# taz.de -- Wie KI unser Denken verändert: Verletzter Stolz | |
> Künstliche Intelligenz verändert unser Denken. Eine Herausforderung ist, | |
> dass sie uns das Gefühl nimmt, Dinge eigenständig erarbeitet zu haben. | |
Bild: KI, dein Freund und Helfer? Sich im kreativen Prozess weniger allein zu f… | |
Letzte Woche stolperte ich über den Thread einer wissenschaftlichen | |
Mitarbeiterin, der mir ein Augenrollen entlockte (Sorry!). Sie entwarf | |
[1][ChatGPT] als Feindbild der Universitätswelt – besonders, was die | |
Nutzung der Studierenden betrifft. Ihre Argumente? Die Ergebnisse seien | |
erfunden! Für wissenschaftliches Arbeiten sind sie demnach ungeeignet. | |
Außerdem sei die Ästhetik der KI „aktiv faschistisch“ – aus moralischen | |
Gründen also abzulehnen –, und natürlich die – nicht von der Hand zu | |
weisenden – [2][Umweltschäden infolge des hohen Energieaufwands für | |
Prompts]. | |
Im Kommentarbereich kollektives Kopfnicken der Kollegenschaft. Es folgte | |
ein Best-of deutscher Technikskepsis, das ich noch aus meiner Studienzeit | |
(damals wegen Wikipedia und YouTube) kenne: Studierende verlernen zu | |
denken, werden keine Bücher mehr lesen und – Gott bewahre – niemals in | |
ihrem Leben originell sein können! | |
Scheinbar haben viele Uni-Mitarbeitende ChatGPT noch nicht ausprobiert. | |
Ihre Sorgen sähen dann anders aus. Studierende verlernen nicht das Denken – | |
aber ihr Denken, unser aller Denken, verändert sich. Es wird dialogischer! | |
Die meisten, die ChatGPT nutzen, geben nicht einfach einen Prompt ein und | |
erwarten ein Endergebnis – auch Studierende nicht (meiner Erfahrung nach). | |
Viele sind sich bewusst, dass keine wissenschaftlichen Wunderwerke getan | |
werden, und den Ergebnissen zu misstrauen ist. | |
Ideen entstehen im Austausch | |
Warum nutzen sie die [3][KI] dann? Aus Effizienzgründen, gewiss. Aber auch, | |
weil man in einen Dialog tritt. Weil im Austausch Ideen entstehen, die zum | |
Weiterdenken anregen und Assoziationen stimulieren – anders als das zu | |
früheren Zeiten bei einer intensiven Lektüre möglich war. Denn die Lektüre | |
reagiert ja nicht auf einen. Und wer Assoziationen hat, der erlebt sich – | |
wie man in Lambert Wiesings neuem Buch lernen kann – als einzigartig. | |
Ich bezweifle daher, dass kreative Köpfe ihre Originalität verlieren | |
werden. Vielleicht sogar im Gegenteil. Außerdem: Sich im kreativen Prozess | |
weniger allein zu fühlen, kann motivierend sein! | |
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will ChatGPT nicht verteidigen. Mir | |
wäre es auch lieber, wenn ich eine KI nutzen könnte, die nicht von einem | |
profitorientierten Großkonzern entwickelt wurde, sondern auf | |
gemeinwohlorientierten Prinzipien beruht – transparent, datensparsam, mit | |
Rechenschaftspflicht. | |
Aber seien wir doch ehrlich zu uns selbst: KI ist gekommen, um zu bleiben. | |
Wir müssen also ernst nehmen und verstehen, wie diese Programme tatsächlich | |
verwendet werden. Dann offenbaren sich konkrete Herausforderungen: | |
Dialogisches Arbeiten kann Gedanken zerstreuen und für | |
Orientierungslosigkeit sorgen – das ist am Anfang einer wissenschaftlichen | |
Arbeit verhängnisvoll. Hinzu kommt: Wer unsicher ist, nutzt die KI zur | |
Absicherung – was dazu führen kann, dass man sich zu stark auf das Urteil | |
der „externen Stimme“ verlässt und weniger intuitiv oder mutig schreibt. | |
Verlust des Gefühls für Selbstwirksamkeit | |
Das Gefühl, etwas völlig eigenständig und ohne Hilfe erarbeitet zu haben, | |
macht stolz. Darin sehe ich die größte Gefahr: Wenn man keinen Stolz mehr | |
empfindet, verliert man das Gefühl für Selbstwirksamkeit. Man erkennt | |
vielleicht noch, was gut oder richtig ist, aber es fehlt das innere Echo, | |
das einem sagt: Das war von Wert, das war von dir. Stolz ist nicht bloß | |
Eitelkeit – er ist ein Signal: Ich habe etwas geschafft, ich bin jemand, | |
ich bin verbunden mit etwas, das Bedeutung hat. | |
Ich mache mir also auch Sorgen wegen ChatGPT. Allerdings weniger, weil ich | |
es für unzuverlässig oder biased halte. Sondern, weil es uns bereits jetzt | |
vor grundlegende Fragen stellt. Etwa: Worauf können wir heute stolz zu | |
sein? Verletzter Stolz ist ein machtvolles Gefühl. Destruktiv, aber auch | |
klärend – wenn man sich damit auseinandersetzt. Und gewiss entstehen für | |
manche sogar neue Quellen für Stolz – Originalität zum Beispiel. | |
Die empörten Kommentare der Uni-Mitarbeitenden? Vielleicht nutzen sie | |
ChatGPT längst heimlich und spüren die Verletzung ihres Stolzes bereits – | |
wollen es aber nicht wahrhaben. | |
13 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Annekathrin Kohout | |
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