| # taz.de -- Bundestagsausschuss tagt zu Documenta: Kassels OB meidet Berlin | |
| > Ein Bundestagsausschuss beschäftigte sich mit Antisemitismus auf der | |
| > Documenta. Generaldirektorin und Aufsichtsrat schicken Kurator alleine | |
| > vor. | |
| Bild: Kassel am Tag nach der Demontage des umstrittenen Großbanners | |
| Die Debatte um Antisemitismus auf der documenta geht weiter. Am Mittwoch | |
| tagte dazu der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien in Berlin. Unter | |
| Vorsitz von Katrin Budde (SPD) wollte das Gremium über Konsequenzen nach | |
| dem Kassler Skandal sprechen. Doch zwei der Hauptdarsteller des Desasters | |
| erschienen nicht. | |
| Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann ließ sich krankheitsbedingt | |
| entschuldigen. Kassels Oberbürgermeister und | |
| documenta-Aufsichtsratsvorsitzender Christian Geselle (SPD) ließ mitteilen, | |
| der Ausschuss könne gerne zu ihm nach Kassel kommen. Er habe gerade andere | |
| Verpflichtungen. | |
| Geselle und Schormann spielen weiter auf Zeit. Sie suchen den [1][Skandal | |
| um Bildmotive von Uniformierten mit Schweinsrüssel und Davidstern] | |
| kleinzureden. Tatsächlich muss die documenta fifteen 12,5 Millionen Euro | |
| an Eintrittsgelder erwirtschaften, soll das veranschlagte Budget von 42,2 | |
| Millionen Euro gedeckt werden. Die Lokalmedien trommeln weiter für die | |
| „Weltkunstschau“, markieren trotzig lokale Geschlossenheit. | |
| Auf Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und ihr „dünnes | |
| Scheckheft“, so Geselle auf einem SPD-Parteitag in Kassel, könne man | |
| verzichten. Und aus Kassel tönt es, wenn man auswärtige Expertise brauche, | |
| könne man sich an das MoMA in New York wenden. | |
| ## In Kassel groß, in Berlin klein | |
| Die in Nordhessen zur Schau gestellte Hybris erscheint nun im Bundestag | |
| eher kleinlaut. Im Fachausschuss blieb es einzig Ade Darmawan vorbehalten, | |
| das Prinzip dieser documenta zu verteidigen. Darmawan ist Sprecher des | |
| indonesischen Kuratorenkollektivs Ruangrupa, das im Februar 2019 zu den | |
| Chefkuratoren der documenta fifteen ernannt wurde. Diejenigen, die | |
| Ruangrupa einsetzten, sprechen weiter nicht. | |
| Das Goethe-Institut in Jakarta ließ 2019 in einem Auftragstext die Wahl | |
| Ruangrupas bejubeln. Ruangrupa würde in Kassel dafür sorgen, „dass man | |
| Kunst wieder leben und erleben darf, anstatt sie lediglich anzusehen.“ | |
| Frühere Kassler Kunstschauen seien „schwer zu erfassen, kaum verständlich“ | |
| gewesen. | |
| Ade Darmawan entschuldigte sich nun erneut für die antisemitischen Motive | |
| auf dem Banner „People’'s Justice“ von Taring Padi. Dafür, dass weder sie | |
| noch das indonesische Kollektiv Taring Padi die antisemitische Bildsprache | |
| erkannten. Das riesige Banner war erst nach der Presse-Vorbesichtigung auf | |
| dem zentralen Friedrichsplatz zu sehen. | |
| Als Rechtfertigung bemühte Darmawan erneut das Mantra, es wären die | |
| europäischen Kolonialherren gewesen, die den Antisemitismus nach Indonesien | |
| brachten. Sie selber hätten als Indonesier keinen Erfahrungshintergrund mit | |
| Antisemitismus. | |
| Dem hingegen würden sie auf die Gemeinschaftsvorstellungen des dörflichen | |
| „Lumbung“ setzen, Kulturpraktiken, die auf die Zeit vor der von Europa | |
| ausgehenden Globalisierung zurückgehen. Ein „vormoderner Kollektivismus“, | |
| wie Darwaman sagt. Kassel, die Kunst und die Welt soll nach Ruangrupa also | |
| sein Heil in vermeintlich harmlosen, ursprünglichen und ländlichen | |
| Traditionen suchen. | |
| ## Israelis, die keine Israelis sein wollen? | |
| Darmawan sagte, dass Teilnehmer der documenta fifteen nun unmittelbar und | |
| im Internet bedroht würden. Berichte, nach denen es [2][einen „stillen | |
| Boykott“ gegen Israelis oder Juden auf der documenta fifteen gäbe], wies er | |
| zurück. Einen solchen befürchtete etwa Daniel Botmann vom Zentralrat der | |
| Juden in Deutschland. Er kritisierte den Einfluss der | |
| Israel-Boykott-Bewegung BDS auf deutsche Kulturmanager, wie etwa im | |
| Berliner Haus der Kulturen der Welt. | |
| Darmawan hingegen unterstrich, dass auch Künstler mit jüdischem und | |
| israelischem Hintergrund an der documenta beteiligt seien. Diese würden im | |
| Kollektiv aber anonym bleiben wollen, sich so „nationalen Zuordnungen“ und | |
| der „Gewalt des Kapitalismus“ wiedersetzen. Lässt sich daraus also folgern, | |
| dass nur Israelis, die keine Israelis sein wollen, in Kassel dabei sein | |
| können? | |
| Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat zu Beginn der | |
| Ausschusssitzung der documenta Versagen vorgeworfen. Die Verantwortlichen | |
| hätten ihr versichert, dass für Antisemitismus kein Platz auf der | |
| Kunstschau sei. Das Brechen des Versprechens müsse „Konsequenzen haben“. | |
| Ebenso wie Hessens Kunstministerin Angela Dorn sieht Roth „strukturelle | |
| Schwächen“ bei der documenta. [3][Seit Januar stand diese wegen | |
| Israelfeindlichkeit und Antisemitismus in der Kritik.] | |
| Vorwürfe vonseiten der Opposition, selber zu zögerlich agiert zu haben, | |
| konterten beide Grünen-Ministerinnen. Aufsichtsratschef Geselle und | |
| Generaldirektorin Schormann hätten Angebote einer zusätzlichen auswärtigen | |
| Expertise abgelehnt. Da der Bund nicht im Aufsichtsrat vertreten sei, so | |
| Roth, habe er kein Mitspracherecht. Dies müsse sich ändern. Ginge es doch | |
| darum, den Ruf der documenta als Weltkunstschau wiederherzustellen, um sie | |
| zu retten. | |
| 7 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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