Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Koalitionsauschuss: Wird jetzt alles gut?
> Bei Koalitionsausschuss demonstrieren Union und SPD viel Einigkeit. Die
> wird nur halten, wenn die Union aufhört, den Sozialstaat zu attackieren
Bild: Einigkeit nach Zoff? Kanzler Friedrich Merz und Arbeitsministerin Bärbel…
Kanzler Friedrich Merz steht extrem unter Druck. Der CDU-Chef hat markig
angekündigt als Anti-Merkel richtig konservativ und so wie früher zu
regieren. Dann hat er als Erstes die zuvor zum CDU-Heiligtum erklärte
Schuldenbremse faktisch abgeschafft. Der Fixstern im christdemokratischen
Wertehimmel, die Westbindung, strahlt auch nicht mehr. Um dieses Sinnloch
zu füllen, kündigt Merz an, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar.
Und so könne man beim Bürgergeld mal eben fünf Milliarden Euro sparen.
Auch SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas steht extrem unter Druck.
Die SPD ist müde und ideenlos. Wenn sie jetzt dem Druck der Konservativen
nachgibt und den Sozialstaat schreddert, droht Übles. In den Niederlanden
haben sich die Sozialdemokraten von genau diesem Fehler nach 2017 nie mehr
erholt. [1][Dass der Sozialstaat nicht mehr bezahlbar sei, erklärte Bas
kürzlich als „Bullshit“.]
Der Kanzler beteuert bei Koalitionsausschuss nun indes, der Sozialstaat
müsse gar nicht zusammengekürzt, sondern nur reformiert werden. Die
Arbeitsministerin beteuert, dass man sie bei Reformen wirklich nicht zum
Jagen tragen müsse. Merz und Bas haben zusammen Bier getrunken und duzen
sich jetzt. Das ist offenbar ein zentrales Ergebnis des
Koalitionsausschusses. Und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef
[2][Markus Söder sieht recht lyrisch „nach der Sommerdepression eine neue
Herbstkraft“ kommen.] Wird jetzt alles gut?
Diese Dramaturgie von Streit, Versöhnung samt Ankündigung, ab jetzt werde
alles besser, erinnert unschön an die Ampel. Auf Parteitagen holzen, beim
Koalitionstreffen Süßholz raspeln – das ist keine raffinierte
Kommunikation, sondern rhetorischer Raubbau, der Glaubwürdigkeit zerstört.
Schwarz-Rot wird nur überleben, wenn Merz und CDU-Generalsekretär Carsten
Linnemann begreifen, dass sie nicht mehr in der Opposition sind und
folgenlos Forderungen in die Welt trompeten können. Wenn die Union
suggeriert, das 30 Milliarden-Euro-Loch im Haushalt, das in ein paar
Monaten gefüllt werden muss, ließe sich mit Sozialkürzungen reparieren,
wird diese Regierung scheitern. Damit schürt die Union in ihrer
Anhängerschaft haltlose Illusionen – und verlangt von der SPD Selbstmord
auf offener Bühne. Beim Bürgergeld kann man schon wegen der Urteile des
Bundesverfassungsgerichts nicht einfach so streichen.
## Das Problem ist die prekäre Lage
Regierungen scheitern nicht daran, dass sich Kanzler und MinisterInnen
siezen, sondern an zu wenig Geld. Die Ampel ist am Ende an drei Milliarden
Euro zerbrochen. Angesichts des – trotz halb gelöster Schuldenbremse –
zehnmal so großen Lochs im Etat sollte Schwarz-Rot besser ein paar
Wahlversprechen noch einmal überprüfen – wie Mütterrente, Pendlerpauschale,
Agrardiesel.
Das Kernproblem ist aber nicht der Haushalt, sondern die prekäre
wirtschaftliche Lage. Deutschland hat seine ökonomischen Krisen seit der
Agenda 2010 durch Export gelöst. Das funktioniert nicht mehr. Die USA
schotten sich mit Zöllen ab, China flutet den Weltmarkt mit hochwertigen
Produkten in Branchen, in denen Deutschland erfolgreich war, darunter
Autos. Während Bas und Merz sich zuprosteten, flog Porsche aus dem DAX, dem
Index der 40 größten Unternehmen hierzulande.
Merz kündigt einen „Stahlgipfel“ und einen „Dialog mit Auto- und
Zulieferindustrie“ an. CSU-Ministerpräsident Markus Söder macht daraus, mit
Blick auf BMW und die Automobilmesse in München, einen „Autogipfel, der
zentral für Schwarz-Rot ist“.
Dialog oder Gipfel? Das mag als eine Kleinigkeit erscheinen. Ist es aber
nicht. Dass sich die Parteichefs von CDU und CSU noch nicht mal für fünfzig
Minuten auf ein gemeinsames Wording einigen können, ist bezeichnend. Zumal
die Inszenierung ja vor allem zeigen sollte, wie einig man sich ist.
Ist also alles verloren? Dass Union und SPD sich vor den Kommunalwahlen in
NRW Mitte September einigen, war sowieso nicht unbedingt zu erwarten. Und
es gibt noch Kompromisslinien und politische Spielräume. Die SPD hat
Verschärfungen beim Bürgergeld längst eingepreist. Das Wahlvolk versteht
durchaus, dass die Krise ernst ist. Auch Sozialreformen und Einsparungen
werden akzeptiert, wenn es nicht nur auf Kosten Schwächerer geht. [3][Laut
einer Umfrage sind Zweidrittel der WählerInnen der Union für höhere Steuern
für Reiche.]
4 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunk.de/bundesarbeitsministerin-bas-verteidigt-bulls…
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/koalitionsausschuss-240.html
[3] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3488.html
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Schwarz-rote Koalition
Bärbel Bas
Friedrich Merz
Streit
Markus Söder
Bürgergeld
Grüne
Autoindustrie
Dietmar Bartsch
Die Linke Berlin
Richter:innenwahl
Rente
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reform des Bürgergelds: Die Leute haben Angst
Schwarz-Rot plant Einschnitte beim Bürgergeld. Das gibt billigen Applaus.
Betroffenen erschweren sie das Leben, und viel gespart wird nicht.
Grünen-Abgeordnete über Steuerpolitik: „Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, mu…
Reiche stärker zu besteuern, sei eine Frage der Gerechtigkeit, sagt
Katharina Beck. Was Merz und Söder fordern, hält sie für „Unfug“.
Krise der Autoindustrie: Porsche-Chef will schnell zurück in den Dax
Der Luxus-Autobauer Porsche ist nach nur drei Jahren aus dem Deutschen
Aktien-Index geflogen. Unter anderem leidet er unter mangelnder Nachfrage
in China.
Neue Zahlen zu Sozialausgaben: Soziales gemessen am BIP nicht teurer als 2015
Kann sich Deutschland seinen Sozialstaat noch leisten? In absoluten Zahlen
sind die Ausgaben gestiegen, nicht aber im Verhältnis zur Wirtschaftskraft.
Bürgergeld-Kampagne der CDU: Die Welt von Friedrich Merz steht Kopf
Die Behauptung des Kanzlers, der Staat finanziere
Bürgergeld-Empfänger:innen teure Wohnungen, stimmt nicht. Das glatte
Gegenteil ist der Fall.
Nach der geplatzten RichterInnenwahl: Koalition geht streitend in die Sommerpau…
Die SPD hält an ihrer Kandidatin Brosius-Gersdorf fest und fordert von der
Union Zustimmung. Dort gibt es immer mehr Kritik an der Fraktionsspitze.
Rentenreform des Arbeitsministeriums: Bas bringt Rentengesetz auf den Weg
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) will das Rentenniveau weiter
sichern und die Mütterrente ausweiten. Die Vorhaben kosten Milliarden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.