# taz.de -- Wiederaufbau der Ukraine: Im Schatten Putins | |
> Abseits von Waffenlieferungen soll die Ukraine wirtschaftlich gestärkt | |
> werden. Während die Bombardierungen so heftig sind wie nie, sinkt die | |
> internationale Bereitschaft. | |
Bild: Ein zerbombtes Krankenhaus in Kyjiw: Helfen die Verbündeten auch weiterh… | |
Vor dem Kongresszentrum in Rom entwickeln die Wartenden echten | |
Galgenhumor. „Wenn der Wiederaufbau der Ukraine so organisiert wird wie | |
die Konferenz hier in Rom, dann kann das ja heiter werden“, murrt einer, | |
der in der gleißenden Julisonne Schlange steht. Der Andrang ist keine | |
Überraschung, hatten sich doch mehr als 5.000 Personen für die vierte | |
Ukraine-Wiederaufbaukonferenz angemeldet. Überrascht scheinen dennoch die | |
italienischen Behörden: Für die vielen Leute gibt es bloß drei | |
Sicherheitsschleusen, in denen Taschen, Rucksäcke, Personen durchleuchtet | |
werden. Das dauert. | |
Geduld müssen auch die Ukrainer:innen haben, für deren Land diese | |
Konferenz organisiert wurde. Der russische Angriffskrieg währt das vierte | |
Jahr [1][und tobt heftiger denn je]. Allein in der Nacht zu Donnerstag | |
griff Russland mit 400 Drohnen und 18 Raketen Kyjiw ebenso wie zahlreiche | |
andere ukrainische Städte an. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die | |
Zahl der getöteten Zivilist:innen pro Monat im Vergleich zu | |
Kriegsbeginn ständig gestiegen. Dies ist die Situation, in der sich die | |
Ukraine gegenwärtig befindet. | |
An Wiederaufbau ist eigentlich nicht zu denken, es geht buchstäblich ums | |
Überleben. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj appellierte daher | |
zunächst an die Teilnehmer:innen aus 70 Staaten, [2][neue militärische | |
Hilfe zu organisieren.] | |
## Melonis unerwarteter Einsatz | |
Es gelte, gemeinsam „das unerträgliche Unrecht, das seit mehr als drei | |
Jahren dem ukrainischen Volk zugefügt“ werde, zu bekämpfen, hatte | |
[3][Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni] zuvor in ihrer | |
Eröffnungsrede gefordert. Meloni hatte sich stark dafür ins Zeug gelegt, | |
die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in diesem Jahr nach Rom zu holen. | |
Dass Italiens rechte Regierungschefin diesen Einsatz zeigt, ist nicht | |
selbstverständlich. Denn die Postfaschistin Meloni regiert seit Oktober | |
2022 mit zwei Koalitionspartnern, die traditionell große Russlandnähe | |
gezeigt hatten – mit der von Putin-Freund Silvio Berlusconi gegründeten | |
Forza Italia und mit Matteo Salvinis Lega. Letztere pflegte seit Jahren | |
innige Beziehungen zur Putin-Partei Einiges Russland. | |
Doch seit ihrem Regierungsantritt positionierte Meloni Italien klar an der | |
Seite der Ukraine, lieferte und liefert Waffen, trägt alle Sanktionspakete | |
der EU mit. Auch [4][die Nähe zum US-Präsidenten], die Meloni pflegt, | |
änderte daran nichts. | |
## Werben um den Abwesenden | |
Vom größten Unterstützer der Ukraine haben sich die USA jetzt zum größten | |
Unsicherheitsfaktor entwickelt. Mal tadelt Trump Selenskyj, dann schimpft | |
er wieder über Putin. Mal wollen die USA weniger, dann doch wieder mehr | |
Waffen liefern. Alles hängt vom Wohlwollen und dem Ego des | |
US-amerikanischen Präsidenten ab. Gelingt es, ihn wieder auf die Seite der | |
Unterstützer zu ziehen oder nicht? Daran entscheidet sich auch das | |
Schicksal der Ukraine. | |
Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, der ebenfalls nach Rom geflogen | |
ist, weicht vom Manuskript seiner Rede ab, um an Donald Trump zu | |
appellieren: „Bleiben Sie bei uns, bleiben Sie an der Seite der Ukraine | |
und der Europäer.“ Dies noch einmal explizit auszusprechen, sei ihm | |
wichtig gewesen, heißt es später. Um den Abwesenden wird auch in Rom weiter | |
geworben. | |
Am Donnerstagnachmittag treffen Meloni, Selenskyj und Merz im Untergeschoss | |
des Konferenzzentrums die amerikanische Delegation um den Sondergesandten | |
Keith Kellogg. Zugeschaltet sind auch der französische Präsident Emmanuel | |
Macron und der britische Premier Keir Starmer. Es geht um zwei zusätzliche | |
Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot und neue Sanktionsmaßnahmen. Später in | |
der Pressekonferenz wird Merz danach gefragt. Er sagt, man sei bereit, | |
Patriots von den Amerikanern zu kaufen und sie der Ukraine zur Verfügung | |
zu stellen. „Aber noch ist nichts endgültig entschieden.“ | |
## Erste Spuren der Kanzlerschaft | |
Der Bundeskanzler wirkt angespannt, nicht nur wegen des unberechenbaren | |
transatlantischen Partners. Die ersten rund neun Wochen seiner | |
Kanzlerschaft mit vielen Reisen und der Knatsch in seiner Koalition haben | |
Spuren hinterlassen. Er liest während der Pressekonferenz vom Blatt ab – | |
und ärgert sich darüber, als Außenkanzler wahrgenommen zu werden. Außen- | |
und Innenpolitik seien nicht voneinander zu trennen, sagt er. Wohl wahr. Zu | |
Hause in Berlin rebellieren Teile der Unionsfraktion [5][gegen die von der | |
SPD vorgeschlagene neue Verfassungsrichterin]. Am Freitag wurde klar, es | |
kommt zum Koalitionskrach. Das Signal: Die Unionsfraktion folgt dem Kanzler | |
nicht hundertprozentig. | |
Eine angespannte Stimmung ist auch unter den angereisten | |
Unternehmer:innen in Rom zu spüren. Hunderte Firmen aus verschiedenen | |
Ländern haben auf der Tagung ihre Stände aufgebaut. Im vergangenen Jahr | |
habe noch richtig Aufbruchstimmung geherrscht, in diesem Jahr sei es | |
schwieriger, sagt ein Teilnehmer aus Deutschland. „Die Investoren stehen | |
jetzt nicht gerade Schlange.“ | |
Ein Problem sei, dass Versicherungen die Lebensversicherung kündigten, wenn | |
Menschen wegen ihres Jobs in die Ukraine zögen. Das bestätigt auch ein | |
Bericht der ukrainischen Nationalbank, über den Table Media berichtet. | |
Demnach nahmen ausländische Investitionen im vergangenen Jahr leicht ab und | |
lägen noch immer deutlich unter dem Niveau von vor 2022. 72 Prozent der | |
Investitionen stammten außerdem von Unternehmen, die schon im Land präsent | |
sind. | |
Wie etwa der Konzern Bayer. Er betreibt südwestlich von Kyjiw eine | |
Saatgutfabrik mit 700 Mitarbeiter:innen. Man habe auch nach Beginn des | |
Kriegs weitere 60 Millionen Euro in den Standort investiert, sagt der | |
Geschäftsführer für die Ukraine, Oliver Gierlichs. Investiert habe man | |
allerdings auch in unterirdische Bunker für die Mitarbeiter. Von den | |
russischen Angriffen sei man bislang weitgehend verschont geblieben. „Nur | |
einmal sind Trümmer einer abgefangenen Rakete aufs Dach einer Halle | |
gefallen und haben es beschädigt.“ | |
## Großer Bedarf nach Produkten | |
Die junge sizilianische Unternehmerin Miriam Pace kann sich dennoch | |
vorstellen, in der Ukraine zu investieren. Sie ist aus Catania zur | |
Konferenz nach Rom gereist. Ihre mittelständische Firma, die in 80 Länder | |
weltweit exportiert, stellt Komponenten für Wasserversorgungs-, | |
Thermohydraulik- und Bewässerungssysteme her. Pace glaubt, dass angesichts | |
der massiven Zerstörungen zum Beispiel von Wohnungen in der Ukraine | |
reichlich Bedarf an ihren Produkten besteht. „Ich könnte mir eine | |
Kooperation mit einem ukrainischen Unternehmen oder auch die Übernahme | |
eines Unternehmens dort vorstellen“, sagt Pace. | |
In der Tat dürfte der Bedarf nicht nur an den Produkten ihrer Firma immens | |
sein. Etwa 2,3 Millionen Wohnungen und Häuser wurden in den mehr als drei | |
Jahren Krieg durch die russischen Angriffe zerstört, ebenso wie Straßen, | |
Brücken und andere Infrastruktur. Der entstandene Schaden wird auf über | |
eine halbe Billion Euro geschätzt – das entspricht dem Dreifachen des | |
jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Ukraine. | |
Doch frisches Geld wird auf der diesjährigen Wiederaufbaukonferenz anders | |
als auf der im vergangenen Jahr in Berlin kaum eingesammelt. | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach lediglich | |
„ausdauerndes Engagement Europas“, auf das die Ukraine immer zählen könne. | |
Sie kündigte zudem einen neuen europäischen Wiederaufbaufonds an, in den | |
vor allem privates Kapital fließen soll. | |
## Internationale Geber sind zurückhaltend | |
Das alles kann nicht übertünchen, dass die internationale Hilfsbereitschaft | |
sinkt. Besonders der Ausfall der zivilen Hilfe aus den USA ist für die | |
Ukraine schwer zu verkraften. Noch im Jahr 2023 nutzte USAID über 40 | |
Prozent seines Budgets für die Ukraine, insgesamt 16 Milliarden Dollar. | |
Doch seit Trumps Amtsantritt wurden [6][alle Zahlungen eingestellt und | |
sämtliche internationale USAID-Mitarbeiter haben das Land verlassen.] | |
Deutschland ist nunmehr der größte bilaterale Geldgeber. Doch auch hier | |
wird gespart. | |
Laut aktuellem Haushaltsentwurf, der gerade in erster Lesung im Bundestag | |
debattiert wurde, muss das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit | |
und Entwicklung (BMZ) fast 1 Milliarde Euro einsparen. Das BMZ bestätigt | |
der taz auf Anfrage, dass auch für die Ukraine-Unterstützung | |
voraussichtlich weniger Mittel als in den vergangenen Jahren zur Verfügung | |
stehen werden. Aber noch sei der Haushalt nicht beschlossen. | |
[7][Zivile Hilfsorganisationen merken es jedoch bereits heute]. „Die | |
Ukraine ist in der Rangfolge der Krisengebiete nach unten gerutscht“, | |
konstatiert Andreas Tölke von der größten Berliner Hilfsorganisation Be an | |
Angel. Besonders der Ausfall von USAID sei schwer zu kompensieren. Auch das | |
freiwillige Engagement in der Ukraine werde zunehmend riskanter. Unter | |
anderem, weil Russland Drohnen entwickelt habe, die Jagd auf Menschen | |
machten. Seine Organisation, die Menschen evakuiert, Hilfsgüter liefert und | |
Kriegsopfer vor Ort betreut, habe durch solche Angriffe in der Region | |
Cherson drei Freiwillige verloren. | |
[8][Wirtschaftsabkommen, wie das von Trump und Selenskyj] unterzeichnete, | |
sieht Andreas Tölke kritisch. „Was droht, ist ein Ausverkauf der Ukraine, | |
weil große Firmen in den Startlöchern sitzen und bereit sind, alles zu | |
kaufen – Immobilien, Firmen, Infrastruktur.“ Um das zu verhindern, müssten | |
Konzepte entwickelt werden, die eine Entwicklung vor allem von ukrainischen | |
Firmen direkt in der Ukraine fördern. „Alles andere führt irgendwann zu | |
massiver Unzufriedenheit, wenn die Ukrainer merken, dass ihr Land nicht | |
mehr ihnen gehört.“ | |
12 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Michael Braun | |
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