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# taz.de -- „Armenian Allegories“ am Gorki Theater: Wut und Selbstzerfleisc…
> Ein Festival am Berliner Maxim Gorki Theater arbeitet den Völkermord an
> Armenier*innen auf. Auch um deren erneute Vertreibung geht es.
Bild: Edgar Eckert und Arsinée Khanjian in „Donation – Performing Memory I…
Was bleibt, wenn Menschen vertrieben werden? Transportkisten mit Dingen,
die jene, die noch über Ressourcen verfügen, retten können. Behältnisse mit
Erde aus der alten Heimat, die auch zu Fuß mitgenommen werden können.
Manchmal auch die Gebeine der längst begrabenen Verwandten, die man
exhumiert, um sie bei sich zu haben.
All diese Dinge spielen eine Rolle bei den Uraufführungen „Donation“ und
„Karabakh Memory“ im Rahmen des Festivals „100 + 10 – Armenian Allegori…
Dieses erinnert an [1][den Genozid am armenischen Volk im
zusammenbrechenden Osmanischen Reich im Jahr 1915]. Und es nimmt natürlich
auch die schlimmen Aktualisierungen in diesem Jahrhundert mit der
Vertreibung aus [2][Bergkarabach, armenisch Arzach], in den Blick.
„Donation“ von Atom Egoyan spannt den ganz weiten Bogen. Transportkisten
mit historischen Kleidungsstücken aus der Zeit des Genozids von 1915 stehen
auf der Bühne. Man sah sie zuvor auf Videosequenzen auf dem Transport aus
Übersee mitten ins Gorki kommen. An Garderobenständern aufgehängt füllen
sie nun den hinteren Teil der Bühne. Vorn sitzt Arsinée Khanjian. Sie
erzählt die Geschichte der Kleidungsstücke. Sie wurden benutzt in Egoyans
Film „Ararat“, der Völkermord und Deportation anhand der Geschichte des
Malers Arshile Gorky in Bilder zu setzen versuchte.
Die Kleidungsstücke im Hintergrund tauchten auch in [3][Fatih Akins „The
Cut“] zum gleichen Thema auf. Khanjian spielte in beiden Filmen mit. In
einem von Replik zu Replik aggressiver werdenden Interview mit dem Leiter
des Fundus, in den die Kostüme integriert werden sollen, vertieft sie sich
in die eigenen Filmrollen. Und sie erzählt als Aktivistin und Enkelin von
Vertriebenen die Geschichte von 1915 und des jahrzehntelangen Schweigens
danach nach.
## Grenzen des eigenen Aktivismus
Allerdings bauen sie und Regisseur Egoyan auch überraschende Schmerzpunkte
ein. Vom immer penetranter auftretenden zukünftigen Verwalter der alten
Objekte (beherzte Darstellung eines stets besserwisserischen Ekels durch
Edgar Eckert) in die Enge getrieben, sinniert Khanjian über die Grenzen und
möglicherweile sogar fatalen Folgen des eigenen Aktivismus' nach.
„Karabakh Memories“ der ukrainisch-armenischen Autorin und Regisseurin Roza
Sarkisian hat diese Art von selbstquälerischer Reife nicht. Das Stück ist
pure Wut. Roza, verkörpert durch Flavia Lefèvre, erzählt nicht einfach von
Flucht und Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Arzach in den Jahren
zwischen 2020 und 2023. Sie reißt sich die Geschichte regelrecht aus den
Eingeweiden.
Sie kotzt ins Klo, das sich malerisch verdreckt auf der Bühne befindet,
wirft mit Objekten um sich, die an Körperteile erinnern (Ausstattung: Dana
Kavelina). Das können frische Leichenteile sein oder auch jene Gebeine, die
Fliehende aus Arzach tatsächlich mit sich nahmen. Einige Familien zündeten
auch die eigenen Häuser an – eine Strategie der verbrannten Erde, um den
verhassten Eindringlingen aus Aserbaidschan so wenig wie möglich zu
überlassen.
Weil die Aseri für Armenier Türken sind – und das heutige Aserbaidschan
auch waffentechnisch von Erdogans Türkei unterstützt wurde – ist man
schnell bei Kontinuitäten zwischen Osmanischem Reich und türkischem Staat.
## Groteske und Wut
Durch zahlreiche Slapstickeinlagen wie dem Verkauf von Erde aus Arzach
brechen Lefèvre und ihre Mitstreiter*innen Alexandra Malatskovska und
Tim Freudensprung immer wieder den Furor. Groteske und Wut befeuern sich
aber auch.
Die wilde Show kulminiert schließlich im Aufruf an türkische und deutsche
Zuschauer*innen, das mittlerweile abgerissene Kölner Mahnmal zur Erinnerung
an den Genozid von 1915 jetzt mal schnell auf der Bühne neu zu bauen. Das
ist Selektion andersherum, mit der Urenkelgeneration der damals am Genozid
Beteiligten; preußische Offiziere sind tatsächlich auf zeitgenössischen
Fotografien vor frischen armenischen Leichen überliefert.
Als versöhnlicher Abschluss wird für ein queeres Arzach gesungen:
nicht-binär, nicht-armenisch, nicht-aserbaidschanisch, aber unter dem
Protektorat der Weltgemeinschaft. Denkt man an das einstige Mandatsgebiet
Palästina, mit all den Folgen dort, geht der Song dann aber gar nicht mehr
so frisch über die Stimmbänder.
Der Auftakt des 40-tägigen Festivals offenbarte immerhin, dass Wut und
Selbstzerfleischung keine gar so schlechten Zugänge für grausige Phänomene
und Handlungen sind. Das Gorki-Publikum jedenfalls war wieder einmal
begeistert.
28 Apr 2025
## LINKS
[1] /Autorin-ueber-Genozid-Aufarbeitung/!6003640
[2] /Konflikt-um-Bergkarabach/!6034336
[3] /The-Cut-von-Fatih-Akin/!5031091
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Armenien
Schwerpunkt Bergkarabach
Völkermord Armenien
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