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# taz.de -- Reform des Bürgergelds: Kommt jetzt Hartz IV zurück?
> Die Bundesregierung hat ihre neue Grundsicherung vorgestellt. Wie ein
> Arbeitsmarktforscher die Vorschläge beurteilt.
Bild: Demonstrant:innen auf der Leipziger Montagsdemonstration gegen die geplan…
Berlin taz | Der Kampf um die Deutungshoheit hat begonnen. [1][Seit die
Bundesregierung am Donnerstag ihre Reform des Bürgergelds vorgestellt hat],
das nun Grundsicherung heißen soll, wird gestritten, wie tiefgreifend die
Veränderungen tatsächlich sind. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, frohloc…
schon während der Pressekonferenz CSU-Chef Markus Söder.
Unionsfraktionschef Jens Spahn will sogar eine „neue Ära der
Arbeitsmarktpolitik“ erkennen. SPD-Chefin Bärbel Bas dagegen verteidigte am
Freitag den Kompromiss, auch gegen Kritik ihrer Jusos. Es würden lediglich
die Mitwirkungspflichten durch neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“.
Experten sind mit ihrer Einschätzung zurückhaltender. „Für eine Bewertung
ist es noch zu früh“, sagt etwa [2][Joachim Wolff, der zum Bürgergeld und
der Grundsicherung am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) in Nürnberg
forscht.] Wie hart die angekündigten Sanktionen am Ende im Gesetzestext
stehen und wie diese dann in der Praxis angewandt werden, ist im Konzept
der Bundesregierung nicht ersichtlich.
Ungeklärt ist beispielsweise, wie die Regierung umsetzen will, dass bei
mehrfachen Meldeversäumnissen auch [3][die Kosten der Unterkunft] nicht
ausgezahlt werden. Werden die Zahlungen nur zeitweise gestoppt und zu einem
späteren Zeitpunkt rückwirkend ausgezahlt – etwa wenn ein
Leistungsberechtigter wieder zum Termin im Jobcenter erscheint? Vermutlich
meint die Bundesregierung es so – und das wird von den Jobcentern in der
Praxis schon jetzt regelmäßig so gehandhabt.
## Zurück auf Hartz
Oder handelt es sich um eine echte Streichung der Kosten der Unterkunft?
Das wäre rechtlich nur schwer umsetzbar, sagt Experte Wolff: „Hinter das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann man nicht zurück“. Das Gericht
hatte 2019 geurteilt, dass es für Sanktionen, die an das Existenzminimum
gehen, enge Grenzen gibt.
Die Antwort auf diese Frage entscheidet auch darüber, ob die Reform im
schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass mehr Menschen ihre Wohnung
verlieren. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in der ARD beschwichtigt: „Es
wird in Deutschland niemand obdachlos.“
Ist die neue Grundsicherung nun das alte Hartz IV, wie die einen
kritisieren und wie es sich die anderen erhoffen? Ganz so eindeutig ist es
nicht. „Es ist schon ein Kompromiss erkennbar“, sagt Experte Wolff. Die
strengeren Sanktionen, insbesondere für das Verpassen von Terminen,
erinnerten teils an die ursprünglichen Hartz-Reformen.
Doch in einer anderen Frage könnten sich die SPD und Befürworter des
Bürgergelds durchgesetzt haben: Weiterhin müssen Leistungsberechtigte
Arbeit wohl nicht um jeden Preis annehmen. Kanzler Merz sagte bei der
Vorstellung der Reform am Donnerstag, dass der „Vermittlungsvorrang zurück“
sei. Dementgegen gibt die Reform den Jobcentern auch in Zukunft die
Möglichkeit, auf Berufsausbildung und Qualifizierung zu setzen, statt
Menschen zur Aufnahme einer Arbeit zu zwingen.
## Qualifizierung gegen Hilfsbedürftigkeit
„Qualifizierung kann im Einzelfall der bessere Weg sein, um nachhaltig aus
der Hilfebedürftigkeit herauszukommen“, sagt Wolff, „weil qualifizierte
Arbeit besser bezahlt wird.“ Hier bleibt also eine Errungenschaft aus dem
Bürgergeld voraussichtlich weitgehend erhalten.
Eine weitere Änderung plant die Bundesregierung für Menschen, die mehrfach
Arbeitsangebote ablehnen. Bereits heute können diese Menschen, die oft als
[4]["Totalverweigerer"] diffamiert werden, unter Umständen ihren kompletten
Regelsatz per Sanktion verlieren. In Zukunft soll das bereits nach dem
ersten abgelehnten Jobangebot passieren.
Fraglich ist jedoch, ob das rechtlich umsetzbar ist. Denn um den Vorgaben
des Verfassungsgerichts zu genügen, ist die aktuelle Regelung aus Zeiten
der Ampel-Regierung so kompliziert, dass sie in der Praxis kaum Anwendung
findet. Wolff hat erst vor kurzem eine Studie dazu vorgelegt und bundesweit
nur eine „niedrige zweistellige Zahl“ von Fällen gefunden.
## Sanktionen können helfen
[5][Grundsätzlich zeigen Forschungsergebnisse allerdings, dass Sanktionen
tatsächlich dazu führen können, dass Menschen schneller eine Arbeit
aufnehmen], auch wenn sie gar nicht selbst von ihnen betroffen sind. Zu
hohe Sanktionen könnten laut Experten des IAB allerdings kontraproduktiv
wirken. Wer so stark sanktioniert werde, dass er in der Folge
beispielsweise Probleme habe, seine Stromrechnung zu bezahlen, werde
dadurch eher nicht dazu motiviert, nach Arbeit zu suchen.
Zuletzt hat die Bundesregierung angekündigt, Langzeitarbeitslose in Zukunft
enger betreuen zu wollen, mit „hoher Kontaktdichte“. Wolff begrüßt dieses
Vorhaben, stellt aber fest: „Dafür braucht es an den Jobcentern
zusätzliches Personal und Mittel“. Ob die Bundesregierung, deren Chef gern
behauptet, im Bürgergeld Milliarden sparen zu können, dafür Geld
bereitstellt, ist ungewiss.
11 Oct 2025
## LINKS
[1] /Verschaerfungen-beim-Buergergeld/!6118763
[2] /Forscher-zu-Buergergeld-Sanktionen/!6118590
[3] /Herbst-der-Reformen-und-Buergergeld/!6116024
[4] /Forscher-zu-Buergergeld-Sanktionen/!6118590
[5] https://iab.de/ex-ante-effekte-von-sanktionen-in-der-grundsicherung-bereits…
## AUTOREN
Kersten Augustin
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