# taz.de -- Film „Dahomey“ über Raubkunst: König Ghezo spricht | |
> Berlinale-Gewinner: Mati Diops Film „Dahomey“ nimmt sich | |
> Restitutionsfragen mit magischem Dokumentarismus an. | |
Bild: Filmszene aus „Dahomey“ | |
Mati Diop arbeitet mit ihren Filmen daran, eurozentrische Vorstellungen und | |
Perspektiven zu sprengen. In ihrem [1][in Cannes mit dem großen Jurypreis | |
ausgezeichneten ersten Spielfilm „Atlantique“] verlassen senegalesische | |
Bauarbeiter, die monatelang keinen Lohn bekommen haben, ihre Heimat, um | |
sich über das Meer auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen. | |
Doch entwickelt sich der Film nicht zu einem klassischen Fluchtdrama, | |
sondern bleibt bei den zurückgebliebenen Frauen in dem Vorort von Dakar. | |
Ein brennendes Ehebett, eine Fieberwelle und plötzlich grätscht in den | |
dokumentarisch anmutenden Stil die senegalesische Geisterwelt, in der sich | |
die Angst der Hinterbliebenen und die globalen Ungerechtigkeiten | |
materialisieren. | |
Eröffnete die französisch-senegalesische Regisseurin in „Atlantique“ durch | |
den Einbruch des Übernatürlichen einen Assoziationsraum, begleitet ihren | |
neuen Film „Dahomey“ eine Art magischer Dokumentarismus. Diop folgt darin | |
26 Kunstschätzen aus dem Königreich Dahomey, die 1892 zusammen mit | |
Tausenden anderen Gegenständen von den französischen Kolonialtruppen | |
geplündert wurden, zurück in ihr Herkunftsland, die heutige Republik Benin | |
– eine Initiative von Emmanuel Macron im Jahr 2021. | |
Magisch macht den experimentellen Dokumentarfilm, dass Diop der Statue des | |
Königs Ghezo, einen 220 Kilogramm schweren Koloss aus bemaltem Holz, Metall | |
und Fasern mit der Restitutionsnummer 26, Leben einhaucht. | |
## Das Befinden der Statue | |
König Ghezos Abbild sinniert im Film zwischendurch immer wieder in Fon, | |
einer der wichtigsten Sprachen Westafrikas, über sich, seine Situation, | |
über Träume und die Heimreise. Seine Worte stammen von Makenzy Orcel, einem | |
Schriftsteller aus dem karibischen Staat Haiti, der von Nachfahr:innen | |
aus Afrika Verschleppter bevölkert ist. | |
Das imaginierte Befinden der Statue in der lange dem Englischen und | |
Französischen untergeordneten Landessprache ist eine kulturelle | |
Rückeroberung, zugleich macht Diop spielerisch einen Erfahrungs- und | |
Gefühlshorizont auf: Was macht die Entwurzelung mit einem, welche Ängste | |
sind damit verbunden? Was bedeutet Identität und wie verändert sie sich? | |
Im ersten Teil zeigt „Dahomey“, wie die Gegenstände in einem Pariser Museum | |
für die Reise präpariert und verpackt werden. „130 Jahre Gefangenschaft | |
gehen zu Ende“, sagt Ghezo, wie auf französischem Boden durchweg, vor | |
komplett schwarzem Hintergrund – quasi aus der Dunkelheit der (auch | |
sklavischen) Entwurzelung. Museumsmitarbeiter mit Coronamasken packen die | |
Kunstschätze mit größter Sorgfalt und Akribie in große Holzkisten. | |
In Benin angekommen, werden die Kunstwerke mit Gesang und Straßentanz | |
empfangen. Es sind stimmungsvolle Aufnahmen, mit denen Diop die Menschen in | |
der Stadt Cotonou einfängt, dem ökonomischen und kulturellen Zentrum | |
Benins, in dem ein Museum für die Schätze errichtet wurde. | |
Wesentlich dazu beiträgt auch der experimentelle, teils mit dem Sakralen | |
liebäugelnde Soundtrack, den Wally Badarou und der Experimentalmusiker Dean | |
Blunt komponiert haben. Auf eine politische Entourage, die das Museum | |
besucht, folgen Bilder von vor allem auch jungen Menschen und Kindern, die | |
staunend vor der buchstäblich wiedergekehrten Landesgeschichte stehen. | |
## Teilnehmer nach Positionen gecastet | |
Bereits im musealen Kontext klingt die westliche Arroganz durch jene | |
Diskussion an, ob denn Länder des Globalen Südens bei Restitutionen | |
überhaupt in der Lage seien, für die nötigen Bedingungen zu sorgen. Die | |
Breite der Debatte fängt Diop schließlich während einer Diskussion von | |
Studierenden an der Université d’Abomey-Calavi ein. Auch hier reizt die | |
Regisseurin die Grenzen des Dokumentarischen bewusst aus, denn die | |
Diskussionsrunde wurde von ihr ins Leben gerufen und die Teilnehmenden | |
aufgrund ihrer diskursiven Positionen gecastet. | |
Eine Studentin sagt, die Kunstfertigkeit ihrer Vorfahren hätte ihr die | |
Tränen in die Augen getrieben. Ein anderer meint, es sei eine Beleidigung, | |
dass nur 26 von über 7.000 Werken zurückgegeben wurden und dass Frankreich | |
das nicht für Benin, sondern für die eigene Publicity getan habe. Die | |
hitzige Diskussion wendet sich vom Materiellen immer stärker dem | |
Immateriellen zu, wenn vom kolonialen „Seelenraub“ die Rede ist oder davon, | |
dass die eigene Kultur in fremden Sprachen gelehrt wurde. | |
In sportlichen 67 Minuten gelingt es „Dahomey“ so konzentriert wie | |
experimentell, die Folgen des Kolonialismus und die Komplexität der | |
Restitutionsdebatten vor Augen zu führen. [2][Auf der Berlinale gab es | |
dafür im Februar den Goldenen Bären.] | |
„Dahomey“ kapert den in eurozentrischer Schieflage befindlichen Diskurs um | |
Restitutionen, indem er nicht über Menschen aus der ehemaligen | |
französischen Kolonie spricht, sondern mit ihnen, ja: indem er genau das | |
vielschichtig auf die Spitze treibt, wenn er kulturelle Erzeugnisse zum | |
Sprechen bringt, anstatt westliche Politiker. Wenn Ghezos brummende Stimme | |
in Benin ertönt, dann trotz aller Narben nicht mehr aus der Dunkelheit. | |
23 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Balkenborg | |
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