# taz.de -- Jafar Panahi beim Filmfestival Cannes: Poesie im Knast | |
> Cannes Cannes 9: Der iranische Regisseur Jafar Panahi zeigt seinen ersten | |
> Film seit seiner Freilassung. Mario Martone porträtiert eine schreibende | |
> Diebin. | |
Bild: Gebanntes Warten in der Wüste: Szene aus „Un simple accident“ des ir… | |
Legal kann der iranische Regisseur Jafar Panahi seit Jahren keine Filme | |
mehr drehen. Zudem musste er [1][2022 eine Haftstrafe antreten], wurde im | |
Jahr danach aber [2][auf Kaution wieder freigelassen]. Sein bisher letzter | |
Film im Kino war [3][2022 „No Bears“]. Nun konnte er im Wettbewerb von | |
Cannes sein neues Werk „Un simple accident“ vorstellen, zu dessen Premiere | |
er sogar angereist war. | |
Panahis erneut ohne offizielle Genehmigung entstandener Film beginnt mit | |
einer Familie, die nachts im Auto auf einer unbeleuchteten Straße unterwegs | |
ist. Plötzlich gibt es einen Schlag, ein Hund war vor das Auto gelaufen. | |
Kurz darauf stottert der Motor, der Wagen bleibt liegen. In einer Werkstatt | |
in der Nähe bitten sie einen Mitarbeiter um Hilfe. Als der Betreiber der | |
Werkstatt, Vahid (Vahid Mobasseri), den Vater hereinkommen hört, bemerkt er | |
Quietschgeräusche, die dieser beim Gehen macht, und versteckt sich | |
erschrocken. | |
Als die Familie mit dem notdürftig reparierten Auto nach Hause fährt, folgt | |
Vahid ihr heimlich. Am nächsten Morgen lauert er dem Mann auf, überwältigt | |
ihn, schlägt ihn bewusstlos und fährt mit ihm im Laderaum seines | |
Transporters in die Wüste. Dort gräbt er ein Loch, in dem er den Mann | |
verscharren will. | |
## Mutmaßlicher Folterknecht | |
Diese Ereignisse inszeniert Panahi wie bei einem Thriller und lässt einen | |
bis zu diesem Punkt völlig im Unklaren darüber, wer die Protagonisten sind | |
und warum Vahid den Mann entführt. Panahi legt aber ziemlich bald offen, | |
dass es mutmaßlich um einen Folterknecht des Regimes geht, mit dem Vahid | |
abrechnen möchte. | |
Danach überschlagen sich die Ereignisse, immer mehr Figuren tauchen auf, | |
die früher unter dem Regime zu leiden hatten und in dem gekidnappten Vater | |
einen früheren Peiniger wiederzuerkennen meinen. Mitunter geht es so | |
unerwartet zu wie in einer Situationskomödie, durchaus auch mit komischen | |
Elementen. Doch Panahis Anliegen ist ernst. Die Frage, was man als Zivilist | |
mit einem Schergen des Regimes tut, wenn man ihn in die Finger bekommt, | |
geht er sehr direkt an. Und das so, dass man von dieser Direktheit ziemlich | |
angefasst ist. | |
Etwas auf Abstand hält dagegen der Regisseur Mario Martone seine Hauptfigur | |
im Wettbewerbsfilm „Fuori“. Er porträtiert darin eine der ungewöhnlichsten | |
[4][Schriftstellerinnen Italiens, die Skandalautorin Goliarda Sapienza]. | |
Deren Leben gibt allemal Stoff für eine interessante Geschichte, verbrachte | |
Sapienza doch einige Zeit im Gefängnis wegen Juwelendiebstahls und hatte | |
Umgang mit ehemaligen Mitinsassinnen des berüchtigten Gefängnisses | |
Rebibbia. | |
## Ziellos durch die Tage driften | |
„Fuori“ konzentriert sich auf die Zeit nach ihrer Freilassung zu Beginn der | |
achtziger Jahre und die Beziehung zu ihrer jüngeren Freundin Roberta | |
(Matilda De Angelis). Valeria Golino spielt die freidenkerische | |
Intellektuelle Sapienza mit großer Zurückhaltung. Das kapriziöse Verhalten | |
ihrer selbstbewusst anarchischen Freundin erträgt sie stoisch, scheint | |
ziellos durch die Tage zu driften. Immer wieder kommt sie auf ihr | |
Hauptwerk, „Die Kunst der Freude“, zu sprechen, das kein Verleger haben | |
will, weil es zu lang und zu anspruchsvoll sei. Erst nach ihrem Tod | |
veröffentlichte ihr Ehemann das Buch im Eigenverlag. | |
Gefilmt ist „Fuori“ in klaren Bildern, mit einem behutsam rekonstruierten | |
Rom von vor 45 Jahren. [5][Auch bei der Filmmusik beweist Martone seinen | |
Sinn für untypische Untermalung, diesmal vorwiegend mit Songs des | |
britischen Pop-Exzentrikers Robert Wyatt.] Viele Dinge an „Fuori“ sind | |
reizvoll, doch hält Martone seine Protagonistin so zerrissen fragil, dass | |
es unentschlossen wirkt – zumindest wenn man den Film übermüdet des Nachts | |
anschaut. | |
21 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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