| # taz.de -- Berlins SPD-Vorsitzende Böcker-Giannini: „Für mich ist es in de… | |
| > SPD-Landeschefin Nicola Böcker-Giannini über die Macht der Männer, die | |
| > Berlin-Wahl 2026 – und die Erkenntnis, dass Wohnen keine Alltagssorge | |
| > sein sollte. | |
| Bild: Nicola Böcker-Giannini steht seit Mai 2024 mit Martin Hikel an der Spitz… | |
| taz: Frau Böcker-Giannini, viele sprechen von einem unwürdigen Schauspiel, | |
| das Ihre Partei mit ihrer Noch-Bundeschefin abgezogen hat. Wie empfinden | |
| Sie als Berliner SPD-Landesvorsitzende den Umgang mit [1][Saskia Esken]? | |
| Nicola Böcker-Giannini: Unwürdig ist ein großer Begriff. Aber wir müssen | |
| als Partei schauen, wie wir mit dem eigenen Personal an so einer Stelle | |
| umgehen. Kernthemen der SPD sind Respekt, Vertrauen und Solidarität. Das | |
| müssen wir nach außen und nach innen leben. Da sollten wir uns durchaus | |
| hinterfragen. | |
| taz: Sie finden es nicht bizarr, dass nach einer Schlappe wie jetzt bei der | |
| Bundestagswahl in einem männlich-weiblichen Führungsduo der Mann Lars | |
| Klingbeil weiter aufsteigt, während die Frau Saskia Esken abgesägt und | |
| ersetzt wird? | |
| Böcker-Giannini: Saskia Esken war 2021 Teil des Erfolgs, genau wie Lars | |
| Klingbeil. Beide tragen Verantwortung für das Ergebnis 2025. Dass Saskia | |
| Esken nun nicht erneut antritt, hat sicherlich vielschichtige Gründe. | |
| Grundsätzlich müssen wir uns in der SPD aber schon hinterfragen, warum alle | |
| wesentlichen Posten mit Männern besetzt sind, obwohl wir viele gute Frauen | |
| haben. Es ist ein Stück weit so, dass es Frauen in dieser Gesellschaft und | |
| der Politik schwerer haben, gesehen zu werden. | |
| taz: Gilt das auch für die Berliner SPD, also für Sie? | |
| Böcker-Giannini: In Sachen Frauenförderung können wir sicher immer besser | |
| werden. [2][Martin Hikel und ich als Landesvorsitzende] arbeiten aber sehr | |
| solidarisch miteinander. Wir respektieren und vertrauen uns. | |
| taz: Aber im Zweifelsfall ist Ihr Co-Vorsitzender – der Mann – medial | |
| präsenter als Sie. | |
| Böcker-Giannini: Ja, für mich ist es in der Außendarstellung schwieriger. | |
| Es gibt ein Missverhältnis dadurch, dass ich zwar Parteivorsitzende bin, | |
| aber kein weiteres Amt bekleide. [3][Martin Hikel ist auch | |
| Bezirksbürgermeister von Neukölln.] Nehmen Sie die Spitzenkandidatur für | |
| die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr: Da habe ich meinen Namen noch | |
| nie in der Presse gelesen. Ob er da hingehört oder nicht, ist eine andere | |
| Debatte. Aber es ist schon interessant. | |
| taz: Es ist auch deshalb interessant, weil schon bei Ihrer gemeinsamen Wahl | |
| vor einem Jahr nur der 2-Meter-Mann Hikel gefragt wurde, ob das seinerseits | |
| auch eine Bewerbung für das Amt des Regierenden Bürgermeisters ist. | |
| Böcker-Giannini: Dem 2-Meter-Mann wird auch oft zuerst das Mikrofon unter | |
| die Nase gehalten, wenn wir nebeneinanderstehen. Das ist auch eine mediale | |
| Verantwortung. Aber intern agieren wir auf Augenhöhe. | |
| taz: Gehört Ihr Name denn auf die Liste möglicher | |
| Spitzenkandidat*innen für die Wahl 2026? | |
| Böcker-Giannini: Natürlich haben Landesvorsitzende immer ein Zugriffsrecht. | |
| An Spekulationen beteilige ich mich aber nicht. Diese Frage klären wir als | |
| Partei gemeinsam zu gegebener Zeit. | |
| taz: Bei der Wahl 2021 hat Ihre Partei frühzeitig Franziska Giffey mit viel | |
| PR und dann ja auch erfolgreich zur Frontfrau aufgebaut. Diesmal wollen sie | |
| sich bis Herbst Zeit lassen. Warum diese Leisetreterei? | |
| Böcker-Giannini: Wir haben immer kommuniziert, dass wir die Prozesse | |
| aufeinander abstimmen. Im Rahmen des von uns angestoßenen großen | |
| Zukunftsprozesses Berlin 2035 zur Neuaufstellung der Berliner SPD | |
| erarbeiten wir die Inhalte, zu der eine Spitzenkandidatur dann passen muss. | |
| Das ist der vereinbarte Weg. | |
| taz: Das mag ja sein. Zugleich zirkulieren bereits etliche Namen, [4][von | |
| Martin Hikel über Franziska Giffey und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe bis | |
| zu SPD-Fraktionschef Raed Saleh]. | |
| Böcker-Giannini: Wir verständigen uns in den Gremien auf einen Zeitablauf | |
| für die Besetzung. Ich werde mich an den Spekulationen, wer es werden | |
| könnte, nicht beteiligen. | |
| taz: Was sollte eine Spitzenkandidatin, ein Spitzenkandidat mitbringen? | |
| Tiktok-Präsenz und Popularität, mit einem Hang zu Populismus, wie es die | |
| Linke im Bund zuletzt vorgemacht hat? | |
| Böcker-Giannini: Man kann nicht eins zu eins kopieren, was woanders mal | |
| funktioniert hat. Wir sind die Berliner SPD und eine Spitzenkandidatur muss | |
| in allererster Linie zu uns passen und selbstverständlich auch zur Stadt. | |
| Wir haben den Anspruch, Regierungspartei zu sein. Das heißt, eine | |
| Spitzenkandidatur muss auch anschlussfähig sein, sowohl zu Grünen und | |
| Linken als auch zur CDU, und am Ende eine große Akzeptanz in der | |
| Bevölkerung erfahren. | |
| taz: Sie sind vor einem Jahr angetreten, [5][die Partei wieder zu einen.] | |
| Richtig gelungen ist Ihnen das bislang nicht. Die Berliner SPD gilt immer | |
| noch als zerstrittener Haufen. | |
| Böcker-Giannini: Martin Hikel und ich haben immer gesagt, dass wir Brücken | |
| bauen wollen, und damit haben wir begonnen. Es wäre nach einem Jahr aber | |
| auch vermessen zu glauben, dass das, was über viele Jahre | |
| auseinandergegangen ist, so schnell wieder zusammenkommt. Das ist ein | |
| Prozess, der nicht immer ganz einfach ist. An vielen Stellen haben wir das | |
| schon geschafft. Aber wir haben alle noch ein paar Hausaufgaben zu machen. | |
| taz: Das heißt? | |
| Böcker-Giannini: Wir müssen in der Partei wieder lernen, unterschiedliche | |
| Meinungen auszuhalten, uns auch selbst nicht immer ganz so wichtig zu | |
| nehmen und die eigenen Punkte nicht zu 100 Prozent durchsetzen zu wollen. | |
| Wir müssen wieder dahin kommen, das zu tun, was Parteiarbeit in einer | |
| Demokratie ausmacht: gute Kompromisse zu finden, einander zu respektieren | |
| und gemeinschaftlich nach vorn zu schauen. | |
| taz: Auf dem Landesparteitag am Wochenende will die SPD das Thema Wohnen | |
| und Mieten groß machen. Im Leitantrag dazu heißt es: „Wir wollen ein | |
| Berlin, in dem Wohnen keine Alltagssorge darstellt.“ Eine etwas späte | |
| Erkenntnis, oder? | |
| Böcker-Giannini: Nein, warum? | |
| taz: Nun, die SPD stellt seit fast 30 Jahren die für den Wohnungs- und | |
| Mietmarkt zuständigen Senator*innen – mit einer kleinen Unterbrechung | |
| von fünf Jahren. | |
| Böcker-Giannini: Wenn man regiert, trägt man Verantwortung. Beim Thema | |
| Mieten, Bauen, Wohnen darf man aber nicht vergessen, dass die | |
| entscheidenden Weichen vielfach auf Bundesebene gestellt werden. | |
| Nichtsdestotrotz haben wir in Berlin in den letzten Jahren unter Christian | |
| Gaebler viele Dinge verändert. Ich nenne nur das „Schneller-Bauen-Gesetz“, | |
| mit dem Bürokratie und lange Genehmigungsverfahren angegangen werden. Das | |
| erfährt gerade aus der Wirtschaft viel Lob. Wir sind auf einem guten Weg. | |
| taz: Sie reden jetzt nur über „Bauen, Bauen, Bauen“ und die Wirtschaft, | |
| nicht aber über den Schutz der Mieter*innen. | |
| Böcker-Giannini: Mieten und Wohnen ist natürlich das zentrale Thema für | |
| Menschen in dieser Stadt und ein zentrales Thema für die SPD. Wohnen darf | |
| keine Luxusveranstaltung sein. Für uns als SPD gehört hier aber das Bauen | |
| dazu. Dabei ist entscheidend, dass genug Wohnungen gebaut werden – auch für | |
| Menschen, die nicht viel Geld haben. Deshalb wollen wir die Quote für | |
| Sozialwohnungen im kooperativen Baulandmodell von derzeit 30 auf 50 Prozent | |
| anheben. Auch das steht im Leitantrag. | |
| taz: Wohnen soll also kein Luxus sein. Trotzdem hat Ihr Bausenator Gaebler | |
| nun in Friedrichshain-Kreuzberg den Bezirk entmachtet, [6][um an der | |
| Warschauer Straße einem Investor schneller Baurecht zu verschaffen], der | |
| dort einen 140-Meter-Turm mit vielen, absehbar sehr teuren Wohnungen | |
| hochziehen will. Wie passt das zusammen? | |
| Böcker-Giannini: Grundsätzlich hilft erst mal jede Wohnung, die gebaut | |
| wird, in Berlin weiter. Da darf es auch die eine oder andere Wohnung im | |
| Luxussegment geben. Das trifft ja offensichtlich auf einen Markt. Und am | |
| Ende des Tages führt es auch dazu, dass Menschen in dieser Stadt wohnen, | |
| die entsprechend Geld mitbringen, das sie dann auch an anderen Stellen | |
| ausgeben können. | |
| taz: Hat die SPD bei diesem Thema nicht ein Imageproblem? | |
| Böcker-Giannini: Nein. In der Berliner SPD existieren unterschiedliche | |
| Interessenlagen. Das ist auch völlig normal. Es gibt diejenigen, die mehr | |
| bauen wollen, und diejenigen, die eher vergesellschaften wollen. Für uns | |
| als Landesvorsitzende besteht auch an dieser Stelle die Herausforderung | |
| darin, hier einen guten Mittelweg zu finden. Das schaffen wir auch mit | |
| unserem Leitantrag. | |
| taz: Sie haben die Koalition mit der CDU stets begrüßt, während | |
| Kritiker*innen vor einer Selbstverzwergung der SPD gewarnt haben. | |
| Tatsächlich sitzt Ihre Partei in Umfragen eingemauert bei 15 Prozent. | |
| Schadet Schwarz-Rot am Ende nicht doch der SPD? | |
| Böcker-Giannini: Eine Volkspartei wie die SPD muss mit allen demokratischen | |
| Parteien koalieren können – außer natürlich mit der AfD. Das Wahlergebnis | |
| sprach 2023 auch eine deutliche Sprache: Die Berliner*innen haben der | |
| damaligen Regierung einen Denkzettel verpasst. Deshalb war meine | |
| Einschätzung, dass das stabilere Regieren mit der CDU möglich ist. Auch | |
| wenn es uns am Ende das Rote Rathaus gekostet hat. Ob die schwarz-rote | |
| Konstellation am Ende für uns als SPD gewinnbringender ist, als es ein | |
| rot-grün-rotes Bündnis gewesen wäre, ist Spekulation und schwer | |
| vorherzusagen. Dass wir jetzt auch Schwarz-Rot auf Bundesebene haben, wird | |
| es für uns aber wahrscheinlich nicht einfacher machen. | |
| 20 May 2025 | |
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