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# taz.de -- 8. Africologne-Festival in Köln: Leiden für Schokolade
> Das Africologne-Festival ist die Biennale afrikanischer Kunst in Europa.
> In diesem Jahr geht es dort in Köln um die Macht der eigenen Erzählung.
Bild: Toutou Ditchou mit der Initiative Decolonize Cologne am Stollwerck Denkmal
„Drücken, ziehen, sonst schlag ich dich“, treibt uns der Kameruner
Performer Toutou Ditchou an. Die Zuschauer stehen an einer Steinplatte mit
Maschinenresten in der Kölner Südstadt und schieben. Ein aussichtsloses
Unterfangen, schließlich ist es eine Betoninstallation mit alten
Originalzahnrädern. Sie erinnert an das Schokoladenunternehmen Stollwerck,
ein koloniales Großunternehmen, einst größter Arbeitgeber der Stadt: Köln,
große Handelsstadt im Deutschen Kaiserreich, war einer der wichtigsten
Player des deutschen Kolonialismus. Schokolade galt als Luxusgut, für das
Unmengen an Kakaobohnen gebraucht wurden – aus Kamerun, einer der ersten
deutschen Kolonien.
Christian Eckert, Leiter der Kölner Handelsschule und gefeierter Ehrenmann
der Stadt, notierte 1911 leutselig, man müsse einfach mehr Gewalt anwenden,
um die hungernden Arbeiter in Kamerun zu mehr Effizienz zu bringen. So
erzählen es Merle Bode und Linda Jalloh von der Initiative Decolonize
Cologne bei ihrer Führung durch die Kölner Südstadt. Für das Format
„Decolonize The Streets“ arbeiten sie erstmals mit der Kompanie des
Kameruner Performers Zora Snake zusammen.
Es wirkt wie ein Schock, als Toutou Dachos plötzlich wie eine Skulptur vor
einem alten Ziegelturm erscheint, mit nacktem Oberkörper und Tropenhelm:
Sein schwarzer Körper wird zum Mahnmal. Das Ausmaß von Ausbeutung schwarzer
Körper, von dem wir gerade nur gehört haben, ist auf einmal auch für den
Zuschauer fast körperlich spürbar.
## Um Verzeihung bitten
Ditchou öffnet den Mund zum stummen Schrei, stöhnt, erhebt seine Faust.
Dann wickelt er Seile um die Gedenkmaschinerie: fesselt das, was einst
gefesselt hat in rasender Gier nach Rohstoffen und Menschenmaterial, lässt
uns mitmachen am unmöglichen Unterfangen, das Denkmal wegzuziehen.
„Please hold my back. I feel pain“, sagt er schließlich und liegt erschöp…
auf dem Boden. Dann dürfen wir ihn salben, als könnten wir seinen Körper um
Verzeihung bitten für die Gewalt, die unsere Vorfahren seinen angetan
haben. Später wird die Performerin Larissa Ebong eine würdevolle,
farbgetränkte Prozession vor der Handelsschule durchführen – von dort
gingen jene Kolonialexpeditionen aus, bei der deutscher Nachwuchs in die
Organisation der Ausbeutung eingewiesen wurde.
Die Kombination aus Stadtrundgang und Kunst ist eindrücklich: Durch den
Raum, den die Kameruner Performer:innen auf der Straße schaffen,
dringen die historischen Fakten tief in den eigenen Körper.
Eine spannende Idee hat das [1][Kölner Africologne-Festival] hier erstmals
umgesetzt. Narrative umdrehen und selbst in die Hand nehmen, das hat sich
das gesamte Festival „Africologne“ vorgenommen, das sich in 14 Jahren zur
größten europäischen Biennale afrikanischer Kunst in Europa entwickelt hat,
passend zu dem Motto „Remember – resist – exist“.
In diesem Jahr arbeitet man bewusst mit Initiativen vor Ort zusammen, lädt
lokale Musiker, Köche, Bildende Künstler ein, sich mit den aus Afrika und
Belgien angereisten Künstlern zu verbinden. In zwölf Festivaltagen (bis 22.
Juni) und an rund zehn Spielorten kann man umfassend eintauchen in
afrikanische und afrikodiasporische Kultur.
## Freiheitskampf einer Frau
Die selbstbewusste Eigenerzählung afrikanischer Künstler zieht sich durch –
nicht zuletzt mit der Anthologie „Spuren“, die zeitgenössische Theatertexte
aus afrikanischen Ländern erstmals ins Deutsche übersetzt hat. Schon bei
der Eröffnung mit dem Abend „Sorcières“, Hexen, wird ein im Westen fast
vergessenes Narrativ zur feministischen, afrikanischen Geschichtserzählung.
Der kongolesische Choreograf [2][DeLaVallet Bidiefono] erzählt die
Geschichte der Kongolesin Kimpa Vita als Freiheitskampf für die Sache der
Frau: Die Prophetin, die sich im 17. Jahrhundert gegen christliche
Missionare auflehnte und als Hexe verbrannt wurde, gilt als Jeanne d’Arc
des Kongo.
Stolz kommt die Tänzerin Florence Gnarigo auf die Bühne: eine kraftvolle
Erscheinung. Wie in religiöser Trance bewegt sie sich, pflügt durch
raschelnde Asche, schwenkt eine goldene Fahne. Immer wieder konfrontiert
die Erzählerin sie mit Hate Speech, der an heute erinnert, während sie mit
einem Totenkopf tanzt, ihn mit Blut bespuckt, manchen Tabubruch begeht, der
jede weibliche Zuschreibung verweigert. Das schrammt in seinen
bombastischen Bildern auch hart am Kitsch und Pathos.
Bewegender sind da die kleineren Formate: wenn etwa der ruandische
Performer Dorcy Rugamba in „Brief an die Abwesenden“ in einer Art
musikalischen Lesung mit dem Musiker Majnun von seiner zehnköpfigen Familie
in Ruanda erzählt, vom Kampf seines Vaters für Würde, Bildung, Kultur – und
davon, wie durch jenen blumenbewachsenen Torbogen seiner Kindheit eines
Tages die Mörder des Genozids kamen und seine Familie auslöschten. Rugamba
erzählt das zum Weinen authentisch und poetisch zugleich vor einem Farbfoto
der Familie, das langsam zu Schwarz-Weiß verblasst.
Und dann ist da noch der wütende, ironische Monolog des Kongolesen
[3][Dieudonné Niangouna] „Diesseits“ (De ce côté), der sein Alter Ego
„Dido“ spielt: in der eigenen Comedy-Bar im europäischen Exil, voller
Melancholie, reflektiert er darüber, wie man in der gewalttätigen Welt von
heute überhaupt Kunst machen kann.
Aber auch Frauen erhalten bei diesem Festival viel Aufmerksamkeit: nicht
nur die burkinische Sängerin Hawa Boussim, erstmals in Deutschland, sondern
auch die Performerin [4][Nadia Beugré] aus Elfenbeinküste, die mit einer
Perkussionistin und einer Sängerin auf der Bühne mit wenigen Gegenständen
das Dorf ihrer Kindheit und ihre Großmutter wieder auferstehen lässt. Die
autobiografische, historische Erzählung wird in den gezeigten afrikanischen
Texten groß geschrieben. Für einen Kontinent, dem so oft seine Historizität
abgesprochen wird, ist das eine kraftvolle Umkehrung der Perspektive. Die
Macht des Narrativs neu an sich zu nehmen, kaum etwas könnte wohl wichtiger
sein in der gegenwärtigen Welt des patriarchal-weiß- kriegerischen
Backlashs.
18 Jun 2025
## LINKS
[1] https://africologne-festival.de/
[2] /Klappe-halten-und-wahrnehmen/!5506918&s=DeLaVallet+Bidiefono&SuchR…
[3] /Theaterstueck-Portrait-Desir-aus-Kongo/!5921937
[4] /Festival-Tanz-im-August-in-Berlin/!5949774
## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Festival
Performance
Kolonialgeschichte
Köln
Afrika
zeitgenössische Kunst
Deutscher Kolonialismus
Berlin Biennale
Postkolonialismus
Emanzipation
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