| # taz.de -- KI unter Faschismusverdacht: Die Papageien, die wir riefen | |
| > Übles wird nachgeplappert: KI hat nicht nur ein Kreativitäts-, sondern | |
| > auch ein potenzielles Faschismusproblem, analysiert Rainer Mühlhoff in | |
| > einem Buch der Reclam-Reihe „Was bedeutet das alles?“. | |
| Bild: Flüche, Sexismen, Rassismus: Der stochastische Papagei wiederholt, was e… | |
| Ein britischer Tierpark hat ein Problem: Die Papageien fluchen. Sie | |
| beleidigen. Sie verwenden verletzende Sprache. Kurzum: Sie geben von sich, | |
| was sie oft gehört haben, und das ist viel Übles. Der Lincolnshire Wildlife | |
| Park ist eine nationale Auffangstation. Die Menschen geben dort Vögel ab, | |
| weil sie die Rufe nicht mehr ertragen können, die ihre gefiederten | |
| Mitbewohner von ihnen gelernt haben. | |
| „Stochastische Papageien“ – diesen Ausdruck prägte die Computerlinguistin | |
| Emily Bender gemeinsam mit drei Kolleginnen, um große Sprachmodelle zu | |
| beschreiben. Wiederholung nach Wahrscheinlichkeit ist das Geheimnis | |
| „künstlicher Intelligenz“. Und auch ihr Problem: Large Language Models | |
| erzeugen Gleichklang. Sie bilden nicht den klügsten Satz, sondern | |
| reproduzieren die Muster, die oft genug wiederholt wurden. | |
| Der so entstehende Mangel an sprachlicher Kreativität ist nicht das | |
| Schlimmste. Sprachmodelle werden zu groß, lautet die These von Bender und | |
| ihren Kolleginnen. Nicht nur die ökologischen Kosten sind enorm. Das | |
| Training der KI etwa verbraucht Unmengen an Strom. „Too big“ und damit | |
| unkontrollierbar sind auch die Daten, von denen die stochastischen | |
| Papageien sich ernähren. Ihr „Futter“ enthält außerdem hohe Anteile von | |
| Rassismus, Sexismus und Antisemitismus. | |
| Bei diesen Gefahren von KI setzt das neue Buch von Rainer Mühlhoff an, das | |
| bei Reclam in der Reihe „Was bedeutet das alles?“ erschienen ist. Die KI | |
| als solche ist nicht faschistisch, schreibt Mühlhoff. Aber sie habe | |
| strukturelle Eigenschaften, die „den Rechtsstaat und die freiheitliche | |
| demokratische Ordnung“ schwächten. Denn für die Verbreitung von | |
| Desinformation und [1][Propaganda] ist sie perfekt geeignet. | |
| Was es heißt, wenn KI-Systeme zum Einsatz kommen, um gesellschaftliche | |
| Prozesse zu strukturieren und zu verbessern, demonstriert Mühlhoff in einem | |
| Gedankenexperiment, der Fiktion einer erfahrungsbasierten Arbeitsweise nach | |
| dem Muster einer KI: An die Stelle der üblichen Einzelfallprüfungen nach | |
| definierten Verfahren träte im Behördenalltag dann das Bauchgefühl der | |
| Bearbeiterinnen und Bearbeiter – ein im Job erarbeitetes Gespür für | |
| richtige Angaben, aber auch für Tricks oder Schummeleien. Auch die | |
| Bauchgefühle würden in diesem Szenario evaluiert. Doch das geschähe weder | |
| durch umfängliche Prüfungen noch durch ausgewählte Stichproben. Maßstab | |
| wäre vielmehr das Ausbleiben von Kritik: Wer sich nicht beschwert, hat auch | |
| keine Einwände gegen eine behördliche Entscheidung – so die Hypothese. Das | |
| Problem: Wer geringe Ressourcen hat, wird sich seltener wehren. So wird die | |
| „beste Wette auf einzelne Fälle“, als die sich das Bauchgefühl verstehen | |
| lässt, schnell zum Albtraum. | |
| Mühlhoff ist Philosoph und Mathematiker. Neben seiner Auseinandersetzung | |
| mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des Einsatzes von KI analysiert er | |
| die Vorstellungen, die sich die Gesellschaft über KI macht. Damit steht er | |
| in der Tradition philosophischer Ideologiekritik. Ihn interessieren die | |
| populären Bilder, die Elemente einer sich lange abzeichnenden | |
| „Tech-Ideologie“. Laut Mühlhoff befinden wir uns schon seit 20 Jahren in | |
| einer dritten Phase der [2][KI-Euphorie] – mit Vorgeschichten in den 1960er | |
| und 1980er Jahren. | |
| In solchen „KI-Sommern“ ist die Stimmung überhitzt. Technologiekonzerne | |
| hoffen auf die „Artificial General Intelligence“, kurz: AGI. In spätestens | |
| 20 Jahren, so die Prophezeiung, sei es so weit. Mühlhoff ist da | |
| skeptischer. Denn auch solche Prognosen sind nicht neu. Eine Studie des | |
| Machine Intelligence Research Institute legt nahe: Wer innerhalb der | |
| letzten 60 Jahre an die Machbarkeit einer AGI glaubte, nahm jeweils an, | |
| dass sie in 15 bis 25 Jahren Realität werde. | |
| ## Ein Gefühl der Hilflosigkeit | |
| Wenn Mühlhoffs Essay trotzdem warnende Töne anschlägt, dann aus politischen | |
| Gründen. Daten, so schreibt er, seien heute „die knappste und strategisch | |
| wichtigste Ressource der KI-Industrie“. Sie sollen in großen Mengen zur | |
| Verfügung stehen und die KI-Konzerne möglichst wenig kosten. Den Preis | |
| bezahlen andere: etwa die [3][Künstlerinnen und Künstler], deren Arbeiten | |
| entwertet werden, wenn sie an eine KI verfüttert werden, die mit | |
| massenhafter Produktion die Märkte zuschütten kann. | |
| In den Tech-Ideologien, die im Buch profiliert werden, spielen solche | |
| Erwägungen kaum eine Rolle. Nicht weil „Moral“ insgesamt nicht hoch im Kurs | |
| stünde. Im Gegenteil: Nur sind die „moralischen“ Überlegungen der | |
| Technophilen anders ausgerichtet. Wenn die künstliche Superintelligenz | |
| demnächst komme, so lautet ein Argument, dann müssen wir unser Handeln | |
| jetzt schon darauf einstellen: Statt auf die Bedürfnisse der Menschen, die | |
| Gefahren des Klimawandels oder der sozialen Ungleichheit zu reagieren, | |
| gelte es vielmehr, die bestmöglichen Startbedingungen für die erhoffte neue | |
| Intelligenzform bereitzustellen. | |
| Der ideologische Mix hinter den Staats- und Gesellschaftsvorstellungen der | |
| Tech-Eliten reicht vom Cyberlibertarismus über rassistische und sexistische | |
| Troll-Subkulturen bis zur intellektuellen Strömung der „Dunklen | |
| Aufklärung“. Faschismus setzt Mühlhoff als Kategorie ein, um das | |
| Zusammenwirken dieser Bewegungen zu erläutern: Diese verbinde eine | |
| antidemokratische Stoßrichtung und Gewaltbereitschaft. | |
| Was tun? Das Gefühl der Hilflosigkeit ist Teil des Problems. Wir alle | |
| liefern der KI unsere Daten, betont Mühlhoff. Es ist wie im Lincolnshire | |
| Wildlife Park: Wer von den Papageien weniger Flüche hören will, muss selbst | |
| weniger fluchen. Aber damit ist es nicht getan. Mühlhoff fordert, die KI zu | |
| thematisieren, anstatt sich von ihr thematisieren zu lassen. „Anders über | |
| KI-Technologie sprechen“ ist eine von zwei Handlungsempfehlungen, mit denen | |
| das Buch schließt. Antidemokratische Kräfte zu isolieren, ist die andere. | |
| Was auf den 160 Seiten hingegen nur angedeutet wird, sind die ökonomischen | |
| Strukturen, die solche Kräfte erst ermöglichen und die hart gegen | |
| Kritikerinnen vorgehen. Timnit Gebru und Margaret Mitchell, zwei | |
| Autorinnen, die mit Emily Bender an dem Aufsatz über „stochastische | |
| Papageien“ gearbeitet haben, wurden von Google entlassen. Unerkannt zu | |
| bleiben, ist ihnen nicht gelungen. Margaret Mitchell weist darauf hin, | |
| indem sie nun unter subversivem Pseudonym schreibt: Shmargaret Shmitchell. | |
| 28 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hendrikje Schauer | |
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