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# taz.de -- Visuelle Gewalt der Rechten: Zynismus und lustvolle Unmoral
> Zynismus ist Teil der Provokation der Rechten in den sozialen Medien. Das
> Video zu Migration der US-Ministerin für Innere Sicherheit zeigt das
> unverhohlen.
Bild: US-Heimatschutzministerin Kristi Noem während eines Rundgangs durch das …
Entschlossen steht sie da, figurbetontes weißes Oberteil, sorgfältig
gestylte Haare, Rolex ums Handgelenk, harter Blick – vor inhuman
überfüllten Gefängniszellen. Hinter den Gittern sind dicht gedrängte
Männerkörper zu sehen, die Haare geschoren, manche tätowiert, viele mit
nacktem Oberkörper, auf Betten übereinander gestapelt. Das Ende März
veröffentlichte und seitdem viel diskutierte Video von Kristi Noem, der
Ministerin für Innere Sicherheit der USA, trägt eine furchteinflößende
Drohung an Migranten: „Geht jetzt, oder ihr landet hier.“
Bewusst spielt sie als Frau dabei auch mit erotischen Machtassoziationen
und Dominanzfantasien. Unweigerlich muss man wahlweise an die
Konzentrationslager der NS‑Zeit oder Lynndie England im
Abu-Ghraib-Gefängnis denken – Dutzende Memes gingen diesen Assoziationen
nach.
Was das Video so erschütternd macht, ist die Tatsache, dass nicht einmal
versucht wird, die Unmenschlichkeit zu verbergen. Die Gewalt trägt keine
Maske mehr. Die moralische Grenzüberschreitung wird nicht kaschiert –
sondern sogar zelebriert. Denn Noem hat dieses Video nicht nur zur
Abschreckung gepostet. Sie präsentiert es vor allem ihren eigenen Anhängern
als Einladung, sich an der Härte und Entwürdigung visuell zu berauschen –
vor den Augen der Öffentlichkeit.
In dem Gefängnisvideo zeigt sich ein Zynismus, wie ihn [1][Peter
Sloterdijk] bereits 1983 in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ als
Bewusstseinszustand der 1920er und 30er Jahre beschrieben hat: „als
aufgeklärtes falsches Bewusstsein“. So traurig wie besorgniserregend es
auch sein mag: Erst heute scheint der Höhepunkt zynischer Vernunft
erreicht. Sloterdijks Buch ist eine der treffendsten Beschreibungen unserer
Gegenwart – fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen.
## Soziale Medien geben dem Zynismus eine Bühne
Warum? Soziale Medien haben dem Zynismus eine neue Bühne gegeben. Sie
befeuern ihn durch die Verkürzung komplexer Themen auf plakative Bilder,
die algorithmische Belohnung polarisierender Inhalte und die
Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Informationen, was Maßstäbe
relativiert und entsprechend Demoralisierung befördert.
Noems Video nutzt diese Mechanismen perfekt. Es reduziert das komplexe
Thema Migration auf ein einfaches Bild von Inhaftierung, polarisiert durch
unverhohlene Instrumentalisierung menschlichen Leids und normalisiert eine
Kommunikationsform, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Auf den ersten Blick schien unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren
eine moralische Wende zu vollziehen. Themen wie Inklusion, Diversität und
Klimaschutz dominierten den öffentlichen Diskurs. Doch parallel dazu hat
sich eine Gegenbewegung formiert, die sich bei aller Heterogenität in ihrer
zynischen Verweigerung manifestiert.
## Linke sind in den Augen der Rechten „Moralisten“
Der moderne politische Zynismus, wie er im Gefängnisbild virulent wird,
lehnt jede Moral demonstrativ ab, indem Tabus verletzt werden. „Keep
posting it. Leftists hate this video so much“, kommentierte ein X-User den
Post von Noem. Hier wird deutlich, was viele Rechte unter „Leftists“
eigentlich verstehen: nämlich Moralisten. Gegen solche gehen sie als
Zyniker mit ihrer enthemmten Unmoral in Stellung.
Problematisch am digitalen Zynismus ist aber auch: Er ist im Kern
kommunikationsverweigernd. Das Video ist keine Einladung zum Gespräch,
sondern lediglich zur Reaktion. Die ausgelösten Reaktionen mögen entweder
empört oder zustimmend sein, ein Austausch wird daraus nie entstehen. Die
Botschaft des Gefängnisbildes lautet nicht: „Lasst uns über
Migrationspolitik diskutieren“, sondern: „So sieht unsere Härte aus – se…
beeindruckt oder entsetzt.“
Die sozialen Medien haben neue Möglichkeit zum Dialog geschaffen. Der
digitale Zynismus nutzt die Infrastruktur paradoxerweise dazu, um genau
diesen Dialog zu unterlaufen. Er täuscht Kommunikationsbereitschaft vor,
während er tatsächlich nur Reaktionen provoziert – eine perfide
Weiterentwicklung des Zynismus im digitalen Zeitalter.
8 Apr 2025
## LINKS
[1] /Philosoph-Sloterdijk-ueber-Klimawandel/!5949761
## AUTOREN
Annekathrin Kohout
## TAGS
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