# taz.de -- Verkehrswende in Paris: Blick in die Zukunft | |
> Dank der Verkehrswende ist in Paris das Realität, was in Deutschland noch | |
> eine Zukunftsvision ist: bessere Luft, weniger Lärm und mehr Sicherheit. | |
Bild: In Paris Realität: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt verbannt, … | |
Zum Sonnenuntergang einen Cocktail am Flussufer, da, wo einst Autos | |
entlangbretterten? Sehr gern! Später im Ausgehviertel im Straßencafé | |
abhängen? Klar! Und von einem Ort zum anderen schlendern, dabei Straßen | |
überqueren, auf denen kein Auto fährt? Oder, wenn es ein wenig weiter sein | |
soll, ein Leihrad nehmen? Unbedingt! | |
Was klingt wie eine Geschichte aus dem Fundus „Wünsch dir was“, ist in | |
Paris Realität. Seit die französische Hauptstadt vor nicht ganz 20 Jahren | |
eine Verkehrswende eingeleitet hatte, ist tatsächlich eingetreten, was | |
manche für unmöglich hielten: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt | |
verbannt, das Radwegenetz wurde ausgebaut. Massenweise Leihräder stehen zur | |
Verfügung, Uferstraßen wurden zu Flaniermeilen mit Bars, Cafés, | |
Bouleplätzen. Paris bekommt – vor allem dank der sozialistischen | |
Bürgermeisterin Anne Hidalgo – das hin, was man eine ökologische | |
Verkehrswende nennt: autofreies Flussufer, verkehrsberuhigte Innenstadt, | |
Tempo 30, dreifach erhöhte Parkgebühren für SUVs, viele Radwege. | |
Zählte das Radwegenetz 2007 lediglich 200 Kilometer, sind es heute schon | |
über 1.000 Kilometer. In der zu allen Jahreszeiten gut besuchten Innenstadt | |
stehen an allen möglichen Ecken Ständer mit Leihrädern. | |
Zunächst sorgte Hidalgos rasanter Verkehrsumbau für heftige Kontroversen, | |
ihre Stadt ohne den berühmt-berüchtigten Autoverkehr schien den | |
Pariser:innen undenkbar – trotz Staus und wachsenden Frusts. Doch in | |
einer [1][Umfrage plädierten 60 Prozent der Bewohner:innen] für ein | |
Tempolimit – sie hatten verstanden, dass eine Geschwindigkeit von nur 30 | |
km/h für bessere Luft und weniger Lärm sorgt und die Straßen sicherer | |
macht. Laut der [2][Deutschen Umwelthilfe sinkt die Zahl tödlicher Unfälle | |
bei Tempo 30 um 75 Prozent]. | |
Jetzt sollen 500 weitere Straßen für Autos gesperrt und sogar begrünt | |
werden. 500! Dafür sprach sich bei einer Umfrage im Frühjahr eine Mehrheit | |
der Abstimmenden aus. Die Sache hat nur einen Haken: Die Wahlbeteiligung | |
betrug gerade mal 4 Prozent. Den meisten Pariser:innen schienen mehr | |
Grün und noch weniger Autos in der Innenstadt egal zu sein. Oder sie | |
wollten ein Zeichen setzen: Jetzt reicht es mal mit dem Ökogehabe unserer | |
Bürgermeisterin. | |
Viele Beobachter:innen meinten, die miese Wahlbeteiligung sei eine | |
Schlappe für Hidalgo und ihre Verkehrspolitik, die zulasten der | |
Autofahrer:innen und vor allem zugunsten der Tourist:innen geht. | |
Ja, so kann man das sehen. Denn Auto fahren die Pariser:innen immer | |
noch gern, für nicht wenige aus dem Großraum Paris ist es wichtig, sich | |
unabhängig in der Stadt bewegen zu können. Man kann es aber auch anders | |
sehen: Irgendjemand muss ja mal mit der Verkehrswende anfangen. Saubere | |
Luft, wenig Lärm, Sicherheit auf den Straßen wollen im Grunde alle. Auch im | |
Stau steht niemand gern, Zeitoptimierung ist das Gebot einer beschleunigten | |
Zeit. So unrealistisch für manche Hidalgos Vorstoß anfangs auch ausgesehen | |
haben mag – es gab schlicht keine Alternative dazu, die Stadt schrammte – | |
wie alle Großstädte auf der Welt – am Verkehrskollaps entlang. | |
Wer jetzt einwirft, dass bei reduziertem Autoverkehr auch der ÖPNV | |
funktionieren muss, hat recht. Aber die Pariser Metro fährt nicht nur weit | |
bis in die Außenbezirke raus, sie ist zudem schnell und zuverlässig. Anders | |
als Busse und Bahnen in deutschen Städten, insbesondere in Berlin, wo der | |
ÖPNV immer wieder wegen nie enden wollender Baustellen unterbrochen, mit | |
Schienenersatzverkehr beglückt oder ganz lahmgelegt wird. | |
## Haltungen können sich ändern | |
Unabhängig davon zeigt das Beispiel Paris, dass sich Haltungen durch | |
Erfahrung ändern können, dass aus Ablehnung Zustimmung werden kann. So | |
belegen Studien aus verschiedenen Bereichen, darunter zu gesundheits-, | |
migrations-, verkehrspolitischen Fragen, dass Gesetze eine direkte oder | |
indirekte Wirkung auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen haben | |
können und Menschen dadurch ihr Bewusstsein für bestimmte Themen schärfen | |
oder auch ihr Sozialverhalten anpassen können. So stellt heute niemand mehr | |
den Autogurt infrage. 1976, als die [3][Anschnallpflicht in Deutschland] | |
eingeführt wurde, wehrten sich viele Autofahrer unter anderem mit dem | |
Argument dagegen, ein Gurt schränke ihre Freiheit ein. Vergewaltigung in | |
der Ehe ist seit 1997 strafbar, heute ist die [4][Gesellschaft bei | |
sexualisierter und Partnerschaftsgewalt sensibler]. Ebenso bei Gewalt gegen | |
Kinder, die hierzulande 2001 für Eltern und 1973 in der Schule gesetzlich | |
verboten wurde. | |
Warum sollte das mit weniger Auto- und mehr Radverkehr nicht auch so sein? | |
In Paris – und in anderen Metropolen auch? Das kriegt selbst die | |
Millionenstadt New York hin. Dort gilt seit über zehn Jahren nicht nur ein | |
Tempolimit von 26 Meilen, also etwa 40 Kilometer pro Stunde, sondern seit | |
gut einem Jahr auf Jaywalkings, bei dem Fußgänger:innen jederzeit | |
straffrei über die Straße gehen können, auch ohne Ampeln und Zebrastreifen. | |
Die New Yorker:innen leben diese Verkehrsberuhigung mit einer großen | |
Selbstverständlichkeit. Oder Helsinki: In der finnischen Hauptstadt ist | |
seit einem Jahr niemand mehr durch einen Verkehrsunfall gestorben. Der | |
Grund: Tempo 30, Zebrastreifen, Radwege. Auch im italienischen Bologna und | |
im französischen Lyon gelten in der Innenstadt Tempolimit und | |
Verkehrsberuhigung durch Fußgängerzonen. | |
Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr | |
Autoverkehr: Straßen und Autobahnen werden aus- und neugebaut, Tempolimit | |
und die Sicherheit von Fußgänger:innen spielen keine Rolle, Autofahren | |
wird subventioniert. Die Deutsche Bahn ist eine Katastrophe und neue | |
Radwege sind vielerorts nicht mehr als ein Traum. Das widerspricht dem | |
Grundsatz „mehr Mobilität, weniger Verkehr“. | |
Anne Hidalgo wird zur Kommunalwahl im März 2026 übrigens nicht mehr | |
antreten – ihr Verkehrskonzept wird bleiben. | |
21 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/paris-tempolimit-103.html | |
[2] https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Verkeh… | |
[3] https://www.kfv.at/lebensretter-gurt-bewusstseinsbildende-aktion-gurte-fahr… | |
[4] https://www.bmbfsfj.bund.de/resource/blob/84612/6914801e1d81730e0e58ed7d9c8… | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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