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# taz.de -- Regeln, die nicht für alle gleich gelten: Die Macht ist im Verkehr…
> Wenn der selbstgebastelte Zebrastreifen als verbotener Eingriff in den
> Straßenverkehr gilt, die gefährliche Straßenquerung für Schüler aber
> bleibt.
Bild: Der aufgemalten Zebrastreifens in der Dresdner Glacisstraße. Die Straße…
Mein Arbeitsweg führt an der Baustelle des Bundeskanzleramts vorbei: Für 1
Milliarde Euro werden hier neue Büros gebaut, weil Deutschland irgendwie
gewachsen ist, es keine leeren Büros in Berlin gibt und Homeoffice
oldschool ist. An dieser Kanzlerbaustelle führt ein gut frequentierter
Fuß-/Radweg vorbei, der seit ein paar Wochen über eine enge Umleitung
läuft.
Das funktionierte eine Weile entspannt. Bis irgendjemand laminierte
Ausdrucke mit durchgestrichenem Radfahrersymbol an der Baustellenumgrenzung
anbrachte. Seitdem steigt ein Teil der Radfahrer ab – und wird damit wegen
seiner doppelten Breite zum Verkehrshindernis. Der andere Teil rollt wie
gewohnt weiter und wird zuverlässig von entgegenkommenden Fußgängern mit
einem stolzen „Radfahren ist hier verboten“ bedacht. Mehr passiert nicht.
Schließlich geht es nur um den Selbstzweck der Erinnerung an Regeln.
Natürlich hat so ein laminierter Ausdruck auf der Straße rechtlich wenig
Gültigkeit, es darf also weiter Radgefahren werden. Und ich finde ja, es
müsste auch mal über den [1][„Regeln sind für alle
da“-Propagandaeuphemismus] gesprochen werden.
Wer hat sich diesen Spruch eigentlich ausgedacht? Er stimmt nicht beim
Blick ins Lehrerzimmer einer Handyverbotszonenschule. Und er stimmt in der
Politik spätestens nicht mehr, seitdem Kohls Ehrenwort mehr galt als das
Gesetz. Und er lenkt auch im Straßenverkehr von den bestehenden
Machtverhältnissen ab. [2][Denn wer macht zu welchem Zwecke eigentlich
solche ominösen Regeln?]
## Klein und gefährdet vs. groß und gefährlich
In Dresden forderten Eltern viele Jahre lang eine sichere Straßenquerung
für Hunderte Schüler. Nichts passierte. Bis ein beherzter Mensch Anfang des
Sommers selbst einen Zebrastreifen aufmalte: Ein paar Wochen war daraufhin
ein halbwegs sicheres Passieren der Straße möglich. Dann entdeckte die
Stadtverwaltung den Zebrastreifen und sperrte den gesamten Übergangsbereich
für Fußgänger: Das selbstständige Anbringen eines Zebrastreifens gilt
schließlich als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.
Schüler daran zu hindern, einen sicheren Schulweg zu benutzen, ist hingegen
absolut regelkonform. Auch vor der Schule meines Sohnes. Da gilt Tempo 30
und einspuriges Fahren. So weit die Regel – an die Autofahrer sich jedoch
mehrheitlich nicht halten. Die Fahrspur ist ja auch so breit, dass sogar
bequem nebeneinander gerast wird. Eine Anwohnerinitiative hat inzwischen
einen Zebrastreifen und permanente Geschwindigkeitskontrollen beantragt.
Abgelehnt. Kinder sollen sich halt früh genug an die Hauptregel gewöhnen:
Klein und gefährdet hat sich groß und gefährlich unterzuordnen.
Fußgänger und Radfahrer brauchen keine „Regeln, die für alle da sind“,
sondern [3][Platz, sichere Übergänge und Rücksicht]. Und Autofahrer
bräuchten Regeln, deren Einhaltung kontrolliert wird, damit sie weniger
Menschen als bisher verletzen und töten. Das derzeitige „Regeln sind für
alle da“ ist kein Prinzip, sondern ein Märchen, in allen Bereichen. Für
Ministerien gibt es neue Büros für Milliarden, für Kinder vor Schulen nicht
mal einen Zebrastreifen. Regeln sind nicht neutral – sie folgen der Macht.
Und die ist im Verkehr immer noch auf vier Rädern unterwegs.
22 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Kerstin Finkelstein
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