# taz.de -- Chefin der Documenta 13: Bitte „keine explizit politische Kunst“ | |
> Carolyn Christov-Bakargiev, die Chefin der diesjährigen Documenta, über | |
> ihr feministisches Kein-Konzept-Konzept und die Gefahren des | |
> Wissenskapitalismus. | |
Bild: „Frauen wehren sich gegen die intellektuelle Tradition der Männer. Sie… | |
sonntaz: Frau Christov-Bakargiev, erinnern Sie sich noch an die Documenta | |
von Jan Hoet? | |
Carolyn Christov-Bakargiev: Ja, die mochte ich sehr. Ich erinnere mich noch | |
an die wunderschöne Spinne aus Menschenhaar von David Hammons im | |
Fridericianum, die Holzskulptur von Jimmie Durham oder Michelangelo | |
Pistolettos Happy-Turtle-Projekt in einem ausrangierten Laden. Da gab es | |
eine Menge gute Kunst. | |
Ich frage nicht ohne Hintergedanken. Von Jan Hoet stammte der Satz: Ich | |
habe kein Konzept. Sie sagen das auch ständig. Erwartet uns kommende Woche | |
in Kassel ein ähnlich bunter Jahrmarkt wie 1992? | |
Hoets Documenta war vielleicht nicht so sensibel für die politischen Fragen | |
der damaligen Zeit: den Fall der Mauer, die Krise Europas. Ich versuche | |
mich mehr mit den Problemen der Welt im Großen auseinanderzusetzen. | |
Trotzdem mochte ich, dass sie kein so strenges Konzept hatte. Dann kommen | |
die Kunstwerke besser zur Geltung. | |
Das wird auch bei Ihnen so? | |
Es gibt eine Analogie. Aber der Verzicht auf ein theoretisch ausgefeiltes | |
Konzept ist bei mir mehr eine Form des Widerstands gegen den | |
Wissenskapitalismus. Der genau damit arbeitet. Eine Form des Widerstands | |
gegen die Art und Weise, in der in unserer digitalen Welt Macht durch die | |
Beherrschung des Wissens ausgeübt wird. | |
Was meinen Sie damit? | |
Die Produkte kognitiver Arbeit, ob Sie nun Genetiker sind und DNA-Codes | |
kodieren, ob Sie Mathematiker sind und für eine Softwarefirma arbeiten oder | |
ob Sie Künstler sind, werden oft genug sofort in ein System der Macht | |
kooptiert. Diese Übernahme findet in allen Bereich der sogenannten | |
Kreativität statt. Das ist die Basis von Macht und Profit im 21. | |
Jahrhundert. Fragen wie die des Intellektuellen-Streiks, den die | |
italienischen Operaisten bis hin zu Negri und Hardt dann entwickelt haben, | |
also so etwas wie Wissensverweigerung, das war zu Jan Hoets Zeiten noch | |
kein Thema. Deshalb hat er den Satz: „Ich habe kein Konzept“ aus anderen | |
Gründen gesagt. | |
Welche Documenta mochten Sie? | |
Ich bewundere Catherine David sehr. Sie brachte 1997 das Diskursive zurück. | |
Sie brach mit der Dominanz des Neoexpressiven, einer extrem | |
marktorientierten und konservativen Kunst am Ende der 80er und zu Beginn | |
der 90er Jahre. Sie bezog sich wieder auf die Avantgarde und auf die Idee | |
von Kunst als einer entwickelten Forschung. Damit will ich nicht brechen. | |
Aber ich bin mehr an Formen des intuitiven Wissens interessiert. Das steckt | |
hinter der Formel von dem Konzept, kein Konzept zu haben. | |
Was noch? | |
Es gibt etwas Feministisches in diesem no-concept-concept. Eine Art | |
Widerstand gegen eine intellektuelle Tradition, die meistens die Tradition | |
von Männern ist: Sich mit sehr klaren Thesen und Konzepten zu | |
identifizieren. Dagegen wehren sich Frauen. Sie kreieren Momente des | |
Zögerns und Zweifelns. | |
Sie sprechen auch von einem „state of mind“ … | |
Ich bin an Einstellungen interessiert, die Menschen, aber auch | |
nichtmenschliche Lebewesen zu bestimmten Handlungen treiben. Mehr | |
jedenfalls als an dem, was rein rationales Denken motivieren kann. Ein | |
Geisteszustand, aus dem heraus beispielsweise ein Kunstwerk entsteht. Mich | |
interessiert, was noch vor der Idee kommt. Deshalb gibt es bei dieser | |
Documenta diese Notizbücher. In den Büchern soll man nachvollziehen können, | |
wie eine Idee entsteht, wie Denken entsteht. | |
Um welche Geisteszustände soll es gehen? | |
Zum Beispiel um diesen Zustand ständiger Performativität. Auch die | |
Documenta ist eine Bühne. Spätestens seit Joseph Beuys. Ganz Kassel wird | |
eine Bühne. Ich stehe auf dieser Bühne. Deshalb gebe ich Ihnen dieses | |
Interview. Oder die Frage: Was tut man, wenn man sich entscheidet, sich | |
zurückzuziehen? Araya Rasdjarmrearnsook, eine thailändische Künstlerin wird | |
das demonstrieren, wenn sie während der Dauer der Documenta mit einem | |
adoptierten Straßenhund in einem abgeschirmten Haus in der Karlsaue lebt. | |
Eine Art Allianz unterprivilegierten Menschen und anderer | |
unterprivilegierter Gattungen in den großen postkolonialen Städten. | |
Sie sprechen von vier Geisteszuständen. Welche noch? | |
Wie verhalten sich Menschen unter Druck, im Belagerungszustand? Max | |
Beckmann malte seine Triptychen, Giorgio Morandi seine Flaschen. Und | |
kreierte damit eine Form der Zurücknahme seiner selbst, die | |
Machtverhältnisse durcheinanderbringt, obwohl man sich machtlos fühlt. Um | |
ihn herum herrschte Faschismus. Wir zeigen Objekte aus Morandis Atelier. | |
Wo bleibt das Positive? | |
Natürlich geht es auch um Hoffnung. Es ist ein unglaublicher Aktivismus im | |
Gange auf der ganzen Welt. All diese Bewegungen hoffen, dass sie etwas | |
verändern können. Deshalb haben wir schon im Vorfeld die Künstler-Gruppe | |
AND AND AND unterstützt. Aber wir bringen keine Kollektive nach Kassel. AND | |
AND AND werden ihr eigenes Projekt auf der Documenta machen und andere | |
Kollektive in ihre Agentur einladen, die sich innerhalb der Documenta | |
befindet. | |
Ihre Documenta soll von einer „ganzheitlichen und nichtlogozentrischen | |
Vision angetrieben“ sein. Das klingt esoterisch. | |
Was soll daran esoterisch sein, wenn man an einer Welt interessiert ist, wo | |
das Wissen der Menschen, ob nun Handwerk oder Philosophie, mit dem Wissen | |
des Apfelbaums ausbalanciert ist, einen Apfel hervorzubringen, oder mit dem | |
Gedächtnis eines Hundes. Ich glaube, wir Menschen müssen lernen, weniger | |
das Zentrum von allem zu sein. Wir teilen den Planeten mit Steinen, Tieren | |
und Pflanzen. Unser Ökosystem ist aus den Fugen, weil der Mensch den ganzen | |
Planten zerstören kann. Uns erschreckt die Vorstellung, dass die Bienen vor | |
der Ausrottung stehen. Die australische Wissenschaftlerin Jill Bennett | |
spricht deshalb vom Anthropozän. | |
Es scheint mir eher eine philosophische Frage als eine der Kunst zu sein … | |
Auf jeden Fall haben wir mehr Verantwortung als vorher. Weil unsere | |
Entscheidungen Auswirkungen haben. Wir müssen unsere Autorität | |
zurückfahren. Wie ist eine Demokratie vorstellbar, in der die anderen | |
Gattungen eine Stimme haben? Das hat nichts mit Tierschutz zu tun. Es geht | |
um das Ermächtigen der Bienen. Und das hat wieder mit dem Feminismus zu | |
tun. Denn die Geschichte des Feminismus war immer die Geschichte des | |
Anderen. | |
Nach der postmodernen Documenta von Jan Hoet 1992 und der postkolonialen | |
von Okwui Enwezor 2002 soll es 2012 also eine posthumane Documenta geben? | |
Ich würde dieses Wort nie benutzen. Es wird von Postmodernisten wie Jeffrey | |
Deitch benutzt , der 1992 eine Ausstellung mit diesem Titel gemacht hat. | |
Und von reaktionären Zirkeln und rechten Anarchisten im Internet. Ich würde | |
es vielleicht Deanthropoisierung nennen. | |
Machen Sie nicht Kunst samt ihren alternativen Potenzen, genau dadurch, | |
dass Sie sie öffentlich zeigen, dem kognitiven Kapitalismus verfügbar? | |
Man begibt sich immer in Gefahr, wenn man sich engagiert. In diesem Fall | |
ist das, was man erreichen kann, mehr als das, was man verlieren kann. Ich | |
habe keine spektakuläre Inszenierung vor dem Fridericianum. Dort wird nur | |
ein Buchladen stehen. Im Auegarten wird es einen Do-Nothing-Garten geben | |
und keine große Skulptur. Den können sie noch nicht mal fotografieren oder | |
auf ein Magazin-Cover heben, weil er nur grün ist, keinen Zweck hat. Ich | |
mag auch keine allzu direkte, explizit inhaltliche politische Kunst. | |
Manchmal laufen dann all diese reichen Leute durch und sagen sich: Was bin | |
ich cool! Und sie predigt oft nur zu den Bekehrten. Also: Es ist eine große | |
Herausforderung, den Kampf mit der Bestie aufzunehmen und ihre Mechanismen | |
zu brechen, indem man radikale Formen von „bêtise“ benutzt, wie Avita | |
Ronnell oder Donna Haraway es nennen würden. | |
1 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |