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# taz.de -- Trachten-Performance in Hamburg: Ermattet wirkender Kunststoff rasc…
> Der Kater nach dem Festumzug könnte Inspiration gewesen sein für
> „Festtag!“. Hinter Véronique Langlotts Performance steckt echte
> Trachten-Forschung.
Bild: Anders als die beforschten Vorbilder: Plastikmüll, zur Tracht-Zutat aufg…
Der weiß getünchte Raum ist erfüllt von ätherischem Gesang. Frösche quaken
über einen flächigen elektronischen Sound, der auch mal zum reinen Feedback
wird. In einer Ecke gleich beim Eingang: Neonröhren, da liegend wie früher
das Material für ein Lagerfeuer; ein wenig wie die übergroßen angehäuften
Streichhölzer der Lichtinstallation „Bonfire“ des [1][Duos „Grau“], zu
sehen vor Jahren gleich nebenan, im Hamburger Kunsthaus.
„Festtag!“ hat [2][Véronique Agapi Langlott] ihre installative Performance
genannt (oder performative Installation?). Das Thema lässt den Titel
folgerichtig erscheinen: Um Trachten geht es, diese heute mehr denn je als
Unterbrechung – auch des rein Zweckmäßigen – wirkende Bekleidung. Die auf
vielfache Weise mit dem besonderen Anlass verbunden ist mit, eben, Fest-
und Feiertagen.
Anfangs im Raum verteilt, finden vier junge Frauen allmählich zusammen;
neben Langlott tanzen an diesem Abend noch Simone Gisela Weber, Mercedes
Ferrari und Irene Martínez Olivares. Sie handarbeiten, sticken vielleicht,
bürsten aber auch einander und sich selbst das Haar. Nicht nur das auf dem
Kopf. Nein, auch auf die Existenz anderer, so gerne für unvorzeigbar
erachtete Haare weisen die Bürstenstriche hin: die unter den Armen etwa.
Oder den Bart, der sich doch nicht gehört für eine Dame.
Schließlich ist, anders als eben noch behauptet, Tracht ja viel mehr als
bloß Bekleidung: Der Begriff leite sich ab vom althochdeutschen Wort
„draht(a)“ – „das, was getragen wird“, das schreibt Véronique Langlo…
[3][in einer Art Forschungsbericht]. Also „die Gesamtheit dessen, was aus
modischen oder funktionalen Gründen am Körper getragen wird. Dazu gehören
Kleidung, Schmuck, Frisur, Make-up, Accessoires und Insignien.“ Tracht ist
also weißgott nicht zuletzt Mittel der Mitteilung: Seht, wovon ich lebe,
können sie transportieren. Aber genauso: Seht, zu wem ich gehöre – und ihr
nicht.
Das White-Cube-Ambiente stiftet die „Barlach Halle K“, tatsächlich
gegründet vom jüngsten Enkel des Bildhauers Ernst Barlach, Hans-Georg
Barlach (1955–2015). Ein zu Lebzeiten schon mal etwas irrlichternd
wirkender Unternehmertyp war das, dem auch [4][schon mal kurz] die
Hamburger Morgenpost gehörte, irgendeine TV-Programmzeitschrift auch – aber
[5][beinahe auch der Suhrkamp-Verlag].
Wer will, mag einen Zusammenhang sehen zwischen solchen Geschäften und der
Kulisse: Das da neben den vier Frauen könnten Müllberge sein. Oder
Altkleiderlieferungen aus einer anderen Welt, der sogenannt Ersten? Die
Tracht mit all ihrem Aufwand, auch den teils beträchtlichen
Anschaffungskosten ist eine, wenn nicht die Antithese zum heute so viel
beklagten Problem Fast Fashion. Und in all den prallen Plastiktüten, die da
nun herumliegen und mit denen sie Tänzerinnen später auch interagieren
werden, könnten ja gut auch olle T-Shirts stecken, mit Bündchen, die
[6][nicht mehr so straff sind] wie damals beim Kauf.
Wie die Frauen miteinander umgehen, das signalisiert Ruhe, auch
Zärtlichkeit. Es liegt etwas Friedliches über der Szene, Nähe, Intimität.
Nun helfen sie einander schminken und sich anziehen – es will ja ein
Festtag begangen werden. Ermattet wirkender Kunststoff dient raschelnd als
Rüschenärmel, Arrangements aus gebrauchten PET-Flaschen schmücken hier die
Häupter, wie andernorts angedeutete Obst-Arrangements.
Unter einer Glashaube holen sie einen Kuchen hervorgeholt, oder nein:
braunen Glibber, in Gugelhupfform gebracht. Sie schmatzen, –schlürfen,
füttern sich gegenseitig. Als das Zeug halb aufgegessen ist, nimmt die
musikalische Kulisse eine andere Form an, es wird konkreter, auch lauter;
die vier geschmückten Performer innen verfallen in wechselnde Posen.
Sneaker anziehen und den bisher bespielten Nicht-Bühnenbereich verlassen:
Bestickte Tücher, die sich als Plastikfolie entpuppen, werden um Hälse
gelegt, Tüten voller Tüten – doch keine T-Shirts also – an den Körpern
angebracht, neue Bewegungen organisiert. Die vier tanzen in Formation,
synchron, dann wieder vereinzelt.
Auf der Tonspur – den Sound verantwortet die Komponistin [7][Dong Zhou] –
schält sich ein Beat heraus, wird schneller, und so beschleunigen sich auch
die Bewegungen der Körper. Festtag, das kann ja längst auch ein Rave sein.
Auf Steigerung in Richtung Ekstase, auch ein Quäntchen Nacktheit folgt das
Erschlaffen. Überall liegt nun wieder Müll, aller festlichen Funktionen
beraubt. Hier könnte irgendein Umzug begangen worden sein. Oder hat ein
Meer den Schmutz zurück gespuckt an Land, wo die sind, die es verschmutzen?
Es gibt allerlei lose Enden an der Produktion, an denen Bilder andocken
können, und Assoziationen wuchern. Bei allem Anliegen – vom neuen
Modulieren „sperriger Themen“ ist zu lesen, „wie Konservatismus, Heimat u…
Zugehörigkeit“ – ist „Festtag!“ keine verkappte Vorlesung über
Nationalismus oder Nachhaltigkeit. Sondern ein manchmal unnahbar wirkendes,
gleich darauf umso mitreißender unmittelbares Erlebnis.
Dass danach, auf dem Heimweg, die Gedanken weitertanzen könnten, eine*n
nachdenken lassen über die ganz eigenen Arten und Weisen, Gruppen zu
markieren, Zugehörigkeit zu- und abzusprechen: Das ist nicht
ausgeschlossen.
13 Dec 2025
## LINKS
[1] https://www.grau.art/pages/inspiration-exhibitions
[2] https://www.veroniquelanglott.com/
[3] https://www.veroniquelanglott.com/how-to-tracht.html
[4] /Hanseatisches-Mopelnopoly/!1260359&s=hamburger+morgenpost/
[5] /Rechtsstreit-um-den-Suhrkamp-Verlag/!5062640
[6] https://www.theguardian.com/fashion/2025/dec/11/fashion-statement-bacon-nec…
[7] https://dongzhou.live/
## AUTOREN
Alexander Diehl
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