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# taz.de -- Fast Fashion: Wie könnte eine faire Jeans aussehen?
> Die Textilindustrie ist einer der größten Treiber der Klimakrise. Wie
> sähe eine Jeans aus, die von der Herstellung bis zur Entsorgung fair
> wäre?
Bild: Baumwolle oder Mischgewebe? Für das Recycling macht das einen großen Un…
Modetrends im Internet sind heute
Einmal-kurz-blinzeln-und-du-verpasst-sie-Momente. Da ist die
Mob-Wife-Ästhetik, die sich am Stil italo-amerikanischer Frauen der 90er
Jahre orientiert, und im Winter 2023/24 kurzzeitig populär war. Oder die
Fischer-Ästhetik im Sommer dieses Jahres. Dank [1][solcher Microtrends]
dreht sich das Modekarussell so schnell, dass einem schwindelt. Selbst beim
Zusehen.
Um mit neuer Ware auf Microtrends zu reagieren, brauchen Hersteller wie der
chinesische Modekonzern Shein oder das britische Unternehmen Asos
mittlerweile nur noch wenige Tage. Die Industrie treibt den Überkonsum auf
neue Spitzen, Ultra Fast Fashion nennt sich das. Der Markt wird nicht zwei-
bis viermal im Jahr mit neuer Mode überschwemmt, sondern jeden Tag.
Wie das funktioniert? Der [2][chinesische Modekonzern Shein], der 2022
seinen Sitz nach Singapur verlagert hat, veröffentlicht täglich bis zu
10.000 neue Designs. Zwar gibt der Konzern an, neue Stücke nicht vorab zu
produzieren, sondern abhängig von der Nachfrage, um weniger wegwerfen zu
müssen. Damit Sheins Modell – nur zehn Tage vom Design bis zur Lieferung –
aufgeht, muss die Produktion jedoch auf extrem billige Materialien wie
fossilen Polyester ausgelegt sein, und müssen die Kleider per Flugzeug
transportiert werden.
Ultra Fast Fashion ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Bereits
Fast-Fashion-Riesen wie H&M und Zara trieben die [3][Umweltkosten der
Branche in die Höhe]. Insgesamt hat sich die Textilproduktion in den
vergangenen zwei Jahrzehnten weltweit fast verdoppelt. Schätzungen zufolge
ist die Branche für acht bis zehn Prozent [4][der globalen
Treibhausgasemissionen verantwortlich]. Sie ist damit ein größerer
Verschmutzer als der gesamte Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Schafft die
Modeindustrie nicht bald die Kehrtwende, könnte ihr Anteil bis 2050 sogar
auf 25 Prozent steigen.
In Deutschland kauft eine Person jährlich im Schnitt 60 Kleidungsstücke.
Viele davon landen nach kurzer Zeit in der Altkleidertonne oder im
Restmüll. Jedes fünfte Kleidungsstück bleibt gar ungetragen. Insgesamt
wandert von den global produzierten Textilien etwa ein Drittel direkt in
den Müll. Nur ungefähr ein Prozent davon wird recycelt. All das hat seinen
Preis. Und der wird nicht in Europa gezahlt.
Beispiel Jeans: Die Baumwolle kommt oft aus Indien und China, wo die Felder
mit Pestiziden und Insektiziden gespritzt werden und viel Wasser benötigen.
Als nächstes wird sie zu Stoffen gewebt und gefärbt, mithilfe diverser
Chemikalien – etwa am indonesischen Fluss Citarum, wo Hunderte
Textilfabriken ihr mit giftigen Schwermetallen angereichertes Schmutzwasser
in den Strom leiten, der früher mal als Trinkwasserquelle diente.
Danach wird genäht, zum Beispiel in Bangladesch. Der [5][Einsturz der
Rana-Plaza-Textilfabrik] 2013 mit mehr als 1.000 Toten lenkte den Blick der
Weltöffentlichkeit auf die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, unter denen
die Arbeiterinnen dort arbeiten müssen.
Jetzt kann die Jeans nach Europa verschifft oder geflogen werden, um für
eine kurze Zeit getragen zu werden oder gar direkt wieder im
Altkleidercontainer oder Müll zu landen. Dieser wird dann schnell weiter
exportiert, etwa nach [6][Ghana].
Obwohl viele Menschen gerne nachhaltiger einkaufen würden, schlägt sich das
beim Kleidungskauf kaum durch. Trotz diverser Nachhaltigkeitssiegel gibt es
bisher kaum entsprechende Mode. Auch, weil die Siegel kaum richtig
kontrolliert werden. Oft reicht es, wenn ein Produkt nur einen Faden aus
Biobaumwolle enthält oder zu 20 Prozent aus Fasern aus recycelten
Plastikflaschen besteht – ohne dass der Rest der Produktion nachhaltig ist.
Wirklich nachhaltige Mode würde anders funktionieren: Sie verändert die
Abläufe an jeder Stelle des Lebenszyklus eines Kleidungsstücks. Sie achtet
auf Arbeits- und Umweltbedingungen. Sie hat das Ziel, den
Konsument*innen qualitativ hochwertige Kleidung anzubieten, die nicht
gleich wieder im Müll landet. Wie sähe also eine Jeans aus, die von der
Herstellung bis zur Entsorgung fair wäre?
## Anbau: Alte Sorten, lokale Kreisläufe
Fast wäre sie in Vergessenheit geraten, die Kala. So heißt eine alte
regionale Baumwollsorte aus Kachchh, einer Region im Nordwesten Indiens, in
der nur wenig Regen fällt. Die kurzfaserige Kala gedeiht dort trotzdem. Sie
braucht keine zusätzliche Bewässerung, keine intensive chemische Düngung
und ist resistent gegen Hitze und diverse Krankheiten. Damit widerspricht
die Sorte all dem, was sonst über den Baumwollanbau bekannt ist, als
wasserintensive, chemisch stark behandelte Pflanze.
Baumwolle ist die wichtigste Faser, um Jeansstoff zu weben, wobei für mehr
Stretch manchmal auch ein Mischgewebe mit synthetischem Elasthan genutzt
wird. [7][Laut dem UN-Wasserbericht] verbraucht eine Jeans allein über
7.000 Liter Wasser, wobei der Großteil auf den Baumwollanbau zurückzuführen
ist. Zu Sowjetzeiten hat der intensive Wasserverbrauch etwa den Aralsee
austrocknen lassen, dessen Wasser für den Baumwollanbau genutzt wurde.
In Indien [8][dominiert heute die gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle].
Sie ist für besonders hohe Erträge gezüchtet. Zuvor gab es in Indien eine
große Vielfalt an Baumwollsorten und die Textilproduktion war eng mit dem
regionalen Ökosystem verbunden.
Die [9][Kala Cotton Initiative] baut darauf auf. Sie bringt seit 2008
lokale Produzenten, Landwirte und Weber*innen in Kachchh zusammen, um
das Wissen um die Kala wiederzubeleben. Das Projekt findet mittlerweile
Nachahmer im ganzen Land. Durch heimische Baumwollsorten und das Ausführen
mehrerer Produktionsschritte am gleichen Orte könnte die Lieferkette wieder
nachhaltiger und fairer werden.
Auch um zu verhindern, dass der Plastikfaseranteil in Jeanshosen weiter
steigt, sind Strategien erforderlich. Kunstfasern auf Erdölbasis, allen
voran Polyester, sind einer der größten Treiber der Fast-Fashion-Industrie.
Wenn man sie vollständig durch natürliche Fasern wie Baumwolle oder Leinen
ersetzen wollte, könnte das nur nachhaltig gelingen, wenn insgesamt weniger
Textil produziert würde.
## Produktion: Nicht nur schön, auch human
Die Schritte bis zur fertigen Jeans sind zahlreich und an jedem einzelnen
kann geschraubt werden, um bessere Bedingungen für die Arbeiter*innen
und die Umwelt zu schaffen. Als besonders umweltschädlich gelten die
„veredelnden Verfahren“, allen voran das Färben und Waschen. Über alle
Textilien hinweg sind sie nach Schätzungen der Weltbank für 17 bis 20
Prozent der [10][weltweiten Wasserverschmutzung] verantwortlich.
Auch Indigo, der typische Farbstoff von Jeans, wird in der industriellen
Herstellung meist mit gesundheitsschädlichen Chemikalien versetzt. Weltweit
wird nach Alternativen gesucht: So haben [11][dänische Forscher*innen
ein Verfahren entwickelt], bei dem Jeans mit dem ungefährlichen
Vorläuferprodukt Indikan gefärbt werden, das beim Aufsprühen zu Indigo
reagiert. Das kann bei Raumtemperatur und ohne beheizte Wasserbottiche
erfolgen.
Würden weltweit alle Jeans mit Indikan gefärbt, könnte der Ausstoß an
Treibhausgasen um 3,5 Millionen Tonnen CO₂ jährlich sinken, schätzen die
Forschenden. Das entspricht etwas dem CO2 Verbrauch eines kleinen Landes
wie Island im Jahr 2023. Im Vergleich zu Deutschland entspricht das aber
[12][weniger als ein Prozent des Jahresverbrauchs].
Ein weiterer wichtiger Hebel sind [13][die Arbeitsbedingungen]. Mit dem
Lieferkettengesetz wollte die Ampelregierung Wege dafür finden, dass
Näher*innen existenzsichernde Löhne erhalten oder dass Chemikalien, die
in der EU verboten sind, nicht woanders in der Produktionskette eingesetzt
werden. Die große Schwierigkeit: Die Textilbranche produziert mit einem
sehr komplexen Netz aus diversen internationalen Partnern.
Dennoch zeigen die politischen Anstrengungen Wirkung. Die [14][Kampagne für
Saubere Kleidung analysiert in einem Bericht 2024], dass Unternehmen als
Reaktion auf das Gesetz neue Risikoanalysen durchgeführt und
Beschwerdestellen auf- und ausgebaut hätten. Für bessere Arbeitsbedingungen
müssten Unternehmen nun [15][auch Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft
vor Ort stärker miteinbeziehen], fordert die NGO.
## Konsum: Reparieren statt ersetzen
Wenn Kinderhosen Löcher haben, greifen viele Eltern ins Nähkästchen und
flicken sie. Man kauft einfach einen bunten Bügelpatch, zum Beispiel mit
einem kleinen Dino oder dem Zeichentrick-Schwein Peppa Wutz, pappt ihn an
die richtige Stelle und schon ist die Hose noch cooler.
In der langfristigen Nutzung von Kleidung sehen Expert*innen einen der
größten Hebel gegen die Überproduktion. Wer seine Jeans länger trägt, kauft
weniger neue. Damit das nicht nur bei Kinderklamotten geschieht, muss ein
Markt entstehen, der Tauschen und Reparieren attraktiv macht und nicht
durch hohe Kosten für nachhaltige Produkte bestraft. Denn bisher ist es oft
billiger, ein Kleidungsstück neu zu kaufen, anstatt es zu reparieren.
Dass das möglich ist, zeigt Frankreich. [16][Dort gibt es einen
Reparaturbonus] unter anderem für Textilien und Schuhe. Bis zur Hälfte der
anfallenden Reparaturkosten werden übernommen. In Deutschland gibt es einen
solchen Bonus bisher nur in einzelnen Bundesländern, wie [17][in
Thüringen]. Er ist dort aber vor allem auf Elektrogeräte ausgelegt.
Für die Finanzierung nutzt Frankreich das Geld aus einem Fonds, in den
Textil- und Schuhhersteller einen Ökobeitrag zahlen. Gelder könnten aber
auch aus der Sanktionierung von Fast Fashion genutzt werden, so wie es
Frankreich in seinem Anti-Fast-Fashion-Gesetz vorsieht, das erst vor
wenigen Wochen vom Senat verabschiedet wurde. Pro Teil sollen Konzerne 5
Euro für schlecht produzierte Textilien bezahlen.
Damit eine langfristige Nutzung von Kleidung attraktiv wird, braucht es
eine Infrastruktur, die das Reparieren, Tauschen und Leihen ermöglicht:
mehr günstige Secondhandläden, Reparaturwerkstätten und Tauschcafés. Auch
große Unternehmen könnten durch wirtschaftliche Anreize und Regulation dazu
gebracht werden, solche Services anzubieten und dadurch eine stärkere
Kundenbindung aufzubauen.
## Entsorgung: Wer herstellt, haftet auch
Bisher bereitet ihr eigener Müll den Textilunternehmen keine Sorge. Die
hohen Kosten für die aussortierten, kaputten oder nur kurz getragenen
Kleidungsstücke tragen andere. Mit der [18][erweiterten
Herstellerverantwortung, kurz EPR], soll sich das ändern. In Frankreich
gibt es dieses Konzept bereits seit Längerem, hier sollen die Hersteller
den Aufbau einer Recyclinginfrastruktur mitfinanzieren. Mit dem Geld sollen
auch die Textilsammler*innen und -sortierer*innen bezahlt werden,
die das Altkleidersystem bislang am Laufen halten. Im Herbst soll die EPR
auch in der EU verabschiedet werden.
Das erklärte Ziel der EU ist es, [19][eine Kreislaufwirtschaft] für mehr
Recycling von Textilien aufzubauen. Um das zu erreichen, müssen alle
Schritte im Lebenszyklus eines Produkts mitbedacht werden, angefangen mit
dem Design. Denn wie recycelbar eine Jeans ist, hängt vom Material ab. Aus
einer Jeans aus reinen Baumwollfasern können leicht neue Stoffe und
Kleidungsstücke entstehen. Bei Mischgewebe, zum Beispiel aus Baumwolle und
synthetischen Fasern, ist das schon schwieriger. Sie können bislang nicht
aufgetrennt werden.
Mit einem digitalen Produktpass – ein Teil der [20][Ökodesignverordnung] –
soll nachvollziehbar werden, mit welchen Chemikalien ein Produkt behandelt
wurde und wie es verwebt wurde. Das kann beim Recycling helfen. Ab Mitte
nächsten Jahres darf in der EU Kleidung außerdem [21][nicht mehr vernichtet
werden]. Egal, ob sie im Laden unverkauft liegen bleibt oder als Retoure an
den Onlinehändler zurückgeht.
Alternativ können Stoffe auch zum Upcycling verwendet werden. Dabei nutzen
Designer*innen die alten Stoffe als Rohstoff, um daraus neue
Kleidungsstücke zu nähen.
Hinweis: In einer früheren Version stand, die eingesparten Emissionen von
3,5 Millionen Tonnen CO2 durch die Nutzung von Indikan, entspräche den CO2
Gesamtemissionen der EU. Tatsächlich betragen die Gesamtemissionen der EU
etwa das 1.000-fache und liegen bei 3,38 Milliarden Tonnen CO2.
19 Jul 2025
## LINKS
[1] /Von-Rocklaengen-zu-Recession-Brunette/!6065027
[2] /Shein-Produkte-stark-belastet/!6023906
[3] https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20201208STO93327/umweltaus…
[4] https://www.nature.com/articles/s43017-020-0039-9
[5] /Fuenf-Jahre-nach-Rana-Plaza-Unglueck/!5497477
[6] /Vor-den-Wahlen-in-Ghana/!6050212
[7] https://news.un.org/en/story/2019/03/1035161
[8] /Aktivistin-ueber-Klimakrise-und-Widerstand/!5906018
[9] https://www.khamir.org/work/activity/kala-cotton-initiative
[10] /Chemikalien-in-Outdoorkleidung/!5317794
[11] https://www.nature.com/articles/s41467-024-45749-3
[12] https://ourworldindata.org/co2/country/sri-lanka?country=LKA~DEU
[13] /Kleidung-und-ihre-Produktionsbedingungen/!5859244
[14] https://saubere-kleidung.de/2024/11/analyse-2-jahre-deutsches-lieferketten…
[15] https://www.fr.de/wirtschaft/textilbuendnis-feiert-jubilaeum-doch-viele-un…
[16] /Reparaturbonus-in-Frankreich/!6045009
[17] /Zuschuss-zu-Reparaturen/!6040538
[18] https://germany.representation.ec.europa.eu/news/weniger-lebensmittelversc…
[19] /Kreislaufwirtschaft-kommt-nicht-in-Gang/!5907541
[20] https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20240419IPR20576/ecodesi…
[21] https://infothek.bmimi.gv.at/oekodesign-verordnung-vernichtungsverbot-unve…
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