# taz.de -- Klimakrise und Verkehr: Ein Plan auf vier Säulen | |
> Die Mobilitätswende ist nötig wegen der Klimakrise – und weil der Verkehr | |
> vor dem Kollaps steht. Gerade beim Digitalen ist noch viel Luft nach | |
> oben. | |
Bild: Verkehrsvermeidung: Städte wie Paris werden zunehmend autofreier | |
Herr L., 52, dreht seit zwanzig Minuten seine Runden durch die Innenstadt. | |
Der Parkplatz bleibt unauffindbar, der Arzttermin ist inzwischen verpasst. | |
Frau S., 34, steht auf dem Bahnsteig. Der Regionalzug nach Berlin fällt | |
erneut aus. Es ist der dritte Ausfall in einer Woche. Ihr | |
Vorstellungsgespräch war für 9.30 Uhr angesetzt, die rechtzeitige Ankunft | |
ist verpasst. | |
Zwei alltägliche Geschichten, zwei gescheiterte Wege. Beide zeigen das | |
Versagen unserer Infrastruktur und führen uns die Notwendigkeit vor Augen, | |
diese zu ändern. Das Ziel ist dabei klar: nachhaltige Mobilität. Rund 96 | |
Prozent der Treibhausgasemissionen im deutschen Verkehrssektor entstehen | |
auf der Straße. Zwar sind Fahrzeuge heute effizienter als je zuvor, doch | |
fressen das Wachstum des Individualverkehrs und immer größere Motoren diese | |
Fortschritte auf. Begünstigt wird diese Entwicklung durch das Fehlen von | |
komfortablen und zuverlässigen Alternativen zum Auto. | |
Die Notwendigkeit einer Mobilitätswende zeigt sich nicht nur in den | |
zunehmenden Naturkatastrophen im globalen Süden, sondern auch in den | |
[1][sich häufenden Extremwettereignissen] in Deutschland. Laut dem | |
Deutschen Wetterdienst haben sich Extremwettereignisse in Deutschland seit | |
den 1970ern mehr als verdreifacht. Die Ursachen sind klar – und nun gilt | |
es, die Fehler von gestern nicht zu wiederholen, sondern heute einen Plan | |
zu entwickeln, um Schritt für Schritt eine zukunftsorientierte Mobilität zu | |
erreichen. | |
Das Prinzip einer nachhaltigen Mobilität kann dabei mit einem antiken | |
Gebäude verglichen werden – eine Säule in allen vier Ecken sorgt für die | |
benötigte Stabilität und schützt das Haus vor dem Zusammenbruch. Die erste | |
Säule betrifft die Gestaltung der Städte. Städteplaner setzen ihren Fokus | |
immer noch auf die autogerechte Planung. Alternativ schlagen Städte wie | |
Paris einen anderen Kurs ein, und zwar nach dem Prinzip der | |
Verkehrsvermeidung, denn weniger zurückgelegte Distanzen führen unmittelbar | |
zu geringeren Emissionen. | |
Städte, die nicht starr nach Funktionen getrennt sind – Wohnen hier, | |
Arbeiten dort –, bieten die Möglichkeit, unsere Alltagswege zu verkürzen | |
und somit unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ein Beispiel dafür | |
ist das Konzept der „15-Minuten-Stadt“, in dem Wohnen, Arbeiten, Einkaufen | |
und Freizeitangebote aufeinander abgestimmt werden und innerhalb einer | |
Viertelstunde zu Fuß erreichbar bleiben. | |
Während nachhaltiger Städtebau die Notwendigkeit von Autos in urbanen | |
Gebieten eindämmt, bleibt das Problem in ländlichen Gebieten bestehen. | |
Deswegen kann, als zweite Säule, eine „Push-and-Pull“-Strategie als ein | |
Hebel für Veränderung eingesetzt werden. Pull-Faktoren wie günstige grüne | |
Treibstoffe, sichere Radinfrastruktur oder Carsharing-Angebote können | |
Anreize schaffen und den Umstieg erleichtern. Gleichzeitig sind | |
Push-Faktoren wie eine konsequente CO2-Besteuerung notwendig, um die | |
Rentabilität von Verbrennungsmotoren zu verringern. Nur die Kombination von | |
Push- und Pull-Faktoren sorgt für den nötigen Druck und zugleich die | |
Attraktivität für Alternativen. | |
[2][Andreas Knie, der bekannte Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum | |
Berlin], betont immer wieder zu Recht, dass Mobilität nicht nur | |
klimafreundlich, sondern auch sozial gestaltet sein muss – erst wenn alle | |
Zugang zu Alternativen haben, wird die Verkehrswende tragfähig. Die | |
Alternative ist längst vorhanden: der ÖPNV. Heute zeigen sich die Folgen | |
fehlender Investitionen in die Sanierung und den Ausbau des Schienennetzes | |
in Form regelmäßiger Verspätungen und Ausfällen. | |
Trotz der aktuellen Probleme ist der öffentliche Nahverkehr weiter ein | |
zentrales Element im mobilen Leben vieler Menschen, unabhängig von ihrer | |
wirtschaftlichen und sozialen Lage. Das 9-Euro-Ticket aus dem Jahr 2022 hat | |
gezeigt, dass sich das Mobilitätsverhalten ändern lässt, wenn leicht | |
zugängliche Alternativen zum Auto geschaffen werden. | |
Solange also die Mobilitätsbedürfnisse der Gesellschaft nicht eingeschränkt | |
werden, ist der Mensch kein Blockierer, sondern kann durch mehr Nachfrage | |
für grüne, erschwingliche Alternativen und das Nutzen von öffentlichen | |
Verkehrsmitteln als Katalysator der Mobilitätswende wirken. Wenn also der | |
ÖPNV das Rückgrat unseres zukunftsorientierten Verkehrssystems bilden soll, | |
führt kein Weg an einer weitreichenden Investitionsoffensive und dem | |
weiteren Ausbau des ÖPNV, der dritten Säule eines neuen Mobilitätssystems, | |
vorbei. | |
Bei der vierten Säule ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr | |
gefragt. Dieses sollte durch Aufklärungsarbeit bei der jungen Generation | |
für ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit sorgen. Bei der „Young Leaders | |
Akademie“ wird Jugendlichen eine Plattform zur Vernetzung und Orientierung | |
geboten. | |
Bei der diesjährigen Akademie, unterstützt vom Verkehrsministerium, stand | |
die Mobilitätswende im Fokus: Um unser Mobilitätsverhalten klimagerecht zu | |
gestalten, müssen moderne Mobilitätslösungen gefördert werden: Digitale | |
Innovationen wie Echtzeitverkehrssteuerung, autonome Fahrzeuge oder | |
KI-gestützte Mobilitätsplattformen sollten im Sinne der vierten Säule | |
frühzeitig vermittelt und Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden. | |
Die Umsetzung der vier Säulen hängt von den Maßnahmen der Politik, dem | |
Angebot der Wirtschaft und dem Konsumverhalten der Gesellschaft ab. Nur | |
durch eine konsequente Fortführung des vorgestellten Kurses kann | |
Deutschland zum Vorreiter nachhaltiger Mobilität werden. | |
Nun liegt es an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, diesen Wandel | |
konsequent zu gestalten – für eine Zukunft, die dem Menschen dient, den | |
Anforderungen einer lebenswerten Umwelt gerecht wird und das Leben der | |
kommenden Generationen im Blick hat – und am besten auch das von Herrn L. | |
und Frau S. | |
4 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gurpari Kaur | |
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