| # taz.de -- Naturschutz im Koalitionsvertrag: Sie wissen nicht, was sie tun | |
| > Naturschutz kommt im Koalitionsvertrag mit 29 Zeilen aus. Es ist eine | |
| > Vernachlässigung, die sich rächen wird. Eine zerstörte Natur wird teuer | |
| > werden. | |
| Bild: Ausgetrockneter Seitenarm des Rheins bei Duisburg: Auch die Schifffahrt u… | |
| Ganze 29 Zeilen widmen CDU, CSU und SPD unter der Überschrift „Naturschutz“ | |
| einem Thema, das über das soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche | |
| Wohlergehen Deutschlands ebenso entscheiden wird wie die Steuerpolitik oder | |
| die Energieversorgung. 29 von 4.588 Zeilen [1][im Koalitionsvertrag] hätten | |
| natürlich auch ausreichen können, die Grundlinien einer | |
| verantwortungsvollen Politik für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu ziehen. | |
| [2][Friedrich Merz, Markus Söder (beide Union)], Lars Klingbeil, Saskia | |
| Esken [3][(beide SPD)] hätten eine kraftvolle Strategie für die Natur | |
| entwerfen können und zeigen, dass sie verstanden haben, was das | |
| Weltwirtschaftsforum als eines der größten globalen Risiken der kommenden | |
| zehn Jahre bezeichnet: den Zusammenbruch von Ökosystemen. | |
| In Ökosystemen knüpfen Tiere, Pflanzen, Einzeller, Pilze und andere | |
| Lebewesen Netzwerke, die ihnen Nahrung, einen Platz zum Schlafen, | |
| Verstecke vor Feinden und ruhige Orte für den Nachwuchs bieten. Diese | |
| Netzwerke halten [4][Stress wie Stürme oder Trockenheit] aus, sie verändern | |
| sich, sind beweglich, verarbeiten Störungen wie die von Felsstürzen und im | |
| besten Fall auch die neu eingewanderten Tiere und Pflanzen. Ökosysteme und | |
| ihre Netzwerke entwickeln sich, sie brauchen dafür Zeit und Platz, vor | |
| allem in heißeren Klimazeiten und den sich damit verschiebenden | |
| Jahreszeiten. Die künftige Regierung aus CDU, CSU und SPD wird den | |
| Ökosystemen jedoch weder den Raum noch die Muße lassen, sich an mehr | |
| Autobahnen, Bauten, ausgebaggerte Gruben und betonierte Flussauen | |
| anzupassen. | |
| CDU, CSU und SPD reißen Löcher in die Netzwerke des Lebens. Sie wissen | |
| nicht, was sie anrichten, wenn sie in den kommenden Jahren noch die | |
| naturschutzfachliche Notlösung der Ausgleichsflächen abschaffen. | |
| Ausgleichsflächen für den Naturschutz sollen laut Koalitionsvertrag | |
| entfallen, wenn Flächen für den „Klima- und Umweltschutz und für die | |
| Klimaanpassung“ bebaut werden. Die schwarz-rote Regierung wird Ökosysteme | |
| also nicht aufbauen, sondern unter Beton begraben. | |
| Flächen für den Klima- und Umweltschutz zu bebauen, birgt einen Widerspruch | |
| in sich, denn unter Klimaschutz und Anpassung wird in Deutschland in | |
| Zukunft alles fallen. Die erhitzte Erde mit häufigeren Dürren und | |
| Starkregen auch in Deutschland macht jedes Vorhaben zu einer Aufgabe der | |
| Anpassung an die neuen Zeiten. Auen verschwinden unausgeglichen unter | |
| Autobahnen, damit der zunehmende Straßenverkehr schneller abfließt. | |
| Wiesen weichen Rechenzentren, schließlich braucht Deutschland für die | |
| Digitalisierung auch der erneuerbaren Energiesysteme eigene | |
| Informationssysteme. Doch wenn die Netzwerke reißen, brechen die Ökosysteme | |
| zusammen und können nicht technologieoffen wiederhergestellt werden. Die | |
| zerstörten Netzwerke des natürlichen Lebens verursachen ökonomische | |
| Schäden, deren Ausmaß nur grob geschätzt werden kann, aber gewiss das | |
| Sondervermögen der schwarz-roten Koalition übersteigen. | |
| ## Das Ökosystem bricht zusammen | |
| Bleiben wir bei den Flüssen, die wie der Rhein gerade trockenfallen und im | |
| April erahnen lassen, was im Juli eine ökonomische Katastrophe auslösen | |
| kann. Geht es den Flüssen schlecht, können sie die für Wirtschaft und | |
| Menschheit entscheidenden ökosystemischen Dienstleistungen nicht erbringen. | |
| Im Sediment am Flussgrund leben alle möglichen kleinen Tierchen, Algen, | |
| Bakterien in einem oft unbeachteten Ökosystem und reinigen das Flusswasser, | |
| bevor es in die Trinkwasserkavernen fließt. In ihrem Netzwerk sorgen sie | |
| dafür, dass späterhin einwandfreies Trinkwasser aus den Wasserhähnen | |
| sprudelt. Fehlen die vielfältigen Lebewesen, weil der Fluss zu heiß wurde | |
| oder zu viel Schmutz das Leben erstickt, [5][bricht das Ökosystem | |
| zusammen.] Ohne die kostenlosen Leistungen der Natur muss sauberes | |
| Trinkwasser aufwändig und kostenintensiv hergestellt werden. Teures Wasser | |
| bremst die Wirtschaftsleistung ebenso wie mangelndes Wasser. | |
| Dazu kommt: Der niedrige Wasserstand im Rhein zwingt die Binnenschiffer | |
| dazu, ihre Ladung zu halbieren, was den Güterverkehr und den | |
| volkswirtschaftlichen Fluss der Produktion dämmt. Allein der Wassermangel | |
| kann das Bruttoinlandsprodukt bis zu 8 Prozent sinken lassen, hat das | |
| Potsdam Institut für Klimaforschung errechnet. | |
| Natur beeinflusst die Wirtschaft, was für die im Geiste der | |
| Nachkriegsgeneration sozialisierten Merz, Esken und Söder offenbar nicht | |
| leicht verständlich ist. In den 1960er, 70er, 80er Jahren durchpflügte, | |
| betonierte, begradigte, verhunzte Deutschland seine Natur in großem | |
| Maßstab, um das Land zu einer weltweit führenden Wirtschaftsnation | |
| auszubauen. Der Expansionsdrang im eigenen Land fand keinen Halt in den | |
| 90er und 00er Jahren – bis zum heutigen Tag. Die Wirtschaft wuchs bei | |
| maximaler Landnahme und Naturzerstörung und formte ein Narrativ, das sich | |
| nach dem verlorenen Eroberungskrieg und dem Holocaust wie ein balsamischer | |
| Verband auf den Seelenschmerz der Deutschen legte. Und sich dem kommenden | |
| Bundeskanzler Merz und den in der Wirtschaftsexpansion groß gewordenen | |
| Generationen ins Hirn brannte. | |
| Der Koalitionsvertrag verströmt den Geist eines Gestern, das nur noch in | |
| der Erinnerung großartige Lösungen für das 21. Jahrhundert liefert. Er | |
| dient den Generationen, die einst mit dem Küchenmesser die Ritzen zwischen | |
| Pflastersteinen von Löwenzahn befreit haben und nun seit Jahren den | |
| Hochdampfreiniger nehmen. Aber nicht [6][„grüne Spinner“ (Merz)] haben die | |
| Ökosysteme erfunden, sie haben nur die mühsame und unliebsame Aufgabe | |
| übernommen, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass Natur und Klima | |
| weiterhin physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten folgen, die | |
| stärker wirken als Parteiprogramme und Koalitionsverträge. | |
| Naturwissenschaftliche Fakten überzeugen Merz offensichtlich nicht. | |
| 28 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Fokken | |
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