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# taz.de -- Kommunalwahlen in NRW: Berliner Bremsklotz zu Besuch
> Der Bundeskanzler kommt ins nordrhein-westfälische Münster, um der CDU im
> Kommunal-Wahlkampf zu helfen. Aber ist Merz überhaupt eine Unterstützung?
Bild: Bundeskanzler Friedrich Merz (l) und Ministerpräsident von Nordrhein-Wes…
Münster/Bonn/Berlin taz | Es dauert nur eine gute Viertelstunde, da ist
Friedrich Merz beim „Bullshit“ angekommen – und das alles andere als
freiwillig. Der Bundeskanzler steht am Montagmittag gemeinsam mit dem
[1][nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst] vor einer
holzgetäfelten Wand mit aufwendigen Schnitzereien, der Friedenssaal im
Rathaus in Münster ist ein geschichtsträchtiger Raum.
Hier wurde einst der Westfälische Frieden verhandelt, der den
Dreißigjährigen Krieg beendet hat. Merz, der selbst aus Westfalen kommt,
hat gerade noch betont, welch besonderer Ort das sei, er stehe für „Dialog,
Verständigung und die Kraft der gemeinsamen Lösung“.
Doch damit ist es jetzt vorbei. Schon die erste Frage einer Journalistin
zielt auf den neuen Streit in der Bundesregierung. Wie er denn den
Widerspruch auf seine [2][Kürzungspläne bei den Sozialsystemen von Bärbel
Bas] sehe, der SPD-Chefin und Sozialministerin in seinem Kabinett, will
eine Frau vom WDR wissen. Bas hatte dies am Wochenende bei einem
Juso-Treffen „Bullshit“ genannt.
[3][Merz ist am Montagmorgen zum Antrittsbesuch nach Nordrhein-Westfalen]
gekommen, es ist das vierte Bundesland, das er offiziell als Kanzler
besucht. Münster ist für die CDU nicht nur wegen der historischen Kulisse
interessant. In knapp zwei Wochen sind in NRW Kommunalwahlen, die einzigen
wichtigen Wahlen in diesem Jahr.
## Grünes Biotop
In Münster werden Tilman Fuchs von den Grünen gute Chancen eingeräumt, der
CDU den Posten des Oberbürgermeisters abzujagen, zumal der langjährige
Amtsinhaber nicht erneut kandidiert. Die heimliche Hauptstadt Westfalens,
wie Merz es nennt, ist zwar wohlhabend und noch immer auch katholisch
geprägt – aber mit der Universität, zahlreichen Behörden und den vielen
Radfahrer:innen auch eine Art grünes Biotop. Da kann im Wahlkampf ein
Besuch von CDU-Prominenz aus Land und Bund zur Unterstützung vermutlich
nicht schaden.
Doch die Frage ist: Hilft ein [4][Besuch des Kanzlers den wahlkämpfenden
Christdemokrat:innen] derzeit überhaupt?
Die schwarz-rote Bundesregierung ist [5][nach der gescheiterten
Richterinnenwahl zerstritten] in die Sommerpause gegangen, Erinnerungen an
die Ampel wurden wach. Mit einem Streit über Sozialkürzungen und
Steuererhöhungen kommt sie nun aus der Sommerpause wieder heraus, kein
gutes Zeichen. Zudem ist Merz, anders als der geschmeidige
Ministerpräsident Wüst, beim Wahlvolk nicht sonderlich beliebt: Zwei
Drittel der Bundesbürger:innen sind mit dem Kanzler unzufrieden.
Zwei Tage zuvor, World Conference Center Bonn, Landesparteitag der
nordrhein-westfälischen CDU. Auch hier ist Merz zu Gast, er ist der erste
Redner an diesem Samstagmorgen. Die Stimmung ist verhalten, der Applaus
höflich, leidenschaftlich aber sind die Delegierten nicht.
„Viele Bürger sind von Herrn Merz und seiner Politik nicht so ganz
begeistert“, sagt eine Christdemokratin aus der Eifel, einer tiefschwarzen
Region. Der plötzliche Abschied von der Schuldenbremse und die einkassierte
Stromsteuer-Senkung ärgerten die konservativen Wähler:innen. „Derzeit
stützen wir als Basis eher Herrn Merz – nicht umgekehrt.“
## Die Angst vor der AfD
Einfach nur „schwierig“ sei die Stimmung, erzählt auch ein Delegierter aus
dem Ruhrgebiet: „Die Lebensmittelpreise, die teure Energie – das geht den
Leuten an den Geldbeutel.“ Die Stimmung wende sich gegen Geflüchtete, das
zahle bei der rechtsextremen AfD ein. Zwar sei besonders die [6][Basis der
Sozialdemokraten anfällig für die AfD-Parolen]. Trotzdem sei es besonders
im Ruhrgebiet fraglich, wie viele Oberbürgermeister-Kandidaten der CDU es
in die erwartbaren Stichwahlen schaffen dürften – oder ob SPD und AfD das
Rennen unter sich ausmachen.
Noch stütze die Sorge vor der AfD seine Partei, glaubt ein Christdemokrat
aus Halle, einer kleinen Stadt bei Gütersloh: „Die Leute bei uns haben
Angst: Wenn es die CDU nicht schafft, dann kommt Blau.“
Merz selbst weiß um die Bedeutung der Kommunalwahlen im größten Bundesland:
Zur Wahl aufgerufen seien „13 Millionen Wähler“, das sei „mehr, als
manches Mitglied der Europäischen Union Einwohner hat“, sagt er in Bonn.
„Wir muten den Sozialdemokraten einiges zu – und die uns auch“, sagt Merz
mit Blick auf die Bundesregierung und betont mit Verweis auf
„Migrationswende“ und Wirtschaft, wie viel man bereits auf den Weg gebracht
habe. Und auch hier kündigt Merz noch einmal Kürzungen beim Sozialstaat an:
„[7][Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse]“, meint der Kanzler.
Es ist diese Passage, die Bas zu ihrer „Bullshit“-Äußerung gebracht hat.
Merz’ Amtsbeginn sei überraschend gewesen, findet Politikwissenschaftler
Norbert Kersting, der an der Universität Münster lehrt: „Merz hat von
Anfang an versucht, außenpolitisch zu punkten, dabei ist der Blick eines
neuen Regierungschefs üblicherweise auf die Innenpolitik gerichtet.“
Ausgezahlt habe sich das für Merz nicht. Die gemeinsame Abstimmung mit der
AfD im Bundestag und die Kehrtwende bei der Schuldenbremse wirkten nach,
auch die Wirtschaftskrise färbe ab. Eine große Unterstützung für seine CDU,
sagt Kersting, sei der Kanzler nicht.
## Geschenke statt echte Hilfe
Immerhin hat [8][Merz den Wahlkämpfer:innen in NRW] Geschenke
mitgebracht. Ab Anfang kommenden Jahres will auch der Bund den Städten und
Gemeinden bei der Tilgung ihrer milliardenschweren Altschulden helfen,
zumindest mit „einem kleinen Betrag“, kündigt der Kanzler in Bonn an.
Konkrete Zahlen allerdings nennt er nicht. Viele Städte in
Nordrhein-Westfalen haben seit Jahren kaum noch Handlungsspielraum:
Altschulden von satten 55,4 Milliarden Euro belasten ihre Haushalte.
In Münster vor der Presse lobt Wüst das [9][Entgegenkommen des Bundes bei
den Altschulden] noch mal, auch nennt er die Stimmung in der gerade
absolvierten gemeinsamen Kabinettssitzung wie auch sein Verhältnis zum
Kanzler „sehr gut“. Doch auch Wüst weiß, dass Merz zumindest aktuell kein
Zugpferd ist.
„Das Umfeld ist nicht immer optimal“, so hat er es auf dem Landesparteitag
gesagt. Und: Er sei [10][CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann] „sehr, sehr
dankbar, dass er festgestellt hat, die Stimmung könnte noch einen Tick
besser werden“. Das habe er Merz auch in der vergangenen Woche persönlich
mitgeteilt.
Das klingt zwar kritisch, aber nicht mehr so herausfordernd wie noch zu der
Zeit, als Wüst selbst als möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt
wurde. Damals warb er unter anderem in einem Text in der FAZ für einen Kurs
der Mitte und erteilte dem „spalterischen Populismus“ im Namen der ganzen
Partei eine Absage. Merz tobte und soll sogar erwogen haben,
hinzuschmeißen, wie der Spiegel später berichtete.
## Spahn als rechter Hoffnungsträger
Inzwischen sind zwischen Merz und Wüst die Verhältnisse geklärt.
Interessant aber könnte es in zwei Jahren werden, wenn möglicherweise die
Nachfolge für Merz als CDU-Chef und die Suche nach einem neuen
Kanzlerkandidaten ansteht. Wüst, der relativ stabil mit den Grünen regiert,
ist dafür ein möglicher Kandidat. Ein anderer ist [11][Jens Spahn]. Der
Fraktionschef der Union im Bundestag gilt als Hoffnungsträger derer, die
[12][einem weiteren Rechtsdrift der Union] nicht abgeneigt sind.
Wüst selbst kann gerade einigermaßen zufrieden sein. Auf dem
Landesparteitag wurde er mit 98 Prozent der Stimmen als Chef der NRW-CDU
wiedergewählt, im Umfragen sind die Ergebnisse der Landespartei zwar nicht
top, liegen aber deutlich vor der Union im Bund. Vor fünf Jahren, bei der
letzten Kommunalwahl, war das noch andersherum.
In Bonn, beim Landesparteitag, betont Wüst dann auch vor allem die Erfolge
seiner Landesregierung. Hier stehen vor allem die Grünen als kleinerer
Koalitionspartner unter Druck – etwa wegen des weiterlaufenden
Braunkohleabbaus im Tagebau Hambach, der drohenden Castor-Transporte oder
des stockenden Ausbaus des Radwegenetzes.
Trotzdem könnte es sein, dass die Grünen sich in manchen Großstädten weiter
behaupten. In [13][Bonn hat die grüne Rathauschefin Katja Dörner] gute
Chancen, ihr Amt zu verteidigen, in Aachen die parteilose
Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, die auf grünem Ticket regiert.
In Köln könnte die langjährige grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz
gewinnen – und im traditionell roten Bielefeld dürften SPD und Grüne den
Kampf um das Rathaus unter sich ausmachen. In den landesweiten Umfragen
aber liegt die CDU mit 35 Prozent deutlich vorn, die SPD ist bei 18, die
AfD bei 16 und die Grünen bei 13 Prozent.
## Keine Änderungen ohne „Extremschock“
Ob Merz also hilft? Womöglich nicht. Aber [14][Kommunalwahlen verlaufen
nach ganz eigenen Regeln]. Die Unzufriedenheit mit Regierungen in Bund und
Land hätten meist keine Folgen für die Kommunalwahl, glaubt etwa der
Politologe Karl-Rudolf Korte, emeritierter Professor der Universität
Duisburg-Essen.
Auswirkungen seien nur nach einem „radikalen Extremschock“ wie einem
„Kriegsbeginn oder Fukushima“ spürbar. Gerade in kleineren Orten spiele
nicht die große Politik, sondern die Kandidat:innen die entscheidende
Rolle. „Je kleiner die Gemeinde, desto personalisierter der Wahlkampf“,
sagt Korte. „Teilweise wissen die Leute gar nicht, wer für welche Partei
kandidiert.“
Am Freitag wird Merz jedenfalls zum dritten Termin innerhalb einer Woche
nach NRW reisen. Am Jülicher Forschungszentrum wird dann der Supercomputer
Jupiter eingeweiht.
1 Sep 2025
## LINKS
[1] /Kampf-um-Kanzleramt/!6064878
[2] /Wieder-Nullrunde-beim-Buergergeld/!6107604
[3] /Generation-X-schafft-es-nicht/!6035924
[4] /Kanzlerkandidatur-der-CDU/CSU/!6037451
[5] /Rueckzug-von-Brosius-Gersdorf/!6102139
[6] https://www.wsi.de/fpdf/HBS-009196/p_wsi_studies_42_2025.pdf
[7] /Herbst-der-Reformen/!6106261
[8] /100-Tage-Merz-Regierung/!6102947
[9] /Merz-Reformherbst/!6106282
[10] /Waffenlieferungen-nach-Israel-Die-Union-muss-sich-der-Realitaet-stellen/!…
[11] /Jens-Spahn/!6056803
[12] /Warnung-vor-Radikalisierung-nach-rechts/!6100441
[13] /Bonner-OB-ueber-Kinder-in-Gaza-/!6106221
[14] /Kommunalwahlkampf-in-Nordrhein-Westfalen/!6110676
## AUTOREN
Sabine am Orde
Andreas Wyputta
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