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# taz.de -- Köln wählt am Sonntag: Eine Grüne, die bei Linken beliebt ist
> Berîvan Aymaz will Bürgermeisterin der größten Stadt in
> Nordrhein-Westfalen werden. Verschiedene Milieus schätzen die
> Deutsch-Kurdin. Reicht das zum Regieren?
Bild: Wahlkampf ist Nahkampf: Berîvan Aymaz Anfang September auf der Suche nac…
Berîvan Aymaz kämpft. Unterstützt von einem knappen Dutzend
Parteifreund:innen der Grünen läuft die 53-Jährige Anfang September
über den Wiener Platz im rechtsrheinischen Stadtteil Mülheim. Hier ist
gerade Markt. Ein knappes Dutzend Händler:innen verkaufen Obst und
Gemüse, dazu Süßigkeiten, Kleidung und Accessoires – und überdecken so die
Tristesse: Wie viele öffentliche Orte in Köln ist auch der von mittelhohen,
quadratisch-schmucklosen Zweckbauten umbaute Wiener Platz zugepflastert.
Nur am Rand können einige wenige Bäume im Sommer Schatten werfen.
Die Landtagsabgeordnete, die bei den am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen
Oberbürgermeisterin von Deutschlands viertgrößter Stadt werden will, setzt
hier auf den Direktkontakt zu den Bürger:innen. „Am 14. September ist
Kommunalwahl“, spricht Aymaz potenzielle Wähler:innen an – und drückt
ihnen Flyer mit ihrem Konterfei in die Hand, auf denen sie bezahlbare
Wohnungen, besseren Nahverkehr, mehr Klimaschutz, aber auch mehr Sicherheit
im öffentlichen Raum verspricht. „Gehen Sie wählen, unterstützen Sie mich�…
bittet die Kandidatin.
Die Bitte hat für Aymaz eine gewisse Dringlichkeit: Die letzten Umfragen
sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus: Bei der Direktwahl des
Stadtoberhaupts würden sich gerade einmal 13 Prozent für Aymaz entscheiden.
Doch auch der Erstplatzierte, der Sozialdemokrat Torsten Burmester, bis
Ende 2024 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds, kommt
gerade einmal auf 15 Prozent Unterstützung, ermittelte Forsa Ende August.
Und auch für den CDU-Kandidaten Markus Greitemann, bisher Baudezernent in
Köln, ist die Stichwahl, also das unvermeidbar scheinende Rennen zwischen
den beiden Bestplatzierten, mit 11 Prozent noch in Reichweite.
Hier im Arbeiter:innen-Stadtteil Mülheim aber, wo die Arbeitslosenquote
rund 50 Prozent über der 9,3-Prozent-Quote der Gesamtstadt liegt, hat Aymaz
eine Art Heimspiel: Mülheim liegt rechtsrheinisch auf der „Schäl Sick“:
hier befindet man sich auf der Seite des Rheins, auf die viele der
Kölner:innen, die linksrheinisch rund um Dom und Altstadt wohnen, noch
immer etwas herablassend herunterblicken. Fast 50 Prozent der Menschen hier
haben einen Migrationshintergrund. Und die Kandidatin, die als Parteilinke
gilt, spricht mit nicht wenigen Türkisch oder Kurdisch.
Aymaz wurde 1972 in Bingöl, einer kurdischen Provinz in der Türkei,
geboren. Mit sechs Jahren kam sie zusammen mit Mutter und Bruder ins
benachbarte Bonn – ihr Vater, zuvor Bürgermeister ihrer Geburtsstadt, war
dort Kulturattaché der türkischen Botschaft geworden. Doch ein
Regierungswechsel in der Türkei kurz vor dem Militärputsch von 1980 änderte
alles. Aymaz’ Vater wurde wegen seiner kurdischen Herkunft abberufen und
weigerte sich, in die Türkei zurückzukehren.
„Er wusste, was ihm drohte“, hat Aymaz einmal während eines langen
Gesprächs in ihrem Landtagsbüro erzählt – die Grüne ist Vizepräsidentin …
nordrhein-westfälischen Landesparlaments. Nahe Verwandte, hatte Aymaz
damals erzählt, seien in der Türkei verhaftet und gefoltert worden.
Doch auch in Deutschland waren die Folgen der Repression für die Familie
dramatisch: „Auf einmal waren wir ohne Pässe, papierlos“, erinnert sich die
Grüne. Ihr Vater, der ehemalige Kulturattaché, versuchte, seine Familie als
Gemüsehändler durchzubringen. Später sicherte sein ursprünglicher
Lehrerberuf den Aufenthaltsstaus der Familie.
Auf dem Wiener Platz, während Aymaz’ Wahlkampftour: Freundschaftlich, fast
herzlich, reagiert Elif Kabukcu auf die Kandidatin. Das Gespräch zwischen
den beiden Frauen wechselt immer wieder zwischen Deutsch und Türkisch.
„Eigentlich bin ich Mitglied der Linken. Und deren Kandidat:innen für
den Stadtrat und die Bezirksvertretung habe ich per Briefwahl auch schon
gewählt“, sagt die 50-jährige Kabukcu. „Als Oberbürgermeisterkandidatin
habe ich mich aber für Berîvan Aymaz entschieden.“ Wohl auch, weil dem
l[1][inken Spitzenkandidaten Heiner Kockerbeck kaum Chancen eingeräumt
werden, es in die Stichwahl zu schaffen].
„Ich unterstütze Berîvan Aymaz, weil sie die Wohnungsnot, die Situation von
obdachlosen Menschen, die Rechte von Frauen und von queeren Menschen klar
thematisiert“, sagt Kabukcu. „Tiefgreifend“ seien die sozialen Probleme in
Köln, erklärt die Alleinerziehende, die während Corona eine Gruppe für
Ein-Eltern-Familien in Köln-Mülheim gegründet hat. „Schicksale“ habe sie
dort kennengelernt, sagt Kabukcu – etwa die Mutter mit schweren
Depressionen, die keine Klinik findet, die sie gemeinsam mit ihrem Kind
aufnehmen kann: Wartezeiten von einem Jahr seien keine Seltenheit.
Kabukcu erzählt von anderen Fällen: Von einer Mutter, die mit ihrem
fünfjährigen Kind ohne feste Wohnung sei, von Woche zu Woche zwischen
Freunden und Bekannten wechsle. Das Kind gehe deshalb nicht mehr regelmäßig
in die Kita. Und überhaupt: Die „chronische Unterversorgung mit Kitaplätzen
insgesamt“ sei in Köln ein Problem. Diskussionen über einen besseren
Nahverkehr, enger getaktete Busse und Bahnen seien dagegen nachgerade
„Luxusthemen“, findet sie.
Auch Mario Gast hat bereits für Aymaz gestimmt. Seine Sorgen will der
64-Jährige der Kandidatin an diesem Tag trotzdem mitgeben: Gast spricht
über Kölns neue Schulden von fast 400 Millionen Euro allein in diesem Jahr,
beschlossen vom Bündnis aus Grünen, CDU und Volt. Aymaz kontert mit von ihr
abgelehnten Großprojekten wie dem U-Bahn-Bau auf der Ost-West-Achse, den
der Stadtrat mit Stimmen von CDU, SPD und FDP beschlossen hat – die Grüne
Fraktion verließ vor der Abstimmung den Saal.
„Der Prozess um den Ratsbeschluss zum Tunnelbau ist ein Paradebeispiel
dafür, was in Köln schiefläuft“, sagt Aymaz zur Ost-West-Achse. Sie klingt
dabei wie Kritiker:innen vom Bündnis Verkehrswende Köln, das mit dem
Slogan „Oben bleiben“ für den Ausbau der bestehenden Straßenbahn kämpft.
Die U-Bahn, deren Kosten im Milliardenbereich liegen, bringe den
Bürger:innen dagegen kaum Nutzen, argumentiert das Bündnis: Der
Zeitgewinn der nur 2,3 Kilometer langen Strecke liege bei gerade einmal
drei bis vier Minuten.
Wähler Gast will jetzt noch schnell über Klimaschutz reden – also erzählt
Aymaz von den 2.000 Bäumen, die sie jedes Jahr in Köln pflanzen lassen
will. Mehr Pflanzen, mehr Schatten: Zusammen mit ein paar Bänken könnte so
auch der Wiener Platz attraktiver werden.
Doch im Wahlkampf ist der drohende Hitzekollaps von Nordrhein-Westfalens
einziger Millionenstadt keinesfalls das dominierende Thema. Glaubt man
einer weiteren Forsa-Umfrage, durchgeführt von Ende Juni bis Anfang Juli,
ist die Verkehrspolitik mit dem Dauerstau, in dem Köln jeden Tag versinkt,
der Punkt, der die Kölner:innen am meisten interessiert. Erst darauf
folgt der dysfunktionale Wohnungsmarkt. Dabei spricht das Bündnis „Wir
wollen wohnen“, zu dem sich Mietervereine, der Deutsche Gewerkschaftsbund
DGB und Wohlfahrtsverbände wie der Paritätische, die Arbeiterwohlfahrt oder
die Caritas zusammengeschlossen haben, längst von einer „Wohnungsnot“, die
in Köln „ein dramatisches Ausmaß erreicht“ habe.
Der öffentlich geförderte Wohnungsbestand, also die Zahl der
Sozialwohnungen, sei von ehemals 105.000 auf aktuell 37.000 geschrumpft,
rechnet das Bündnis vor. Allein in diesem Jahr verlören 4.500 Wohnungen
ihre Sozialbindung. Bei Neuvermietung koste der Quadratmeter in Köln heute
deshalb im Schnitt 14,99 Euro – unbezahlbar für viele Familien und gerade
für Alleinerziehende, Studierende, Rentner:innen. „Zu wenig freie
Wohnungen, zu teure Wohnungen, zu wenig öffentlich geförderte Wohnungen.
Das ist Köln im Jahr 2025“, kritisiert Hans Jörg Depel, Geschäftsführer d…
Mietervereins Köln. „So verliert die Stadt ihren sozialen Zusammenhalt.“
Für Aymaz, aber auch für ihren SPD-Konkurrenten Burmester, ist bezahlbares
Wohnen deshalb das Top-Thema im Wahlkampf. „In Köln haben mehr als 45
Prozent der Menschen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Aber nur
6,7 Prozent des Bestands sind noch Sozialwohnungen“, rechnet Aymaz den
Grund für das Marktversagen vor.
Im Wahlkampf verspricht sie deshalb, eine „Offensive für bezahlbaren
Wohnraum“ starten zu wollen, sollte sie als Oberbürgermeisterin ins Rathaus
einziehen: Im Rahmen einer „sozial orientierten Bodenpolitik“ sollen dann
städtische Grundstücke nicht mehr an „ausschließlich renditehungrige
Investoren“ verkauft, sondern nur noch über Erbbaurecht vergeben werden –
„möglichst an gemeinwohlorientierte Bauprojekte und Genossenschaften, die
dann günstig neuen Wohnraum schaffen“, erklärt die Grüne. Außerdem will
Aymaz verstärkt Wohnheime für Auszubildende und Studierende bauen lassen.
Schon heute gäben viele in Köln „ihren Ausbildungs- oder Studienplatz
wieder ab, nur weil sie keine bezahlbare Wohnung finden“, umwirbt sie junge
Leute gezielt auf Social Media.
Auch Sozialdemokrat Burmester verspricht „6.000 neue Wohnungen pro Jahr“,
davon „1.000 neue Sozialwohnungen mit städtischem Förderprogramm“. Dazu
soll eine „neue Wohnungsgesellschaft der Stadt“ gegründet werden, die
selbst bauen und sanieren soll. Im CDU-Wahlprogramm von Markus Greitemann
stehen dagegen konservativ-klassisch „Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“
an erster Stelle. Punkten könnte der Christdemokrat gerade mit dem Thema
Sauberkeit – viele Kölner:innen ärgern sich über das, was die
Lokalpresse die „Vermüllung“ der Stadt nennt.
Den Ton dafür gesetzt hat die scheidende Oberbürgermeisterin Henriette
Reker, die nicht mehr für eine dritte Amtszeit kandidiert. In einem
Interview Ende Januar mit dem Kölner Stadtanzeiger zeigte sich die
68-Jährige parteilose Rathauschefin, die 2015 von Grünen, CDU, FDP und der
Wählergruppe Klima-Freunde unterstützt wurde und die am Tag vor ihrer
ersten Wahl durch das Messerattentat eines Rechtsextremen schwer verletzt
wurde, denkbar amtsmüde: Sie sehe eine „zunehmende Verwahrlosung“ Kölns u…
„schäme sich“ für „diese dreckige Stadt“.
Um „dieser Verwahrlosung zu begegnen“, gebe es restriktive Mittel, schob
die Noch-Oberbürgermeisterin mit Blick auf die offene Drogenszene etwa am
Neumarkt in der Nähe der Fußgängerzone nach. „Einige Städte vertreiben die
Obdachlosen und Drogenabhängigen aus der Stadtmitte“, sagte Reker. Doch
dafür gebe es in Köln „keine Mehrheit“ im Stadtrat.
Auf klare Ablehnung trifft der von Reker frustriert eingeforderte
Law-and-Order-Kurs nicht nur bei der Kandidatin Aymaz. „Verdrängung durch
rein ordnungspolitische Maßnahmen ist keine Lösung“, so die Grüne in
Köln-Mülheim zur taz. „Wir erleben bereits jetzt, dass die Drogenszene
schon heute auf andere Stadtteile wie etwa Köln-Ehrenfeld ausweicht.“ Die
Polizei sei teilweise mit mehreren Polizeimannschaftswagen auf dem Neumarkt
präsent.
„Suchtkranken Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden
liegen, muss geholfen werden“, fordert Aymaz. Nötig seien weitere, rund um
die Uhr verfügbare Drogenkonsumräume – und Rückzugsmöglichkeiten, wo es
Essen, Duschen sowie ärztliche und soziale Betreuung geben soll. Dadurch
werde auch der öffentliche Raum entlastet und die Sorgen von
Anwohner:innen und Geschäftsleuten ernst genommen.
Ähnlich argumentiert auch SPD-Mann Burmester, der einen weiteren
Drogenkonsumraum in der ehemaligen Zentrale des Kaufhof-Warenhauskonzerns
in der Innenstadt fordert. Der Christdemokrat Greitemann will sich dagegen
am sogenannten Züricher Modell orientieren, einer Mischung aus Prävention,
Repression, Therapie – und Vertreibung: In Zürich können nur Menschen
Drogeneinrichtungen nutzen, die auch in Zürich gemeldet sind. Alle anderen
werden in ihre Heimatorte zurückgeschoben.
Die Kandidat:innen hoffen so, eine massive Unzufriedenheit der
Kölner:innen mit der Arbeit von Politik und Stadtverwaltung
aufzugreifen. In der Anfang Juli veröffentlichten Forsa-Umfrage erklärten
64 Prozent, nichts sei in den vergangenen Jahren in ihrer Stadt besser
geworden. 78 Prozent sagten dagegen, die Stadt habe sich zu ihrem Nachteil
verändert – und 19 Prozent meinten, sie würden lieber woanders wohnen.
## Kulturkampf von rechts
Benutzt wird diese Unzufriedenheit aber auch für eine Art Kulturkampf von
rechts außen, mit dem sich Ende August sogar [2][Tech-Milliardär Elon Musk
in den Kölner Kommunalwahlkampf einmischte]. „Either Germany votes AfD – or
it is the end of Germany“ (etwa: „Entweder Deutschland wählt die AfD oder
Deutschland ist am Ende“) postete der wohl noch immer reichste Mensch der
Welt auf seinem Netzwerk X. Die AfD hat Unterstützung nötig – ihr
Oberbürgermeisterkandidat kam Anfang August nur auf Zustimmungswerte von 9
Prozent.
Auslöser der erneuten massiven Werbung des einstigen Trump-Kumpels Musk für
die rechtsextreme Partei war wohl der Post eines anderen X-Nutzers, der die
Überschrift des rechten ungarischen Magazins The European Conservative
teilte: „Köln-Wahl: AfD ist die einzige Partei, die frei über Migration
sprechen kann.“ Dabei bezog sich das rechte ungarische Nachrichtenportal
wiederum auf die Bild-Zeitung, die getitelt hatte, in Köln gebe es eine
„bizarre Wahlkampf-Einigung“, die Parteien verpflichte, „nur positiv über
Migration zu sprechen“.
Das Springer-Blatt zielte damit auf ein „Fairness-Abkommen“ der Kölner
Parteien, das seit 1998 immer wieder erneuert wird: 2025 hatten Grüne, CDU,
SPD, Linke, FDP, Grüne, Volt und Die Partei dafür unterschrieben. Im Kern
verpflichten sich die Parteien darauf, „nicht auf Kosten von unter uns
lebenden Menschen Wahlkampf zu betreiben und inhaltlich fair zu bleiben“,
sowie „keine Vorurteile gegen hier lebende Migrantinnen, Migranten und
Flüchtlinge zu schüren oder in den eigenen Reihen zu dulden“.
Eigentlich demokratischer Grundkonsens also – nicht ohne Grund wurde die
AfD, die in Köln Sprüche wie „Abschieben statt Einfliegen“ plakatiert, er…
gar nicht um ihre Unterschrift unter das Fairness-Abkommen gebeten. Und
natürlich erklärte die rechtsextreme Partei schnell, eine solche Erklärung
auch überhaupt nicht unterzeichnen zu wollen.
Allerdings heißt es in dem seit fast 30 Jahren immer wieder neu aufgelegten
Abkommen etwas missverständlich auch, Migrant:innen sollten „nicht für
negative gesellschaftliche Entwicklungen wie die Arbeitslosigkeit oder die
Gefährdung der inneren Sicherheit“ verantwortlich gemacht werden. Wohl
gerade deshalb konnten diverse Medien das Abkommen für ihre Agenda nutzen:
„Probleme durch Migration sollen in Köln nicht stattfinden – zumindest
nicht im Wahlkampf“, hieß es etwa in einem Kommentar des
NRW-Regionalfensters des TV-Senders RTL.
Das Magazin Focus zeigte sich „entsetzt“ über einen „Asyl-Schweigepakt�…
nannte migrantisch geprägte Stadtteile Kölns wie Mülheim
„Verbrechens-Hochburgen“. Und das rechtspopulistische Online-Magazin Tichys
Einblick verglich das Fairness-Abkommen mit dem Schweigegelübde Omertá der
sizilianischen Mafia – und hämte, das „leidige Thema“ Migration könne s…
„wegen der inzwischen alltäglichen Gewalttaten, Messerangriffe, Hinrichtung
von Polizisten, Vergewaltigungen, Drogendelikten, Bandenkriegen und anderer
Straftaten“ immer weniger tabuisiert werden.
Gerade der letzte Teil der Fairness-Vereinbarung, also die Verbindung
zwischen Gefährdung der inneren Sicherheit und Migration, müsse vielleicht
präziser formuliert werden, hat einer der beiden christlichen Ombudsleute,
die über die Einhaltung des Abkommens wachen, gegenüber dem Spiegel
mittlerweile eingeräumt. Natürlich müsse nach Taten wie etwa dem
Terrorangriff von Solingen gesagt werden können, woher Gewalt stamme, wer
Gewalt ausübe, so der evangelische Stadtsuperintendent von Köln, Bernhard
Seiger. Deshalb gebe es in Köln auch keine „Sprech- und Denkverbote und
auch keinen Maulkorb“.
Oberbürgermeister-Kandidatin Berîvan Aymaz, als Kind selbst Schutzsuchende
in Deutschland, geht noch einen Schritt weiter: „Es ist kein Wunder, dass
ausgerechnet Köln zur Zielscheibe in diesem Kulturkampf von Rechten und
Populisten gemacht wurde – schließlich ist unsere Stadt immer gegen
Rassismus und auch die AfD aufgestanden“, sagt die Grüne.
„Grundsätzlich gibt es in Köln eine Mehrheit links der Mitte“, sagt auch
der Soziologe Ansgar Hudde, der dort an der Universität lehrt und zum Thema
„Politische Muster in Deutschlands Nachbarschaften“ forscht. Das zeige auch
die Forsa-Umfrage von Ende August, nach der die Grünen bei der Wahl des
Stadtrats mit 23 Prozent stärkste Kraft werden könnten. Die SPD käme
demnach auf 20 und die Linken auf 10 Prozent. Die CDU liegt bei 17 und die
AfD bei 12 Prozent. FDP und Sonstige wie etwa Volt und die Klimafreunde
kommen laut der Umfrage auf zusammen 18 Prozent.
„Damit droht eine starke Zersplitterung des Stadtrats“, warnt Hudde. Zwar
sei im Kölner Stadtparlarment ein Wechsel vom bisherigen grün-schwarzen,
von Volt unterstützten Ratsbündnis hin zu Rot-Rot-Grün denkbar. „Eine
Politik der reinen Lehre wird aber keine Partei durchsetzen können“, sagt
der Soziologe.
Noch schwerer vorhersehbar sei, wer Oberbürgermeister oder
Oberbürgermeisterin der Millionenstadt werde, meint Hudde: „Alle drei haben
mittelmäßige Chancen“, sagt er mit Blick auf den SPD-Mann Burmester, die
Grüne Aymaz und den Christdemokraten Greitemann. Bei der absehbaren
Stichwahl zwischen den aktuell bestplatzierten Kandidat:innen am 28.
September aber könne der Sozialdemokrat durchaus vor der Grünen liegen,
glaubt er: „Torsten Burmester wird nicht geliebt, polarisiert aber etwas
weniger als Aymaz.“ Denn ob Kölns Stadtgesellschaft, die wie etwa in Berlin
auch, im Zentrum links, in den Vororten aber teils traditionell, teils
konservativ und manchmal auch rechtspopulistisch tickt, in ihrer Gesamtheit
wirklich reif für die erste Person mit Migrationshintergrund an der
Stadtspitze ist – das gilt keineswegs als ausgemacht.
## Die Kandidatur: kein Selbstläufer
Dass Aymaz’ Kandidatur alles andere als ein Selbstläufer ist, ahnen
mittlerweile auch viele Grüne. Schließlich ist nicht nur die Zustimmung für
die Spitzenkandidatin selbst gering. Gefragt nach der Wahl des Stadtrats,
würden sich 6 Prozent weniger Wähler:innen für die Grünen entscheiden
als bei der vorherigen Wahl 2020. Damals fuhr die Partei ein Wahlergebnis
von 29 Prozent ein.
Das Problem der Grünen: Teilen der Stammwählerschaft scheint sie zu wenig
progressiv. Doch wenn Aymaz gewinnen will, muss sie spätestens bei der
Stichwahl eben auch die politische Mitte erreichen.
Deutlich wird das auch bei den Grünen, die Aymaz auf dem Wiener Platz
unterstützen. „Viele junge Leute sagen mir: Wenn ihr eine linke Politik
machen würdet, würde ich euch wählen“, erzählt die Sprecherin der Grüne
Jugend Köln, Marika Esch – und freut sich, dass eine Parteilinke
Rathauschefin werden will.
„Gerade in der Sozialpolitik unterscheiden sich unsere Positionen kaum von
denen der Linken“, findet dagegen die Anwältin Daniela Hilgers, die in
Köln-Mülheim für die Bezirksvertretung kandidiert. „Manchen Wähler:innen
sind wir zu links“, sagt die 52-Jährige, die seit 19 Monaten Parteimitglied
ist, „und für andere nicht links genug.“ Und zumindest bei denen, fürchtet
Hilgers, „rächt sich unser langjähriges Bündnis mit der CDU jetzt“.
12 Sep 2025
## LINKS
[1] /Linke-vor-NRW-Kommunalwahl/!6111123
[2] https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-elon-musk-…
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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Lesestück Recherche und Reportage
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