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# taz.de -- Kraftfahrzeuge und Straßen: Der Verkehr ist das Stiefkind der Klim…
> Das Auto verliert an Bedeutung. Und doch hält die neue Regierung an
> anachronistischen Privilegien für Dienstwagen und Dieselfahrzeuge fest.
Ein Leben außerhalb der großen Städte scheint ohne Auto einfach nicht
möglich. Über 85 Prozent aller Wohnformen in Deutschland sind Ein- und
Zweifamilienhäuser, die in den dafür typischen Siedlungsformen schön im
Raum verteilt sind. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben dort, und
hier geht nichts ohne Auto. Die Fahrt zur Arbeit, zur Schule, zum Hort und
zum Einkaufen und natürlich zum Baumarkt sowie das gesamte Freizeitleben,
alles das ist nur möglich mit Autos.
Mit den Nachbarn grillen, das wird in der Regel noch zu Fuß erledigt. Die
Soziologie hat es bei der Beschreibung der gesellschaftlichen
Modernisierung verpasst, darauf hinzuweisen, dass diese Form des
entfernungsintensiven Lebens- und Arbeitsstils nur funktionieren konnte,
weil es [1][jede Menge Autos] und die dafür notwendige Straßeninfrastruktur
gab.
Da ist es kein Wunder, dass es ohne Autos scheinbar nicht geht. Denn
geplant war diese raumgreifende Moderne als ein Leben in Freiheit und
gesellschaftlichem Wohlstand. Es sollte sozusagen keine Grenzen mehr geben.
In der großen Stadt die tolle Kultur erleben, die feine Gastronomie
genießen und jederzeit überall dorthin fahren, wohin man nur wollte. Das
Auto lud gerade dazu ein, mehr und immer öfter zu fahren, als es eigentlich
notwendig war.
Mit dem Auto konnte man die interessantere Arbeitsstelle, das bessere
Gymnasium, den besser sortierten Supermarkt und auch das schickere
Restaurant ansteuern und das alles sehr bequem in sein Alltagsleben mit
wenig Aufwand integrieren. Und wurde es mal eng auf der Straße, baute man
einfach eine neue. Damit kam aber eine Spirale in Gang, in deren Folge sich
die Freiheit, überall hinzufahren, mehr und mehr auch in einen Zwang
verwandelte, überall hinfahren zu müssen.
## Auf Kosten des sozialen Gefüges
Denn die mit dem Auto verbundene Freiheit führte in der Folge dazu, dass im
Dorf, in der Siedlung und kleineren Ortschaften nichts mehr so war wie
früher: keine Kneipe, kein Laden und kein Leben mehr. Die verkehrlichen
Möglichkeiten zauberten mehr Mobilität in die Köpfe als geplant und
verwandelten lebendige Orte zu toten Schlafstätten. Damit änderte sich auch
das soziale Gefüge.
Während zu Beginn dieser Massenmotorisierung die ganze Familie noch selig
vor Glück ins Auto einstieg und damit gemeinsam neue Abenteuer im wahrsten
Sinne des Wortes erfuhr, geriet mit der ansteigenden Zahl der Fahrzeuge der
soziale Verbund mehr und mehr auseinander. Jetzt nutzten alle die Autos und
fuhren damit ihre eigenen Wege, jeder und jede zur eigenen Zeit und an
einen eigenen Ort. Die Familie und der damit verbundene soziale
Zusammenhalt gingen mehr und mehr verloren.
Die Zahl der Trennungen korreliert tatsächlich mit der Zahl der
zugelassenen Fahrzeuge: Das Auto hat Soziales gestiftet, und das Auto als
Mobilitätsmaschine hat Soziales auch wieder genommen. Es ist auch
keineswegs so, dass diese Autobegeisterung vom Himmel fiel. Deutschland war
zunächst überhaupt kein Autoland. Man fuhr Rad und Motorrad, und für
längere Strecken nahm man die Reichsbahn.
Deutschland blieb gegenüber seinen europäischen Nachbarländern sowie den
USA in seiner Motorisierung schon in den 1920er Jahren weit zurück. Erst
mit viel politischem Aufwand konnte man die Liebe der Deutschen zum Auto
wecken. Los ging diese unbedingte Autoförderung bei den [2][Nazis: Man
baute ein Netz von Autobahnen] mit fast 4.000 Kilometern Länge, obwohl es
gar keine Autos gab. Ironischerweise übernahm diese sehr teure Investition
die Deutsche Reichsbahn und schaufelte sich damit ihr eigenes Grab.
## Ein Auto für alle
Weil sich die deutschen Automobilhersteller auf die Fertigung teurer
Luxuskarossen spezialisiert hatten, ließen die Nationalsozialisten mit
dem geraubten Geld der Gewerkschaften eine neue Autofabrik bauen, um mit
den Methoden der amerikanischen Massenfertigung einen Volkswagen zu
produzieren, den sich alle leisten können sollten. Begleitet wurden diese
Maßnahmen noch durch eine reichseinheitliche Straßenverkehrsordnung, die
der Vielfalt auf der Straße ein Ende machte und nur noch dem Auto die
Vorfahrt gewährte.
Die noch kurz vor Kriegsbeginn verabschiedete [3][Reichsgaragenordnung]
verpflichtet bereits damals alle privaten und öffentlichen Bauherren,
Stellplätze vorzuhalten. Als es trotz dieser Maßnahmen mit den Autos in den
Nachkriegsjahren immer noch nicht klappen wollte, setzte man 1951 in
Westdeutschland einfach mal alle Geschwindigkeitsbegrenzungen außer Kraft.
Freie Fahrt für freie Bürger überall auf allen Straßen!
Aber nach mehreren Zehntausend Toten war 1955 schon wieder Schluss mit der
unbeschränkten Freiheit. Als weitaus wirksamer entwickelte sich dagegen die
Maßnahme, mehr Ausgaben für ein Auto von der Steuer absetzen zu können, als
das Auto eigentlich kostete. Als dann noch der öffentliche Raum an die
privaten Laternenparker verschenkt wurde, also das Parken von privaten
Autos auf öffentlichen Stellplätzen erlaubt wurde, kam die Motorisierung in
den späten 1960er Jahren langsam richtig in Gang. Deutschland hatte endlich
den Anschluss gefunden.
Man hat den Eindruck, dass die nachholende Motorisierung heute immer noch
das bestimmende Motiv der Politik ist, obwohl Deutschland längst Weltspitze
ist. Bei der ersten öffentlichen Vorstellung des [4][neuen
Koalitionsvertrags] sah man sich nämlich genötigt, ein Bekenntnis zum Auto
abzugeben. Selbstverständlich werden alle dem Auto seit Jahren gewährten
Privilegien, etwa die Art der [5][Dienstwagenbesteuerung] oder auch die
[6][Dieselsubvention], von der neuen Bundesregierung beibehalten, und die
Entfernungspauschale wird sogar noch erhöht.
## Bald 50 Millionen Pkws
Angesichts der fast 50 Millionen zugelassenen Pkws stellt sich hier schon
die Frage, wann man in Deutschland endlich die gewünschte Vollmotorisierung
erreicht zu haben glaubt. Die Zersiedlung der Landschaft kann ja nicht
endlos fortgesetzt werden. Kommen wir zurück zu den Auswirkungen der
Massenmotorisierung auf das soziale Gefüge der Menschen. In Untersuchungen
des Verkehrsverhaltens während der Coronapandemie war es zuerst
aufgefallen.
Obwohl die Apologeten des Autos schnell den Kraftwagen zum Gewinner während
der Pandemie ausriefen, stellte sich schon gegen Ende des ersten
Pandemiejahrs heraus, dass weniger Auto gefahren wurde; dass überhaupt der
Lockdown trotz der vielen Einschränkungen, verbunden mit viel Leid und Tod,
auch als eine Art Befreiung vom entfernungsintensiven Lebensstil
wahrgenommen wurde.
Zunächst durfte man nicht mehr jeden Tag die weite Fahrt zur Arbeit
antreten, und als sich die Restriktionen zu lockern begannen, wollte man es
auch nicht mehr. Mittlerweile ist es rund einem Drittel aller Beschäftigten
erlaubt, mehrere Tage nicht ins Büro zu fahren. Die Tendenz ist im Übrigen
eher steigend als sinkend. Der automobilfixierte Lebensstil wird quasi
zurückgebaut, und diese Tendenzen haben sich durch die Pandemie noch
verstärkt. Es ist so etwas wie ein abnehmender Grenznutzen des Autos
entstanden: Mehr Fahrzeuge werden immer weniger genutzt.
Und schon bei den Kfz-Neuzulassungen lohnt ein genauerer Blick. Zwar stieg
die Neuwagenflotte in den letzten Jahren mit rund 1 Prozent pro Jahr immer
noch leicht an, dabei hat sich aber die Struktur verändert. Der Anteil der
gewerblichen Fahrzeuge kletterte von knapp 63 Prozent auf rund 68 Prozent,
der private Anteil dagegen fiel von 37 Prozent auf 32 Prozent.
## Immer weniger Privatfahrzeuge
Das heißt, die privaten Neuwagenkäufe gehen zurück, und der Automarkt wird
nur deshalb stabilisiert, weil mit der bestehenden Dienstwagenbesteuerung
Fahrzeuge bis zur Hälfte ihres tatsächlichen Werts subventioniert werden
können. Grundformel dabei ist: Je teurer das Auto und je höher das
Einkommen, umso größer die Steuergeschenke, von denen im Übrigen fast nur
deutsche Hersteller profitieren.
Aber es werden nicht nur deutlich weniger private Neufahrzeuge gekauft,
sondern insgesamt nehmen die Fahrleistungen aller Fahrzeuge ab. Während
2019 noch 628 Milliarden Kilometer mit allen Autos zurückgelegt wurden –
durchschnittlich 13.500 Kilometer pro Auto –, sind es 2023 noch 591
Milliarden Kilometer, rund 12.300 Kilometer pro Pkw. Das Auto war 2017 noch
für 57 Prozent aller Wege das Mittel der Wahl, 2023 sind es nur noch 53
Prozent.
In den großen Städten wie Berlin, Hamburg oder München ist das Auto weder,
was die Zahl der Wege, noch, was die zurückgelegten Entfernungen angeht,
die Nummer eins. Es ist absehbar, dass sich dieser Trend in den nächsten
Jahren halten wird. Die Babyboomer kommen in die Jahre und fahren weniger,
die nachfolgenden Generationen sind an Zahl weniger und im
Nutzungsverhalten schon deutlich anders. Sie fahren weniger längere
Strecken.
Die Bevölkerung schrumpft weiter, und weil die [7][Zahl der Flüchtlinge]
von der neuen Bundesregierung ja sehr begrenzt werden soll, wird sich der
demografische Wandel noch viel schärfer zeigen. Während also beim Auto
praktisch schon der Abspann läuft, die Fahrzeuge deutlich und messbar an
Bedeutung verlieren, hält die neue Bundesregierung auf Biegen und Brechen
an dem alten Politikziel der 1930er Jahre unter dem Motto „Kraftfahrt tut
not“ fest.
Sie verkennt dabei auch die destruktive Wirkung der Massenmotorisierung für
die Gesellschaft. Autos werden sicherlich nicht komplett verschwinden, sie
werden aber deutlich weniger, und dies könnte sich vorteilhaft auf den
sozialen Zusammenhalt auswirken. Die Bundesregierung könnte diesen Prozess
durch das Abschaffen der Privilegien beschleunigen und dabei sogar viele
Milliarden Euro einsparen. Und über die Folgen für das Klima wurde dabei
noch gar nicht gesprochen.
15 May 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=i8AKz1IETyM&list=PLP9sylNlf_stT_Ez4rz9k…
[2] /Historiker-ueber-Autobahn-Mythos/!5958300
[3] /Parkende-Autos/!5968714
[4] /Koalitionsvertrag-von-Union-und-SPD/!6081312
[5] /Klimaschaedliche-Dienstwagen/!6041319
[6] /Konsequenzen-aus-den-Bauernprotesten/!5982739
[7] /Neuer-Innenminister-will-Pushbacks/!6086726
## AUTOREN
Andreas Knie
## TAGS
Autos
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Kolumne Aus dem Leben einer Boomerin
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