| # taz.de -- Scheidende grüne Umweltministerin: „Die Lorbeeren streicht mein … | |
| > Steffi Lemke über ihre Erfolge, den Koalitionsvertrag von CDU und SPD – | |
| > und darüber, was ihre Partei beim Thema Ökologie falsch gemacht hat. | |
| Bild: Zieht Bilanz: Die scheidende Umweltministerin Steffi Lemke | |
| taz: Frau Lemke, wir sitzen in Ihrem Ministerinnenbüro und sehen, Sie haben | |
| noch gar keine Kisten gepackt. | |
| Steffi Lemke: Wenn es so weit ist, bin ich bei solchen Dingen ziemlich | |
| schnell. Aber noch ist diese Regierung geschäftsführend im Amt, und wir | |
| haben weiterhin Aufgaben wahrzunehmen. | |
| taz: Mit welchem Gefühl werden Sie aus dem Amt gehen? | |
| Lemke: Ich bin stolz auf das, was ich in den dreieinhalb Jahren auf den Weg | |
| bringen durfte. Aber ich gebe zu, dass ich auch noch einiges vorgehabt | |
| hätte und dass ich mit großer Sorge in die Zukunft schaue. Sowohl die | |
| Klimakrise als auch die Umweltzerstörung schreiten voran. Ich habe Zweifel, | |
| ob die zukünftige Bundesregierung diese Themen so ernst nimmt, wie es nötig | |
| wäre. | |
| taz: Hat [1][der Koalitionsvertrag] Ihre Sorgen befeuert oder gedämpft? | |
| Lemke: Beruhigt hat er mich jedenfalls nicht. Ich nehme zwar durchaus | |
| erfreut zur Kenntnis, dass die künftige Koalition offensichtlich bereit | |
| ist, auf gute Vorarbeiten meines Hauses zurückzugreifen und zentrale | |
| Projekte fortzusetzen, die ich auf den Weg gebracht habe: das | |
| [2][Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz], die Klimaanpassung, die | |
| Munitionsbergung aus dem Meer oder die Kreislaufwirtschaftsstrategie. Große | |
| Sorgen mache ich mir, dass an vielen Stellen der Umwelt- und Naturschutz | |
| geschwächt werden soll. Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus planen | |
| CDU/CSU und SPD offensichtlich, Umweltstandards und Beteiligungs- und | |
| Klagerechte der Bürger*innen massiv einzuschränken. | |
| taz: Die künftige Regierung will Verbandsklagerechte einschränken, was vor | |
| allem Umweltorganisationen treffen würde. Welche Auswirkungen hat das? | |
| Lemke: Umweltpolitik lebt davon, dass Informationen zur Verfügung gestellt | |
| werden, dass sie öffentlich und transparent sind. Ich bin in einem Land | |
| groß geworden, in dem es verboten war, Daten über die Umwelt zu | |
| publizieren. Dafür sind Leute in den Knast gegangen, von der Stasi verfolgt | |
| worden. Ich halte es wirklich für fatal, wenn das Recht auf | |
| Umweltinformationen und auch das daraus resultierende Verbandsklagerecht in | |
| diesen Zeiten, da Umwelt und Natur immer stärker unter Druck kommen, | |
| geschliffen oder gar abgeschafft würden. | |
| taz: Union und SPD wollen bei Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz den | |
| heute vorgeschriebenen Ausgleich von Flächen reduzieren, die etwa für | |
| Infrastrukturprojekte zugebaut werden. | |
| Lemke: Das wäre ein großer Fehler. Im Naturschutzgesetz ist | |
| festgeschrieben, dass Eingriffe in die Natur als Erstes zu vermeiden sind. | |
| Und wenn Infrastruktur oder eine Siedlung zwingend erforderlich sind, muss | |
| der Naturverlust, der durch die bebaute Fläche entsteht, ausgeglichen | |
| werden. Das ist eines der effektivsten Naturschutzinstrumente, das wir | |
| haben. Es hilft, die ökologischen Folgen notwendiger Infrastrukturprojekte | |
| zu begrenzen. Offensichtlich geht es Union und SPD letzten Endes darum, den | |
| Naturschutz zu schwächen. | |
| taz: Warum ist es schlimm, wenn der Flächenausgleich bei | |
| Klimaschutzprojekten wegfällt, zum Beispiel beim [3][Bau von Windrädern]? | |
| Lemke: Jede menschliche Nutzung, auch für erneuerbare Energien, steht in | |
| einem Spannungsfeld mit dem Naturschutz. Es gilt, für beides gute Lösungen | |
| hinzubekommen. Wenn erneuerbare Energien keinen Ausgleich mehr leisten | |
| müssen für die Inanspruchnahme von Natur, können Sie doch die Uhr danach | |
| stellen, dass das auch für andere Nutzungsformen eingefordert wird. Zum | |
| Beispiel für den Autobahnbau. | |
| taz: Sie haben gesagt, Sie seien stolz auf das Erreichte. Allerdings hat | |
| auch die Ampel nicht alles für den Umwelt- und Naturschutz gegeben. | |
| Lemke: Die Zeiten waren für ökologische Themen so schwierig wie seit | |
| Jahrzehnten nicht. Wir haben den Krieg Russlands gegen die Ukraine, die | |
| weltweite Inflation und die Fragen der Energiesicherheit. Aber trotz dieser | |
| Herausforderungen und obwohl der Fokus im öffentlichen Diskurs permanent | |
| auf Waffenlieferungen lag, haben wir wirklich große Weichenstellungen | |
| vorgenommen. Vor allem ist es mir im Krisenwinter 22/23 gelungen, mit dem | |
| Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz das größte Umweltprogramm auf den | |
| Weg zu bringen, das Deutschland je hatte. | |
| taz: [4][Das Programm soll Klima- und Naturschutz verbinden.] Es finanziert | |
| zum Beispiel die Wiedervernässung von Mooren, die CO2 speichern und | |
| gleichzeitig Lebensraum seltener Arten sind. Schwarz-Rot will das Programm | |
| laut Koalitionsvertrag immerhin verstetigen. | |
| Lemke: Wir haben im Finanzplan 3,5 Milliarden Euro für einen Zeitraum von | |
| fünf Jahren vorgesehen, obwohl wir in der Ampel zu Haushaltskürzungen | |
| gezwungen waren. Durch die Änderung der Schuldenregeln steht der neuen | |
| Regierung nun mehr Geld zur Verfügung. Angesichts dieser massiven | |
| Erhöhungen der Mittel erwarte ich von meiner Nachfolgerin oder meinem | |
| Nachfolger, dass sie oder er das Programm nicht nur stabilisiert und | |
| fortführt, sondern ausbaut. [5][Die aktuelle Frühjahrsdürre] zeigt ja, dass | |
| wir dringend in die Natur investieren müssen. Es ist überlebenswichtig für | |
| uns Menschen, dass wir Wasser in der Landschaft halten und den | |
| Wasserhaushalt stabilisieren. | |
| taz: Kritiker*innen zufolge fehlten zu Beginn die Strukturen, um die | |
| vorhandenen Mittel auszugeben. | |
| Lemke: Wo sollten sie denn herkommen? Es hat ja nie ein Umweltminister in | |
| diesen Dimensionen gedacht. Man hat mal zehn, mal fünf Millionen für | |
| einzelne Programme gefordert. Aber es hatte noch nie jemand klipp und klar | |
| gesagt: Die Natur ist unser wichtigster Verbündeter sowohl im Kampf gegen | |
| die Klimakrise als auch für die Wasserversorgung, für gesunde Wälder und | |
| für die Sauerstoffproduktion. Ihr Schutz ist entscheidend für Sicherheit, | |
| Wohlstand und Stabilität im Land. | |
| taz: In der Bevölkerung ist diese Botschaft nicht so richtig angekommen. | |
| Lemke: Da würde ich widersprechen. Da, wo ich unterwegs bin, sind überall | |
| Menschen, die sich um ihre Heimat sorgen, sei es den Weiher, den Bach, den | |
| Fluss oder den heimischen Wald. Das sind sehr viele, und es werden | |
| hoffentlich in Zukunft noch mehr. | |
| taz: Von Ihrem Aktionsprogramm haben viele trotzdem nicht gehört. | |
| Lemke: Wir haben damit bisher über 9.000 konkrete Projekte auf den Weg | |
| gebracht, vor allem für Waldflächen und für natürlichen Klimaschutz in | |
| Kommunen. Die haben zum großen Teil in den letzten zwölf Monaten begonnen. | |
| Ich vermute, dass mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin viele der | |
| Lorbeeren einstreichen wird. Aber ich gebe Ihnen recht, dass wir mehr über | |
| die existenzielle Bedeutung von Boden, Wasser, Luft sprechen sollten und | |
| Medien mehr berichten können. | |
| taz: In der öffentlichen Debatte hat das [6][Thema Biodiversität] | |
| jedenfalls noch stärker an Bedeutung verloren als das Klima. Es kommt heute | |
| kaum mehr vor. Woran liegt das? | |
| Lemke: In der öffentlichen Wahrnehmung überholt permanent ein Thema das | |
| andere. Das macht es für seriöse demokratische Politik schwierig, die | |
| essenziellen Themen nicht aus dem Auge zu verlieren. Und es ist sicherlich | |
| ein Problem, dass im politischen Diskurs auch meiner Partei die | |
| ökologischen Themen stark auf technischen Klimaschutz verengt worden sind. | |
| Obwohl wir aktuell mit Verschmutzung durch Mikroplastik, Verlust von | |
| Biodiversität und dem Artenaussterben weitere riesengroße ökologische | |
| Krisen haben. Es wäre wichtig, den Blick wieder zu weiten. | |
| taz: Wäre es im Wahlkampf also klüger gewesen, neben dem Klima auch auf | |
| bedrohte Froscharten zu setzen? | |
| Lemke: Entschuldigen Sie, wenn ich kurz deutlich werde: Es geht beim | |
| Naturschutz nicht um bedrohte Froscharten, es geht um unseren | |
| Allerwertesten. Selbst Nato, Bundesnachrichtendienst und das | |
| Weltwirtschaftsforum stufen den potenziellen Zusammenbruch von Ökosystemen | |
| mittlerweile als eines der Hauptrisiken für die menschliche Existenz ein – | |
| also drei Institutionen, die grüner Politik wirklich völlig unverdächtig | |
| sind. | |
| taz: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich der Blick auch bei den | |
| Grünen verengt hat? Die Partei wurde doch einst mit den klassischen | |
| Naturschutzthemen groß. | |
| Lemke: Wir haben diese Themen ja nicht links liegen gelassen. Wir haben mit | |
| dem Umweltministerium Verantwortung übernommen und uns intensiv gekümmert. | |
| Aber es gab in den vergangenen Jahren eine generelle Diskursverschiebung, | |
| und es hat auch auf die Grünen Rückwirkungen, wenn in der Presse permanent | |
| andere Themen dominieren. | |
| taz: Ist Naturschutz in der Öffentlichkeit auch deshalb wenig präsent, weil | |
| Sie als Politikerin eher nüchtern auftreten und kein Lautsprecher sind? | |
| Lemke: Auf der ganzen Welt wird versucht, die Umweltbewegung zu bekämpfen | |
| und in die Defensive zurückzudrängen. Das zeigt, dass sie auch erfolgreich | |
| gewesen ist. Etwas, das gescheitert ist, müsste man nicht bekämpfen. Ich | |
| bin kein Lautsprecherpolitiktyp, das ist richtig. Ich habe allerdings auch | |
| nicht das Gefühl, dass unsere Demokratie in Gefahr ist, weil es zu wenige | |
| Lautsprechertypen gibt. Generell ist das Umweltministerium und sind viele | |
| Naturschutzinstitutionen in ihrer Kommunikation auf Fachlichkeit getrimmt | |
| und dem sachlichen, wissenschaftlichen Diskurs verpflichtet. Hier liegt | |
| eine Aufgabe, dies ein Stück weit zu ändern. | |
| taz: Wie? | |
| Lemke: Indem die Themen verständlicher gemacht werden und wir dort | |
| anknüpfen, wo Heimat ist, wo Menschen schützen wollen, was sie von | |
| Kindesbeinen an kennen. In der Fachsprache werden Alpen, Wälder und Ostsee | |
| zum sogenannten LULUCF-Sektor degradiert. Solch komplizierte Formulierungen | |
| sind mir unbegreiflich, die versteht kein normaler Mensch. | |
| taz: Hatten Sie in der Ampel das Gefühl, als Umweltministerin | |
| Einzelkämpferin zu sein? | |
| Lemke: An manchen Stellen schon. Aber ich gehe davon aus, dass das oft die | |
| Rolle von Umwelt- und Naturschutzministern weltweit ist. Ich habe auf | |
| internationalen Konferenzen mit Umweltministern und -ministerinnen – dem | |
| kanadischen, der kolumbianischen, teilweise sogar dem chinesischen – an | |
| vielen Stellen Einigkeit und gemeinsames Verständnis erlebt. Wir haben uns | |
| darüber ausgetauscht, wie schwierig es ist, naturwissenschaftliche Prozesse | |
| auch in Regierungen erklärbar und nachvollziehbar für handlungsfähige | |
| Politik zu machen. | |
| taz: Was haben Sie persönlich vor? Werden Sie im Bundestag weiter am | |
| Umwelt- und Naturschutz arbeiten? | |
| Lemke: Ja. Ich war Umwelt- und Naturschützerin, bevor es in der DDR eine | |
| grüne Partei gab. Es gibt keine Veranlassung für mich, das Thema an den | |
| Nagel zu hängen. | |
| taz: Gerüchten zufolge wollen Sie im Bundestag Ausschussvorsitzende werden. | |
| Lemke: Das unterliegt dem Konstituierungsprozess der Fraktion. | |
| taz: Nachdem Katrin Göring-Eckardt nicht mehr als Bundestag-Vizepräsidentin | |
| nominiert wurde, sind Sie die letzte prominente Ost-Grüne mit Chancen auf | |
| einen Posten. | |
| Lemke: Die Diskussion, ob die ostdeutsche Repräsentanz zu kurz gekommen | |
| ist, führen nicht nur die Grünen gerade. Ich habe mich als Ministerin darum | |
| bemüht, meinen Job auch für meine Heimat Ostdeutschland so gut wie nur | |
| irgendwie möglich zu machen. Ich glaube, da wäre von Seiten der Partei mehr | |
| gegangen. Das ist aber vergossene Milch. Wir müssen jetzt schauen, auch im | |
| Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr in Mecklenburg-Vorpommern und in | |
| Sachsen-Anhalt, wie wir uns als Fraktion in der Opposition aufstellen. | |
| taz: Was wäre mit Blick auf Ostdeutschland wichtig? | |
| Lemke: Ich glaube, dass es weniger um Ostkongresse und Ostbüros geht, die | |
| in der Partei gerade diskutiert werden. Sondern darum, ob der Osten für | |
| sich selbstbewusst eine politische Stimme in bundespolitischen Diskursen | |
| wird. Wie gesagt: Ich habe das für meinen Bereich getan. In anderen | |
| Bereichen ist es vielleicht deutlicher notwendig. | |
| 13 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwarz-rote-Koalition/!6081429 | |
| [2] /Plan-des-Umweltministeriums/!5841674 | |
| [3] /Ausbau-der-Windkraft/!6062939 | |
| [4] /Umweltministerin-auf-Weltklimakonferenz/!5976055 | |
| [5] /Trockenheit-und-niedrige-Pegelstaende/!6076577 | |
| [6] /Welt-Naturkonferenz/!6068452 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Bundesumweltministerium | |
| Steffi Lemke | |
| Biodiversität | |
| Weltbiodiversitätsrat | |
| Klimaschutzziele | |
| GNS | |
| Kolumne Die eine Frage | |
| Tiefseebergbau | |
| Naturschutz | |
| Dürre | |
| Biodiversität | |
| Moor | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Auf der Suche nach Mehrheiten: Wie kann man Klimapolitik wiederbeleben? | |
| Schönreden ist nicht mehr. Eigentlich braucht es progressive Politik für | |
| mehr Klimaschutz. Doch die Parteien haben andere Prioritäten. | |
| Nationale Ozeankonferenz in Berlin: Ab jetzt ohne Meeresbeauftragten | |
| Der erste Ozeangipfel des Bundes fällt mit dem Regierungswechsel zusammen. | |
| Wo entschlossenes Handeln gefragt ist, wird ein wichtiger Posten gecancelt. | |
| Naturschutz im Koalitionsvertrag: Sie wissen nicht, was sie tun | |
| Naturschutz kommt im Koalitionsvertrag mit 29 Zeilen aus. Es ist eine | |
| Vernachlässigung, die sich rächen wird. Eine zerstörte Natur wird teuer | |
| werden. | |
| Trockenheit und niedrige Pegelstände: Dem Rhein fehlt Alpenschnee | |
| Der wichtigsten deutschen Wasserstraße droht Niedrigwasser mit Problemen | |
| für den Schiffsverkehr. Polen, die Ukraine und Weißrussland fürchten | |
| Dürren. | |
| Welt-Naturkonferenz: Artenschützer aus der ganzen Welt proben Speeddating in R… | |
| In drei Tagen wollen die Vertragsstaaten der Konvention über biologische | |
| Vielfalt Lösungen für wichtige Naturschutzprobleme finden. Es geht um Geld. | |
| Biologe Michael Succow über Moorschutz: „Moore müssen wachsen“ | |
| Deutschlands Moore sind gefährdet. Michael Succow und Lebrecht Jeschke | |
| haben in einem Bildband das Schicksal dieser Kulturlandschaft beschrieben. |