| # taz.de -- Der Hausbesuch: „Mich interessieren keine Opfernarrative“ | |
| > Früher war Nairi Hadodo Goth und Punk, heute spielt sie Kim Kardashian am | |
| > Maxim-Gorki-Theater. Sichtbarkeit wird in dem Stück zur | |
| > Überlebensstrategie. | |
| Bild: „Schon früh wurde mir klargemacht, dass ich Armenierin bin, nicht Deut… | |
| Selbstinszenierung und Selbstbestimmung gehen zusammen, meint die | |
| Schauspielerin und Dramaturgin Nairi Hadodo. Vor allem bei Frauen. Denn auf | |
| diese Weise machen sie sich sichtbar. | |
| Draußen: Dunkelblau, fast schwarz ist der Himmel über dem [1][Wrangelkiez | |
| in Berlin-Kreuzberg]. Graffiti bedecken Hausfassaden. Vor einem Supermarkt | |
| an der Ecke [2][stehen Männer, die – wie einige alte Kneipen der Gegend – | |
| scheinbar schon immer da waren]. „Ich liebe meine Nachbarschaft“, sagt | |
| Hadodo. „Sie ist so random“ – so vom Zufall bestimmt. | |
| Drinnen: Hinter der Wohnungstür ist ein Haufen bunter Schuhe: Nairi Hadodos | |
| Mutter und Schwestern sind zu Besuch. Ihr Schlafzimmer sehe deshalb „wie | |
| ein Lager“ aus. Die Küche ist minimalistisch: Ein Sofa, ein Tisch, ein | |
| Kandelaber, weiße Blumen. Auch die Wände sind weiß. Vom Balkon aus sieht | |
| Nairi Hadodo in den grünen Hinterhof und kann die Nachbar*innen | |
| beobachten. Das sei eine „déformation professionnelle“ von | |
| Schauspielerinnen, sagt Hadodo und lacht. | |
| Pläne: Bereits mit zehn Jahren wusste sie, dass sie Schauspielerin werden | |
| wollte. Ihre Mutter brauchte noch zehn Jahre, um das ernst zu nehmen, der | |
| Vater konnte mit dem Wunsch wenig anfangen. „Für mich war aber klar: Ich | |
| ziehe das durch – egal, wer dagegen ist.“ Zuerst studierte sie dann aber | |
| Freie Kunst an der Kunstakademie in Düsseldorf, erst danach Schauspiel in | |
| Bochum. | |
| Obsession: An der Kunstakademie in Düsseldorf hat sie als 19-Jährige aus | |
| der „The Kardashians“-Realityshow eine Kunstinstallation entwickelt. | |
| Seither lässt Kim Kardashian sie nicht mehr los. Gerade hat Hadodo am Maxim | |
| Gorki Theater in Berlin ein Stück namens „KIM“ auf die Bühne gebracht, | |
| [3][in dem sie selbst Kim Kardashian spielt]. „Kim wurde für mich vor zehn | |
| Jahren zur Personifizierung von allem, was im feministischen Diskurs | |
| schiefgelaufen ist“, sagt sie. Heute sieht sie Kardashian positiver: „Sich | |
| konsumieren zu lassen und Resonanzräume zu schaffen für alles, was man tut, | |
| hat als Frau mit Migrationsgeschichte doch emanzipatorisches Potenzial.“ | |
| Warum? Weil sie sich sichtbar macht, und das sei für Angehörige von | |
| Minderheiten wichtig. | |
| Herkunft: Nairi Hadodo wurde als älteste Tochter eines Architekten und | |
| einer Krankenpflegerin in Köln geboren und wuchs in Düsseldorf auf. Ihre | |
| Mutter ist Armenierin, ihr Vater war Aramäer. „Ich bin in einem Haushalt | |
| mit sehr selbstbewussten Eltern groß geworden. Schon früh wurde mir | |
| klargemacht, dass ich Armenierin bin, nicht Deutsche“, sagt sie. Sprache, | |
| Kultur, Gemeinde und Kirche waren die Fixpunkte in ihrem Alltag. Die Eltern | |
| engagierten sich humanitär, die Familie war tief eingebunden in das Leben | |
| in der Diaspora. | |
| Unsichtbarkeit: Den kulturellen Hintergrund teilt die 29-jährige | |
| Schauspielerin Nairi Hadodo mit der 44-jährigen US-amerikanischen | |
| Unternehmerin Kardashian: Auch sie hat einen armenischen Hintergrund. | |
| Kardashians [4][Vorfahren überlebten den Genozid von 1915] und emigrierten | |
| in die Vereinigten Staaten. Hadodo, deren Herkunft sowohl armenisch als | |
| auch aramäisch ist, gehört zwei ethnischen Gruppen an, „die vom Völkermord | |
| betroffen waren und deren Geschichte bis heute kaum aufgearbeitet wurde“, | |
| wie es im Programmheft zu „KIM“ heißt. „Meine Familie hat mir ein | |
| Bewusstsein für die Unsichtbarkeit unserer Kultur vermittelt. Wenn du mit | |
| dem Gefühl aufwächst, einer Minderheit anzugehören, macht das etwas mit | |
| dir.“ | |
| Ein Gesicht haben: Dabei sei es so wichtig, dass Kultur sichtbar ist. Das | |
| habe sie in den vergangenen zehn Jahren begriffen. Kultur könne nur leben, | |
| wenn man ihr ein Gesicht gebe. Deshalb nehme Hadodo sich die Freiheit, | |
| alles auf der Bühne zu machen, worauf sie „Bock“ hat: Als Kim rappt und | |
| tanzt sie, sie trägt Minikleider und Stilettos, sie hebt Gewichte und | |
| trinkt Eiskaffee, glänzend bahnt sie sich einen Weg durchs Publikum. Und | |
| doch sei sie auch wütend, wenn es sein muss. „Kim Kardashian ist die | |
| Sichtbarkeit in Person“, sagt Hadodo. Vielleicht auch deswegen habe sie | |
| sich diese Figur ausgesucht. | |
| Mehr sein: „Kim, was sind deine Talente? Du kannst nicht singen, du kannst | |
| nicht tanzen, du kannst nicht schauspielern …“ – diese Frage verfolgt die | |
| Figur Kim Kardashian, gespielt von Hadodo, auf der Bühne. „Es gibt in | |
| meiner Karriere keine Frage, die ich öfter gehört habe“, sagt Hadodo alias | |
| Kim – und antwortet sich selbst: „Ich bin einfach mehr.“ Sie zählt auf: | |
| Ich, Kim Kardashian, Mutter von vier Kindern, Ex-Frau des Rappers Kanye | |
| West, Gründerin von Lifestyle- und Beauty-Marken. Ich gebe Vorträge, möchte | |
| Anwältin werden. Ich bin mehr als eine Medienfigur. Ich bin Symbolfigur. | |
| Weniger machen: „Kann es nicht weniger sein?“, lautet dagegen eine Frage, | |
| die Nairi Hadodo sehr oft gestellt wird. Was damit gemeint ist? „Ich mache | |
| immer zu viel, ich schreibe selbst meine Texte, spiele, führe Regie. Einige | |
| Menschen sagen, das sei mutig, andere wiederum meinen, ich könnte es | |
| einfacher haben und die Rollen annehmen, die mir andere anbieten.“ | |
| Die Coolste im Raum: Nairi Hadodo ist klein, aber nicht zierlich, sondern | |
| kraftvoll und athletisch. Sie habe keine Schönheitsoperationen und kein | |
| Millionenvermögen. Und doch sieht man, wenn sie Kim Kardashian auf der | |
| Bühne spielt, genau diese Kim. „Ich bin die Coolste und Krasseste hier im | |
| Raum“, sagt sie als Kim in Unterwäsche. Als Hadodo erklärt sie: „Wenn man | |
| als Frau sozialisiert wird, lernt man früh, sich klein zu machen.“ Deshalb | |
| stößt sie in ihrer Performance manchmal an persönliche Grenzen: „Wie viel | |
| Raum darf ich einnehmen? Wie viel Haltung ist erlaubt? Wie lange darf ich | |
| meinen Hintern schwingen und dabei auch gut aussehen?“ | |
| Haltung: Weil Nairi Hadodo insgesamt „aus einer patriarchalisch geprägten | |
| Umgebung“ stammt, war ihr schon als Teenager klar, „wie viel Kraft es als | |
| Frau kostet, sich bestimmte Aussehen anzueignen, so wie Kim es tut“, | |
| erklärt sie. Anders als ihre Bühnenfigur suchte sie selbst jedoch nicht | |
| nach einem klassischen weiblichen Look: „Ich habe meine Jugend als Goth, | |
| Punk und vieles mehr gelebt und dabei die visuellen Codes des weiblichen | |
| Körpers immer wieder genutzt, um Widerstand zu leisten.“ | |
| Räume: Vier Jahr hatte sie nach dem Schauspielstudium ein festes Engagement | |
| am Theater Basel. Schon damals fing sie an, ihr Stück „KIM“ zu entwickeln. | |
| „Als ich mir nach dem Studium die Menschen in der Branche anschaute, wurde | |
| mir klar: Wenn ich, um als Schauspielerin zu arbeiten, auf das Wohlwollen | |
| von Leuten hoffe, die weder wissen, wo ich herkomme, noch wie es ist, so | |
| aufzuwachsen wie ich – dann kann ich ewig warten“, sagt sie. „Genauso wen… | |
| weiß ich, wie es ist, als weißer, blonder Mann aufzuwachsen.“ Lieber gebe | |
| sie sich also selbst die Rollen, die sie spielen möchte und nehme sich die | |
| Räume, die sie braucht. | |
| Narrative: Diese Freiheit komme aus dem Schmerzgefühl, nur auf sich selbst | |
| zählen zu können. „Die Narrative, die meine Herkunft als Plus und nicht als | |
| Minus verstehen, muss ich selbst erzählen.“ In der heutigen politischen | |
| Lage sei es wichtiger denn je, handeln zu können. Das habe sie gemeinsam | |
| mit Kim Kardashian: Sie handelt, ob man es mag oder nicht. „Mich | |
| interessieren keine Opfernarrative, sondern Narrative des Tuns“, sagt sie. | |
| „Das erfüllt mich mit Freude und Stolz.“ | |
| Matriarchat: Was Nairi Hadodo auch mit Kardashian gemeinsam hat, ist die | |
| starke Frauenpräsenz in der Familie und deren Bedeutung. „Wir sind drei | |
| Mädchen mit einer sehr starken Mutter“, sagt sie über sich und ihre | |
| Schwestern. | |
| Aliens: In Nairi Hadodos Familie gebe es kaum Männer. „So gut wie keine – | |
| und wenn doch, wirken sie wie Aliens, die auf unserem Raumschiff landen. | |
| Dann müssen wir erst mal herausfinden, wie wir mit ihnen klarkommen“, sagt | |
| sie lachend. | |
| Und der Alien Friedrich Merz? „Bei ihm geht es ums Zurückschlagen, nicht | |
| ums Gestalten. Ich mag es nicht, wenn Menschen nur reagieren, statt aus | |
| echtem Bewusstsein heraus zu handeln“, sagt Nairi Hadodo. | |
| 4 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luciana Ferrando | |
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| Er war 30 Jahre lang Verleger, inzwischen ist Edmund Budrich 92 und | |
| arbeitet immer noch. Ein Besuch in Leverkusen. |