Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ende des Bürgergelds: Der SPD fehlt eine echte Gerechtigkeitserzä…
> Lars Klingbeil hatte noch im September erklärt, auch Leute mit sehr hohen
> Einkommen und Vermögen müssten ihren Beitrag leisten. Pustekuchen! 
Bild: Hat mal erklärt, auch Leute mit sehr hohen Einkommen und Vermögen müss…
Nun heißt das Bürgergeld also bald „neue Grundsicherung“, und die SPD
gewinnt endlich wieder Wahlen. So schlicht stellt sich manche
Sozialdemokrat*in die Welt vor. Das bei vielen Menschen unbeliebte
Bürgergeld halten einige inzwischen für den entscheidenden Faktor, der zum
Verlust des Kanzleramts führte. Also opfert man den Namen und einen Gutteil
des eigenen, lange erarbeiteten und fachlich begründeten Konzepts dem
rechten Zeitgeist und hofft, dass die Wähler:innen das belohnen. Es wird
nicht passieren.
Denn den Sozialdemokraten mangelt es nicht nur an Rückgrat. Ihnen fehlt
auch eine eigene Fortschritts- und Gerechtigkeitserzählung. Es gibt derzeit
kein Projekt, das die Menschen mit der SPD verbinden und für dessen
Verwirklichung es unbedingt eine*n sozialdemokratische Kanzler*in
bräuchte. Parteichef Lars Klingbeil hatte noch im September von einem
„gerechten Gesamtpaket“ gesprochen und erklärt, wenn es zu Veränderungen
beim Sozialstaat komme, müssten auch Leute mit sehr hohen Einkommen und
Vermögen ihren Beitrag leisten. Pustekuchen!
Die SPD hat keinerlei Gegenleistungen dafür verlangt, dass die Union das
Bürgergeld entsorgen darf und der Staat Arbeitslosen mit neuer Härte
begegnet: [1][strafferen Sanktionen bis hin zur kompletten Streichung aller
Leistungen], selbst der Miete. Fast zwei Millionen
Bürgergeldempfänger:innen sind übrigens Kinder und Jugendliche – ob
der kinderliebe Kanzler dann auch weint, wenn einige von ihnen aus dem
Kinderzimmer in die Obdachlosenunterkunft umziehen? Oder sagt er sich:
Selbst schuld, wenn die Eltern notorische Terminschwänzer sind?
Die SPD hält sich lediglich zugute, noch Schlimmeres verhindert zu haben.
Als „Partei des kleineren Übels“ verspottete Kurt Tucholsky die
Sozialdemokraten schon 1932 – sehr verändert haben sie sich seitdem nicht.
Vieles in der Debatte über das Bürgergeld erinnert an die nuller Jahre:
Auch damals steckte Deutschland in einer Rezession, die Zahl der arbeitslos
gemeldeten Menschen stieg. Die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen
schob man gestern wie heute den Beschäftigten zu und jenen, die der
Arbeitsmarkt ausgespuckt hatte. Was die kosteten! Kurz vor der
Jahrtausendwende [2][erschien ein Papier], das sich wie eine Ouvertüre zu
den Sozialreformen der Agenda 2010 las: Man müsse das „Sicherheitsnetz aus
Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln“.
## Immer wieder dieselben Fehler
Klingt nach Christian Lindner, die Autorenschaft beanspruchten aber zwei
Sozialdemokraten: Gerhard Schröder und sein Labour-Kumpel Tony Blair.
Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit seien besser als keine Arbeit,
tönten sie. Als Kanzler senkte Schröder denn auch Steuern für Unternehmen
und Reiche, weitete den Niedriglohnsektor aus und führte mit Hartz IV eine
Grundsicherung ein, die arbeitslose Menschen zwang, jeden Bullshitjob
anzunehmen. In nur einem Jahr konnte man so vom Facharbeiter mit Haus und
Garten zum Callcentermitarbeiter in der Platte werden. Viele Menschen
kehrten der SPD enttäuscht den Rücken.
Die Wahl 2005 ging verloren, die Sozialdemokraten brauchten anderthalb
Jahrzehnte, um wieder einen Machtanspruch zu stellen. Ein neues
Sozialstaatskonzept mit einem deutlich höheren Mindestlohn und die
Überwindung von Hartz IV hin [3][zum Bürgergeld mit „mehr Verständnis und
Respekt“] halfen dabei. Die SPD erschien im Wahljahr 2021 kurz mal wieder
als eine Partei, die jene stärkt, die für Lohn arbeiten gehen und die
Schwächsten dabei nicht zurücklässt.
Ja, es gibt Bürgergeldbezieher:innen, die Termine schwänzen. Und auch
solche, die nebenbei schwarzarbeiten. Beides wird bereits jetzt geahndet,
Letzteres ist illegal. Wer bei [4][Schwarzarbeit erwischt wird], dem drohen
hohe Bußgelder bis hin zu Freiheitsstrafen. Aber das Wichtigste: Das ist
nicht die Mehrheit. Die allermeisten Bürgergeldempfänger:innen – und
das bestätigen die Jobcenter – bemühen sich und machen mit. Dass die
Arbeitssuche schwierig ist, liegt an anderen Faktoren: fehlendem Personal
in den Jobcentern, der schwachen Konjunktur und einem Arbeitsmarkt, der
nicht gerade auf Menschen wartet, die keinen Berufsabschluss haben,
schlecht Deutsch sprechen, älter sind oder gesundheitlich nicht fit. Ein
Großteil der knapp zwei Millionen erwerbsfähigen
[5][Bürgergeldempfänger:innen hat mindestens zwei solcher
„Vermittlungshemmnisse“].
Aber auch jene, die heute noch gute Jobs haben, könnten, wenn ihre Branchen
weiter kriseln, in zwei, drei Jahren auf die neue Grundsicherung angewiesen
sein. Dass sie der SPD diese danken, ist nicht zu erwarten. Vielleicht
erfindet die SPD ja dann das „Respektgeld“. Aber auch das könnte ihr nichts
mehr nützen.
10 Oct 2025
## LINKS
[1] /Verschaerfungen-beim-Buergergeld/!6118763
[2] https://doku.iab.de/chronik/2x/1999_02_01_21_dass.pdf
[3] https://www.spd.de/aktuelles/sozialstaat
[4] https://www.arbeitslosenselbsthilfe.org/schwarzarbeit/#Schwarzarbeit_Wenn_B…
[5] https://iab-forum.de/macht-buergergeld-arbeit-unattraktiv/
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Bundesregierung
Kanzler Merz
Bürgergeld
Lars Klingbeil
Sozialstaat
SPD
Mindestlohn
Bürgergeld
Bürgergeld
Frauke Brosius-Gersdorf
Bürgergeld
wochentaz
Bürgergeld
Schwarz-rote Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kabinett billigt höheren Mindestlohn: 15 Euro wären dann doch zu viel
Die SPD feiert die Erhöhung der Lohnuntergrenze auf bis zu 14,60 Euro.
Grünen und Linken ist das zu wenig. Die Mindestlohnkommission steht in der
Kritik.
Geplante Verschärfungen beim Bürgergeld: Ein Hauch von Gegenwehr
Erwerbslosengruppen haben eine Aktionswoche gegen die schwarz-roten Pläne
gestartet. Danach wollen sie beraten, wie der Widerstand breiter werden
kann.
Bürgergeld-Reform: Wohnungslosigkeit als Druckmittel ist ein Tabubruch
Bürgergeldempfangenden, die Termine versäumen, wird gedroht, die Übernahme
der Wohnkosten zu streichen. Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit.
Medien in Zeiten der Krisen: Raus aus der Erregungsfalle
Nicht nur „die Politik“ muss in angespannten Zeiten liefern, auch Medien
sollten das tun. Sechs Ideen für einen konstruktiven Journalismus.
Reform des Bürgergelds: Kommt jetzt Hartz IV zurück?
Die Bundesregierung hat ihre neue Grundsicherung vorgestellt. Wie ein
Arbeitsmarktforscher die Vorschläge beurteilt.
Reformen in der Sozialpolitik: Nach unten treten, zum Glück tragen
Nach den Beschlüssen der Koalition zum Bürgergeld gehen die Bewertungen von
Praktiker*innen auseinander. Rechtlich sind die Pläne problematisch.
Union und SPD verschärfen Bürgergeld: Reichinnek nennt Pläne „menschenunw�…
Die Bürgergeld-Reform ist ein Fehler, sagten Linkspartei und Grüne. Die SPD
bleibt uneinsichtig und erntet Kritik aus den eigenen Reihen.
Verschärfungen beim Bürgergeld: Irgendwie mehr Härte
SPD und Union haben sich auf Grundzüge der Bürgergeldreform geeinigt.
Entscheidende Details sind noch unklar. Sicher ist: Arme bekommen mehr
Probleme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.