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# taz.de -- Künstliche Intelligenz: Schreiben unter Verdacht
> Seht her, hier wird noch geschrieben! Wo Texte zunehmend hybrid
> entstehen, muss die Geschichte vom „reinen“ Schreiben besonders laut
> erzählt werden.
Bild: Alles KI oder was?Je bedrohter die traditionelle Autorschaft wird, desto …
Wer glaubt, generative künstliche Intelligenz verändere nur das Schreiben
derer, die sie nutzen, irrt gewaltig. Sie hat bereits alle Schreibenden
erfasst – ob sie wollen oder nicht. Die einen werden zu Meta-Autoren oder
Text-Kuratoren, die Inputs orchestrieren und maschinelle Outputs in ihre
Erzählungen einbauen. Längst ist bei ihnen die Grenze zwischen Planen,
Schreiben und Redigieren verwischt. Kontexte verstehen, die eigene Position
reflektieren, Quellen kritisch überprüfen – all das ist für sie wichtiger
geworden als das handwerkliche Schreiben.
Doch selbst die anderen, die sich der KI komplett verweigern, können nicht
mehr außerhalb des KI-Diskurses schreiben. Denn das Perfide ist: Nicht
KI-Nutzende müssen Transparenz herstellen, sondern Selbstschreibende müssen
zunehmend beweisen, dass ihre Texte menschengemacht sind. Ich selbst habe
zum Beispiel früher obsessiv [1][den Gedankenstrich] benutzt, jetzt zügle
ich mich, weil das Gerücht umgeht, man erkenne ChatGPT-Texte an dem
Satzzeichen. Ja, selbst der authentischste Stil kann unter KI-Verdacht
geraten!
Diese absurde Umkehr zeigt sich überall. Büchern werden Disclaimer, also
Haftungsausschlüsse beigefügt: „Human Authored“. Es werden KI-Detektoren
entwickelt und in Verlagen und Universitäten zum Einsatz gebracht. Der
Verdacht ist zur Grundhaltung geworden, auch, weil er sich kaum ausräumen
lässt. Weder gibt es Kriterien dafür, ab wann ein Text als
[2][KI-generiert] gilt, noch lässt es sich wirklich zuverlässig prüfen.
Besonders anschaulich, geradezu als eigenes Genre, wird das Selbstschreiben
auf Tiktok bekundet. Regelmäßig tauchen in meinem Feed Clips junger Autoren
auf, die ihr Schreiben regelrecht überinszenieren: die Angst vor dem weißen
Blatt, Schreibblockaden, wie oft sie ihren Roman neu anfangen mussten oder
(das ist besonders beliebt) wie viel Wörter sie an einem Tag geschrieben
haben. Sie zeigen sich in sonnengefluteten Cafés mit glänzenden MacBooks
und präsentieren handbeschriebene Moleskine-Notizbücher. Diese stark
romantisierten Videos schreien förmlich: Seht her, es wird noch
geschrieben!
## Ein letztes großes Aufbäumen des Schreibens
Je bedrohter die traditionelle Autorschaft wird, desto theatralischer also
ihre Darstellung? In ihrer Summe wirken die Videos jedenfalls wie ein
letztes großes Aufbäumen des Schreibens. Ein stiller Versuch, das Schreiben
sichtbar zu machen, gerade weil es sich so rapide verändert. Die Videos
zeigen allerdings nicht das Schreiben selbst, sondern nur eine nostalgisch
eingefärbte Vorstellung davon.
Auffällig ist, dass KI in solchen Videos fast nie offen thematisiert wird.
Wenn überhaupt, dann rechtfertigend: „Ich nutze KI, aber nur fürs
Worldbuilding.“ „Nur für die Recherche.“ „Nur, um die Satzstruktur zu
verbessern.“ Das „nur“ soll signalisieren: Das eigentliche Schreiben liegt
noch in meiner Hand. Doch Welten erschaffen, recherchieren, an der
Satzstruktur arbeiten – all das ist Schreiben. Während die Erzählung vom
„reinen“ Schreiben gebetsmühlenartig vorgetragen wird, hat sich die Praxis
längst verändert. Das Pensum vieler sogenannter „BookTok-Autoren“ wäre o…
KI eigentlich kaum erklärbar.
Wo Texte zunehmend hybrid entstehen, muss die [3][Geschichte vom „reinen“
Schreiben] also besonders laut erzählt werden. Dabei geht es nicht nur um
eine Rechtfertigung Dritten oder einer wie auch immer gearteten
Öffentlichkeit gegenüber, sondern auch vor sich selbst. Bei
KI-unterstützten Texten ist die Stimme zugleich die eigene und eine andere.
Dieser Zustand, verantwortlich zu sein, ohne vollständig verantwortlich zu
sein, hat eine eigentümliche Schwere. Vielleicht, weil sie für uns Autoren
– im Vergleich zu Kuratoren oder Regisseuren – eine neuartige Erfahrung
ist?
Die teils verzweifelte Ästhetisierung des Schreibens ist Ausdruck von
Abwehr und Sehnsucht, aber auch ein Signal, für das Geschriebene
Verantwortung zu übernehmen. Und es ist ein wichtiges Signal: Heute zu
schreiben heißt, weniger beweisen zu müssen, dass man dazu fähig ist –
sondern, dass man es ernst meint.
9 Sep 2025
## LINKS
[1] /KI-und-der-Gedankenstrich/!6105651
[2] /Kuenstlerin-Hito-Steyerl-analysiert-KI/!6108253
[3] /KI-generierte-Einbaende/!6101559
## AUTOREN
Annekathrin Kohout
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