| # taz.de -- Generation X schafft es nicht: Satz mit X | |
| > Der Boomer Friedrich Merz wird Kanzlerkandidat der Union. Die Generation | |
| > X um Hendrik Wüst steht doof da. Und daran wird sich nie etwas ändern. | |
| Bild: Hendrik Wüst im Jahr 2007, damals Generalsekretär der CDU in Nordrhein-… | |
| Die eigentliche Tragik des Hendrik Wüst besteht nicht darin, dass er 2025 | |
| auf gar keinen Fall Bundeskanzler wird. Sie besteht darin, dass er niemals | |
| Bundeskanzler werden wird. Wahrscheinlich nicht einmal Kanzlerkandidat. | |
| Vielleicht wird er Bundesminister, Justiz oder so. Mehr wird für ihn aber | |
| nicht drin sein. | |
| Das liegt nicht an seinen Fähigkeiten – der Mann ist seit drei Jahren | |
| Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, regiert jetzt also auch kein | |
| ganz kleines Land. Dort hat Wüst übrigens gemeinsam mit seinen grünen | |
| Partnern im Koalitionsvertrag das Prinzip „Bleiberecht vor Abschiebung“ | |
| verankert, und das klingt ja auch erst einmal besser als so ziemlich alles, | |
| was man in den vergangenen 30 Jahren von Friedrich Merz gehört hat. Vor | |
| allem in den letzten Tagen, als er versucht hat, [1][die AfD mit Karacho | |
| rechts zu überholen]. | |
| Hendrik Wüst jedenfalls wird niemals Kanzler werden, weil er im falschen | |
| Jahr geboren wurde, 1975 nämlich. Wüst gehört damit zur [2][Generation X], | |
| der wahrscheinlich enttäuschendsten Generation der Bundesrepublik. Ich darf | |
| dieses Urteil fällen, denn Wüst und ich sind derselbe Jahrgang. Wir teilen, | |
| wenn man so will, das gleiche Schicksal. Da, wo wir hinwollen, sitzt schon | |
| ein Boomer, und im Vorzimmer dieses Boomers sitzt schon ein Millennial, der | |
| auf seinen Posten geiert und davon ausgeht, dass wir frustriert aufgeben. | |
| Die Generation X wird es niemals ganz nach oben schaffen. | |
| Dazu eine kurze Begriffserklärung: „Generation“ bezeichnet Menschen, die | |
| „als Altersgruppe in ihrer Gesellschaft oder aufgrund der gemeinsamen | |
| Prägung durch eine spezifische historische oder kulturelle Konstellation | |
| eine zeitbezogene Ähnlichkeit aufweisen“ (Wikipedia). In der Bundesrepublik | |
| haben wir es zurzeit im Großen und Ganzen mit folgenden Generationen zu | |
| tun: den Boomern (1946–1964), der Generation X (1965–1980), den Millennials | |
| (1980–1996), Generation Z (1997–2012) und Generation Alpha (ab 2013). | |
| Friedrich Merz wurde 1955 geboren, ein Boomer, wie er im Buche steht. | |
| Boomer sind wie Schwämme, aus denen man noch den letzten Rest Flüssigkeit | |
| rauspresst, und wenn sie schon fast trocken in der Ecke liegen, versucht | |
| man noch mal, das Konrad-Adenauer-Haus mit ihnen zum Glänzen zu bringen. | |
| ## Wüst ist ein Prototyp der Generation X | |
| Die Boomer sind nach wie vor die Generation, die das Land prägt. Sie sitzen | |
| im Kanzleramt (Olaf Scholz ist Jahrgang 1958), in den Chefredaktionen und | |
| Aufsichtsräten – manche teilweise länger, als sie sollten. Es könnte | |
| deshalb sehr gut sein, dass sie nicht von Vertretern der Generation X | |
| abgelöst werden, sondern gleich von den Millennials. Die Gen X ist nämlich | |
| die verlorene Generation. Das schien mal anders zu sein, aber auch damals | |
| war es eine Lüge. Eine Lüge der Boomer, die sie der Generation X erzählt | |
| haben. Die Lüge geht so: Ihr seid die hoffnungsvollste Generation, die | |
| dieses Land jemals hatte! Ihr werdet einmal alles anders und alles besser | |
| machen als wir. Ihr kennt weder Mangel noch Krieg! Ihr habt alles, was ihr | |
| braucht, um glücklich und erfolgreich zu werden! | |
| Und tatsächlich: Keine Generation (es geht in diesem Fall um | |
| Westdeutschland, weil die Protagonisten, um die es geht, westdeutsch | |
| sozialisiert sind) fand bessere Startbedingungen vor. Die Xler wuchsen ohne | |
| Not, Krieg und Leid in einer der stabilsten und reichsten Demokratien der | |
| Welt auf. Die Bildungschancen waren fast optimal, Generationenkämpfe nicht | |
| mehr zu erwarten. Wenn die Generation X für etwas war (Umweltschutz) oder | |
| dagegen (Neonazis, Irakkrieg), dann demonstrierte sie friedlich und kreativ | |
| und passte auf, dass sie nichts kaputt machte. Sie verstand sich mit ihren | |
| Eltern, mit ihren Lehrern und Dozenten. | |
| Wüst scheint ein Prototyp der Generation X zu sein. Er wuchs in Rhede auf, | |
| wo er heute noch lebt. 20.000 Einwohner zwischen Borken und Bocholt, es | |
| geht kaum westfälischer. Wüst sagt „mach“, wenn er „mag“ meint. In ei… | |
| Fernsehporträt, das der Journalist Markus Feldenkirchen im Sommer über Wüst | |
| angefertigt hat, kommt eine CDU-Weggefährtin aus Wüsts Jugend zu Wort. | |
| Forsch sei er gewesen, ein „kleiner Rebell“, ein „Frechdachs“, dabei im… | |
| im Anzug. Aktentasche mit 14, Junge Union mit 15, Jagdschein mit 16. Das | |
| ist eine typische Jugend in der westfälischen Provinz Ende der 80er Jahre. | |
| Christian Lindner ist ähnlich aufgewachsen, nur den Jagdschein hat er | |
| später gemacht. | |
| Friedrich Merz erzählte mal von seiner wilden Jugend im Sauerland, Mofas | |
| hätten für ihn eine große Rolle gespielt. Wüst erzählt stattdessen, dass er | |
| selbst kein Mofa gehabt habe, aber Freunde von ihm. Manchmal, wenn er | |
| selbst auf dem Fahrrad saß, habe er sich mit der Hand auf der Schulter | |
| eines Freundes ziehen lassen. Das ist so seine Art von Rebellentum. Wüst | |
| spielte Handball und warf in sechs Jahren ein einziges Tor – das ist, als | |
| wäre man gar nicht auf dem Platz gewesen. Sein Abitur machte er mit 2,5. | |
| Es scheint nicht so, als habe Wüst sich in seiner Jugend groß angestrengt, | |
| aber das hat ja auch kaum jemand aus der Generation X – die Zukunft lag ja | |
| golden schimmernd vor ihr. | |
| ## Millennials sind die lustigen Enkel | |
| Der Soziologe Heinz Bude sagte einmal, bei der Generation X sei alles ein | |
| bisschen müder, ein bisschen kleiner, ein bisschen langweiliger. Hinzu käme | |
| eine Art „ewige Postadoleszenz“. Nun ja. Bude, geboren 1954, ist | |
| selbstverständlich auch ein Boomer, und Boomer haben ihre | |
| Nachfolgegeneration nie sonderlich gemocht. Vielleicht schwingt auch ein | |
| bisschen Angst mit – Angst, wir könnten ihnen die Jobs wegnehmen oder ihr | |
| Geld oder ihre Macht. | |
| Boomer mögen Millennials lieber, weil die Millennials die lustigen Enkel | |
| und nicht die verzogenen Kinder sind. Millennials haben sich diese | |
| verrückten Social Media ausgedacht, und man gesteht ihnen eigene | |
| Kompetenzen zu. Die Xler sind zu nah dran an den Boomern und gleichzeitig | |
| zu verschieden. Wie ein Sohn, den man Friedrich junior nennt und sich dann | |
| wundert, dass er ein eigener Mensch ist. | |
| Auch wenn Friedrich Merz eine angstgetriebene Politik macht, strahlt er die | |
| Arroganz der Macht aus, wie sie weißen Boomermännern eigen ist. Man muss | |
| davon ausgehen, dass Friedrich Merz im kommenden Jahr Bundeskanzler wird. | |
| Dann wird der Mann 69 Jahre alt sein. Bei einem CDU-Kanzler muss man mit | |
| dem Schlimmsten rechnen, nämlich damit, dass er mindestens zwei | |
| Legislaturperioden durchhält. | |
| ## Wüst ist „strebsam“, „nett“ und „artig“ | |
| Dann wären wir im Jahr 2033. Wüst, Söder, Günther und Linnemann wären dann | |
| zwischen 56 und 66. Aber die ersten Millennials wären auch schon 53 Jahre | |
| alt und würden völlig zu Recht eigene Ansprüche formulieren. Und sie wären | |
| auf diesen Moment besser vorbereitet, das waren sie schon immer. | |
| Als die Grünen vor drei Jahren eine Person ins Kanzlerrennen schicken | |
| wollten, trat der Xler Robert Habeck gegen die Millennial Annalena Baerbock | |
| an. Die Entscheidung lag bei Baerbock, und sie entschied sich – | |
| klassischer, skrupelloser Millennialmove – für sich selbst, obwohl Habeck | |
| mit großer Wahrscheinlichkeit die bessere Wahl gewesen wäre. Habeck kämpfte | |
| nicht, er nahm es hin und ließ Baerbock den Vortritt. | |
| Über Hendrik Wüst heißt es oft, er sei „strebsam“, „nett“ und „art… | |
| Art „Musterschüler“. [3][Vor einem Jahr schrieb Wüst einen Gastbeitrag f�… | |
| die FAZ, in dem er Friedrich Merz und dessen Grundsatzprogramm mehr oder | |
| weniger offen angriff.] Tja – so sind sie halt, die Xler. Kritisieren die | |
| Boomer, aber eher hintenrum. Die offene Konfrontation ist nicht ihre Sache, | |
| das ist eher ein Ding der Millennials, die weniger furchtsam sind. Und sie | |
| stehen auch nicht so unter dem Beliebigkeitsverdacht wie die Xler und ihr | |
| Klassensprecher Hendrik Wüst. Der ist zwar ein Konservativer, aber | |
| progressiv. Der hat in seinem Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei ein | |
| Böll-Zitat an der Wand hinter seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch. Und | |
| im Sommer antwortete er auf die Frage, ob er eigentlich gerne Bundeskanzler | |
| wäre: „Ich bin gerade gerne Ministerpräsident.“ | |
| Friedrich Merz wäre seit 30 Jahren gerne Bundeskanzler. Jetzt, 2024, ist er | |
| schon mal Kandidat. Außerdem gehen [4][Oasis wieder auf Tour], und Stefan | |
| Raab kehrt zurück. Das fühlt sich alles ein bisschen an wie 2001, als | |
| Hendrik Wüst 26 Jahre alt war und wie so viele andere aus seiner Generation | |
| von einer glorreichen Zukunft träumte. Der Traum ist aus. | |
| 21 Sep 2024 | |
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| [1] /Debatte-ueber-Migrationspolitik/!6030840 | |
| [2] /Kritik-an-geburtenstarken-Jahrgaengen/!5947612 | |
| [3] https://www.faz.net/aktuell/politik/gastbeitrag-hendrik-wuest-das-herz-schl… | |
| [4] /Oasis-sind-wieder-da/!6032321 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Kalle | |
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