| # taz.de -- Union und SPD verschärfen Bürgergeld: Reichinnek nennt Pläne „… | |
| > Die Bürgergeld-Reform ist ein Fehler, sagten Linkspartei und Grüne. Die | |
| > SPD bleibt uneinsichtig und erntet Kritik aus den eigenen Reihen. | |
| Bild: Kritisiert die Verschärfungen beim Bürgergeld: Linken-Vorsitzende Heidi… | |
| Berlin dpa/afp/epd | Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek hat [1][die | |
| geplante Verschärfung beim Bürgergeld] scharf kritisiert. „Die Pläne der | |
| Regierung sind menschenunwürdig und rechtlich höchst fragwürdig“, sagte die | |
| Bundestagsabgeordnete der dpa. Die Abschaffung des Bürgergelds sei „nur der | |
| erste Schritt eines massiven Angriffs auf den Sozialstaat“. | |
| Dieser ziele nicht nur auf die Beziehenden des Bürgergelds, sondern auch | |
| auf arbeitende Menschen. „Für sie ist das Signal klar: Fordert keine | |
| besseren Arbeitsbedingungen, nehmt jede Überstunde hin, auch wenn ihr | |
| sicher seid, dass sie am Ende unbezahlt bleibt, fordert keinen besseren | |
| Lohn – denn im Bürgergeld wird es noch wesentlich schlimmer.“ | |
| Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD | |
| auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Die neue Grundsicherung werde | |
| kommen, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. Mit den | |
| Änderungen sollen Teile der Anfang 2023 in Kraft getretenen | |
| Bürgergeld-Reform rückabgewickelt werden, die Leistung soll künftig einfach | |
| nur noch Grundsicherung für Arbeitssuchende heißen. | |
| Die rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden müssen sich bei einer | |
| Umsetzung der Pläne auf strengere Auflagen einstellen. Konkret soll etwa | |
| mit härteren Sanktionen belegt werden, wer einen Termin beim Jobcenter | |
| nicht wahrnimmt oder eine Arbeitsaufnahme verweigert. | |
| ## Kritik von Grünen und Linken | |
| Die von der schwarz-roten Koalition geplante [2][Komplett-Streichung des | |
| Bürgergelds für Jobverweigerer] stieß auch bei anderen Politiker:innen | |
| von Grünen und Linken auf Kritik. Grünen-Chef Felix Banaszak warf der | |
| Bundesregierung am Donnerstag eine Politik „sozialer Kälte“ vor. | |
| „Dieser Vorschlag ist keine Reform – er ist ein Schlag ins Gesicht all | |
| derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen. Wer Menschen drohe, jede | |
| Unterstützung zu entziehen, weil sie Termine verpassten, habe „jedes Gefühl | |
| für Realität verloren“, sagte Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe | |
| Bayern | |
| Banaszak betonte, ein System, das Menschen unter Druck setze, statt ihnen | |
| zu helfen, zerstöre Vertrauen. „Das ist keine Grundsicherung, das ist | |
| Grundmisstrauen“, sagte er. Dieses Konzept mache „den Sozialstaat härter, | |
| aber nicht gerechter“. Er finde es „verstörend, dass die SPD-Spitze zu | |
| diesem Programm sozialer Kälte ihre Zustimmung gibt. Offensichtlich hat | |
| sich die Sozialdemokratie der Union vollkommen ausgeliefert.“ | |
| Linken-Chefin Ines Schwerdtner warf der Koalition vor, Politik auf Kosten | |
| der Schwächsten zu betreiben. „Bevor man bei den Ärmsten spart, sollte die | |
| Regierung besser nach oben gucken und schauen, welche starken Schultern | |
| mehr tragen können“, sagte Schwerdtner der „Rheinischen Post“. | |
| „Viele der Bürgergeldbezieher würden lieber heute als morgen arbeiten, | |
| jedoch können sie oft nicht, weil sie keine Kita für ihre Kinder finden | |
| oder Qualifikationen und Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind“, sagte | |
| Schwerdtner weiter. Sie sprach von „ekelhafter Sündenbock-Politik auf | |
| Kosten der Ärmsten“. | |
| ## Sozialverbände gegen Reform | |
| Auf Kritik stieß die [3][Einigung von Union und SPD] auch bei | |
| Sozialverbänden. „Es kann nicht wahr sein, dass der Bundesregierung | |
| angesichts all der Krisen, die wir erleben, nichts Besseres einfällt, als | |
| schon wieder am Sozialstaat zu sägen“, erklärte Arbeiterwohlfahrt-Präsident | |
| Michael Groß. „Millionen von Familien“ würden durch die Pläne bestraft. … | |
| krisenhaften Zeiten muss Zusammenhalt organisiert werden – dafür wären | |
| Investitionen in Arbeitsmarktintegration, gute Betreuung und Pflege der | |
| richtige Weg.“ | |
| Das Kinderhilfswerk warnte vor Sanktionen für Familien mit Kindern. Es | |
| dürfe „keine Mithaftung von Kindern für ihre Eltern geben“, erklärte | |
| Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. „Jede Kürzung ist eine | |
| ungerechtfertigte, außergewöhnliche Härte für die Kinder und verstößt geg… | |
| das in der UN-Kinderrechtskonvention normierte Recht auf soziale Sicherheit | |
| und angemessene Lebensbedingungen.“ | |
| Je länger Kinder in Armut aufwachsen müssten und unter Teilhabe- und | |
| Bildungsverlusten litten, „desto weitreichender sind die Langzeitfolgen für | |
| ihre Entwicklung und beruflichen Perspektiven“, betonte Hofmann. | |
| ## Union und SPD bleiben kritikresistent | |
| Bundeskanzler Friedrich Merz hat die Pläne verteidigt, | |
| [4][Bürgergeld-Empfängern bei wiederholten Terminversäumnissen im | |
| Jobcenter] künftig alle Leistungen zu streichen. „Es wird in Deutschland | |
| niemand obdachlos. Jeder, der eine Wohnung oder ein Dach über dem Kopf | |
| braucht, bekommt ein Dach über dem Kopf“, sagte der CDU-Chef dem | |
| ARD-Hauptstadtstudio. | |
| „Aber diejenigen, die gar nicht mitwirken, die sich noch nicht einmal | |
| melden beim Jobcenter, von denen müssen wir doch davon ausgehen, dass sie | |
| die Hilfe des Staates, des Sozialstaates, nicht brauchen.“ Deswegen werde | |
| die komplette Einstellung aller Leistungen im Gesetz stehen, „aber eben für | |
| diese Fälle“. | |
| Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch hat die Zustimmung seiner | |
| Partei zu [5][strengeren Regeln für Arbeitslose] verteidigt. Nach einer | |
| Sitzung seiner Fraktion, bei der die Ergebnisse des Koalitionsausschusses | |
| besprochen wurden, sagte Miersch am Freitag in Berlin, die | |
| Bürgergeld-Reform sei „in einer sehr guten Form“ angegangen worden und er | |
| sei „guter Dinge“, dass die Koalition Maßnahmen beschließen werde, die zu | |
| mehr Sicherheit und Gerechtigkeit führten. | |
| ## Bas ruft Union zur Mäßigung auf | |
| Mit Blick auf die geplante Reform des Bürgergelds hat die SPD-Vorsitzende | |
| Bärbel Bas die Union zu rhetorischer Mäßigung aufgerufen. Mit Äußerungen | |
| über eine Abschaffung des Bürgergelds hätten Unionspolitiker Verunsicherung | |
| verbreitet, sagte Bas am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. „Deswegen fa… | |
| ich diesen Satz schwierig: ‚Das Bürgergeld ist abgeschafft‘, weil er | |
| suggeriert, als hätten wir die Leistung generell abgeschafft“, sagte die | |
| Bundesarbeitsministerin. „Das hat vielen Leuten Angst gemacht.“ | |
| Bei der geplanten Reform gehe es aber keineswegs darum, die Grundsicherung | |
| „aufzulösen“, sagte Bas. Es würden lediglich die Mitwirkungspflichten dur… | |
| neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“. Ihre Botschaft sei: „Für di… | |
| die alles richtig machen, die mitwirken, die wollen, für die ändert sich an | |
| diesem Gesetz gar nichts“, sagte Bas. „Wer mitmacht, der hat überhaupt | |
| nichts zu befürchten.“ | |
| CSU-Chef Markus Söder hatte nach der Einigung im Koalitionsausschuss auf | |
| die Umstellung des bisherigen Bürgergelds auf die neue Grundsicherung | |
| geschrieben: „[6][Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte].“ Auch Bundeskanzler | |
| Friedrich Merz (CDU) hatte wiederholt hervorgehoben, dass es das | |
| Bürgergeld, das von der Vorgängerregierung auf Betreiben der SPD hin | |
| eingeführt worden war, bald nicht mehr geben werde. | |
| ## SPD bekommt Kritik aus den eigenen Reihen | |
| Juso-Vorsitzender Philipp Türmer hält die Koalitionseinigung zum Bürgergeld | |
| für falsch. „Diese Einigung wiederholt Fehler der Vergangenheit“, sagte | |
| Türmer dem „Tagesspiegel“. Die SPD habe sich bewusst von Hartz IV | |
| verabschiedet. „Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle | |
| rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch“, beklagte der | |
| Juso-Chef. | |
| „Mit den angekündigten [7][massiven Ausweitungen der Leistungskürzungen] | |
| steuert die Koalition sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem | |
| Verfassungsgericht zu“, vermutet Türmer. Die Grundsicherung müsse ein | |
| sozioökonomisches Existenzminimum garantieren, das sei nun bedroht. Der | |
| Juso-Chef forderte die Parlamentarier seiner Partei auf, sich gegen die | |
| Verschärfung zu stellen. „Ich erwarte von den sozialdemokratischen | |
| Abgeordneten, dass sie diese schweren Fehler vermeiden. | |
| 10 Oct 2025 | |
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