| # taz.de -- Drogenmafia in Marseille: Morden, um den Widerstand zu brechen | |
| > In Marseille tötet die Mafia den Bruder eines Anti-Drogen-Aktivisten, um | |
| > Gegner einzuschüchtern. Trotzdem kommen am Samstag Tausende zur Demo. | |
| Bild: Kundgebung in Marseille: Die Mutter des ermordeten Mehdi Kessaci trägt d… | |
| Mehdi Kessaci heißt das letzte Opfer eines Mordanschlags in Marseille: ein | |
| Toter zu viel in dieser Stadt, [1][die seit Jahren mit einer immer | |
| brutaleren Gewalt des „organisierten Verbrechens“] – die Drogenmafia im | |
| administrativen Jargon – leben muss. Der Mord am 20-jährigen Mehdi Kessaci | |
| stellt eine neue Stufe im Kampf der Narco-Bosse um die Macht dar. | |
| Mehdi selbst hatte nichts mit den Dealern zu tun, war in keiner Weise in | |
| das Drogenmilieu involviert. [2][Das Attentat galt seinem zwei Jahre | |
| älteren Bruder Amine]. Der hatte den Kriminellen im Quartier und auf | |
| politischem Terrain den Kampf angesagt, seitdem vor 5 Jahren der älteste | |
| Sohn der algerischen Familie Kessaci getötet worden war: Auch Brahim wurde | |
| von den Drogenbanden der Nordquartiere ermordet. | |
| Mehdi Kessaci hatte beschlossen, sich zum Polizeibeamten ausbilden zu | |
| lassen. Dazu kam es nicht. Am 13. November wurde er von zwei mit | |
| Motorradhelmen Vermummten erschossen. Die verwendete 9-mm-Munition ist ein | |
| Bekennerschreiben: Es ist das Kaliber der bezahlten Killer der Drogenmafia. | |
| Mit der Strafaktion gegen einen Unbeteiligten wollen sie die ganze | |
| Bevölkerung einschüchtern und ihre politischen Gegner wie Amine zum | |
| Schweigen bringen. | |
| ## Demonstration gegen die Macht der Mafia | |
| Amine versprach bei der Beisetzung seines Bruders am Dienstag, dass es | |
| ihnen nicht gelingen werde. Seinem Aufruf zu [3][Protestversammlungen | |
| folgten am Samstag in Marseille Tausende, trotz der Angst vor Repressalien | |
| der Gangsterbosse]. Es war kein Schweigemarsch, sondern eine Demonstration | |
| gegen die Macht der Drogenmafia. | |
| Der bei den Grünen (Les Écologistes) politisch engagierte Amine Kessaci ist | |
| zu seinem eigenen Leid über Marseille hinaus zu einer Leitfigur im Kampf | |
| gegen die „Narcos“ geworden. Und er hat nicht die Absicht, zu kapitulieren. | |
| In seinem von Le Monde publizierten Aufruf zu den Kundgebungen gegen die | |
| Mafia schreibt er: „Sie schlagen uns, um uns zu brechen, zu unterwerfen und | |
| dienstbar zu machen. Das wollen die Dealer: Sie versuchen, jeglichen | |
| Widerstand zunichtezumachen.“ Aus Solidarität fanden auch in 20 anderen | |
| Städten Kundgebungen oder Mahnwachen statt. Denn Marseille ist längst kein | |
| Einzelfall mehr. Die Drogenbanden weiten ihr Geschäft und ihre Herrschaft | |
| bis in Kleinstädte und Dörfer aus und schrecken vor nichts zurück. | |
| Die Familie Kessaci wohnt im Viertel Frais-Vallon. Es ist eines der | |
| Außenquartiere von Marseille, wo „bis zur Verzweiflung alle Übel | |
| konzentriert sind, die den Drogenhandel begünstigen“. So beschreibt | |
| Libération ein Foto, auf dem eines der hässlichen Wohnsilos zu sehen ist, | |
| die das Bild der [4][mittlerweile berüchtigten Siedlungen im Norden von | |
| Marseille prägen]. | |
| In den Hochhaussiedlungen im Norden und Nordwesten, wo die zuletzt | |
| zugewanderten Familien einquartiert wurden, hat das illegale Business einen | |
| neuen Nährboden gefunden. Bei den arbeitslosen Jugendlichen, die sich | |
| wirtschaftlich, sozial und kulturell ausgeschlossen fühlen, rekrutieren | |
| Dealer mit dem Angebot, auf die Schnelle Geld zu verdienen, problemlos | |
| Helfer und Komplizen, sogar Auftragsmörder. | |
| ## Direkt mit dem Staat anlegen | |
| Nichts wird sich ändern, solange die [5][Jugendlichen in diesen lange Zeit | |
| vernachlässigten Vierteln] keine echte Aussicht auf Chancengleichheit und | |
| sozialen Aufstieg bekommen. Und auch nicht, solange die Zahl der Käufer | |
| nicht sinkt. Die Mafia lebt davon, dass der Cannabisverkauf und -konsum in | |
| Frankreich in den illegalen Untergrund verdrängt wird. | |
| Blutige Abrechnungen unter rivalisierenden Banden, die sich einen | |
| rücksichtslosen Krieg um Reviere liefern, sind in Marseille an der tristen | |
| Tagesordnung. Die Mordstatistik führt 49 Tote für 2023 auf, 24 für 2024, | |
| „bloß“ 14 seit Jahresbeginn. Der zahlenmäßige Rückgang könnte als Erfo… | |
| der polizeilichen Repression ausgelegt werden. Die Realität ist eher, dass | |
| die rücksichtsloseste der Gangs, die sich selbst „DZ Mafia“ nennt, ihre | |
| Vorherrschaft konsolidiert hat. „Wir stehen heute nicht mehr einfachen | |
| Dealern gegenüber, sondern Leuten, die sich direkt mit dem Staat anlegen“, | |
| sagt in Le Monde Fathi Bouaroua, ein langjähriges Mitglied einer | |
| Vereinigung für Obdachlose. | |
| Oberbürgermeister Benoît Payan, der seit 2020 an der Spitze der rot-grünen | |
| Stadtregierung steht, hat versprochen, zusammen mit der Zentralregierung | |
| die Herausforderung anzunehmen. In vier Monaten sind Kommunalwahlen, und | |
| Payan kämpft um seine Wiederwahl. Im Quartier Frais-Vallon und den anderen | |
| Vierteln, die von den „Narcos“ kontrolliert werden, möchte man hoffen, dass | |
| die markigen Worte mehr als Wahlslogans sind. | |
| 23 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.deutschlandfunk.de/drogenhandel-marseille-kriminalitaet-jugendl… | |
| [2] https://www.bbc.com/news/articles/cz6n6j0d3xpo | |
| [3] https://www.deutschlandfunk.de/tausende-menschen-protestieren-in-marseille-… | |
| [4] /Andere-Form-von-Tourismus-in-Marseille/!5851440 | |
| [5] /Krawalle-in-Frankreich/!5942144 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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