wisse – aber nicht, dass diese bereits
„abgeschlossen“ sei.
Auch die Verteidiger wussten nichts über den Verbleib von Maja T. Um 7.38
Uhr schickten sie einen über Nacht geschriebenen Eilantrag ans
Bundesverfassungsgericht, um die Auslieferung noch zu stoppen. Karlsruhe
informierte darüber auch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Um 10.50
Uhr untersagte das Gericht dann die Auslieferung – auch weil T. „keine
realistische Möglichkeit“ gehabt habe, vom Rechtsschutz Gebrauch zu machen.
Die Staatsanwaltschaft antwortete darauf nur, dass Maja T. längst in Ungarn
sei und man keinen Zugriff mehr habe.
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) erklärte später nur, dass man
die Entscheidung des Verfassungsgerichts „zur Kenntnis genommen“ habe. Die
Auslieferung könne aber „nicht rückgängig gemacht werden“. Sachsens
Innenminister Armin Schuster (CDU) beteuerte, die sächsische Polizei habe
nur Amtshilfe geleistet. „Originär zuständig“ seien die Berliner Behörden
gewesen, die auch die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit getragen hätten.
## SPD-Mann sieht Vertrauen „massiv infrage“ gestellt
Wolfram Jarosch dagegen fordert Konsequenzen. „Hier wurden nicht nur die
Rechte meines Kindes missachtet. Es handelt sich um einen gezielten Angriff
auf die Gewaltenteilung und den Rechtsstaat.“ Auch der
SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Droßmann, der T. in ungarischer Haft
besuchte, fordert, die Auslieferung müsse „umfassend juristisch und
politisch aufgearbeitet“ werden. Der Vorgang stelle das Vertrauen in
rechtsstaatliche Verfahren „massiv infrage“. Maja T. gehöre nach
Deutschland zurückgeholt.
Auch Landespolitiker*innen sehen die Sache längst nicht
abgeschlossen. Die sächsische Linken-Abgeordnete Jule Nagel fordert ebenso
ein Ende „des rechtswidrigen Zustands“ und die Rückholung von Maja T. Auch
sie kritisiert Staatsschutzchef Kuhne scharf. Ihr Berliner Parteikollege
Niklas Schrader sieht auch Berlins Justiz weiter „für dieses
menschenrechtliche Debakel“ mitverantwortlich. „Da reicht es nicht, wie die
Justizsenatorin beschämt in die Luft zu gucken und keine Verantwortung zu
übernehmen.“
Und so setzt Wolfram Jarosch seinen Protest-Hungermarsch nach Budapest
fort, erreichte am Freitag Prag. Und Maja T. sitzt weiter in
Isolationshaft. Gerade erst lehnte ein Berufungsgericht einen Antrag von T.
auf Hausarrest ab. Wegen fortdauernder Fluchtgefahr, aber auch weil T.
„nicht das geringste Anzeichen einer freiwilligen Unterwerfung“ zeige und
versucht habe, mit dem Hungerstreik Druck auf das Gericht aufzubauen.
19 Jul 2025
## LINKS
[1] /Nach-40-Tagen-Protest-in-Haft/!6100797
[2] /Prozess-gegen-Maja-T/!6068242
[3] /Prozess-gegen-Maja-T/!6068242
[4] /In-Ungarn-inhaftierte-Aktivistin/!6101014
[5] https://www.saechsische.de/politik/regional/maja-t-das-sagt-sachsens-staats…
[6] /Auslieferung-von-Antifaschistin/!6020213
[7] /Auslieferung-von-Antifaschistin/!6020213
## AUTOREN
Konrad Litschko
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