# taz.de -- Köln wählt am Sonntag: Eine Grüne, die bei Linken beliebt ist | |
> Berîvan Aymaz will Bürgermeisterin der größten Stadt in | |
> Nordrhein-Westfalen werden. Verschiedene Milieus schätzen die | |
> Deutsch-Kurdin. Reicht das zum Regieren? | |
Bild: Wahlkampf ist Nahkampf: Berîvan Aymaz Anfang September auf der Suche nac… | |
Berîvan Aymaz kämpft. Unterstützt von einem knappen Dutzend | |
Parteifreund:innen der Grünen läuft die 53-Jährige Anfang September | |
über den Wiener Platz im rechtsrheinischen Stadtteil Mülheim. Hier ist | |
gerade Markt. Ein knappes Dutzend Händler:innen verkaufen Obst und | |
Gemüse, dazu Süßigkeiten, Kleidung und Accessoires – und überdecken so die | |
Tristesse: Wie viele öffentliche Orte in Köln ist auch der von mittelhohen, | |
quadratisch-schmucklosen Zweckbauten umbaute Wiener Platz zugepflastert. | |
Nur am Rand können einige wenige Bäume im Sommer Schatten werfen. | |
Die Landtagsabgeordnete, die bei den am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen | |
Oberbürgermeisterin von Deutschlands viertgrößter Stadt werden will, setzt | |
hier auf den Direktkontakt zu den Bürger:innen. „Am 14. September ist | |
Kommunalwahl“, spricht Aymaz potenzielle Wähler:innen an – und drückt | |
ihnen Flyer mit ihrem Konterfei in die Hand, auf denen sie bezahlbare | |
Wohnungen, besseren Nahverkehr, mehr Klimaschutz, aber auch mehr Sicherheit | |
im öffentlichen Raum verspricht. „Gehen Sie wählen, unterstützen Sie mich�… | |
bittet die Kandidatin. | |
Die Bitte hat für Aymaz eine gewisse Dringlichkeit: Die letzten Umfragen | |
sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus: Bei der Direktwahl des | |
Stadtoberhaupts würden sich gerade einmal 13 Prozent für Aymaz entscheiden. | |
Doch auch der Erstplatzierte, der Sozialdemokrat Torsten Burmester, bis | |
Ende 2024 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds, kommt | |
gerade einmal auf 15 Prozent Unterstützung, ermittelte Forsa Ende August. | |
Und auch für den CDU-Kandidaten Markus Greitemann, bisher Baudezernent in | |
Köln, ist die Stichwahl, also das unvermeidbar scheinende Rennen zwischen | |
den beiden Bestplatzierten, mit 11 Prozent noch in Reichweite. | |
Hier im Arbeiter:innen-Stadtteil Mülheim aber, wo die Arbeitslosenquote | |
rund 50 Prozent über der 9,3-Prozent-Quote der Gesamtstadt liegt, hat Aymaz | |
eine Art Heimspiel: Mülheim liegt rechtsrheinisch auf der „Schäl Sick“: | |
hier befindet man sich auf der Seite des Rheins, auf die viele der | |
Kölner:innen, die linksrheinisch rund um Dom und Altstadt wohnen, noch | |
immer etwas herablassend herunterblicken. Fast 50 Prozent der Menschen hier | |
haben einen Migrationshintergrund. Und die Kandidatin, die als Parteilinke | |
gilt, spricht mit nicht wenigen Türkisch oder Kurdisch. | |
Aymaz wurde 1972 in Bingöl, einer kurdischen Provinz in der Türkei, | |
geboren. Mit sechs Jahren kam sie zusammen mit Mutter und Bruder ins | |
benachbarte Bonn – ihr Vater, zuvor Bürgermeister ihrer Geburtsstadt, war | |
dort Kulturattaché der türkischen Botschaft geworden. Doch ein | |
Regierungswechsel in der Türkei kurz vor dem Militärputsch von 1980 änderte | |
alles. Aymaz’ Vater wurde wegen seiner kurdischen Herkunft abberufen und | |
weigerte sich, in die Türkei zurückzukehren. | |
„Er wusste, was ihm drohte“, hat Aymaz einmal während eines langen | |
Gesprächs in ihrem Landtagsbüro erzählt – die Grüne ist Vizepräsidentin … | |
nordrhein-westfälischen Landesparlaments. Nahe Verwandte, hatte Aymaz | |
damals erzählt, seien in der Türkei verhaftet und gefoltert worden. | |
Doch auch in Deutschland waren die Folgen der Repression für die Familie | |
dramatisch: „Auf einmal waren wir ohne Pässe, papierlos“, erinnert sich die | |
Grüne. Ihr Vater, der ehemalige Kulturattaché, versuchte, seine Familie als | |
Gemüsehändler durchzubringen. Später sicherte sein ursprünglicher | |
Lehrerberuf den Aufenthaltsstaus der Familie. | |
Auf dem Wiener Platz, während Aymaz’ Wahlkampftour: Freundschaftlich, fast | |
herzlich, reagiert Elif Kabukcu auf die Kandidatin. Das Gespräch zwischen | |
den beiden Frauen wechselt immer wieder zwischen Deutsch und Türkisch. | |
„Eigentlich bin ich Mitglied der Linken. Und deren Kandidat:innen für | |
den Stadtrat und die Bezirksvertretung habe ich per Briefwahl auch schon | |
gewählt“, sagt die 50-jährige Kabukcu. „Als Oberbürgermeisterkandidatin | |
habe ich mich aber für Berîvan Aymaz entschieden.“ Wohl auch, weil dem | |
l[1][inken Spitzenkandidaten Heiner Kockerbeck kaum Chancen eingeräumt | |
werden, es in die Stichwahl zu schaffen]. | |
„Ich unterstütze Berîvan Aymaz, weil sie die Wohnungsnot, die Situation von | |
obdachlosen Menschen, die Rechte von Frauen und von queeren Menschen klar | |
thematisiert“, sagt Kabukcu. „Tiefgreifend“ seien die sozialen Probleme in | |
Köln, erklärt die Alleinerziehende, die während Corona eine Gruppe für | |
Ein-Eltern-Familien in Köln-Mülheim gegründet hat. „Schicksale“ habe sie | |
dort kennengelernt, sagt Kabukcu – etwa die Mutter mit schweren | |
Depressionen, die keine Klinik findet, die sie gemeinsam mit ihrem Kind | |
aufnehmen kann: Wartezeiten von einem Jahr seien keine Seltenheit. | |
Kabukcu erzählt von anderen Fällen: Von einer Mutter, die mit ihrem | |
fünfjährigen Kind ohne feste Wohnung sei, von Woche zu Woche zwischen | |
Freunden und Bekannten wechsle. Das Kind gehe deshalb nicht mehr regelmäßig | |
in die Kita. Und überhaupt: Die „chronische Unterversorgung mit Kitaplätzen | |
insgesamt“ sei in Köln ein Problem. Diskussionen über einen besseren | |
Nahverkehr, enger getaktete Busse und Bahnen seien dagegen nachgerade | |
„Luxusthemen“, findet sie. | |
Auch Mario Gast hat bereits für Aymaz gestimmt. Seine Sorgen will der | |
64-Jährige der Kandidatin an diesem Tag trotzdem mitgeben: Gast spricht | |
über Kölns neue Schulden von fast 400 Millionen Euro allein in diesem Jahr, | |
beschlossen vom Bündnis aus Grünen, CDU und Volt. Aymaz kontert mit von ihr | |
abgelehnten Großprojekten wie dem U-Bahn-Bau auf der Ost-West-Achse, den | |
der Stadtrat mit Stimmen von CDU, SPD und FDP beschlossen hat – die Grüne | |
Fraktion verließ vor der Abstimmung den Saal. | |
„Der Prozess um den Ratsbeschluss zum Tunnelbau ist ein Paradebeispiel | |
dafür, was in Köln schiefläuft“, sagt Aymaz zur Ost-West-Achse. Sie klingt | |
dabei wie Kritiker:innen vom Bündnis Verkehrswende Köln, das mit dem | |
Slogan „Oben bleiben“ für den Ausbau der bestehenden Straßenbahn kämpft. | |
Die U-Bahn, deren Kosten im Milliardenbereich liegen, bringe den | |
Bürger:innen dagegen kaum Nutzen, argumentiert das Bündnis: Der | |
Zeitgewinn der nur 2,3 Kilometer langen Strecke liege bei gerade einmal | |
drei bis vier Minuten. | |
Wähler Gast will jetzt noch schnell über Klimaschutz reden – also erzählt | |
Aymaz von den 2.000 Bäumen, die sie jedes Jahr in Köln pflanzen lassen | |
will. Mehr Pflanzen, mehr Schatten: Zusammen mit ein paar Bänken könnte so | |
auch der Wiener Platz attraktiver werden. | |
Doch im Wahlkampf ist der drohende Hitzekollaps von Nordrhein-Westfalens | |
einziger Millionenstadt keinesfalls das dominierende Thema. Glaubt man | |
einer weiteren Forsa-Umfrage, durchgeführt von Ende Juni bis Anfang Juli, | |
ist die Verkehrspolitik mit dem Dauerstau, in dem Köln jeden Tag versinkt, | |
der Punkt, der die Kölner:innen am meisten interessiert. Erst darauf | |
folgt der dysfunktionale Wohnungsmarkt. Dabei spricht das Bündnis „Wir | |
wollen wohnen“, zu dem sich Mietervereine, der Deutsche Gewerkschaftsbund | |
DGB und Wohlfahrtsverbände wie der Paritätische, die Arbeiterwohlfahrt oder | |
die Caritas zusammengeschlossen haben, längst von einer „Wohnungsnot“, die | |
in Köln „ein dramatisches Ausmaß erreicht“ habe. | |
Der öffentlich geförderte Wohnungsbestand, also die Zahl der | |
Sozialwohnungen, sei von ehemals 105.000 auf aktuell 37.000 geschrumpft, | |
rechnet das Bündnis vor. Allein in diesem Jahr verlören 4.500 Wohnungen | |
ihre Sozialbindung. Bei Neuvermietung koste der Quadratmeter in Köln heute | |
deshalb im Schnitt 14,99 Euro – unbezahlbar für viele Familien und gerade | |
für Alleinerziehende, Studierende, Rentner:innen. „Zu wenig freie | |
Wohnungen, zu teure Wohnungen, zu wenig öffentlich geförderte Wohnungen. | |
Das ist Köln im Jahr 2025“, kritisiert Hans Jörg Depel, Geschäftsführer d… | |
Mietervereins Köln. „So verliert die Stadt ihren sozialen Zusammenhalt.“ | |
Für Aymaz, aber auch für ihren SPD-Konkurrenten Burmester, ist bezahlbares | |
Wohnen deshalb das Top-Thema im Wahlkampf. „In Köln haben mehr als 45 | |
Prozent der Menschen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Aber nur | |
6,7 Prozent des Bestands sind noch Sozialwohnungen“, rechnet Aymaz den | |
Grund für das Marktversagen vor. | |
Im Wahlkampf verspricht sie deshalb, eine „Offensive für bezahlbaren | |
Wohnraum“ starten zu wollen, sollte sie als Oberbürgermeisterin ins Rathaus | |
einziehen: Im Rahmen einer „sozial orientierten Bodenpolitik“ sollen dann | |
städtische Grundstücke nicht mehr an „ausschließlich renditehungrige | |
Investoren“ verkauft, sondern nur noch über Erbbaurecht vergeben werden – | |
„möglichst an gemeinwohlorientierte Bauprojekte und Genossenschaften, die | |
dann günstig neuen Wohnraum schaffen“, erklärt die Grüne. Außerdem will | |
Aymaz verstärkt Wohnheime für Auszubildende und Studierende bauen lassen. | |
Schon heute gäben viele in Köln „ihren Ausbildungs- oder Studienplatz | |
wieder ab, nur weil sie keine bezahlbare Wohnung finden“, umwirbt sie junge | |
Leute gezielt auf Social Media. | |
Auch Sozialdemokrat Burmester verspricht „6.000 neue Wohnungen pro Jahr“, | |
davon „1.000 neue Sozialwohnungen mit städtischem Förderprogramm“. Dazu | |
soll eine „neue Wohnungsgesellschaft der Stadt“ gegründet werden, die | |
selbst bauen und sanieren soll. Im CDU-Wahlprogramm von Markus Greitemann | |
stehen dagegen konservativ-klassisch „Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“ | |
an erster Stelle. Punkten könnte der Christdemokrat gerade mit dem Thema | |
Sauberkeit – viele Kölner:innen ärgern sich über das, was die | |
Lokalpresse die „Vermüllung“ der Stadt nennt. | |
Den Ton dafür gesetzt hat die scheidende Oberbürgermeisterin Henriette | |
Reker, die nicht mehr für eine dritte Amtszeit kandidiert. In einem | |
Interview Ende Januar mit dem Kölner Stadtanzeiger zeigte sich die | |
68-Jährige parteilose Rathauschefin, die 2015 von Grünen, CDU, FDP und der | |
Wählergruppe Klima-Freunde unterstützt wurde und die am Tag vor ihrer | |
ersten Wahl durch das Messerattentat eines Rechtsextremen schwer verletzt | |
wurde, denkbar amtsmüde: Sie sehe eine „zunehmende Verwahrlosung“ Kölns u… | |
„schäme sich“ für „diese dreckige Stadt“. | |
Um „dieser Verwahrlosung zu begegnen“, gebe es restriktive Mittel, schob | |
die Noch-Oberbürgermeisterin mit Blick auf die offene Drogenszene etwa am | |
Neumarkt in der Nähe der Fußgängerzone nach. „Einige Städte vertreiben die | |
Obdachlosen und Drogenabhängigen aus der Stadtmitte“, sagte Reker. Doch | |
dafür gebe es in Köln „keine Mehrheit“ im Stadtrat. | |
Auf klare Ablehnung trifft der von Reker frustriert eingeforderte | |
Law-and-Order-Kurs nicht nur bei der Kandidatin Aymaz. „Verdrängung durch | |
rein ordnungspolitische Maßnahmen ist keine Lösung“, so die Grüne in | |
Köln-Mülheim zur taz. „Wir erleben bereits jetzt, dass die Drogenszene | |
schon heute auf andere Stadtteile wie etwa Köln-Ehrenfeld ausweicht.“ Die | |
Polizei sei teilweise mit mehreren Polizeimannschaftswagen auf dem Neumarkt | |
präsent. | |
„Suchtkranken Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden | |
liegen, muss geholfen werden“, fordert Aymaz. Nötig seien weitere, rund um | |
die Uhr verfügbare Drogenkonsumräume – und Rückzugsmöglichkeiten, wo es | |
Essen, Duschen sowie ärztliche und soziale Betreuung geben soll. Dadurch | |
werde auch der öffentliche Raum entlastet und die Sorgen von | |
Anwohner:innen und Geschäftsleuten ernst genommen. | |
Ähnlich argumentiert auch SPD-Mann Burmester, der einen weiteren | |
Drogenkonsumraum in der ehemaligen Zentrale des Kaufhof-Warenhauskonzerns | |
in der Innenstadt fordert. Der Christdemokrat Greitemann will sich dagegen | |
am sogenannten Züricher Modell orientieren, einer Mischung aus Prävention, | |
Repression, Therapie – und Vertreibung: In Zürich können nur Menschen | |
Drogeneinrichtungen nutzen, die auch in Zürich gemeldet sind. Alle anderen | |
werden in ihre Heimatorte zurückgeschoben. | |
Die Kandidat:innen hoffen so, eine massive Unzufriedenheit der | |
Kölner:innen mit der Arbeit von Politik und Stadtverwaltung | |
aufzugreifen. In der Anfang Juli veröffentlichten Forsa-Umfrage erklärten | |
64 Prozent, nichts sei in den vergangenen Jahren in ihrer Stadt besser | |
geworden. 78 Prozent sagten dagegen, die Stadt habe sich zu ihrem Nachteil | |
verändert – und 19 Prozent meinten, sie würden lieber woanders wohnen. | |
## Kulturkampf von rechts | |
Benutzt wird diese Unzufriedenheit aber auch für eine Art Kulturkampf von | |
rechts außen, mit dem sich Ende August sogar [2][Tech-Milliardär Elon Musk | |
in den Kölner Kommunalwahlkampf einmischte]. „Either Germany votes AfD – or | |
it is the end of Germany“ (etwa: „Entweder Deutschland wählt die AfD oder | |
Deutschland ist am Ende“) postete der wohl noch immer reichste Mensch der | |
Welt auf seinem Netzwerk X. Die AfD hat Unterstützung nötig – ihr | |
Oberbürgermeisterkandidat kam Anfang August nur auf Zustimmungswerte von 9 | |
Prozent. | |
Auslöser der erneuten massiven Werbung des einstigen Trump-Kumpels Musk für | |
die rechtsextreme Partei war wohl der Post eines anderen X-Nutzers, der die | |
Überschrift des rechten ungarischen Magazins The European Conservative | |
teilte: „Köln-Wahl: AfD ist die einzige Partei, die frei über Migration | |
sprechen kann.“ Dabei bezog sich das rechte ungarische Nachrichtenportal | |
wiederum auf die Bild-Zeitung, die getitelt hatte, in Köln gebe es eine | |
„bizarre Wahlkampf-Einigung“, die Parteien verpflichte, „nur positiv über | |
Migration zu sprechen“. | |
Das Springer-Blatt zielte damit auf ein „Fairness-Abkommen“ der Kölner | |
Parteien, das seit 1998 immer wieder erneuert wird: 2025 hatten Grüne, CDU, | |
SPD, Linke, FDP, Grüne, Volt und Die Partei dafür unterschrieben. Im Kern | |
verpflichten sich die Parteien darauf, „nicht auf Kosten von unter uns | |
lebenden Menschen Wahlkampf zu betreiben und inhaltlich fair zu bleiben“, | |
sowie „keine Vorurteile gegen hier lebende Migrantinnen, Migranten und | |
Flüchtlinge zu schüren oder in den eigenen Reihen zu dulden“. | |
Eigentlich demokratischer Grundkonsens also – nicht ohne Grund wurde die | |
AfD, die in Köln Sprüche wie „Abschieben statt Einfliegen“ plakatiert, er… | |
gar nicht um ihre Unterschrift unter das Fairness-Abkommen gebeten. Und | |
natürlich erklärte die rechtsextreme Partei schnell, eine solche Erklärung | |
auch überhaupt nicht unterzeichnen zu wollen. | |
Allerdings heißt es in dem seit fast 30 Jahren immer wieder neu aufgelegten | |
Abkommen etwas missverständlich auch, Migrant:innen sollten „nicht für | |
negative gesellschaftliche Entwicklungen wie die Arbeitslosigkeit oder die | |
Gefährdung der inneren Sicherheit“ verantwortlich gemacht werden. Wohl | |
gerade deshalb konnten diverse Medien das Abkommen für ihre Agenda nutzen: | |
„Probleme durch Migration sollen in Köln nicht stattfinden – zumindest | |
nicht im Wahlkampf“, hieß es etwa in einem Kommentar des | |
NRW-Regionalfensters des TV-Senders RTL. | |
Das Magazin Focus zeigte sich „entsetzt“ über einen „Asyl-Schweigepakt�… | |
nannte migrantisch geprägte Stadtteile Kölns wie Mülheim | |
„Verbrechens-Hochburgen“. Und das rechtspopulistische Online-Magazin Tichys | |
Einblick verglich das Fairness-Abkommen mit dem Schweigegelübde Omertá der | |
sizilianischen Mafia – und hämte, das „leidige Thema“ Migration könne s… | |
„wegen der inzwischen alltäglichen Gewalttaten, Messerangriffe, Hinrichtung | |
von Polizisten, Vergewaltigungen, Drogendelikten, Bandenkriegen und anderer | |
Straftaten“ immer weniger tabuisiert werden. | |
Gerade der letzte Teil der Fairness-Vereinbarung, also die Verbindung | |
zwischen Gefährdung der inneren Sicherheit und Migration, müsse vielleicht | |
präziser formuliert werden, hat einer der beiden christlichen Ombudsleute, | |
die über die Einhaltung des Abkommens wachen, gegenüber dem Spiegel | |
mittlerweile eingeräumt. Natürlich müsse nach Taten wie etwa dem | |
Terrorangriff von Solingen gesagt werden können, woher Gewalt stamme, wer | |
Gewalt ausübe, so der evangelische Stadtsuperintendent von Köln, Bernhard | |
Seiger. Deshalb gebe es in Köln auch keine „Sprech- und Denkverbote und | |
auch keinen Maulkorb“. | |
Oberbürgermeister-Kandidatin Berîvan Aymaz, als Kind selbst Schutzsuchende | |
in Deutschland, geht noch einen Schritt weiter: „Es ist kein Wunder, dass | |
ausgerechnet Köln zur Zielscheibe in diesem Kulturkampf von Rechten und | |
Populisten gemacht wurde – schließlich ist unsere Stadt immer gegen | |
Rassismus und auch die AfD aufgestanden“, sagt die Grüne. | |
„Grundsätzlich gibt es in Köln eine Mehrheit links der Mitte“, sagt auch | |
der Soziologe Ansgar Hudde, der dort an der Universität lehrt und zum Thema | |
„Politische Muster in Deutschlands Nachbarschaften“ forscht. Das zeige auch | |
die Forsa-Umfrage von Ende August, nach der die Grünen bei der Wahl des | |
Stadtrats mit 23 Prozent stärkste Kraft werden könnten. Die SPD käme | |
demnach auf 20 und die Linken auf 10 Prozent. Die CDU liegt bei 17 und die | |
AfD bei 12 Prozent. FDP und Sonstige wie etwa Volt und die Klimafreunde | |
kommen laut der Umfrage auf zusammen 18 Prozent. | |
„Damit droht eine starke Zersplitterung des Stadtrats“, warnt Hudde. Zwar | |
sei im Kölner Stadtparlarment ein Wechsel vom bisherigen grün-schwarzen, | |
von Volt unterstützten Ratsbündnis hin zu Rot-Rot-Grün denkbar. „Eine | |
Politik der reinen Lehre wird aber keine Partei durchsetzen können“, sagt | |
der Soziologe. | |
Noch schwerer vorhersehbar sei, wer Oberbürgermeister oder | |
Oberbürgermeisterin der Millionenstadt werde, meint Hudde: „Alle drei haben | |
mittelmäßige Chancen“, sagt er mit Blick auf den SPD-Mann Burmester, die | |
Grüne Aymaz und den Christdemokraten Greitemann. Bei der absehbaren | |
Stichwahl zwischen den aktuell bestplatzierten Kandidat:innen am 28. | |
September aber könne der Sozialdemokrat durchaus vor der Grünen liegen, | |
glaubt er: „Torsten Burmester wird nicht geliebt, polarisiert aber etwas | |
weniger als Aymaz.“ Denn ob Kölns Stadtgesellschaft, die wie etwa in Berlin | |
auch, im Zentrum links, in den Vororten aber teils traditionell, teils | |
konservativ und manchmal auch rechtspopulistisch tickt, in ihrer Gesamtheit | |
wirklich reif für die erste Person mit Migrationshintergrund an der | |
Stadtspitze ist – das gilt keineswegs als ausgemacht. | |
## Die Kandidatur: kein Selbstläufer | |
Dass Aymaz’ Kandidatur alles andere als ein Selbstläufer ist, ahnen | |
mittlerweile auch viele Grüne. Schließlich ist nicht nur die Zustimmung für | |
die Spitzenkandidatin selbst gering. Gefragt nach der Wahl des Stadtrats, | |
würden sich 6 Prozent weniger Wähler:innen für die Grünen entscheiden | |
als bei der vorherigen Wahl 2020. Damals fuhr die Partei ein Wahlergebnis | |
von 29 Prozent ein. | |
Das Problem der Grünen: Teilen der Stammwählerschaft scheint sie zu wenig | |
progressiv. Doch wenn Aymaz gewinnen will, muss sie spätestens bei der | |
Stichwahl eben auch die politische Mitte erreichen. | |
Deutlich wird das auch bei den Grünen, die Aymaz auf dem Wiener Platz | |
unterstützen. „Viele junge Leute sagen mir: Wenn ihr eine linke Politik | |
machen würdet, würde ich euch wählen“, erzählt die Sprecherin der Grüne | |
Jugend Köln, Marika Esch – und freut sich, dass eine Parteilinke | |
Rathauschefin werden will. | |
„Gerade in der Sozialpolitik unterscheiden sich unsere Positionen kaum von | |
denen der Linken“, findet dagegen die Anwältin Daniela Hilgers, die in | |
Köln-Mülheim für die Bezirksvertretung kandidiert. „Manchen Wähler:innen | |
sind wir zu links“, sagt die 52-Jährige, die seit 19 Monaten Parteimitglied | |
ist, „und für andere nicht links genug.“ Und zumindest bei denen, fürchtet | |
Hilgers, „rächt sich unser langjähriges Bündnis mit der CDU jetzt“. | |
12 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Linke-vor-NRW-Kommunalwahl/!6111123 | |
[2] https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-elon-musk-… | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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