# taz.de -- Buch über Strategien von AfD und Putin: Vergangenheit, die es nie … | |
> In „Das Deutsche Demokratische Reich“ zeigt der Historiker Volker Weiß, | |
> wie die AfD und Putin Geschichte umschreiben. | |
Bild: Schulterschluss: Der russische Außenminister Sergei Lawrow und AfD-Co-Pa… | |
Am 3. Oktober des Jahres 2023 demonstrierte Jürgen Elsässer, Chef des | |
Magazins Compact, wie sich die Rechte aus historischen und ideologischen | |
Versatzstücken ihre Gegenwelt zusammenbastelt: „Die Hoffnung für mich liegt | |
eindeutig im Osten, wo die Menschen noch Deutsche bleiben und Deutschland | |
verteidigen wollen“, sagte der Propagandist bei einer Rede zum sogenannten | |
Tag der deutschen Freiheit in Gera. Für Ultrarechte, Nationalkonservative | |
und Neonazis ist das Territorium der DDR nach deren Untergang zum Land der | |
Hoffnung geworden. Hier gibt es wenig „Ausländer“, hier herrscht noch | |
Disziplin, hier isst man noch echte Würste. | |
Diese Nostalgie spricht nicht nur Leute an, die autoritär gestrickt sind | |
und angesichts der Zumutungen der Moderne gern in einer Märchenwelt leben | |
wollen. Volker Weiß weist in seinem neuen Buch darauf hin, dass der | |
[1][AfD-Politiker] Björn Höcke darüber berichtet hat, wie sein Vater ihm | |
1989 erklärte, dass mit dem Untergang der DDR das letzte ethnische | |
Reservoir Deutschlands von Überfremdung bedroht werde. | |
Elsässer stellte in seiner Rede sodann die Frage, „ob wir nicht im Osten | |
die DDR neu gründen sollten. Aber nicht auf sozialistischer Grundlage, | |
sondern als Deutsches Demokratisches Reich“. Dessen Reichskanzler solle | |
Björn Höcke werden. Für den Posten des „Reichskommissars für Inneres und | |
Bandenbekämpfung“ schlug Elsässer einen Ex-AfDler vor, André Poggenburg, | |
der Linke einst als „Wucherungen am Volkskörper“ bezeichnet hatte. | |
Zerstörung historischen Wissens | |
Reichskommissare gab es im Deutschen Reich und unter der Herrschaft der | |
Nationalsozialisten einige. Der bekannteste und berüchtigste unter ihnen | |
war der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. „Bandenbekämpfung“ wiederum | |
war ein Nazi-Codewort für Massenerschießungen von Juden in den eroberten | |
Gebieten der Sowjetunion. Man ahnt also, was für ein „Deutsches | |
Demokratisches Reich“ sich Elsässer da imaginierte. Dieses begriffliche | |
Monster hat nun dem eben erschienenen Buch von Volker Weiß den Titel | |
gegeben. Darin analysiert der Historiker, der sich als Experte für | |
neurechte Theoriebildung einen Namen gemacht hat, kenntnis- und detailreich | |
die Geschichtspolitik von Neonazis, Rechtsextremisten und AfD-Kadern. | |
Eine der wesentlichen Operationen dieser Geschichtspolitik besteht in der | |
Zerstörung historischen Wissens und der Neudefinition von bekannten | |
Begriffen. Weiß widmet sich ausführlich der Frage, [2][wie „sozialistisch“ | |
die NSDAP] war, hatte sich doch zuletzt Alice Weidel den beliebten | |
Taschenspielertrick der Ultrarechten zu eigen gemacht und behauptet, die | |
originalen Nazis seien links gewesen, weil: „nationalsozialistisch“. Weiß | |
erinnert daran, dass solche Umdeutungen schon erfolgreich die Autoren der | |
„Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik vorgenommen hatten. Der | |
„Sozialismus“, den sich diese „konservativen Revolutionäre“ | |
zusammenschusterten, hatte mit der ursprünglichen Idee des Sozialismus | |
wenig zu tun. | |
Der „Sozialismus“, den Naziführer propagierten, war noch weiter davon | |
entfernt: Er war durch und durch rassistisch, ein „Sozialismus des guten | |
Blutes“, wie ihn Heinrich Himmler nannte. Der Begriff diente dazu, die | |
größte Wählergruppe der 1930er anzusprechen: Das Proletariat, das nun als | |
„Arbeiterschaft“ tituliert wurde, hatte de facto jedoch wenig bis nichts | |
von der NS-Politik zu erwarten. Seine Gewerkschaften wurden zerschlagen, | |
seine Rechte beschnitten, Sozialisten in Konzentrationslager gesteckt und | |
ermordet. Der Nationalsozialismus wurde ideologisch durch einen „doppelten | |
Antisemitismus“ ermöglicht, der in den widersprüchlichen Figuren des | |
„jüdischen Spekulantentums“ und des „jüdischen Bolschewismus“ seinen | |
Ausdruck fand, wie Götz Aly in seiner Studie „Hitlers Volksstaat“ gezeigt | |
hat. | |
Die Verbindung von Rassismus mit einem Gleichheitsversprechen für die | |
„Volksgenossen“ beschränkte sich aber nicht nur auf die Ebene der | |
Ideologie: Hitlers „Volksstaat“ basierte auf der Enteignung der jüdischen | |
Bevölkerung in ganz Europa und in den Konzeptionen der | |
NS-Wirtschaftsexperten auch auf der geplanten Vertreibung von 50 Millionen | |
Slawen aus den besetzten Ostgebieten. | |
Angesichts des Schindluders, das die neuen Rechten mit Begriffen, den | |
Erkenntnissen einer kritischen Geschichtswissenschaft und mit der | |
Geschichte selbst treiben, ist es nachvollziehbar, dass Weiß der Frage des | |
vermeintlichen „Sozialismus“ der NSDAP viel Platz einräumt. Diese Umdeutung | |
von Geschichte steht für Weiß darüber hinaus beispielhaft für das Vorgehen | |
der Theoretiker der extremen Rechten, die das Projekt einer | |
„historisch-fiktionalen Gegenerzählung“ verfolgten. „Zur Vorbereitung der | |
verheißenen glorreichen Zukunft muss zunächst das historische Geschehen neu | |
überschrieben werden, um die Vergangenheit wieder attraktiver erscheinen zu | |
lassen.“ In der rechten „Geschichts-Scharade“ werde der Nationalsozialism… | |
für Inhalte verurteilt, „die weniger zentral waren, während sogleich sein | |
ideologischer Kern rehabilitiert wird“, schreibt Weiß. | |
Ironischerweise kämen dabei Methoden zur Anwendung, die lange als | |
progressiv verstanden worden sind. Mittels „Subversion durch | |
Resignifikation“, also Unterwanderung durch Aneignung und Umdeutung | |
bekannter Symbole und Begriffe, sollte „einst ‚Macht‘ revolutionär | |
dekonstruiert werden“, schreibt Weiß. Inzwischen aber sei dieses Verfahren | |
„längst zum gefügigen Mittel der Gegenrevolution geworden“. | |
Zentral ist dieses Verfahren für die extreme Rechte auch auf einem weiteren | |
Feld – wenn es zu begründen gilt, warum deren einstiger Erzfeind, die | |
Sowjetunion, und ihr imperialistisches Nachfolgeregime, die Diktatur | |
Putins, heute von ihr positiv betrachtet werden. Zwischen Wladimir Putin | |
und den Hardlinern der AfD herrscht Einigkeit darüber, wer der Feind ist: | |
„Der Westen“, dessen Kultur „unser Volk innerlich zerfressen“ solle, wie | |
Putin es formulierte. Westliche Ideen führten „auf direktem Weg zu Zerfall | |
und Entartung“, da sie angeblich der „Natur des Menschen“ widersprächen. | |
Ehemalige KGBler reden wie Faschisten | |
Es ist kein Wunder, dass sich die Ultrarechten der AfD gern in Putins Reich | |
einladen lassen. Weiß zitiert den Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler, | |
der in Putins Gedankenwelt eine Vermischung von „Sowjetpatriotismus“, eines | |
imperialen und ethnischen Nationalismus und eines „Blut-und-Boden-Pathos“ | |
erkennt. | |
Dass ein einstiger KGB-Offizier heute wie ein Faschist daher redet, scheint | |
aber auch für rechte Denker erklärungsbedürftig zu sein. Dimitrios | |
Kisoudis, der im Februar 2022 – „pünktlich zur russischen Invasion der | |
Ukraine“, wie Weiß schreibt – zum Grundsatzreferenten des sich stets | |
bürgerlich und bodenständig gebenden AfD-Chefs [3][Tino Chrupalla] ernannt | |
wurde, hat eine Erklärung parat: Der sowjetische Geheimdienst sei laut | |
Kisoudis eine „politisch neutrale Macht“ gewesen. Die Agenten des KGB | |
hätten ihre „technisch anspruchsvolle Arbeit loyal und nervenstark“ aus | |
Vaterlandsliebe ausgeübt. Volker Weiß wundert sich angesichts solcher | |
Aussagen darüber, dass Kisoudis’ neuer Posten im engsten Stab der | |
Parteispitze von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben sei. | |
Putin wiederum hat die europäische Ultrarechte längst als willige Agentin | |
der Destabilisierung des Westens entdeckt. Europäische Nationalisten, | |
Rassisten und Verschwörungstheoretiker werden von Putin mit massiver | |
Unterstützung bedacht, unter anderem durch seine Diversionsfabriken, die | |
mit Fake-News-Kampagnen rechtsextreme Propaganda in Europa verstärken. | |
Dennoch stürzte Putins Invasion in die Ukraine die extreme Rechte kurz in | |
Verwirrung. Der selbsternannte Vordenker Götz Kubitschek etwa schien fast | |
beleidigt darüber zu sein, dass in Deutschland große Einigkeit darüber | |
herrschte, die Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression | |
unterstützen zu wollen. Diese Wehrhaftigkeit passte wohl nicht ins rechte | |
Propagandabild einer verweichlichten und unsoldatischen Nation, spekuliert | |
Weiß und merkt an, dass auch Björn Höcke schnell „wesentliche Elemente der | |
russischen Agitation übernommen“ habe. | |
Die völkischen Nationalisten der AfD bilden mit Putins Russland also eine | |
antiwestliche Allianz, die sie laut Weiß als „Garantiemacht“ gegen den | |
„dekadenten westlichen Liberalismus“ verstehen. Ihre Geschichtspolitik | |
konstruiert eine Vergangenheit, die es nie gegeben hat. So arbeiten auch | |
die Ideologen der Alt.Right in den USA, aus deren Echokammern sich das | |
Weltbild Donald Trumps speist. Eine erfundene Geschichte soll als Modell | |
der Zukunft dienen: „Make America Great Again“. Wie nah sich europäische | |
Ultrarechte, Wladimir Putin und der US-amerikanische Präsident inzwischen | |
auch politisch stehen, haben die vergangenen Tage gezeigt. | |
22 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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