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# taz.de -- Podiumsdiskussion zu 70 Jahre documenta: Kunst kann höchstens die …
> Beim Fest zum 70-jährigen Jubiläum der documenta gab es eine
> Podiumsdiskussion in Kassel mit den Kuratoren der letzten Ausgaben. Aber
> etwas fehlte.
Bild: Auf dem Podium in der documenta-Halle: Carolyn Christov-Bakargiev, Adam S…
Kassel taz | LéLé Cocoon sah fabelhaft aus. Ihr vampirweißes Gesicht
zwischen schwarzem Kopftuch und Leder-Cap, riesig überschminkte Lippen,
gigantische Cat Eyes. Ihren Körper ließ Drag Lélé grazil zu den
R’n’b-Classics schlängeln, die sie hinterm DJ-Pult mit einem weichen,
fetten House fusionierte. Der Bass klopfte an die heiligen Wände des
Fridericianum in Kassel, wie es dem gut 250 Jahre alten Museumsgebäude und
der Hauptspielstätte der documenta wohl schon länger nicht mehr widerfahren
ist.
Es wird durchgelüftet in Kassel, an diesem Festabend zum 70-jährigen
Jubiläum der [1][documenta]. Nach drei Jahren Zerreißprobe infolge der
chaotischen Ausgabe 15 mit ihren politischen Verfehlungen unter dem
Kurator:innenkollektiv ruangrupa, nach den Zerwürfnissen des
Kunstbetriebs seit dem 7. Oktober 2023, seit der Rechtspopulismus der
liberalen Kulturszene den Kampf angesagt hat. In diesen „garstigen Zeiten“,
wie es der Direktor des Fridericianum, Moritz Wesseler, bei seiner Rede
meinte, wird jetzt einfach mal über alle Garstigkeit hinweggefeiert. Wie
gut.
Noch bevor LéLé Cocoon zum Tanz verführte, kamen zu einer Podiumsdiskussion
die künstlerischen Leiter:innen der Ausgaben von 2007, 2012 und 2017,
[2][Roger M. Buergel], [3][Carolyn Christov-Bakargiev] und Adam Szymczyk,
sowie die Kuratorin der kommenden documenta, [4][die US-Amerikanerin Naomi
Beckwith], zusammen. Der Saal war voll, als die vier über „das große wilde
Ding“ dieser Weltkunstschau sprachen, wie die Moderation einleitete. Was
sie in ihren 70 Jahren geworden ist und sein kann.
Ein Ort „des Jetzt“, in den sich viele Ideologien einspeisten, so Szymczyk,
keineswegs eine Institution, „die immer das Gleiche wiederhole“, meinte
Christov-Bakargiev, ein „Rahmenwerk“ für eine Kunst in vielen
Ausdrucksformen, sieht es Beckwith. So redeten sie, zeigten ihre
Lieblingsbilder aus Kassel: Eine einsame Mohnblume auf dem Friedrichsplatz,
vermutlich ein Überbleibsel von Sanja Ivecovics Blumenfeld der documenta
2007, Pierre Huyghes Windhund mit rosa Bein auf einem Kompostplatz der
Karlsaue von 2012. Es sind auch ikonische Bilder der jüngeren
documenta-Geschichte.
## ruangrupa war nicht gekommen
Doch etwas fehlte: [5][ruangrupa] und [6][ihre umstrittene documenta
fifteen]. Erst sehr spät kam man auch darauf zu sprechen. Adam Szymczyk
wurde wütend, meinte, die Medien hätten zur Verdummung der Debatte
beigetragen. Man dürfe doch die Kunst nicht so ernst nehmen, lehnte sich
Christov-Bakargiev zurück, eine demokratische Gesellschaft müsse solch
einen Stresstest bestehen. Hätte man also [7][das Protestbanner von Taring
Padi mit den antisemitischen Symbolen] nicht abhängen, sondern vielmehr
öffentlich diskutieren sollen?
Bis zu solch einer Frage kam man gar nicht erst. Auch nicht, wie man damit
umgehen soll, wenn Kunst in Propaganda umschlägt, wenn ihr Spekulatives,
Offenes, Nachdenkliches, das hier vorher von allen beschworen wurde, in
Feindbilder umkippt. Vielleicht mag es daran liegen, dass alle vier
Anwesenden dann doch sehr klassische Kurator:innen sind und auch ein
sehr klassisches Verständnis von Kunst zu vertreten scheinen, bei der
selbst politische Anliegen immer durch den Filter der Ästhetik und der
klaren Autor:innenschaft gehen.
Das war anders bei ruangrupa. Die hatten 2022 [8][in einem eigentlich
kühnen Großprojekt] den gemeinschaftlichen Prozess und soziales Agieren mit
ihren 1.500 Gästen in den Vordergrund gerückt. Die Grenze zum politischen
Handeln war da nicht mehr weit. Doch Kunst könne höchstens ändern, wie über
etwas gesprochen wird, klärte Adam Szymszek ab. Was hätten ruangrupa wohl
erwidert? Man hätte es gerne gehört. Sie waren nach Kassel eingeladen
worden, wollten aber nicht kommen.
Stattdessen sind noch die Spuren ihrer documenta in der Stadt sichtbar.
Wenn man sich dann viel später abends von den Bässen LéLé Cocoons wieder
lösen kann, kommt man auch am ruru-Haus vorbei. Jenes Nackriegskaufhaus,
das ruangrupa zum offenen Wohnzimmer, zum Ort des kreativen Abhängens
erklärt hatten. Es steht seither leer, die Fassadenbemalung ist noch da.
Jetzt soll es zum Kulturzentrum der Stadt Kassel werden.
9 Jun 2025
## LINKS
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[4] /documenta-Leiterin-Naomi-Beckwith/!6052777
[5] /Streit-um-die-Documenta-15/!5827282
[6] /Bundestagsausschuss-tagt-zu-Documenta/!5862719
[7] /documenta-15-in-Kassel/!5863002
[8] /Eroeffnung-der-documenta15-in-Kassel/!5859290
## AUTOREN
Sophie Jung
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