| # taz.de -- Filmfestspiele Cannes: Die Geschichte der besten Freundin | |
| > Mehrere Schauspielstars stellen bei den Filmfestspielen ihr Regiedebüt | |
| > vor. Scarlett Johansson erzählt ungewöhnlich von Holocaust-Erinnerung. | |
| Bild: Eleanor (June Squibb) in Scarlett Johanssons „Eleanor the Great“ | |
| Wenn jemand zum ersten Mal einen Film macht, erwartet man in der Regel | |
| nicht auf Anhieb einen großen Wurf. Im Zweifel bleibt der Film sogar | |
| unbemerkt, da es nicht einmal sicher ist, ob er den Weg in die Kinos oder | |
| auf Streamingportale finden wird. Wenn Schauspielstars hingegen sich | |
| entscheiden, selbst Regie zu führen, sind die Voraussetzungen etwas anders. | |
| Die Aufmerksamkeit ist praktisch garantiert. Auch wenn dazu reflexartig die | |
| Frage aufkommen mag: Kann der das? Kann die das? | |
| In Cannes sind die Namen der Regiedebütanten dieses Jahr besonders | |
| klingend: Die US-amerikanischen Stars [1][Kristen Stewart] und [2][Scarlett | |
| Johansson] treten in der Nebenreihe „Un Certain Regard“ mit eigenen Werken | |
| an, ebenso wie ihr britischer Kollege [3][Harris Dickinson]. Den größten | |
| Rummel gab es um Kristen Stewarts Romanverfilmung „The Chronology of | |
| Water“, doch auch an Johansson und Dickinson gab es einige Erwartungen. | |
| Scarlett Johansson hat sich mit „Eleanor the Great“ den wohl | |
| kontroversesten Stoff vorgenommen. Sie erzählt über die Erinnerung an den | |
| Holocaust, und dann doch wieder nicht. Oder vielmehr bietet die Erinnerung | |
| an den Holocaust ihr den Anlass für eine sehr persönliche Geschichte über | |
| Verlust und Andenken. | |
| Die titelgebende Hauptfigur Eleanor Morgenstein, einnehmend resolut von | |
| June Squibb gespielt, lebt seit Jahren mit ihrer besten Freundin Bessie | |
| zusammen in Florida, nachdem ihre beiden Ehemänner gestorben sind. Bessie | |
| hat Auschwitz überlebt und Eleanor immer wieder davon berichtet. | |
| Nach Bessies Tod zieht Eleanor nach New York und beginnt dort die jüdische | |
| Gemeinde zu besuchen. Durch Zufall gerät sie in einen Gesprächskreis von | |
| Holocaustüberlebenden und bleibt. Sie schildert fortan den anderen in der | |
| Gruppe die Erfahrungen von Bessie, allerdings so, als wären es die eigenen. | |
| Die Journalistikstudentin Nina, die von Eleanor angetan ist, beginnt sie | |
| privat zu treffen und plant ein Porträt über sie. Eleanor wird dieses | |
| Interesse irgendwann unheimlich, sie traut sich aber nicht, aus ihrer Rolle | |
| zu fallen. | |
| ## Emotionaler Ansatz | |
| Johansson wählt einen emotionalen Ansatz für ihren Stoff, bei dem sie sich | |
| auf die Freundschaft zwischen Eleanor und Nina konzentriert. Letztere wird | |
| sehr zugewandt und etwas naiv von Erin Kellyman gegeben. Auch Nina hat mit | |
| einem Verlust zu kämpfen, da vor kurzem ihre Mutter gestorben ist. So geht | |
| es Johansson eigentlich weniger um den Holocaust als um persönliche Trauer. | |
| Ausgerechnet die Szenen, in denen Bessie (Rita Zohar) von ihrer | |
| Vergangenheit im Lager spricht, zählen in ihrer pflichtbewusst wirkenden | |
| Direktheit zu den schwächsten Momenten des Films. Als Plädoyer für eine | |
| Erinnerung anderer Art vermag der Film dennoch zu berühren, wackeliges | |
| Drehbuch hin oder her. | |
| Eine schlichtere Handlung hat sich Harris Dickinson für seinen Debütfilm | |
| „Urchin“ vorgenommen. Mike, ein Junkie, der nach einem Überfall im | |
| Gefängnis gelandet ist, kommt auf Bewährung frei und bemüht sich darum, | |
| eine echte Chance zu erhalten. Frank Dillane gibt diesen Mike, der | |
| verzweifelt nach innerer Stabilität sucht, mit gallertartiger Beweglichkeit | |
| und einem körperlichen Höchsteinsatz, der den Film gut zusammenhält. | |
| ## Ausgebuchte Kinovorstellungen | |
| Und Kristen Stewart? Nun, da man in Cannes, wie auch bei anderen | |
| Filmfestivals, die Filme seit einiger Zeit vorab online buchen muss, kann | |
| es beim frühmorgendlichen Ritual am Computer trotz schneller Reflexe | |
| passieren, dass von den Filmen, die man für einen Tag ergattern wollte, der | |
| eine oder andere nach wenigen Sekunden ausgebucht ist. | |
| So geschehen bei Kristen Stewart, um deren Film es einen veritablen Hype | |
| gab. Bis zur Premiere blieb er denn auch ausgebucht. Die gute Nachricht: | |
| Wegen des ganzen Rummels – und wegen Kristen Stewart – ist es sehr | |
| wahrscheinlich, dass er in Deutschland ins Kino kommt. | |
| 22 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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