# taz.de -- Film über engagierte Linke in Marseille: Zwischen Sozialkritik und… | |
> „Das Fest geht weiter!“ von Robert Guédiguian beginnt mit einem | |
> Hauseinsturz und nimmt dann seinen fiktiven Lauf mit linkem Anliegen. | |
Bild: Rosa (Ariane Ascaride) und Henri (Jean-Pierre Darroussin) in „Das Fest … | |
Am Anfang steht eine Katastrophe, die tatsächlich passiert ist: Mit einem | |
grässlichen Geräusch stürzten im Jahr 2018 einige marode Wohnhäuser an der | |
Rue d’Aubagne in der Innenstadt von [1][Marseille] ein und begruben acht | |
Menschen. „Das Fest geht weiter“ beginnt mit dokumentarischen Aufnahmen der | |
Zerstörung und des daraus resultierenden Aktivismus. Denn über die | |
Einsturzgefahr vieler teils noch bewohnter Häuser im Viertel wussten die | |
Verantwortlichen in der Stadtregierung Bescheid. Nur ein paar Jahre nach | |
dem Einsturz in der Rue d’Aubagne gab es eine weitere ähnliche Katastrophe. | |
Ein Homer-Denkmal hat die (absehbare) Tragödie überlebt, stumm schaut der | |
Dichter auf diejenigen, die geblieben sind. Etwa die 60-jährige | |
Krankenschwester Rosa (Ariane Ascaride) und ihre große Familie. Nach dem | |
frühen Tod ihres Ehemannes hatte Rosa ihre Söhne Sarkis (Robinson Stévenin) | |
und Minas (Grégoire Leprince-Ringuet) allein aufgezogen. Als Sarkis seine | |
Verlobte, die Schauspielerin und Aktivistin Alice (Lola Naymark), bei einem | |
Abendessen der Familie vorstellt, wird direkt klar, woher der Wind weht: | |
Alle in Rosas Familie sind astreine Sozialist:innen – und nehmen ihr | |
armenisches Erbe sehr ernst. Sarkis möchte den Verlust, den sein Volk | |
erlitten hat, am liebsten heute statt morgen durch gemeinsamen Nachwuchs | |
mit Alice verkleinern, und erzählt seinen Nichten wie auch jedem Besucher | |
seines Cafés davon, wie die Armenier einst Marseille gründeten. | |
Rosa engagiert sich stark in der Kommunalpolitik und will nichts | |
Geringeres, als „die Grünen davon zu überzeugen, mit dem Kapitalismus zu | |
brechen“. Als sie jedoch Alices Vater Henri (Jean-Pierre Daroussin) | |
kennenlernt, einen geduldigen, romantischen Buchhändler, entdeckt sie | |
Gefühle in sich, die sie längst vergessen glaubte … | |
Der 71-jährige Regisseur Robert Guédiguian wurde selbst als Spross einer | |
armenisch-französischen Familie in Marseille geboren, die Darstellerin der | |
Rosa ist seine Ehefrau. Dementsprechend füllt er seine Geschichte mit viel | |
Herzenswärme, die zuweilen den Film in Kitsch abgleiten zu lassen droht – | |
etwa wenn seine Protagonist:innen sich Postkarten mit weisen Sprüchen | |
schicken, still Bücher lesend auf Bänken sitzen, das sehnsüchtige | |
„Emmenez-moi“ („Nimm mich mit“) der armenisch-französischen Chansonleg… | |
Charles Aznavour hören, singen und fühlen und überhaupt vor Toleranz und | |
Güte fast zu platzen drohen: „Wenn ich bei der Kommunalwahl gewählt würde�… | |
sagt Rosa beim Geschirrabtrocknen und meint es auch so, „ich würde die | |
Menschen mit meiner Liebe überschütten.“ Und ihr Bruder Tonio erklärt ihrem | |
neuen Liebhaber Henri, der die Stadt noch nicht gut kennt, lakonisch: | |
„[2][In Marseille regnet es nie], und alle sind links. Keine Bourgeoisie, | |
keine Rassisten, keine Faschisten.“ | |
Dass das nicht stimmen kann, ahnt man schon, und kennt es eigentlich aus | |
der Filmgeschichte. Doch Guédiguian will nicht das Drama, sondern die | |
Heilung zeigen; nicht (nur) die Probleme, sondern mögliche Lösungen. Rosas | |
Kandidatur in der Kommunalpolitik ist zum Beispiel eine Möglichkeit, um | |
Dinge zu ändern. Ihre designierte Schwiegertochter Alice steckt ebenfalls | |
viel Kraft in ihre Arbeit für soziale Projekte. Wenn sie nicht einen | |
Gedenktag für die Einsturzkatastrophe vorbereitet oder mit viel Elan den | |
Gemeindechor leitet, hilft sie den ärmeren Einwohner:innen noch immer | |
baufälliger Häuser dabei, Übergangswohnungen zu finden. | |
Guédiguians Stärke liegt in seiner Ortskenntnis und dem daraus | |
resultierenden Einsatz der Stadt: Pittoresk oder oberflächlich glänzend | |
wirkt das Setting des Films nie. Stattdessen versteckt er die Ruinen, die | |
geschlossenen Geschäfte, die mit Graffiti vollgesprühten Baustellen, auch | |
die malerischen Hafenecken seines Heimatortes nicht, sondern lässt sie eine | |
stolze, sprechende, dokumentarische Kulisse abgeben, die man sich lange | |
anschauen kann – und das von Guédiguian sehr spät in die Story eingebettete | |
Drama zwischen Alice und Sarkis kaum vermisst. Recht plötzlich taucht | |
nämlich nach über einer Stunde Film ein zwischenmenschliches Problem auf, | |
das sich aber auch nach fünf Minuten schon wieder erledigt hat. | |
Ein bisschen steht „Das Fest geht weiter“ in der Tradition des | |
sozialkritischen Kinos von Mike Leigh oder [3][Ken Loach], ein bisschen | |
erinnert es an die freundliche, tolerante Atmosphäre im Sesamstraßen-Kiez, | |
oder an die „Augsburger Puppenkiste“-Serie „Katze mit Hut“, in der die | |
unterschiedlichsten Wesen gemeinsam an der Verbesserung ihrer Wohnsituation | |
arbeiten. | |
Schaden tut das kaum – Guédiguians Botschaften sind dringlich, aufrichtig | |
und deutlich. Und selbst wenn man den Realismusgehalt des Films anzweifelt: | |
Die Angst vor Einsamkeit, dem Älterwerden, der Unmenschlichkeit der | |
aktuellen Politik zu verkleinern, die Menschen stattdessen zu agitieren, | |
ist ein schönes Ziel. | |
12 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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