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# taz.de -- Koloniale Erinnerung: Referenzquelle für die Zukunft
> Das Erinnerungskulturprojekt „Dekoloniale“ ist beendet. Online lassen
> sich die Spuren deutscher Kolonialgeschichte weltweit weiterhin
> nachverfolgen.
Bild: Der Projektraums Dekoloniale wurde physisch im Dezember 2024 rückgebaut,…
Das Berliner Modellprojekt „Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt“ ist
im Dezember 2024 nach vier Jahren planmäßig beendet worden. Auch der
Projektraum in der Berliner Wilhelmstraße 92 musste geräumt werden. Doch
ein Großteil der Ergebnisse ist gesichert: im digitalen Raum. Die
Projektwebsite [1][„dekoloniale.de“] ist über die letzten Jahre zu einer
umfangreichen Dokumentation der Spuren deutscher Kolonialgeschichte und
ihrer weltumspannenden Beziehungsgeflechte angewachsen. Nun liegt sie final
vor.
Eine der zahlreichen Geschichten, die sich auf der Website findet, ist jene
von Missahoé, einem Ort im Süden Togos, unweit der Stadt Kpalimé. Der Name
geht auf die 1890 gegründete deutsche Forschungsstation Misahöhe zurück. In
ihrer virtuellen Ortsbegehung setzen die beiden Künstler Gregor Kasper und
Musquiqui Chihying auf Fotos und Filmaufnahmen und nähern sich gemeinsam
mit den Dorfbewohner:innen der Vergangenheit des Ortes.
Die ist durchaus brisant. In der benachbarten Krankenstation in Kloto
forschten deutsche Mediziner:innen an Afrikaner:innen, die Symptome
der Schlafkrankheit zeigten. Ungeklärt bleibt bis heute, wie viele der
beforschten Patient:innen an der Krankheit, an den
Quarantänebedingungen oder dem ihnen verabreichten arsenhaltigen Atoxyl
starben.
## Deutscher Ordnungssinn in Togo
Die Gebäude der ehemaligen Station verfallen, die Allee aus Mangobäumen
hingegen zeugt noch heute von deutschem Ordnungssinn. Im Wald zwischen
Missahoé und dem Dorf Yoh markieren die Überreste eines Baumes den Ort, an
dem Menschen gehängt wurden, die Widerstand gegen die Kolonialverwaltung
leisteten.
Man könne sich vergegenwärtigen, was einst in Missahoé geschah. Mehr noch
gehe es aber darum, den Ort heute neu zu gestalten. So erklärt es der
Geschichtslehrer und lokale König Togbui Tchali XI. von Agomé-Yoh in einem
Videointerview. Genau dafür entwickelt der togolesisch-deutsche Architekt
Edem Akuété Ideen und hat für Missahoé das Modell eines Kulturforums
ausgearbeitet. Auch ihn hat das Künstlerduo interviewt.
„Die Website ist ein Weg, die Ergebnisse unserer Recherche zu archivieren
und zugleich für andere zugänglich zu machen, etwa junge Menschen in Togo“,
sagt Musquiqui Chihying. Diesen internationalen Ansatz verfolgt die gesamte
Website und ist in acht Sprachen übersetzt worden, darunter Chinesisch und
Yoruba.
## Weltkarte Kolonialismus
Ein zentrales Element auf „dekoloniale.de“ ist die nach Süden ausgerichtete
Weltkarte, die mehr als 70 Einträge verzeichnet. Es sind Geschichten über
die andauernden Folgen des deutschen Kolonialismus zwischen 1884 und dem
Beginn des Ersten Weltkriegs. Rote Ausrufezeichen markieren koloniale und
postkoloniale Lebensgeschichten, Institutionen oder Stadttouren. Zoomt man
in die Karte hinein, werden Landschaften und selbst einzelne Gebäude
erkennbar.
Ausgangspunkt ist Deutschland. [2][Von dort aus weisen schwarze Linien auf
konkrete Orte an den Küsten Afrikas], im pazifischen Raum, aber auch in
Island oder Syrien hin. „Anspruch der Karte war es, zu beweisen, in welcher
Verbindung Berlin zur Welt und den ehemals kolonisierten Gebieten steht“,
sagt Anna Yeboah, die das Dekoloniale-Projekt koordiniert hat. Zugleich
habe sich das Projektteam nicht auf Berlin beschränken wollen. „Die Karte
war auch der Versuch zu zeigen, dass sich koloniale Bezüge ebenso in
kleineren Städten wie Hagen finden.“
## Wissen lokaler Akteure
Dafür habe das Projekt auf das Wissen lokaler Akteure zurückgegriffen, die
die kolonialen Ortsgeschichten seit Jahren erforschen, darunter die
Initiative Leipzig Postkolonial oder die Stadt Bremen. Hinzu seien Beiträge
von Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Autor:innen aus den
ehemaligen Kolonien gekommen. Die so in der Karte festgehaltenen
Geschichten eint ihre multimediale, wissenschaftlich fundierte und zugleich
verständliche Aufbereitung.
Die Menschen und Geschichten, die sich mit Orten wie Missahoé verbinden,
machen deutsche Kolonialgeschichte greifbar und flechten sie zugleich in
ein komplexes Gewebe kontinentübergreifender Beziehungen. Gerne verliert
man sich darin wie in einer Enzyklopädie, in der ein Eintrag auf den
nächsten und wieder auf den nächsten verweist und sich nach und nach ein
Gesamtbild ergibt. Für Künstler Gregor Kasper liegt der Wert der Website in
der Bündelung der vielen Einzelrecherchen an einem Ort; er spricht von
einer „Referenzquelle für die Zukunft“.
Nach Projektende fehlt es an Mitteln, die Website weiterzuentwickeln. Um
die Onlinekarte zu erhalten, wird die Darstellung in ihrem jetzigen
Zustand eingefroren. „Die Datensätze, die den Geschichten zugrunde liegen,
haben wir gesichert, sodass wir sie in ein mögliches Nachfolgeprojekt
einbinden könnten“, stellt Projektkoordinatorin Anna Yeboah in Aussicht.
28 Aug 2025
## LINKS
[1] https://dekoloniale.de/de
[2] /Ausstellung-im-Brandenburg-Museum/!6085699
## AUTOREN
Fabian Lehmann
## TAGS
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Koloniales Erbe
Deutscher Kolonialismus
Kolonialverbrechen
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