# taz.de -- Doku über Homosexualität in Kamerun: Suchen gegen alle Widerstän… | |
> Wer sich engagiert, muss mit Repression rechnen: Der Dokumentarfilm „Code | |
> der Angst“ von Appolain Siewe geht der Homophobie in Kamerun nach. | |
Bild: Die Homophobie sitzt tief in Kamerun: Szene aus „Code der Angst“ | |
Sieben Bilderrahmen hängen an der Wand der Erinnerung im Espace Roger | |
Jean-Claude Mbede in Douala in Kamerun. In sechs der sieben Bilderrahmen | |
sind Fotos getöteter LGBTQ+-Aktivist:innen zu sehen, im siebten Rahmen | |
steht unter einem Platzhalter nur ein Name und ein Geburtsdatum. Kleine | |
Tafeln geben den sieben Menschen eine Geschichte. | |
Der Dokumentarfilm „Code der Angst“ des kamerunisch-deutschen Regisseurs | |
Appolain Siewe beginnt mit dem [1][Mord an dem jungen Journalisten und | |
LGBTQ+-Aktivisten Eric Lembembe im Jahr 2013]. Als er dessen Freund und | |
Wegbegleiter Lambert Marc Lamba auf die Ermordung Lembembes anspricht, | |
kommen Lamba die Tränen. | |
Dann erzählt er von den Einzelheiten des brutalen Mordes. Als die Feuerwehr | |
Lembembe später tot aus seiner Wohnung birgt, weigert sie sich, die Leiche | |
eines schwulen Mannes ins Krankenhaus zu bringen, und wirft ihn einfach an | |
den Straßenrand. | |
Als Lembembes Mutter ihren Sohn schließlich mit einem geliehenen Auto zum | |
Krankenhaus fährt und eine Autopsie verlangt, weigern sich die Mitarbeiter. | |
Appolain Siewe versucht in seinem Debüt als Kinodokumentarist ausgehend von | |
dem Mord an Lembembe zu verstehen, warum die Homophobie im Land seiner | |
Geburt so ausgeprägt ist. | |
## Ein fremdgewordenes Land | |
Appolain Siewe erfährt von Lembembes Tod in seiner Wahlheimat Berlin. Ihm | |
drängen sich Fragen nach den Hintergründen der brutalen Homophobie in | |
Kamerun auf. Siewe macht sich auf die Suche, fliegt nach Kamerun und stellt | |
schnell fest, dass ihm das Land seiner Geburt nach Jahrzehnten eines Lebens | |
in Deutschland fremd geworden ist. | |
In der Hauptstadt Jaunde trifft er sich mit Menschenrechtsaktivist_innen | |
wie Alice Nkom und LGBTQ+-Aktivist_innen wie Lambert Marc Lamba, bevor er | |
nach Douala weiterfährt, um seine Eltern zu treffen. Doch die weichen | |
seinen Versuchen aus. | |
Dafür wird er von Lamba und anderen mit offenen Armen zu Treffen der | |
lokalen Queerszene eingeladen. Von dem Mord an Eric Lembembe ausgehend | |
stößt Siewe auf eine Lawine von Gewalterfahrungen. Die Toten an der Wand | |
erweisen sich als Spitze des Eisbergs von allgegenwärtiger Gewalt als | |
Ausdruck tief sitzender Homophobie. | |
Appolain Siewe kam 1997 zum Filmstudium nach Berlin, arbeitete am Deutschen | |
Theater Berlin, später als Print- und Videojournalist. 2010 gründete er | |
seine eigene Produktionsfirma für Dokumentarfilme, Einheit Film. Aktuell | |
arbeitet er an einem Film über die Arbeit [2][Alice Nkoms als | |
Menschenrechtsanwältin] und die Unterdrückung von Frauen. | |
## Unermüdliche Suche | |
„Code der Angst“ ist formal eher schlicht gehalten, und man merkt dem Film | |
an, dass Siewe bisher mehr als Videojournalist denn als Regisseur für | |
Kinodokumentarfilme gearbeitet hat. Das gilt vor allem für die Szenen, in | |
denen Siewe seine eigene Annäherung an das Thema sichtbar macht. In diesen | |
Szenen kann man den inneren Fernsehredakteur quasi hören. | |
Die Qualität des Films liegt denn auch eher in der Unermüdlichkeit, mit der | |
er gegen alle Widerstände seine Suche fortsetzt und sie mit sich selbst und | |
seiner Familiengeschichte verwebt. Der Film sollte auch für ihn | |
Auswirkungen auf Freundschaften und Verwandtschaftsbeziehungen haben. | |
So wenig einen die Existenz von Homophobie überraschen wird, so | |
erschreckend sind doch deren Ausmaße. Schon die Anerkennung der Tatsache, | |
dass Homosexualität immer schon auch Teil von afrikanischer Kultur war und | |
bis heute ist, bleibt jenseits der LGBTQ+-Szene eine Seltenheit. | |
Andererseits hat die Brutalität und die Verlogenheit der Verfolgung von | |
queerer Liebe in dem zentralafrikanischen Land einige wie Alice Nkom oder | |
den Leiter der evangelischen Universität Jean-Blaise Kenmogne dazu bewogen, | |
sich für LGBTQ+-Rechte zu engagieren. Sie alle haben für ihr Engagement | |
umgehend die gesellschaftliche Repression zu spüren bekommen. | |
## Offenheit gegenüber einem großen Tabu | |
Auch wenn „Code der Angst“ über seine gesamte Dauer stärker journalistisch | |
geprägt bleibt und dabei formal weniger beeindruckt, kommt man beim Sehen | |
nicht um das Eingeständnis herum, dass Siewes Bescheidenheit der Form | |
vielleicht genau die richtige Form für diese Art Film ist. | |
Siewe nähert sich mit großer Offenheit einem Thema, das in Kamerun tabu | |
ist, sucht mit großer Beharrlichkeit, nachdem sich der Eindruck, den er von | |
den Ausmaßen der Homophobie aus der Ferne in Berlin bekommen hatte, bei der | |
Begegnung mit Kindheitsfreunden und Zufallskontakten noch als zu schwach | |
erweist, bei Betroffenen und deren Verbündeten nach Erklärungsansätzen und | |
Widerstandsstrategien. | |
Es ist unmöglich, den Mut der LGBTQ+- und Menschenrechts-Aktivist_innen, | |
die Siewe im Laufe seines Films trifft, nicht zu bewundern – einen Mut, den | |
niemand brauchen sollte. „Code der Angst“ ist dank seines Regisseurs und | |
der Menschen, die der Film porträtiert, ein überaus eindrucksvoller | |
Dokumentarfilm. | |
4 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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